Archiv der Kategorie: Darstellende Kunst

Theater als Versuchslabor

Merle Wasmuth als "Proband 1". (Foto: ©Edi Szekely)
Merle Wasmuth als „Proband 1“. (Foto: ©Edi Szekely)

Im Rahmen der Reihe „Stadt der Angst“ geht es im dritten Teil um 22.30 Uhr im Studio des Dortmunder Schauspiels mit „4.48 Psychose“ von Sarah Kane um die Ängste in uns und der Suche nach dem Kern des Menschen und seiner Seele.

Was ist die Seele? Wie finden wir es heraus? In einem theatralen Laborversuch gehen Regisseur Kay Voges, die beide Software-Ingenieure Stefan Kögl und Lucas Pieß vom Dortmunder Hackerspace chaostreff dortmund e.V., dem Musiker Tommy Finke, Videokünstler Mario Simon und drei Schauspielern des Theaters auf die Spur zu kommen.

„So ein Experiment gab es bisher noch nicht. Es ist ein Dilemma. Die Seele können wir nicht sehen. Wo steckt die Seele , wenn sie krank ist? Bei der Behandlung von „seelischen Erkrankungen“ kommt die Schulmedizin schnell an ihre Grenzen. Sie stochern im Dunklen und wissen nicht, welches Medikament wirklich wirkt. Diese haben zudem unerwünschte Nebenwirkung auf die Persönlichkeit. Wir versuchen gemeinsam, dem Unbegreiflichen durch ein Zusammenwirken von Bildern (Video), Musik (Tommy Finke) und Schauspiel eine Form zu geben. Wir wollen den Text von Kane nicht interpretieren, sondern als Grundlage für eine Untersuchung benutzen“, erklärte Voges.

Als textliche Grundlage dient den Schauspielern das letzte Gedicht „4.48 Psychose“ von der in den 90iger Jahren des letzten Jahrhundert bekannte britische Dramatikerin Sarah Kane. Die von Depressionen geplagte Sarah Kane war eine genaue und kritische Beobachterin der Welt und seziert mit gnadenloser Offenheit das Leiden an ihr und der psychischen Erkrankung. Das Ganze mit einer poetischen Sprachkraft. Mehrfach denkt sie daran, sich das Leben zu nehmen. Kurz vor ihrem 28 Geburtstag, nach Abgabe dieses letzten Textes, geschrieben zwischen zwei Medikamentendosen, in einem Moment der Klarheit, erhängt sie sich 1999.

Die drei Schauspieler befinden sich in einem Kubus mit einer halb durchsichtigen Gaze davor, der sich in der Mitte des Studios platziert ist. Um körperliche Reaktionen wie etwa Herzfrequenz, Muskelkontraktionen, Körpertemperatur oder die Atemfrequenz bei den Schauspieler während ihrer Spiels messen zu können, sind in ihren Kostümen eingebettet, kleine bunte Systeme (Computer-Chips) angebracht. Mit Hilfe von Sensoren werden die Körperdaten auf die Leinwand projiziert. Diese verändern sich je nach den unterschiedlichen Emotionen der Schauspieler.

Die Software für das „4.48 Psychose“-Experiment haben die beiden Software-Ingenieure vom chaostreff entwickelt.

Die Daten werden in abgespeckter Form (es wären zu viele Daten) von dem Bochumer Musiker und Singer-Songwriter Tommy Finke aufgenommen und in musikalische Impulse umgewandelt. So entsteht ein wechselseitiges Zusammenspiel mit interessanten und überraschenden visueller Darstellungen „innerer körperlicher Zustände“. Fünf Kameras senden die Bilder aus dem Kubus an vier Beamer. „Zwischendurch wird es aber auch Momente geben, wo die Schauspieler und der Musiker frei agieren,“ verriet Voges.

Dieses avantgardistische Experiment wird ein beeindruckendes und eventuell auch verstörendes Erlebnis für das Publikum werden. Die Frage nach unserem Menschenbild, was uns ausmacht, ist von existenzieller Bedeutung für eine humane Gesellschaft,“so der Regisseur am Ende der Pressekonferenz.

Weitere Termine: 22., 29. Mai, 28. Juni 2014

Weitere Informationen unter 0231/ 50 27 222 oder www.theaterdo.de

Haydns Jahreszeiten als Deutschlandpanorama

Lucian Krasznec (Lukas), Morgan Moody (Simon), Anke Briegel (Hanne) (Foto: ©Thomas M. Jauk / Stage Picture)
Lucian Krasznec (Lukas), Morgan Moody (Simon), Anke Briegel (Hanne) (Foto: ©Thomas M. Jauk / Stage Picture)

Operndirektor Jens-Daniel Herzog wagte sich nach der szenischen Aufführung von „Elias“ erneut an ein Oratorium. Herzog verwandelte „Die Jahreszeiten“ von Joseph Haydn aus einer romantischen Landpartie in ein säkularisiertes Deutschlandpanorama. Von der Kapitulation über das Wirtschaftswunder bis zur Demographieproblematik spannte sich der Zeitbogen. Die Solisten gaben ihr Bestes, aber gegen einen wirklich gut aufgelegten Opernchor hatten sie keine Chance. Ein Premierenbericht vom 27. April.

