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Beziehung in weiter Ferne

Am Anfang ist die Fernbeziehung zwischen Antonia (Julia Schubert) und Tomasz (Peer Oscar Musinowski) noch in bester Ordnung. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Am Anfang ist die Fernbeziehung zwischen Antonia (Julia Schubert) und Tomasz (Peer Oscar Musinowski) noch in bester Ordnung. (Foto: © Birgit Hupfeld)

So wie im richtigen Leben: Im entscheidenden Moment stürzt das Internet ab und man ist offline. Bei der Premiere von „Die Liebe in den Zeiten der Glasfaser“ von Ed. Hauswirth am 25. Februar 2016 im Megastore fiel dann Julia Schubert in der Rolle der Antonia der rettende Kniff ein: Sie ging einfach zur Nachbarin.

Zwei Paare – vier Schicksale. Drei Personen brechen auf zu einem entfernten Ort, nur einer bleibt daheim. Wie funktioniert eine Fernbeziehung? Anscheinend abgeklärt sehen das Wolf-Adam (Uwe Schmieder) und seine Frau Helena (Friederike Tiefenbacher), angespannter ist Tomasz ( Peer Oscar Musinowski), der zuhause bleibt, dafür auf seine Freundin Antonia (Julia Schubert) verzichten muss. Antonia, Studentin der Mediensoziologie, geht für ein Jahr nach Rom, um ein wenig die Welt zu verändern. Ihr Freund Tomasz bleibt und versucht, bei IKEA Karriere zu machen. Wolf-Adam ist Professor für Mediensoziologie (und „Magistervater“ von Antonia) bekommt die Chance für ein Jahr nach Aalborg zu gehen, während seine Frau Helena, für ein internationales Schauspielprojekt nach Breslau geht.

Kann eine Beziehung halten, in der der Partner hunderte Kilometer weit weg ist und die nur mit Hilfe einer Software namens Skype aufrecht gehalten wird? Hauswirth ist da eher skeptisch und obwohl das Stück sehr viele komödiantische Elemente hat, gehen die beiden Paare auseinander, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

Das Stück dreht sich nicht nur um Skype, sondern es ist auch eine kleine Partneranalyse. Bei Tomasz und Antonia fragt man sich von Anfang an, warum die beiden überhaupt zusammen sind. Tomasz ist relativ einfach strukturiert, er will Karriere bei IKEA machen und versteht davon, was sein Freundin macht, so gut wie nichts. Der Frust über sein Scheitern schlägt schnell in Agression um. Antonia hingegen ist naiv und ichbezogen, sie will die Welt vom Kapitalismus retten, interessiert sich für die Probleme ihres Freundes überhaupt nicht. Mit der Zeit wird klar, dass sie eigentlich in zwei völlig anderen Welten leben.

Bei Helena und Wolf-Adam dreht sich viel um den zweiten Frühling oder die Midlife-Crisis. Das zeigt sich zu Beginn, als Wolf-Adam seinen Seminarzettel vorliest, auf dem nur Frauennamen stehen. Helena kann dadurch kontern, dass sie die einzige Frau unter vierzehn Männern sei. Zwischen Antonia und ihrem Professor läuft auch was. Wolf-Adam kann aber die Einsamkeit in Dänemark nicht verkraften und stirbt.

Das Stück will keine objektive Wahrheit über Fernbeziehungen verkünden. Das wäre auch vermessen. Die beiden Beispiele sind natürlich theatralisch überhöht. Daher sind bei aller Tragik sehr viele komödiantische Elemente enthalten wie der Seitenhieb von Hauswirth auf das moderne Regietheater, die Helena dazu zwingt, eine Vergewaltigungsszene zu simulieren. Auch Antonias erfrischende Naivität sorgt für Lacher.

Die „Liebe in den Zeiten der Glasfaser“ lebt auch durch die guten Darsteller. Oscar Musinowski geht in der Rolle des Tomasz auf und auch Julia Schubert spielt die Antonia mit entwaffnender Naivität. Uwe Schmieder als vergeistigter Professor und Friederike Tiefenbacher als leidgeprüfte Schauspielerin stehen den beiden in Nichts nach. Das Quartett ist ein echter Glücksgriff.

