3. Konzert für junge Leute und jung gebliebene Klassikfans im Konzerthaus
Krieg und Frieden sind seit jeher Zustände, zwischen denen sich unterschiedlichste Länder befinden. Zustände die einmal, wie der Frieden, als selbstverständlich und unverrücklich hingenommen und erwartet werden. Dem steht der Krieg mit all seinen Schrecken und das Leben verneinende entgegen. Der Krieg aber wird heroisiert. Der Mord am Gegenüber gesellschaftlich sanktioniert, geduldet oder erwartet. Krieg? Heroisch? Nein! Eine humane Katastrophe, die die Menschheit immer wieder in den Abgrund schauen lässt.
Genau in dem Spannungsfeld von Frieden und Krieg liegt das 3. Konzert für junge Leute in der Philharmonie Dortmund. Einerseits dem Hin und Her der Politiker, Vertragsbrüchigen Falken, in ihren eigenen Standpunkt nationalistisch verliebte Herren(menschen) ohne Verantwortungsbewusstsein, dem Kräftefeld der eigenen und alleinig „selig machenden“ eigenen Meinung und der anderen „verdammenswerten“ Meinung, Ansicht oder Glauben. Andererseits sind die „Weicheier“, die Angsthasen, die „Gutmenschen“, die um die Katastrophe wissen und sie mit allen Mitteln zu verhindern suchen.
Zwischen dem „Damals“ und „Heute“, was war, und was kommen könnte, wie es vielleicht besser bleiben sollte, ist das Spannungsfeld des 3. Konzertes für junge Leute angesiedelt. Die Dortmunder Philharmoniker haben es sich mit der Auswahl der Musik nicht leicht gemacht.
Mit „Slava! A Political Overture“ von Leonard Bernstein beginnt der Abend. Die Komposition von Bernstein ist sehr amerikanisch und Hollywood-esque. Sie ist eindringlich, fast heiter und glänzend von den Philharmoikern interpretiert. Fast möchte man mitgehen.
Wer die „West Side Story“ kennt, ahnt was als nächstes kommen könnte, schaut man in das Programm des Abends – es ist der „Prologue“ … Das Stück kennend oder nicht, kündigt sich der Streit, dann Kampf der Jets gegen die Sharks an und die „Romeo und Julia“ Liebe erscheint irgendwo im Hinterkopf.

Die Textpassagen aus „Die Nashörner“, von Eugène Ionesco bringen mit Worten und Darstellung das Auditorium sichtbar zum Nachdenken. Menschen hinter Gittern, denen die Freiheit versprochen wird, wenn … ja wenn sie Nashörner würden. Ausgerechnet Nashörner! Das geliebte Maskottchen der Dortmunder. Aber diese sich vermehrenden Nashörner, in die sich die Gefangenen verwandeln, machen sie wirklich frei? Der klassisch Interessierte könnte sich in diesem Moment den Chor der Gefangenen aus Nabucco vorstellen … Aber die Nashörner, die uniformierten, im Gleichschritt durch das Auditorium, seltsam rhythmisch humpelnd, lassen keinen Raum. Humpeln sie, weil ihnen die Individualität genommen und nur eine vermeintliche Freiheit gegeben wurde? Die der „blauen“ Propheten? Weil die Ideologie des Gleichschritts in sich hinkt?
Das Humpeln der Nashörner, was zeigt es uns? Im Gleichschritt in der vermeintlichen Freiheit fehlt es an der realen Freiheit des Einzelnen. Und wie diese Nashörner im „Humpel-Gleichschritt“ durch den Raum „reisen“ ahnt man, das was kommen muss – die Katastrophe. Die unwiederbringlich aus Geichklang im Zwang folgen wird. Poetry Slammer Sebastian 23 macht die Einführung zum kommenden Stück. Die „Leningrader“, die 7. Symphonie von Dimitri Schostakovitsch. Schostakovitsch begann die Arbeit an diesem Stück noch während der Belagerung von Leningrad (heute wieder Sankt Petersburg). Er wurde ausgeflogen, auch um die Symphonie zu Ende zu komponieren, und Stalin ließ sie zu Propagandazwecken über Lautsprecher über die Truppen der Belagerer schallen.
Die „Leningrader“. Aufwühlend, erschreckend und die Sinnlosigkeit von Krieg musikalisch darstellend, ergreift sie jeden im Auditorium der Philharmonie. Motonori Kobayashi dirigiert das Stakkato der Dystopie perfekt, irgendwie als sei er der Herr des Chaos. Man muss nicht die Filmdokumente des Grauens und kalkulierten Todes kennen, gesehen haben, um nicht das Entsetzen, das Grauen, den Hunger, das Verhungern und Erfrieren der Menschen und dennoch ihren verzweifelten Überlebenswillen im Todeskampf zu spüren. Dachte Stalin nur an die Propaganda, so erkannte er nicht auch die Anklage gegen ihn, wegen des von ihm kaltblütig kalkulierten Opfertodes von über einer Millionen Leningrader und der Zerstörung der Stadt.
Wie findet man nach diesem dystopischen Element des Abends wieder in die Normalität des Friedens zurück – nur sehr schwer. Vielleicht mit dem Vorspiel zur Apokalypse des Grauens … Die Ausschnitte aus dem 1. Satz der Leningrader könnte vielleicht helfen, zurückführen aus dem Irrsinn menschlichen Wahnsinns. Bernstein, mit seinem unnachahmlichen und für die Staaten typischen Pragmatismus könnte das Auditorium aus dem Entsetzen wieder in unsere bedrohte, aber friedliche, zufriedene (selbstzufriedene?) Welt zurückbringen.
Die Ausschnitte aus der „Candide Suite“ – „We build our own garden“ könnte helfen … Das Auditorium zeigte seine Begeisterung über die Darbietung der Philharmonie lange applaudierend … Kann man eine Verlängerung des musikalischen Abends erwarten, eine Zugabe geben? Welche? Was würde passen? Wohl nichts … so gab es auch keine Zugabe, auch wenn nicht wenige der Zuhörer sich das gewünscht haben mögen. Aber ist der Abschluss nicht auch wieder ein Anklage gegen die eigene Bequemlichkeit, die Selbstzufriedenheit? Der kritische Gast des Abends kann sich diesem Gedanken nicht wirklich entziehen.
Das Konzert für junge Leute wollte bewusst darstellen, wie falsch es ist einfach nur dem zu folgen, was alle anderen tun. Jeder muss mit seiner eigenen Individualität seinen Weg, immer wieder sich selbst reflektierend – das schwerste Unterfangen im Leben überhaupt – hinterfragend finden. Es ist gelungen! Sowohl in Noten, als auch in und mit der Darstellung durch die Theaterpartisanen und Studi-Improgruppe. Die Moderation von Sebastian 23 tat ihr übriges zur Intensivierung des erlebten an diesem Abend. Kobayashi, der Dirigent nahm den Applaus mit einer Dankbarkeit und Gelassenheit entgegen, wie sie nur einem Japaner eigen sein kann.