 

Dass ein Oratorium szenisch aufgeführt wird, ist eine ungewöhnliche Sache. Herzog hatte schon de „Elias“ von Mendelssohn-Bartholdy vor zwei Spielzeiten eine Handlung mitgegeben, die sich aber mehr oder weniger streng an der Vorlage orientierte. Bei den „Jahreszeiten“ von Hadyn geht er noch einen Schritt weiter und verwandelt die stark romantisierende Handlung, die das bäuerliche Leben und die Natur preist, in eine Geschichte der Bundesrepublik. Der Frühling ist die Kapitulation und der Neuaufbau mit Währungsreform, der Sommer wird zur Wirtschaftswunderzeit, der Herbst wird kühler, Ausländerfeindlichkeit wird thematisiert und im Winter verwandelt sich Deutschland durch den demographischen Wandel in ein Altenheim. Was Herzog nicht thematisiert: die Geschichte der DDR, die Wiedervereinigung oder die 68er. Aber es gibt halt nur vier (in manchen Gegenden auch fünf) Jahreszeiten.

 

Herzogs szenische Interpretation zeigt viele beeindruckende Bilder Als der Vorhang nach der Ouvertüre aufgeht, steht zunächst Simon (Morgan Moody) mit einer weißen Fahne schwenkend auf der Bühne. Um ihn herum anscheinend Trümmer, die sich im Laufe als Hanne (Anke Briegel) und Lukas (Lucian Krasznec) sowie der Dortmunder Opernchor entpuppen. Ausstaffiert als Trümmerfrauen und heimkehrende Soldaten singt der Chor dann „Komm, holder Lenz“.

Bei einer Zeitreise durch die Geschichte der Bundesrepublik bliebt es nicht aus, dass die Solisten und der Chor in verschiedene Rollen schlüpfen müssen. Die Mitglieder des Chores waren unter anderem Trümmerfrauen, Stahlarbeiter, Frauen mit Kinderwagen in der Babyboomerzeit, (Ausländer-)Jäger und zum Schluss Senioren im Altenheim.

 

Auch Morgan Moody (Simon) schlüpfte in viele Rollen. Er verkörperte bestimmte Politiker wie Adenauer, Erhard, aber auch jemanden wie Franz Schönhuber. Lucian Krasznec (Lukas) stellte einen amerikanischer Offizier, jungen Bauern, Angestellte und zusammen mit Anke Briegel (Hanne) ein Liebespaar dar. Eine Szene mit den beiden war besonders komisch. Zum Duett „Ihr Schönen aus der Stadt“ wollten sie auf einer Parkbank nett beisammen sein. Auf der nahegelegenen Wiese wurde jedoch kräftig gegrillt, was unser Pärchen natürlich sehr störte.

Anke Briegel spielte zuerst eine Trümmerfrau, die sich einen amerikanischen Offizier schnappt, und zuletzt eine Altenpflegerin im Altenheim „Deutschland“.

 

Die drei Solisten zeigten sich gewohnt von ihrer besten Seite. Da fällte es schon schwer, jemanden herauszuheben. Mit seinem ganz speziellen Gespür für Komik sorgte Krasznec vielleicht noch für ein zusätzliches kleines Sahnehäubchen. Ein Oratorium steht und fällt aber mit dem Chor und der war an diesem Abend einfach in einer herausragenden Form. Nicht nur, dass alle Mitglieder gut singen können, nein, sie haben auch noch kleinere schauspielerische Dinge in die Inszenierung gebracht, so dass es sich lohnt, mehrmals hineinzugehen. Ein großes Lob gilt dem Leiter des Chores Granville Walker.

 

Ich möchte nicht verschweigen, dass eine so radikale und auch säkularisierte Interpretation wie von Jens-Daniel Herzog nicht jedem gefallen hat. Es gab durchaus auch einige Buhrufe, ein Besucher ist lautstark nach dem Frühling gegangen. Die Thematisierung von Frauen, die sich in der Nachkriegszeit den amerikanischen oder englischen Soldaten an den Hals geschmissen haben, um damit ihre Lebensverhältnisse zu verbessern, ist für den einen oder anderen doch harter Tobak, wenn er oder sie ein spätbarockes Stück über die Schönheiten der Landluft erwartet hatte. Sei’s drum. Die Mehrzahl der Besucher spendete Applaus, vor allem musikalisch gab es nichts, aber auch gar nichts auszusetzen. Das ist auch ein Verdienst von Philipp Armbruster und den Dortmunder Philharmonikern.