Alle, die schon mal in einer Fernbeziehung gelebt haben oder noch leben, werden einige Elemente wiedererkennen wie beispielsweise den verzweifelten Versuch, durch den Computer Nähe zum Partner zu erzeugen, indem man ihn ins Bett nimmt. Alle anderen, die keine Erfahrungen in Fernbeziehungen haben oder denen es noch bevorsteht, können sich über die Fallstricke informieren.

Letztendlich ist die Tragikomödie von Hauswirth ein vergnügliches, wenn auch tragisches Theaterstück mit tollen Darstellen, das den donnernden Applaus des Publikums mehr als verdient hat.

Infos und Karten unter www.theaterdo.de.

 

Familiäre Kernspaltung

Wer den Tod vor Augen hat wie Violet, kann auch mal Tacheles reden! (v.l.n.r.) Andreas Beck, Marlena Keil, Frank Genser, Carlos Lobo, Bettina Lieder, Merle Wasmuth, Janine Kreß und Friederike Tiefenbacher. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Wer den Tod vor Augen hat wie Violet, kann auch mal Tacheles reden! (v.l.n.r.) Andreas Beck, Marlena Keil, Frank Genser, Carlos Lobo, Bettina Lieder, Merle Wasmuth, Janine Kreß und Friederike Tiefenbacher. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Die Familie ist der Kern der Gesellschaft, so heißt es. Und wenn es zur Kernspaltung kommt, dann entsteht auch zerstörerische Energie, die wehtut und Narben hinterlässt. Wenn dann noch ein gut gehütetes Geheimnis wie eine Bombe in die Familie platzt, sind wir bei „Eine Familie“ von Tracy Letts in der Inszenierung von Sascha Hawemann. Ein Premierenbericht.

„Eine Familie“ ähnelt ein wenig dem Stück „Das Fest“, das von Kay Voges vor einigen Spielzeiten inszeniert wurde. In beiden Stücken geht es um den Zerfall einer Familie, wobei beim „Fest“ ein dunkles Geheimnis des Familienpatriarchen im Mittelpunkt stand, während bei der „Familie“ die Matriarchin und ihre Töchter ein bitteres Resümee ihres Lebens ziehen müssen.

Kurz zur Geschichte: Nachdem der alkoholkranke Beverly eine Pflegekraft für seine krebskranke und tablettensüchtige Frau Violet gefunden hat, verschwindet er. Violet ruft ihre Schwester sowie ihre drei Töchter zu sich, später kommt die Nachricht über Beverlys Selbstmord. Auf der Trauerfeier eskaliert die Situation.

Schmutzige Wäsche waschen ist ein viel zu harmloser Begriff, was in den mehr als drei Stunden auf der Bühne von Sascha Hawemann passiert, es ist eine knallharte Abrechnung der Matriarchin Violet (Friederike Tiefenbacher), die erkennt, dass ihr Matriarchin-Gen in ihren Töchtern nicht weiterlebt. Barbara (Merle Wasmuth) wird von ihrem Mann Bill (Carlos Lobo) verlassen und ihre 14-jährige Tochter Jean (Marlena Keil) entgleitet ihr. Karen (Bettina Lieder), der Typ Karrierefrau, hat mit ihrer neuen Eroberung zur Verwirklichung ihrer Kleinmädchenträume auch keinen Glückstreffer gelandet, denn Steve (Frank Genser) macht sich an Jean ran. Ivy (Julia Schubert) ist die tragische Gestalt des Stückes, denn die jüngste Tochter, die noch in der Nähe ihrer Mutter wohnt und von ihr nicht ernst genommen wird, erlebt bei ihrem Emanzipationsversuch – sie will mit ihrem Cousin Little Steve (Peer Oscar Musinowski) nach New York – eine persönliche Katastrophe. Dazu bekommt auch Violets Schwester Mattie Fae (Janine Kreß) mit ihrem Mann Charlie (Andreas Beck) ordentlich ihr Fett weg.

