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Ein Sprechchor-Stück zu Homosexualität im Fußball

Der Dortmunder Sprechchor (mit Fug und Recht das 17. Ensemblemitglied des hiesigen Schauspiels), hat sich in diesem Jahr mit dem Stück „Echte Liebe“ von Regisseurin Laura N. Junghanns und dem Dramaturgen Matthias Seier ein immer noch tabuisiertes Thema ausgewählt. Selbst Jahre nach dem Outing von Thomas Hitzelsberger am Karriereende ist das Bekenntnis zur Homosexualität in diesem „Sport für echte Kerle“ für aktive Fußball-Profis immer noch so gut wie unmöglich. Zu viele Ängste vor der Reaktion der Fans sowie die Furcht vor dem Karriereende machen ein Outing schwierig. Das Stück „Echte Liebe“, ein eng mit dem BVB verbundener Begriffskonstrukt, setzt sich mit diesem immer noch tabuisierten Thema komplex auseinander. Die Premiere war am 29.03.2019 im Studio des Dortmunder Schauspiels.

Auf der Bühne wurden drei Torbögen multifunktional genutzt. Hinter einander gestellt dienten sie zum Beispiel als Eingangtunnel für die Beteiligten. Der Raum auf der Bühne war voll gefüllt mit den 54 beteiligten Sprechchor-Mitgliedern. Diese tragen alle in gelb-schwarz gehaltene Kleidung und Accessoires, die ab je nach Gruppenzugehörigkeit fantasievoll in einzelnen Merkmalen verändert wurden. Die Frauen und Männer des Sprechchors waren nicht nur in ständiger Bewegung und in unterschiedliche Konstellationen auf der Bühne, sie mussten auch ein glaubwürdiges „Sprachrohr“ für die verschiedenen Gruppen und Positionen darstellen.

Einen besonderen Status hatte in „Echte Liebe“ die mit einer Schutzmaske versteckte und allein dastehende Darstellerin des „Anonymen Profis“ aus der dritten Liga (die Quelle war die Internet-Plattform Reddit). Die Texte stammten aber aus mehreren anonymen Quellen homosexueller Fußballern. Sie verdeutlichten die schwierige Situation und das Leiden an der Verheimlichung dieser Personen.

So muss sich ein aktiver homosexueller Fußballer führen - allein im Scheinwerferlicht und um ihn herum die große anonyme Masse. (Foto: Birgit Hupfeld)
So muss sich ein aktiver homosexueller Fußballer führen – allein im Scheinwerferlicht und um ihn herum die große anonyme Masse. (Foto: Birgit Hupfeld)

Eine große Gruppe stellten diejenigen Fans und Lokalpatrioten dar, welche sich nach den „alten Zeiten“ sehnen, wo der Signal Iduna Park noch Westfalenstadion hieß, Fußball noch ein echter Männersport, das Bier noch billiger und die Kommerzialisierung noch nicht so weit fortgeschritten war. Für sie ist Fußball eine Religion und ein Mittel, Frust sowie Druck auf Kosten von Minderheiten abzulassen. Auch die möglichen eigenen homosexuellen Anteil machen sicher einigen Ängste.

Eine mahnende Rolle spielte die Gruppe der sogenannten „Sprecher gegen den Hass“ als Gegenpol. Grundlage bildeten bei ihnen die Texte aus dem Buch „Gegen den Hass“ von der Autorin und Publizistin Carolin Emcke (Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels 2016).

Wie weit verbreitet (verdeckte) Homophobie im Zirkel des Fußballs immer noch ist, zeigen mit dem Beamer kenntlich gemachte, und von Gruppen des Sprechchors gesprochene Zitate von bekannten Größen in dem Geschäft. Dabei waren Aussagen von ehemalige Verteidiger Paul Steiner vom 1.FC Köln, Ulli Hoeneß, Christoph Daum, Oliver Bierhoff und andere wie auch ein internationaler Schauspieler. Für den „Running Gag“ sorgte die Gruppe der „DFB-Anzugträger“, die immer wieder auf ihre „Broschüre“ hinwiesen. Sich am Spielzeitende zu outen, wäre zum Beispiel am günstigsten. Bis zur neuen Saison würde dann Gras über „die Sache“ wachsen.