Stadt der Angst im Schauspielhaus

DER REVISOR: Uwe Schmieder, Julia Schubert, Bettina Lieder, Ekkehard Freye, Carlos Lobo und Eva Verena Müller (Foto: ©Birgit Hupfeld)
DER REVISOR: Uwe Schmieder, Julia Schubert, Bettina Lieder, Ekkehard Freye, Carlos Lobo und Eva Verena Müller
(Foto: ©Birgit Hupfeld)

Am 3. Mai 2014 ist ab 19.30 Uhr Premiere für die Reihe „Stadt der Angst“ im Schauspielhaus Dortmund. Diese Reihe beschäftigt sich in drei Stücken über die Angst: in unserem Land, unserer Stadt und und in uns. Außerdem wird der „AUTSCH 2014“ verliehen. Einen kleinen Vorgeschmack gibt das kleine Video.

Um die ersten beiden Bereichen geht es in den zwei geteilten Doppelabend im Schauspielhaus beginnend mit „Autschland d’Amour“, einer Dramödie in 3 (Sprech)-Gesängen von Fred Hundt und nach der Pause geht es mit dem „Revisor“ von Nicolai Gogol weiter.

Im Studio des Schauspielhauses beschäftigt sich dann „4.48 Psychose“ von Sarah Kane ab 22.30 Uhr mit dem dritten Bereich.

Zu den ersten beiden Teilen des Abend und den Hintergrund für diese Reihe verriet Chefdramaturg Michael Eickhoff vorab:„Wir haben uns gefragt, warum scheuen wir Konflikte und versuchen, Anweisungen und Regularien zu entsprechen? Welche individuellen und kollektiven Ängste und Stress spielen dabei eine Rolle? Wie kommt es zu dem sogenannten Phänomen „Burn Out“, dass gerade in den letzten Jahren vermehrt im Gespräch ist, und welche Konsequenzen können wir daraus ziehen? Wie gehen wir mit der Datenflut um, die täglich auf uns einprasselt?“

Dabei sind, so Eickhoff, zwei so unterschiedliche Spielstücke hintereinander im Schauspielhaus eine große Herausforderung, weil sie eine Umbaupause benötigen. Bei beiden Inszenierungen führt Marcus Lobbes Regie.

Im ersten Teil von Autschland d’Amour“ wird von den beiden Schauspieler und dem Dortmunder Sprechchor herausgearbeitet, mit welchen Arten von Stress wir täglich konfrontiert werden. Wie zum Beispiel, welchen Telefonanbieter oder welche am besten geeignete Schule wir für unsere Kinder aussuchen. Alltägliche Dinge , die Unwohlsein hervorrufen.

Im zweiten Teil wird das Publikum mit Aussagen und platzierten Behauptungen konfrontiert, die uns alle betreffen, deren Glaubwürdigkeit auf dem Prüfstand steht. Im dritten Schritt geht es um die Folgen und Auswirkungen der zunehmenden Verunsicherung auf die Sprache.

Nach der Pause geht es mit einer neuen eigenen Fassung von Gogols „Revisor“ aus dem Jahr 1934 weiter. In dieser Provinzstadtposse sorgt die Ankündigung einer anstehenden Ankunft eines vermeintlichen „Revisors“ für Aufregung in der Stadt. Will man doch im besten Licht dastehen. Dafür scheut man auch nicht vor Bestechungsversuchen jeglicher Art zurück…

„Dabei übernimmt der Dortmunder Sprechchor die Rolle der kritischen Stadtgesellschaft. Die sechs Schauspieler vermitteln das, was sich die Stadt ausdenkt. Sie kommen wie bei einer Talk-Show daher und lamentieren, was als nächstes notwendig zu tun ist“, erklärte Eickhoff.

Die Bühnenausstattung wird mit der auf einer Projektionswand etwas verfremdeten, aber erkennbaren Stadt Dortmund einfach gehalten. „Die deftige Sprache dieser Provinzposse passt dabei gut in unsere Stadt“, erläuterte der Dramaturg.

Zu der Studio – Aufführung von „4.48 Psychose“ von Sarah Kane unter der Regie von Schauspieldirektor Kay Voges gibt es in der nächste Woche noch genaue Informationen.

Für die Premieren von „Autschland d’Amour“ und „Revisor“ am 03. Mai gibt es noch Restkarten. Weitere Termine am 07., 30., 31. Mai und am 08., 12. und 27. Juni.