Jeder der Charaktere in dem Stück ist nicht ohne Fehler, und solche aufzudecken ist die Spezialität von Violet, die mit ihrem Mundhölenkrebs die „passende“ Krankheit hat, denn aus ihrem Mund kommen fast nur Gehässigkeiten.

Während die Elterngeneration noch Werte und Ideale der 68er Generation hochhält, nicht umsetzt erscheinen auf der Drehbühne Begriffe aus dem Gedicht „The hollow men“ von T.S. Eliot, in dem es um den moralischen Verfall der Gesellschaft geht, die letztlich daran zugrunde geht. Die Warnerin vor diesem Verfall ist Violet. Ihre Töchter sind alles Produkte einer narzisstischen Gesellschaft, die letztlich aber scheitern. Oft hält Violet ihren Töchtern das Alter vor. „Du kannst mit einer jüngeren Frau nicht mithalten“, wirft sie Barbara an den Kopf.

Hawemann nutzt in seiner Inszenierung exzessiv die Drehbühne und fordert von seinen Schauspielern höchsten Einsatz. Besonders beeindruckend war das Konterfei von Beverly (ebenfalls gespielt von Andreas Beck) während der Trauerfeier. Als schwebte sein Geist noch über der Familie.

Eine kleine, aber wichtige Rolle spielte Alexander Xell Dafov als unterstützende Pflegekraft Johnna, der auch noch live die Musik auf der Gitarre und dem Akkordeon spielte.

Ein monumentales Stück, das vor allem nach der Pause an Schwung und Dramatik gewinnt. Hier stehen nicht nur die Frauen im Mittelpunkt, sondern auch der Wertewandel von Generation zu Generation. Von einer Familie zu einer Gemeinschaft, mit der man nur zufällig genetisch miteinander verbunden sei, wie zu Ivy ihren Schwestern sagt. Nicht mehr von „Blut ist dicker als Wasser“. Hier werden Familienbande nicht nur gelöst, sondern auch radikal gekappt.

Auch die Frage „Was machen wir mit Mutter?“ steht im Raum. In Hawemanns Inszenierung bleibt letztendlich Barbara bei ihr, da sich ihr Familienglück komplett aufgelöst hat, während Ivy und Karen das Weite suchen.

Wetten, dass Ihnen das Lachen im Hals stecken bleibt

Bodo Aschenbach (Frank Genser) begrüßt den Kandidaten Bernhard Lotz (Sebastian Kuschmann). (Foto: © Birgit Hupfeld)
Bodo Aschenbach (Frank Genser) begrüßt den Kandidaten Bernhard Lotz (Sebastian Kuschmann). (Foto: © Birgit Hupfeld)

Ausgerechnet am Sonntag, den 23. August 2015 um 19:30 Uhr fand sie statt – die große Wiedergeburt der Samstagabendshow. Die Premiere der „Die Show“ (ja, englisch ausgesprochen!) zeigte, warum es sich lohnt ins Dortmunder Schauspiel zu gehen. Knapp drei Stunden witzige, gefühlvolle, musikalische, verrückte, technisch anspruchsvolle, zynische Unterhaltung. „Die Show“ ist einfach kultverdächtig.

Ok, 2.000 Bewerbungen, um als Kandidat in der nächsten Staffel der „Die Show“ mit zuspielen, wird das Theater Dortmund wohl nicht bekommen. Anders als das Vorbild „Die Millionenshow“ von Wolfgang Menge, die 1970 ausgestrahlt wurde. Dafür war die „Die Show“ doch ein bisschen zu deutlich als Mediensatire erkennbar.

Wie beim „Millionenspiel“ geht es bei der „Die Show“ darum, dass ein Kandidat mehrere Prüfungen zu überstehen hat, bis er eine Millionen Euro erhält. Dabei wird er von drei Leuten alias dem „Kommando“ verfolgt, die am sechsten Tag, der Live-Ausstrahlung der Sendung, sogar die Lizenz zum Töten haben. Lotz muss die ganze Zeit unbewaffnet bleiben.