Atmosphärisch begleitet wurde das Stück mit eingespielten Originaltönen aus dem Stadion. Symbolisch als assoziative Farbe für Homosexualität war eine riesige rosa Schiri-Pfeife auf der Bühne mit dabei und es wurde am Ende ein rosa Teppich ausgerollt.

Gesungen wurde dabei von einer Gruppe das bekannte „You’ll never walk alone“. Das „alone“ wurde zum Schluss vielfach wiederholt. Der „anonyme Profi“ verlässt isoliert langsam die Bühne.

Wer sich fragt, warum sich nicht Profi-Fußballer während ihrer Karriere outen, das eindrucksvolle Ende gab die Antwort. Der Sprechchor bildete eine große anonyme Masse, die im besten Sprech der AfD und der religiösen Extremisten ihre letzte „Männerbastion“ vor dem Sprung ins 21. Jahrhundert verhindern wollen. Für sie ist die Diskussion um homosexuelle Fußballer nur „eine perfide Homo-Propaganda der Perversen-Lobby“. Doch hier kommt auch ein kleiner Kritikpunkt an dem Stück: Nicht alle, die sich gegen den „modernen Fußball“ mit seiner Eventisierung stellen, sind Homophob. Es gibt sicher genügend Kritikpunkte an DFB, UEFA und FIFA, die mehrere Abende füllen könnten. Das Stück ist sicher ein guter Ansatzpunkt, sich weiter mit der Thematik zu befassen.

Weitere Aufführungstermin sind: 06.04.2019 und 20.04.2019 um 20:00 Uhr, am 02.06.2019 um 18:30 Uhr und am 05.07.2019 um 20.00 Uhr.

Weitere Informationen erhalten Sie wie immer unter www.theaterdo.de oder Tel. : 0231/ 50 27 222

After Life – Poetische Annäherung an die Erinnerung

Was ist, wenn man eine einzige Erinnerung nach seinem Tod behalten könnte? Diese Idee stammt vom Japaner Hoirokazu Koreeda, der daraus den Film „After Life“ gedreht hat. Thorsten Bihegue entwickelte daraus einen Bühnenstück mit dem Dortmunder Sprechchor. Ein Premierenbericht vom 04. März 2018.

„Sie sind soeben gestorben“. So wurden die Anwesenden Zuschauer vom bleich geschminkten Sprechchor begrüßt. Es ist wahrhaftig ein Erlebnis, wenn man im relativ kleinen Studioraum in der Mitte ist und wie auf einer Schulbank oder vor Gericht auf der Anklagebank sitzt. Aber das Jüngste Gericht ist eher ein Unternehmen. Es bietet allen sogar die Chance, eine Erinnerung ins Jenseits mitzunehmen…

Der Dortmunder Sprechchor begrüßt in seiner Rolle als Angestellte die "Neuankömmlinge". (Foto: © Birgit Hupfeld)
Der Dortmunder Sprechchor begrüßt in seiner Rolle als Angestellte die „Neuankömmlinge“. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Tja, welche Erinnerung nimmt man jetzt? Ich vermute, dass sich die meisten Zuschauer das gefragt haben und ihr Leben rekapituliert haben. Erinnerungen prägen unser Leben. Sie geben uns unsere Identität. Es ist schwierig, davon eine bestimmte auszuwählen. Zumal klar ist: Erinnerungen sind sehr subjektiv und Hirnforscher haben herausgefunden, dass unser Gehirn die Wirklichkeit verfälscht. Erinnerungen werden immer wieder neu bewertet.

Bihegue benutzt die gleiche nüchterne Atmosphäre wie Koreeda in seinem Film. Kein übersinnliches Bling-Bling oder ähnliches. Routine eben. Fühlt man sich bei Koreeda wie beim Arbeits- oder Finanzamt, wirkt Bihegues Inszenierung Dank des Sprechchores wie eine Art Anhörung.