Zwischen Virtualität und Körperlichkeit

Schauspieldirektor Kay Voges freut sich auf das Theatertreffen 2014. Im vergangenen Jahr gewann er mit seiner Inszenierung von "Das Fest" beim Theatertreffen 2013.
Schauspieldirektor Kay Voges freut sich auf das Theatertreffen 2014. Im vergangenen Jahr gewann er mit seiner Inszenierung von „Das Fest“ beim Theatertreffen 2013.

Vom 13. bis zum 20. Juni 2014 wird Dortmund zur offiziellen Theaterhauptstadt in NRW. Beim NRW Theatertreffen haben die Besucher die Möglichkeit, zehn Theaterstücke aus ganz NRW zu sehen, daneben Filme, Diskussionspanels, Performances, Workshops und Konzerte. Spielorte sind neben dem Schauspielhaus, dem Studio und dem Institut noch die Junge Oper, das Opernhaus und der Theatervorplatz.

 

Im Mittelpunkt des Theatertreffens stehen die zehn Wettbewerbsbeiträge. Begonnen wird am Freitag, den 13. Juni mit der Bochumer Produktion „Das Mädchen aus der Streichholzfabrik“. Am Samstag, den 14. Juni ist der ostwestfälische Tag, denn da wird „Wohnen. Unter glas“ vom Theater Paderborn sowie „Minna von Barnheim oder das Soldatenglück“ vom Theater Bielefeld gezeigt. Sonntag, den 15. Juni präsentiert das Schauspiel Essen „Der Prozess“ und am Montag, den 16. Juni die Wuppertaler Bühnen „JR“. „Kasimir und Karoline“ vom Düsseldorfer Schauspielhaus wird am Dienstag, den 17. Juni gezeigt. Bertolt Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ vom Schauspiel Köln wird am Mittwoch, den 18. Juni präsentiert. Donnerstag, den 19. Juni stehen zwei Stücke auf dem Programm. Zuerst spielt das Theater Münster „Die deutsche Ayşe. Türkische Lebensbäume.“, danach fährt das Theatertreffen zu einem Auswärtsspiel nach Oberhausen: Per Shuttlebus ab 19:30 Uhr geht es auf die Reise zum Stück „Die Orestie“ des Theaters Oberhausen. Aus technischen gründen kann das Stück nicht in Dortmund gespielt werden.Den Schlusspunkt setzt am Freitag, den 20. Juni „Das Himbeerreich“ vom Theater Aachen.

Für die teilnehmenden Stücke gibt es drei Preise zu gewinnen: Den Preis der Fachjury, den Preis der Jugendjury und den Publikumspreis. Die Preisverleihung findet am Freitag, den 20. Juni um 20:30 Uhr statt.

 

Dramaturg Thomas Bihegue stellte das Programm zum Theatertreffen 2014 vor.
Dramaturg Thomas Bihegue stellte das Programm zum Theatertreffen 2014 vor.

Das Theater ist ein Ort, an dem Reales und Virtuelles, Analoges und Virtuelles aufeinandertreffen. Dazu bieten sechs Diskussionspanels die Möglichkeit, verschiedene Themen zu beleuchten. Mit dabei sind unter anderem Autor Dietmar Dath bei „Sterben: Online und Offline“ oder Paul Wallfisch, musikalischer Leiter des Schauspielhauses, in „Theatermusik – autonome Kunst im Sprechtheater“.

 

Musik ist ein gutes Stichwort: Es gibt einige Konzerte. So spielen unter anderem PeterLicht, The Tiger Lilies oder Thomas Truax.

 

In Brasilien findet ja zeitgleich ein weiteres großes Ereignis statt, die Fußball-WM. Das Institut wird sich auch als WM-Studio präsentieren.

 

Tickets:

Stücke (Schauspielhaus & Opernhaus) 19,- Euro / 12,- Euro (erm.)

(Studio) 15,- Euro / 10,- Euro (erm.)

Westwind-Stücke 10,- Euro / 5,- Euro (Kinder)

Konzerte (Schauspielhaus) 20,- Euro

(Junge Oper) 10,- Euro

(Junge Oper, 23 Uhr) 5,- Euro

Kino (Institut) 5,- Euro

 

 

Hotline 0231/50 27222

Online www.theaterdo.de

 

 

 

Weitere Infos, Programm und Festival-Blog:

www.nrw-theatertreffen.de

www.facebook.com/nrwtheatertreffen

www.twitter.com/nrwtt

 

Ein Chronist des Jedermann

Zufall? Nachdem Ars tremonia kurz zuvor den Roman „Menschenfischer“ von Markus Veith rezensiert hat (Rezension hier), geht es mit seinem Bühnenstück über Wilhelm Busch weiter. Eines muss man Veith lassen, als er mit seinem Wilhelm-Busch-Programm „Ein jeder Narr tut, was er will“ am 13. April 2014 die Bühne im Depot betrat, erleben die Zuschauer eine Metamorphose: Veith wird zu Busch und lässt für knapp zwei Stunden den humoristischen Dichter und Zeichner wieder auferstehen.