Hinein also ins Schauspielhaus Dortmund, das sich für die „Die Show“ zum Fernsehstudio wandelt. Was gehört natürlich zu Beginn einer jeden Live-Show? Der Anheizer oder auch „Warm-Upper“ genannt. Carlos Lobo spielte ihn mit einer wahren Freude. Dabei halfen natürlich auch die Fußballergebnisse vom Nachmittag und mit dem BVB als Tabellenführer ging das Klatschen viel leichter.

Das Gewerke des Theaters hatten ganze Arbeit geleistet und zauberten eine beeindruckende Showtreppe im knallen Rot hin, während in der rechten Ecke die Sitzgelegenheiten und sehr aparte Tische (ein Hingucker!) für die Moderation und deren Gäste vorhanden war. Links war die Rezeption und darüber spielte die Band. Aber zur Musik kommen wir später.

Neben dem Kandidaten Bernhard Lotz (Sebastian Kuschmann) ist in einer Fernsehshow natürlich der Moderator das wichtigste Element. Es würde nicht verwundern, wenn für eine eventuelle Neuauflage von „Wetten, dass…“ Frank Genser ins Gespräch gebracht würde, denn seine Darstellung als Moderator Bodo Aschenbach war umwerfend. Ähnlich wie bei den großen Moderatorenvorbildern ist Aschenbach ein König der belanglosen Überleitungen, die von einer Sekunde zu anderen von einem tragischen Beitrag zu einem musikalischen Gast überleiten können. „Wer vor dem Fernseher sitzt, kann jedenfalls nicht gleichzeitig foltern“, kommentiert er eine Szene, in der Kandidat Lotz Schmerzen zugefügt werden. Kuschmann war als gepeinigter Gejagter ziemlich beeindruckend, vor allem gegen Ende, als er völlig verzweifelt war.

Aschenbach wurde Assistentin Ulla zur Seite gestellt, eine Mischung zwischen Sylvie van der Vaart und Michelle Hunzinger. Julia Schubert, mit roter Perücke und holländischem Akzent, spielte ebenfalls großartig. Immer zwischen geheuchelter Anteilnahme und trockenem Zynismus.

Im Mittelpunkt stand natürlich der Kandidat Bernhard Lotz. Dabei hatte Sebastian Kuschmann die meiste Arbeit bereits im Vorfeld hinter sich gebracht, denn die fünf Aufgaben, die Lotz in den Tagen davor absolviert hatte, wurden als Einspieler gezeigt. Erst gegen Ende der Show kam Lotz live auf die Bühne, um die letzte Aufgabe „Silver Bullet“ zu absolvieren, da er sich leider bewaffnet hatte, um gegen das „Kommando“ zu bestehen.

Zu einer Live-Show gehört auch Musik. Die stammt vom neuen musikalischen Leiter des Schauspielhauses, Tommy Finke, der mit seinen Mitstreitern nicht nur die Studioband „Tommy Love and the Smilers“ bildete, sondern auch die Musik für die Stargäste schrieb.

Zu den Stargästen gehörte die umjubelte „Baeby Bengg“, eine J-Pop-Sängerin im Mangastyle und die an Klaus Nomi erinnernde „Brit Bo“. Beide wurden von Eva Verena Müller gesungen. Ein großen Auftritt hatte auch Sebastian Graf als „Johannes Rust“, dem ehemalige DSDS-Sieger und jetzigen Musicalstar, der mit seinem Jesus-Musical Erfolg hat. Der kleine Seitenhieb geht an Alexander Klaws, der in Dortmund ja den Jesus in „Jesus Christ Superstar“ singt.
Bettina Lieder sang den Anastacia-Klon „Slyvia Saint-Nicolas“ ebenso gekonnt wie Julia Schubert einen Song der Assistentin Ulla. Zum Schluß brachte Schubert als Lotzes Freundin „Cindy“ auch eine schräge Sarah-Conner-mäßige Version der deutschen Nationalhymne.