Die Mitglieder des Chores ziehen uns unwillkürlich tiefer in die Geschichte. Sie erzählen von Personen, die Schwierigkeiten gehabt haben, sich eine besondere Erinnerung auszusuchen oder die sich verweigert haben. Begleitet wird dies von Familienaufnahmen aus den 60er/70er Jahren, die typische Feierszenen zeigen. Passend dazu war das Lied der Carpenters „Yesterday Once More“ das musikalische Leitmotiv, auch hier geht um Erinnerungen.

Ein schönes, kurzes, aber intensives Theaterstück zum Nachdenken über das Leben und was einem wirklich wichtig ist unter Beteiligung des engagierten Sprechchores, der diesmal Unterstützung bekam vom Kindersprechchor.

Termine und Karten: http://www.theaterdo.de

After Life – im Wartesaal zum Jenseits

Der Dortmunder Sprechchor gehört seit einigen Jahren als ein zusätzliches Ensemble-Mitglied zum hiesigen Schauspiel. Sie beeindruckten schon in „Das phantastische Leben der Margot Maria Rakete“, „Kasper Hauser“, „Das Bildnis des Dorian Gray“ oder mit den „Heimlichen Helden“. Nun stehen sie wieder einmal im Mittelpunkt eines Stückes, das am Sonntag, den 04.03.2018 um 18:30 Uhr unter dem Titel After Life seine Uraufführung im Studio (Schauspiel) hat.

Auf Grundlage des gleichnamigen Filmes von Hirukazu Koreeda entwickelte Thorsten Bihegue als Gesamtkunstwerk für den Sprechchor eine Geschichte um Leben, Tod und Erinnerung. Er hat nicht nur das Stück geschrieben, führt selbst Regie und kümmert sich auch noch um das Bühnenbild.

Was erwartet das Publikum?

Sobald sie das Studio betreten, wird in von vielen fremden Menschen erklärt, das sie soeben gestorben sind. Die Bühne ist eine Art Wartesaal zum Jenseits. Jetzt wird es spannend und schwierig. Jeder darf oder soll eine ihm besonders wichtige Erinnerung aus seinen irdischen Dasein wählen, um sie ins Totenreich mit zu nehmen. Alle anderen werden ausgelöscht. Wem das nicht gelingt, kommt nicht ins Jenseits. Aber keine Sorge, die vielen „Angestellten“ stehen Ihnen mit ihren Ratschlägen und Hinweisen zur Seite. Ihr Geheimnis wird im laufe des Abends gelüftet. Sie sitzen an Tischen, die rund herum wie in einer Schulkasse aufgestellt sind. Das Publikum sitzt im Innenbereich in mehreren Kreisen angeordnet. An vier Leinwänden werden zudem Ausschnitte von alten Filmen gezeigt, die sicher einige „Erinnerungen“ hervorrufen werden.

After Life ist wieder ein Stück mit dem Dortmunder Sprechchor in der Hauptrolle. (Foto: © Birgit Hupfeld)
After Life ist wieder ein Stück mit dem Dortmunder Sprechchor in der Hauptrolle. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Während der einstündigen Vorstellung wird auch der Dortmunder Kindersprechchor einen Auftritt haben. Für jüngere Kinder ist es ja mit genauen Erinnerungen besonders schwierig. Die „Angestellten“ fordern zum genauen Nachdenken auf. Da muss es doch etwas besonderes geben? …

Es soll ein humorvoll-amüsanter, aber auch poetisch-nachdenklicher Theaterabend werden. Thorsten Bihegue ist als ausgewiesener Humorist und Wortjongleur bekannt.

Die Premiere am 04.03.2018 ist ausverkauft.

Für die bisher geplanten weiteren Termine am 31.03.2018 um 20:00 Uhr und am 29.04.2018 um 18:30 Uhr sind aber noch Restkarten zu haben.