 

Wilhelm Busch (1832-1908) vorzustellen, ist wie Eulen nach Athen zu tragen. Fast jeder kennt „Max und Moritz“, „Die fromme Helene“ oder Redensarten wie „Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr“, die in den Alltagsgebrauch übergegangen sind.

Veith erzählt in seinem Programm zwei große Geschichten von Busch, vor der Pause „Balduin Bählamm, der verhinderte Dichter“ aus dem Jahre 1883. Vielleicht hat sich Busch mit einer gehörigen Portion Selbstironie auch als Baluin Bälamm gesehen. Obwohl Busch mit seinen humoristischen Werken einen großen Erfolg hatte, sein ernster Gedichtband „Kritik des Herzens“ war zu beginn kein Erfolg beschieden und eine zahllosen Gemälde fand er persönlich nicht gut genug. Nach der Pause war es Zeit für „Maler Klecksel“, auch hier steckt vermutlich etwas Busch in der Hauptfigur.

 

Veith porträtiert Busch als einen durchaus grimmigen Einsiedler, der Junggeselle geblieben ist und dem Trank und Tabak frönt. Doch zwischen den gereimten Zeilen blitzt auch etwas Ernstes auf, wenn Busch über seine Malerei spricht oder in einem kurzen Moment seine Einsamkeit Bahn bricht. Seine Kleidung, sein Gestus wirken lebensnah und echt und so hat der Zuschauer dann und wann fast die Vorstellung, einer Wiedergeburt von Busch. Zumal Veith sein Programm ausschließlich in Reimform absolvierte.

 

Eine wichtige Seite von Wilhelm Busch wurde in Veiths Programm ausgespart: Als Protestant erzogen, stand Busch im Kulturkampf auf der preußischen Seite, wie seine deutlich antiklerikalen Werke „Die fromme Helene“ oder „Der heilige Antionius von Padua“ zeigen.

 

Markus Veith kann das Reinem nicht lassen: Dem interessanten und humorvollen „Wilhelm Busch-Nachmittag“ folgt am 15. Juni 2014 im Depot ein Bühnenstück mit dem Titel “Eulenspiegels Enkel“.

Vulgär sein als politisches Statement

Bunny Love während ihrer "Southern Belle" Nummer. (Foto: © Ande Whyland)
Bunny Love während ihrer „Southern Belle“ Nummer. (Foto: © Ande Whyland)

Einen Einblick in die Szene der „Neo-Burlesque“ in New York bot der Film „Exposed“, der im Beisein von Regisseurin Beth B. am 10. April 2014 im Schauspielhaus gezeigt wurde. Vor und nach dem Film gab Tänzerin Bunny Love eine Kostprobe.

Burlesque hatte ihre Hochzeit in den USA in den 30er bis 50er Jahren. Der Unterschied zwischen Striptease besteht im wesentlichen darin, dass die Tänzerinnen und Tänzer eine ausgefeilte Bühnenshow hinlegen, statt sich einfach nur auszuziehen.

In Beth B.’s Film wurde eine besondere Komponente des Neo-Burlesque beleuchtet: Die Regisseurin begleitete acht Tänzerinnen und Tänzer über mehrere Jahre auf ihrer Reise durch die Szene. Dabei wurde deutlich, dass der Mut, sich auf der Bühne auszuziehen, obwohl man oder frau nicht über das Schönheitsideal verfügt, ist auch eine Form der politischen Aussage: „Seht her, ich bin körperlich behindert, ich lege trotzdem eine Burlesque-Show auf die Bühne, ziehe mich aus und ihr feiert mich.“ Dadurch entsteht eine Form von persönlicher Freiheit, die auch raus auf der Opferecke führt. Man beginnt, sich selbst zu lieben. Ein Antwort, die öfter im Film auftaucht.

 

Der Film ist keinesfalls eine Freak-Show, er zeigt vielmehr den Kampf von Individuen durch Vulgarität der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten, infrage zu stellen, was „Normal“ ist. Dabei dekonstruieren sie auch gängige Rollenmodelle wie beispielsweise Bunny Love es live vor Filmbeginn tat. Sie trat als „Southern Belle“, der klassischen Südstaatenschönheit auf, die im Laufe der Vorführung immer mehr von ihrer Hysterie und ihren Ängsten übermannt wird, bis sie als Finale völlig nackt sich ein Messer in die Vagina rammt.