Für diese Produktion haben sich alle im Schauspielhaus sehr ins Zeug gelegt. Das ganze Ensemble war zumindest in kleineren Rollen zu sehen. Köstlich war Ekkehard Freye als Dortmunder Oberbürgermeister, der vor dem Rathaus eine Rede zum Tod der BVB-Hoffnung „Ricardo Gomez de la Hoz“ hielt. De la Hoz (Peer Oscar Musinowski) war als Kollateralschaden vom „Kommando“ erschossen worden. Das Kommando bestand aus Andreas Beck, der den ehemaligen Hells-Angel Bruno Hübner spielte, Bettina Lieder als russische Killerin Natascha Linovskaya und Björn Gabriel, der den leicht irren Howie Bozinsky verkörperte. Sehr schräg war auch Uwe Schmieder als Elisabeth Lotz, die Mutter vom Kandidaten Bernhard.

Die „Die Show“ hat neben ihrer klaren Medienkritik an den Formaten wie „Dschungelcamp“, „Big Brother“ und andere auch eine aktuelle Komponente. Denn Flüchtlinge aus Syrien oder Afrika müssen auch mehrere „Prüfungen“ absolvieren, um letztendlich an ihr Ziel zu gelangen. „Endlich mal ein Flüchtling, zu dem man halten kann“ oder „Dem geht es doch nur ums Geld“ waren die (fiktiven) Zuschauerkommentare zur Situation von Lotz.
Aufs Korn genommen wurde auch die unsäglichen Charity-Aktionen von Prominenten und die deutsche Tierliebe. Als Lotz bei einem Spiel von Hunden gejagt wird und die Tiere verletzt, ist natürlich die Empörung groß. Wegen der Hunde, nicht wegen Lotz.
Kritiker der Sendung werden auch nicht einfach vom Saalschutz abgeführt. Das gibt es bei Moderator Aschenbach nicht, er lässt – wie damals Gottschalk – den Kritiker zu Wort kommen. Oder besser: er lullt ihn mit seinem Geschwafel ein, bis er geht.

Die drei Stunden vergingen fast wie im Flug. Das ist ein großes Verdienst aller Beteiligten und vor allem von Regisseur Kay Voges. Schließlich überzog „Wetten, dass“ auch regelmäßig. Um alle kleinen Feinheiten zu erkennen, sollte man öfter in die „die Show“ gehen. Es lohnt sich vor allem wegen den guten Schauspielern und der tollen Musik. Ein unterhaltsamer, aber auch nachdenklicher Abend. „Die Show“ hat die Messlatte für diese Saison schon ziemlich hoch gesetzt.

Die „Die Show“ ist wieder in Dortmund am 29. August, 13. und 30. September und 12. November 2015.

Am Ende lauert der Faschismus

Caroline Hanke als desillusionierte Elektra im ländlichen Exil. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Caroline Hanke als desillusionierte Elektra im ländlichen Exil. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Elektra gegen Klytaimnestra. Revolte gegen Ordnung. Alexander Kerlin schuf aus dem Familiendrama „Elektra“ von Euripides ein wortgewaltiges Gesellschaftsdrama. Was passiert, wenn sich der ewige Kampf zwischen Revolution und unbedingten Machterhalt abnutzt? Dann entsteht aus dem Chaos etwas viel schlimmeres: Der absolute Vernichtungswillen. Etwas, das skrupellos genug ist, ohne mit der Wimper zu zucken, 100 Millionen Menschen umzubringen. Ein Premierenbericht vom 07. Februar 2015.

Die Geschichte bleibt im wesentlichen die alte: Elektra, zwangsweise mit einem Bauern verheiratet, sinnt auf Rache an ihrer Mutter Klytaimnestra. Diese hat ihren Mann und Elektras Vater Agamemnon umgebracht und ihren Liebhaber Aighist zum König ernennen lassen. Die Hoffnung auf Rache wächst, als Elektras totgeglaubter Bruder Orest auftaucht, im Schlepptau seinen Freund Pylades. Endlich kann es zum Showdown kommen, doch am Ende spielt Pylades seinen letzten Trumpf aus.