Informationen und Karten unter: 0231/ 50 27 222 oder www.theaterdo.de

Zombification – wie man die Zombiecalypse überlebt

Ob nun im Schauspielhaus mit den Stücken von Wenzel Storch oder mit dem Theaterkollektiv „Komplott Legal“: Wenn jemand in ein Stück von oder mit Thorsten Bihegue besucht, kommt er jedenfalls schlauer wieder heraus und ist dabei auch noch gut unterhalten. Das Prinzip der Wissensvermittlung durch Theaterbesuch funktionierte auch bei „Zombification – Lecture-Performance mit Hirn“, die am 27.10. 2017 im Theater im Depot Premiere hatte.

Das Wort „Zombie“ kommt aus der zentralafrikanischen Sprache Kimbuntu und bedeutet „Totengeist“. Über Haiti und dem Voodoo haben die Zombies den Weg in die populäre Kultur gefunden, als willenlos Untote, die auf ständiger Suche nach menschlichen Fleisch sind.

Das Trio von „Komplott Legal“ Isabel Stahl (Regie und Produktion), Christine Köck (Video und Grafik) sowie Theresa Mielich (Ausstattung) schufen eine fiktive Brennpunktsendung „Wo brennt‘s jetzt“ in der Zombitologe Wolfram Kowalewski (Bihegue) und Regine Anacker (Moderatorin) über die Zombies informierten und Tipps gaben, wie man eine Zombicalypse überlebt. Nicht nur Anacker war vom Dortmunder Sprechchor, sondern auch weitere neun Mitglieder, die als realitätsnah geschminkter „Zombiechor“ schönes Anschauungsmaterial boten.

Was fasziniert uns an Zombies? Ist es die Angst vor einer seelenlosen, stumpfen Masse, die unser gewohntes Leben durcheinanderbringt? Es ist schon erstaunlich, wenn Demokraten in den USA regieren, dann kommen mehr Vampirfilme auf dem Markt, denn so Kowalewski, die Demokraten fürchten mehr den Geldadel der Wall-Street, der mit den Blutsaugern eher assoziiert werden kann. Die Republikaner fürchten eher den Aufstand der Massen, der Armen und Ausgestoßenen, die das bürgerliche Leben in ein Chaos verwandeln.

Zwar nicht "Schwanensee", aber auch Zombies können schöne Choreografien. (Foto: © Theresa Mielich)
Zwar nicht „Schwanensee“, aber auch Zombies können schöne Choreografien. (Foto: © Theresa Mielich)

Selbstverständlich wird auf die filmischen Komponenten der Zombie-Thematik eingegangen, wenn auch meist nur mit Bildern von Filmcovern. Kurz zu sehen ist ein älterer Zombiefilm aus den 40er Jahren, in dem Zombies die klassische Rolle als willenlose, fremdbestimmte Figuren einnehmen.

Auch in „Zombification“ spielen die Zombies zunächst nur die Rolle als billige Arbeitskraft, denn billiger als ein Untoter geht nicht, um dann doch mit erstaunlichen Fähigkeiten zu glänzen wie beispielsweise dem Spielen eines Glockenspiels.

Praktische Tipps gibt es auch von von Kowalewski: Wie schützt man sich vor Zombieangriffen , welche Waffen sind nützlich und wo versteckt man sich. In einem Video, dass nicht zufällig einem Ego-Shooter ähnelt, kämpft sich unser Experte durch eine Horde von Trainingszombies.

Was nimmt der Theaterbesucher aus diesem Abend mit? Er erlebt Zombies die singen und tanzen, Live-Musik (natürlich „Zombie“ von den Cranberries), eine gut aufgelegte Moderatorin samt Experten und neun großartige Zombies. Zombies sind eben mehr als herum schlurfende, fleischfressende Untote, sie sind Teil unser Popkultur und daraus nicht mehr wegzudenken. Angesichts der politischen Verhältnisse in den USA ist also wieder mit mehr Zombiefilmen zu rechnen. Die wichtigen Frage sind doch. Wie viel Zombie steckt in uns, welche Bedingungen fördern sie und wie kann man sich dagegen wehren?