 

Link zum Film: www.exposedmovie.com

Istanbuler Geschichten von Außenseitern

Zwei Zeitebenen überlagern sich: Ahmet aus den 80er Jahren sowie Markiz und Eleni aus dem Jahr 1955. (Foto: © GalataPerform)
Zwei Zeitebenen überlagern sich: Ahmet aus den 80er Jahren sowie Markiz und Eleni aus dem Jahr 1955. (Foto: © GalataPerform)

Mit „İz – die Spur“ präsentierte am 07. April das Schauspielhaus Dortmund das dritte Stück der Gastspielreihe „Szene Istanbul“. „İz“ von Ahmet Sami Özbudak, aufgeführt von GalataPerform, ist ein sehr politisches Stück. Es erzählt die Geschichte einer Wohnung in Istanbul und das Schicksal ihrer Bewohner zu verschiedenen Zeiten.

Drei Handlungsebenen werden auf der Bühne parallel erzählt. Es wirkt beinahe so, als ob man drei Filme übereinander sieht. Die große Kunst der Theatergruppe von GalataPerform ist, dass alle drei Ebenen nebeneinander laufen, ohne dass Chaos herrscht oder irgendetwas unverständlich ist. Die Zuschauer sehen nur einen Raum der Wohnung live, doch mittels Videokameras wird das Geschehen in den beiden anderen Räumen auf zwei Fernsehern gezeigt. Zu Beginn erfordert es etwas Anpassung, doch mit der Zeit gewöhnt man sich daran, zumal die wichtigen Teile der drei Handlungsstränge im vorderen Raum passieren. Die türkischen Texte wurden zudem noch in deutscher Übersetzung als Übertitel gezeigt.

Die drei Geschichten handeln von Außenseitern in der Istanbuler Gesellschaft: Christen, Kommunisten und Homosexuelle. Sie spielen zu verschiedenen Zeiten, haben aber alle eine Botschaft: Toleranz gibt es für sie nicht.

So verlassen die beiden griechisch-türkischen Schwestern Markiz und Eleni nach den Pogromen im September 1955 die Stadt, obwohl sie sich eigentlich immer als Istanbulerinnen gefühlt haben. Sie sind zwei Schicksale von den 100.000 Griechen, die der Türkei danach den Rücken gekehrt haben.
Ihre Mutter, die sie in ihrem Zimmer zurückgelassen haben, umgibt ein Geheimnis. Was sie für eine Krankheit hat oder was mit ihr geschehen ist, weiß niemand genau. Diese Mutter wurde jedenfalls längere Zeit nicht mehr öffentlich gesehen und ist so etwas wie der Geist des Hauses.

Die zweite Zeitschleife spielt 1980. Keine gute Zeit für Linke, denn in der Türkei herrschte die Militärdiktatur unter General Kenan Evren. Ahmet, der linke Aktivist, der als Art Untermieter in der Wohnung lebt, muss seine Bücher vor dem Zugriff von Polizei und Geheimdienst verstecken. Doch kommt ihm sein Vermieter auf die Schliche und verrät ihn an die Polizei, die ihn erschießt.

Um das Jahr 2000 spielt die letzte der drei Geschichten. Transvestit Sevengül und sein Liebhaber Rizgar leben ebenfalls in der besagten Wohnung, doch als Rizgar Probleme beim Drogenhandel bekommt und sein kurdischer Cousin auftaucht, kommt es zur Katastrophe.

„İz“ ist ein Stück über Minderheiten in Istanbul, es fängt sehr langsam an, steigert aber seine Intensität fast ins Unerträgliche, beispielsweise als Markiz von ihrer Vergewaltigung in einer zerstörten Kirche erzählt. Das lag auch an den guten Leistungen der Schauspieler, die ihre Charaktere glaubhaft darstellen konnten.

Auf der Suche nach der dunklen Seite

Das Ensemble bei der Probe zu "Macbeth - eine Versuchung". (Foto: © Theater Dortmund/Diesner)
Das Ensemble bei der Probe zu „Macbeth – eine Versuchung“. (Foto: © Theater Dortmund/Diesner)

Das Seniorentanztheater wird fünf Jahre alt und präsentiert dieses Jahr ihre fünfte Produktion. Diesmal hat sich das 24-köpfige Ensemble mit einem Klassiker der Literatur auseinandergesetzt. Am 16. und 17. Mai 2014 steht „Macbeth – eine Versuchung“ auf dem Spielplan des Dortmunder Schauspielhauses. Inszeniert hat das Stück der Düsseldorfer Choreograph Marcus Grolle, der bereits im vergangenen Jahr die Inszenierung von „glücklich?!“ geleitet hat.