Im ersten Teil von Kerlins Neubearbeitung treffen zwei Systeme aufeinander. Das Prinzip „Machterhalt“ mit dem Motto „In unserem erfolgreichen Staat, der gut ist und ohne Alternative“ gegen die Revolte. „Ich lehne deinen Staat ab, Seine Freiheit ist die größte Heuchelei“ schreit Elektra ihrer Mutter vor ihrer geplanten Hinrichtung zu. „Lieber das Nichts als dieses Leben“.

Doch in der großen „Beschimpfungsszene“ wird deutlich, wie sich Mutter und Tochter doch ähneln. „Unsere Mittel gleichen sich und wer am Ende Recht hat weiß der Geier“, so Klytaimnestra zu Elektra.

Orest klingt am Anfang ebenfalls revolutionär, dabei ein wenig naiv. Er will „mit seinem letzten blutigen Schlag den Kreislauf des Tötens durchbrechen“. Für ein goldene Zeitalter, das gerechtere Menschen und eine bessere Ordnung der Dinge schafft. Auf zum letzten Gefecht. Doch sein Ziel Aighist zu töten, schafft er nicht, denn „Aighist ist überall. Er ist nirgendwo. Überall und nirgendwo“, verzweifelt Orest, der statt des Kopfes des Königs einen Schweinskopf mitgebracht hat.

Nachdem Elektra Klytaimnestra ermordet hat, scheint die Revolution doch geglückt, oder? Es ist Pylades, der Freund von Orest, der das Ruder an sich reißt. Aus dem schweigsamen Pylades wird der totalitäre Pylades. Nachdem er einen Ledermantel anzieht, der gewisse Ähnlichkeit mit einem Gestapo-Mantel hat, beginnt er seinen Monolog. Der erinnert in Teilen an rechte Ökos, die „um die Erde zu retten“, auch einen Großteil der Menschen vernichten würde. So redet auch Pylades. „14 Milliarden Füße. Der Erdball schreit um Hilfe.“ dagegen hilft nur „Erstmal bringen wir testweise 100 Millionen Menschen um. Und das einzige, was uns dann noch hilft, ist noch mal 100 Millionen umzubringen. Und so weiter.“

Alexander Kerlin präsentiert uns einen Kampf der Systeme, der nach dem Motto endet „wenn zwei sich streiten freut sich der Dritte“. Ruhig und gelassen wartet Pylades auf seine Chance, die kommen wird, wenn sich beide Systeme erschöpft haben. Eine ähnliche Situation wie in den 30er Jahren in Deutschland.

Sehr stark in dem Stück waren die beiden Frauenrollen der Elektra und der Klytaimnestra. Caroline Hanke war nach ihrer Zeit im Mutterschutz wieder voll aktiv, wie man sofort zu beginn sah, als sie sich mit gymnastischen Übungen auf eine Art von Einsatz vorzubereiten schien. Friederike Tiefenbacher spielte eine Klytaimnestra als „Diva der herrschenden Klasse“. Elegant, aber auch festkrallend an der Macht war sie eine ebenbürtige Gegnerin von Elektra.

Peer Oscar Musinowski zeigte einen Orest, der an seiner Aufgabe Aighist zu töten scheitert. „Die Tragödie ist aus“, verzweifelt er. „Da ist kein Feind mehr, der eure Freiheit unterdrückt“. Musinowski bringt diesen Zwiespalt zwischen den energischen Orest zu Beginn und dem desillusionierten Orest gegen Ende des Stückes gut auf die Bühne.

Carlos Lobo hat eine sehr spannende Rolle, denn er spielt den Pylades. Der sagt erst einmal gar nichts und steht wie ein Unbeteiligter im Hintergrund. Erst am Ende, als sich die Kräfte der Revolte und des Beharrens erschöpft haben, kommt er zu seinem großen Auftritt.

Der Bauer/Henker wurde von Frank Genser dargestellt. Der Henker, der eigentlich Elektra töten sollte, bekommt sie zur Frau und wird Bauer. Aus einem Werkzeug der Mächtigen entwickelt der Charakter eine Art „Stockholm-Syndrom“ und stellt sich auf die Seite Elektras. Doch sein Henkerhandwerk scheint noch nicht vergessen, er dient sich Pylades an. „Wo echte Not herrscht, wird mein Handwerk noch geschätzt.“

Mit viel Humor spielten auch die Chormitglieder Bettina Lieder und Merle Wasmuth ihre Rollen. Der Chor, der das Volk symbolisiert stellte sich je nach Situation immer auf die Seite derjenigen, die gerade obenauf war.

Regisseur Paolo Magelli stellte in „Elektra“ die Schauspieler in den Mittelpunkt seiner Inszenierung. Das Bühnenbild war reduziert. Das Feld des Bauern wurde mit Schottersteinen dargestellt, um die Kargheit des Bodens zu symbolisieren. Einfache Tische und Stühle.

Daneben gab es Videoeinblendungen mit Klytaimnestra und Elektra und Orest als Kindern. In dieser Art Rückblende versucht die Mutter ihren Kindern die „wahre“ Geschichte von Helena, Paris und Agamemnon zu erzählen. Ihre Kinder schreien aber „Du lügst, du lügst!“

Die Musik kam von einer Liveband mit dem musikalischen Leiter des Schauspiels Paul Wallfisch sowie Geoffrey Burton und Larry Mullins. Ihre Musik war avantgardistisch, manchmal laut, aber nicht schrill und passte sich dem Geschehen auf der Bühne an.

Elektra wurde entscheidend gegen den Strich gebürstet und mit vielen Anspielungen aus der Jetztzeit versehen. Das ist ein Verdienst der Textbearbeitung von Alexander Kerlin. Ein sehenswertes Stück.

Turbulenter Wahnsinn im Schauspielhaus

Im Laufe der Tournee liegen bei den Beteiligten doch die Nerven blank: (v..l.n.r.) Merle Wasmuth, Frank Genser, Andreas Beck und Sebastian Graf. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Im Laufe der Tournee liegen bei den Beteiligten doch die Nerven blank: (v..l.n.r.) Merle Wasmuth, Frank Genser, Andreas Beck und Sebastian Graf. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Nach „Arsen und Spitzenhäubchen“ hatte am Samstag, den 5. April 2014 der „Der nackte Wahnsinn“ von Michael Frayn als zweiter Komödien-Spaß unter der Regie des Duos Peter Jordan und Leonhard Koppelmann seine Premiere auf die Bühne des Dortmunder Schauspielhauses.

Diese absurd-turbulente britische Komödie hat es wirklich in sich.

 

In dieser abgefahrenen Geschichte rund um das Theater versucht der verzweifelte Regisseur Lloyd Dallas mit seinem Assistenten Poppy Norton-Taylor und dem Inspizienten Tim Allgood kurz vor Mitternacht die am nächsten Tag anstehende Premiere des Stückes „Nackte Tatsachen“ zu retten.

Doch das Chaos hinter der Bühne groß, sondern auch Backstage wüten Eifersucht, Neid und Geltungsdrang. Das Problem ist, alle müssen irgendwie zusammenhalten, denn es steht, wie in England üblich, eine zehnwöchige Tournee an…

 

Ein Stück über Schauspieler, die ein Stück proben, klingt eigentlich mehr nach Insider-Gags. Doch „Der nackte Wahnsinn“ bot als Komödie alle Zutaten, was der Zuschauer an einer Komödie schätzt: Wenn irgendwo eine Tür zugeht, geht woanders eine Tür auf. Belanglose Requisiten wie beispielsweise Sardinen spielen plötzlich eine große Rolle und Schauspieler wechseln urplötzlich ihre Rollen. Schließlich durfte auch eine gewisse Portion Slapstick nicht fehlen.

Dabei zeigte das Dortmunder Ensemble erneut, welch gute Chemie zwischen den Schauspielern herrscht. Denn eine solche Komödie braucht Esprit, sonst funktioniert sie nicht und verkommt zur Nummernrevue.