 

„ Jeder Mensch hat auch dunkle Seiten“, so Grolle und wo werden sie besser herausgearbeitet als bei Shakespeares Macbeth. Das Stück, in dem die Hauptfigur zunächst zwischen Treue und Ehrgeiz hin und her gerissen ist, bis der Wille zur Macht durchbricht, bietet eine gute Möglichkeit, die dunklen Seiten des Lebens auszuloten. Der Nebentitel „eine Versuchung“ zeigt deutlich, dass hier keine reine Literaturumsetzung geplant ist, sondern es geht um einen Versuch bzw. um eine Annäherung an das Stück.

 

Der biografische Erfahrungsschatz der Tänzerinnen und Tänzer fließt in die choreografische Literaturbearbeitung ein. Und dieser Erfahrungsschatz ist nicht gering, denn beim Seniorentanztheater sind zur Zeit Frauen und Männer von 55-78 Jahren aktiv. So sind Texte entstanden, die vom Kriegsende berichten und wie es in der Nachkriegszeit weiterging. „Macbeth stirbt, aber das Leben muss irgendwie weiter gehen“, so Grolle.

 

Tische und Stöcke werden auf der Bühne als Requisiten eingesetzt, es gibt eine Videoeinspielung und die Musik stammt hauptsächlich von zeitgenössischen Komponisten wie Maryanne Amacher, Angelo Badalamenti oder James Fulkerson.

 

Für die aktuelle Produktion mussten die 19 Frauen und fünf Männer einiges an Zeit investieren. Seit Oktober 2013 gab es wöchentliche Proben sowie zweimal jährlich viertägige Intensivwochenenden von freitags bis montags.

 

Infos und Karten unter www.theaterdo.de oder telefonisch 0231 5027222.

Mit dem Baron ein Tänzchen wagen?

Am Sonntag, den 06. April startete das Rahmenprogramm des 5. Afro Ruhr Festivals mit einer außergewöhnlichen Tanzdarbietung im Theater im Depot. Koffi Kôkô und Kettly Noël, beide Tänzer und Choreografen sind Repräsentanten der modernen afrikanischen Tanzszene, zeigten „Un tango avec le Baron“. Europa, Afrika und Voodoo trafen sich. Die Inszenierung wurde live durch den Kölner Trompeter und Komponisten Udo Moll begleitet.

 

Ein Mann und eine Frau. Beide in weiß gekleidet: Kôkô im Frack, Noël im Kleid. Zwei weiße Hocker. Auf der linken Seite nahm Moll Platz. Nachdem die beiden Tänzer auf die weißen Hocker gestiegen waren und einen Text rezitierten, begann das Spektakel.

 

Moderner europäischer Tanz verband sich mit afrikanischen Elementen, die zeitweise einen starken Voodoo-Einschlag bekamen. Denn beim Voodoo geht es auch um eine Veränderung des Transformationszustandes des Körpers, in unseren Kreisen negativ besetzt als „Besessenheit“. Aber im Prinzip bedeutet es nichts anderes, als in andere Rollen hinein und wieder herauszuschlüpfen.

 

Natürlich geht es auf einer anderen Ebene auch zum die Beziehung zwischen Mann und Frau. Der Kampf der Geschlechter, die Begierde, die Verführung. Tolle Bilder zeigten Kôkô und Noël als er versuchte, dass sich ihre Finger berührten, sie aber gelangweilt ihren Finger nahe beim Körper behielt.

 

Wer oder was war nun eigentlich der Baron? Kôkô, der gegen Ende des Stückes auch einen eleganten Hut aufhatte, könnte, wenn man die Voodoo-Analogie weiterführt, den Baron Samedi darstellen, ein Geistwesen (Loa) im Voodoo. Dazu würde passen, dass im Stück das Veve (ein grafisches Symbol) von Madame Brigitte, seiner Ehefrau, auf die Leinwand projiziert wurde. Dazu passten die Hintergrundgeräusche, die geheimnisvoll und manchmal bedrohlich klangen.

 

Nach knapp einer Stunde kehrten die Zuschauer von der Reise in eine geheimnisvolle Welt zurück und dankten den Tänzern mit großem Applaus.

Turbulenter Wahnsinn im Schauspielhaus

Im Laufe der Tournee liegen bei den Beteiligten doch die Nerven blank: (v..l.n.r.) Merle Wasmuth, Frank Genser, Andreas Beck und Sebastian Graf. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Im Laufe der Tournee liegen bei den Beteiligten doch die Nerven blank: (v..l.n.r.) Merle Wasmuth, Frank Genser, Andreas Beck und Sebastian Graf. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Nach „Arsen und Spitzenhäubchen“ hatte am Samstag, den 5. April 2014 der „Der nackte Wahnsinn“ von Michael Frayn als zweiter Komödien-Spaß unter der Regie des Duos Peter Jordan und Leonhard Koppelmann seine Premiere auf die Bühne des Dortmunder Schauspielhauses.

Diese absurd-turbulente britische Komödie hat es wirklich in sich.