 

Andreas Beck spielte mit sichtlichem Vergnügen den Regisseur mit langem Pferdeschwanz, mal väterlich mild verständnisvoll, dann wieder bestimmend („wenn Gottvater spricht“ ) und aufbrausend und laut, wenn die Jungschauspielerin Brooke Ashton mal wieder nichts versteht. Peer Oscar Musinowski als Regieassistent Poppy Norton-Taylor steht ihm als etwas „tuntig“ mit blonder Popper-Haarperücke treu zur Seite. Musinowski konnte hier, wie zum Beispiel schon in „Drama Queens“ bewiesen, sein komisches Talent wieder voll ausleben. Sebastian Graf spielt den Inspizienten und Bühnenmeister Tim Allgood, der als „Mädchen für alles“ fungiert. Klemmen Türen muss Tim ran, braucht das Ensemble noch Einbrecherkostüme, muss er sich trotz Schlafdefizit („Tim war 48 Stunden auf den Beinen“) ebenfalls drum kümmern.

 

Regisseur Peter Jordan hatte die Schauspielriege sehr gut besetzt. Fast möchte man niemanden herausheben, doch sehr gut war Friederike Tiefenbacher, die die leicht schusselige „Dotty Otley“ spielte. Dotty hatte darüber hinaus Geld in die Produktion gesteckt und sah im Laufe des Stückes ihre Altersvorsorge davonschwimmen. Auch Merle Wasmuth brillierte mit ihrer Darstellung der äußerst naiven Jung-Schauspielerin „Brooke Ashton“, die leider öfters ihre Kontaktlinsen verlor. Doch auch Frank Genser, Ekkehard Freye, Eva Verena Müller und Uwe Schmieder waren bei der Premiere gut aufgelegt.

 

Die beiden Regisseure Jordan und Koppelmann haben sich beim Bühnenbild nicht lumpen lassen und nutzten den Vorteil, den eine Drehbühne sich bietet. Im ersten Teil sah das Publikum ein ganz normales Bühnenbild, den Eingangsbereich eines typischen englischen Herrenhauses. Denn es war Generalprobe.Im zweiten Teil wechselt die Perspektive. Dann sehen wir das Bühnenbild von hinten. Und es wird deutlich: Aus dem Zusammenhalt am Anfang ist Neid, Missgunst und Eifersucht geworden. Im dritten Teil ist das Chaos dann perfekt. Zu sehen ist wieder das Bühnenbild vom Beginn, nur hat es durch die lange Reise und die vielen Aufführungen ordentlich was abbekommen. Die Treppe zum ersten Stock besteht nur noch zur Hälfte aus dem Original, manche Türen sind verschwunden. Der pompöse Elchkopf verliert auch noch sein Geweih.

 

Die Aufführung war ein augenzwinkernder Blick hinter die Kulissen des Theaters mit viel Spaß und Selbstironie der beteiligten Schauspieler/innen am Spiel.Sie verlangte den beteiligten Schauspieler/innen in den drei Stunden sowohl physisch als auch vom genauen Timing alles ab.

 

Kurz gesagt: Bei „Der nackte Wahnsinn“ ist der Titel Programm. Und ehrlich gesagt: Das ist auch gut so!

 

Weitere Vorstellungen: 9., 19., 25., 27. April und 8. Mai. Infos und Karten gibt es unter www.theaterdo.de oder 0231 5027222.

Drama Queens im Liebestaumel

Schafft es Romeo seine Juklia noch einmal runzukriegen? (v.l.n.r.) Andreas Beck, Eva Verena Müller, Peer Oscar Musinowski, Sebastian Graf, Merle Wasmuth und Bettina Lieder. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Schafft es Romeo seine Julia noch einmal runzukriegen? (v.l.n.r.) Andreas Beck, Eva Verena Müller, Peer Oscar Musinowski, Sebastian Graf, Merle Wasmuth und Bettina Lieder. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Bei der Premiere des Lieder-abends mit Live-Musik „Drama Queens“- neue Songs aus der Kantine“, nach einer Idee von Christian Quitschke am 6. Oktober 2013 stand die Musik voll im Mittelpunkt. Gesprochen wurde von den drei Weiblichen und drei männlichen Schauspielern „Drama Queens“ noch weniger als bei „La Cantina Adrenalina“ aus der letzten Spielzeit.

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