 

In dieser abgefahrenen Geschichte rund um das Theater versucht der verzweifelte Regisseur Lloyd Dallas mit seinem Assistenten Poppy Norton-Taylor und dem Inspizienten Tim Allgood kurz vor Mitternacht die am nächsten Tag anstehende Premiere des Stückes „Nackte Tatsachen“ zu retten.

Doch das Chaos hinter der Bühne groß, sondern auch Backstage wüten Eifersucht, Neid und Geltungsdrang. Das Problem ist, alle müssen irgendwie zusammenhalten, denn es steht, wie in England üblich, eine zehnwöchige Tournee an…

 

Ein Stück über Schauspieler, die ein Stück proben, klingt eigentlich mehr nach Insider-Gags. Doch „Der nackte Wahnsinn“ bot als Komödie alle Zutaten, was der Zuschauer an einer Komödie schätzt: Wenn irgendwo eine Tür zugeht, geht woanders eine Tür auf. Belanglose Requisiten wie beispielsweise Sardinen spielen plötzlich eine große Rolle und Schauspieler wechseln urplötzlich ihre Rollen. Schließlich durfte auch eine gewisse Portion Slapstick nicht fehlen.

Dabei zeigte das Dortmunder Ensemble erneut, welch gute Chemie zwischen den Schauspielern herrscht. Denn eine solche Komödie braucht Esprit, sonst funktioniert sie nicht und verkommt zur Nummernrevue.

 

Andreas Beck spielte mit sichtlichem Vergnügen den Regisseur mit langem Pferdeschwanz, mal väterlich mild verständnisvoll, dann wieder bestimmend („wenn Gottvater spricht“ ) und aufbrausend und laut, wenn die Jungschauspielerin Brooke Ashton mal wieder nichts versteht. Peer Oscar Musinowski als Regieassistent Poppy Norton-Taylor steht ihm als etwas „tuntig“ mit blonder Popper-Haarperücke treu zur Seite. Musinowski konnte hier, wie zum Beispiel schon in „Drama Queens“ bewiesen, sein komisches Talent wieder voll ausleben. Sebastian Graf spielt den Inspizienten und Bühnenmeister Tim Allgood, der als „Mädchen für alles“ fungiert. Klemmen Türen muss Tim ran, braucht das Ensemble noch Einbrecherkostüme, muss er sich trotz Schlafdefizit („Tim war 48 Stunden auf den Beinen“) ebenfalls drum kümmern.

 

Regisseur Peter Jordan hatte die Schauspielriege sehr gut besetzt. Fast möchte man niemanden herausheben, doch sehr gut war Friederike Tiefenbacher, die die leicht schusselige „Dotty Otley“ spielte. Dotty hatte darüber hinaus Geld in die Produktion gesteckt und sah im Laufe des Stückes ihre Altersvorsorge davonschwimmen. Auch Merle Wasmuth brillierte mit ihrer Darstellung der äußerst naiven Jung-Schauspielerin „Brooke Ashton“, die leider öfters ihre Kontaktlinsen verlor. Doch auch Frank Genser, Ekkehard Freye, Eva Verena Müller und Uwe Schmieder waren bei der Premiere gut aufgelegt.

 

Die beiden Regisseure Jordan und Koppelmann haben sich beim Bühnenbild nicht lumpen lassen und nutzten den Vorteil, den eine Drehbühne sich bietet. Im ersten Teil sah das Publikum ein ganz normales Bühnenbild, den Eingangsbereich eines typischen englischen Herrenhauses. Denn es war Generalprobe.Im zweiten Teil wechselt die Perspektive. Dann sehen wir das Bühnenbild von hinten. Und es wird deutlich: Aus dem Zusammenhalt am Anfang ist Neid, Missgunst und Eifersucht geworden. Im dritten Teil ist das Chaos dann perfekt. Zu sehen ist wieder das Bühnenbild vom Beginn, nur hat es durch die lange Reise und die vielen Aufführungen ordentlich was abbekommen. Die Treppe zum ersten Stock besteht nur noch zur Hälfte aus dem Original, manche Türen sind verschwunden. Der pompöse Elchkopf verliert auch noch sein Geweih.

 

Die Aufführung war ein augenzwinkernder Blick hinter die Kulissen des Theaters mit viel Spaß und Selbstironie der beteiligten Schauspieler/innen am Spiel.Sie verlangte den beteiligten Schauspieler/innen in den drei Stunden sowohl physisch als auch vom genauen Timing alles ab.

 

Kurz gesagt: Bei „Der nackte Wahnsinn“ ist der Titel Programm. Und ehrlich gesagt: Das ist auch gut so!

 

Weitere Vorstellungen: 9., 19., 25., 27. April und 8. Mai. Infos und Karten gibt es unter www.theaterdo.de oder 0231 5027222.