Die nächste Möglichkeit das Stück zu sehen, bietet sich am 04. Novemeber 2017 um 20 Uhr im Theater im Depot.

Zombification – Zombies zwischen Fiktion und Realität

Das freie Künstlerkollektiv Komplott Legal hat ihre neueste Produktion „Zombification“ eine Lecture-Performance mit Hirn, in Zusammenarbeit mit dem Dortmunder Sprechchor und in Kooperation mit dem Theater im Depot entwickelt. Die Uraufführung findet am Freitag, den 27.10.2017 um 20:00 Uhr im Depot statt. Regie und Produktion liegen in den Händen von Isabel Stahl (Komplott Legal).

Das Publikum wird direkt in eine Studio-Produktion hineingeführt. Die Moderatorin Helene Tomatschek (Regine Anacker, Dortmunder Sprechchor) hat den Schauspieler und Zombitologen Wolfram Kowalewski (Thorsten Bihegue , Komplott Legal) als Studiogast in ihre Sendung eingeladen. Wolframs Job ist es nicht nur, wertvolle Survival-Tips im Falle eines „Zombie-Apokalypse“ zu geben, sondern er setzt sich auch mit den filmischen, geschichtlichen, philosophischen sowie den Kapitalismus-kritischen Komponenten der Zombie-Thematik auseinander.

Drei Zombies ohne Glockenseil. (Foto: © Theresa Mielich)
Drei Zombies ohne Glockenseil. (Foto: © Theresa Mielich)

Da gibt es genug ja Material aus diversen Filmen und Fernsehserien. Wichtige Grundlage sind zum Beispiel neben Texten zur Thematik auch Filme wie etwa die bissige Parabel „Land of the Dead“ von George A. Romero (2005).

Zombies rekrutieren sich aus dem Dortmunder Sprechchor

Es geht um die Fragen wie: Was ist real, was ist Fiktion? Was macht die Zombies so attraktiv? Was macht sie zu Zombies und wie viel Zombie steckt in uns? Da spielen unter anderem die Angst vor „dem Fremden“, Untergang und Tod sowie die Sehnsucht nach Überleben eine bedeutende Rolle.

Auf der Bühne befinden sich rekrutierte „Zombies“ vom Dortmunder Sprechchor, die als reale Zombies angesprochen werden. Per Video kommen noch eine ganze

Menge weiter hinzu. Eine weitere Frage ist: Was können Zombies eigentlich wirklich? Die auf der Bühne können sich jedenfalls künstlerisch ausdrücken und tanzen. Ja, sie können sogar ein wenig sprechen.

Das Publikum erwartet viele sinnliche Bilder, viel Nebel, und ein guter Soundtrack von Musik aus der Konserve und live auf der Bühne.

Wir arbeiten mit Fakten und Behauptungen, die übertrieben dargestellt werden,“ erklärte Bihegue. Das Ganze findet im Spannungsfeld zwischen Fiktion und Realität statt. Ironie wird dabei eine bedeutende Rolle spielen.

Wir dürfen auf die ungefähr siebzig minütige Performance gespannt sein.

Weiter Vorstellungen: Samstag, den 28.10.2017 und Samstag, den 04.11.2017, jeweils um 20:00 Uhr.

Infos und Kartenreservierungen unter 0231 – 9822336 oder ticket@theaterimdepot.de

Digitale Drecksarbeit für Cleanliness

[fruitful_alert type=“alert-success“]So sehr sich Maggy (Marle Wasmuth) auch vor dem digitalen Schmutz schützen möchte, die Facebook-Gärtner (Dortmunder Sprechchor) sind unerbittlich. (Foto: © Birgit Hupfeld)[/fruitful_alert]

Im Megastore hatte am Samstag, den 03.06.2017 „Nach Manila“ von der Gruppe Laokoon unter der Regie von Moritz Riesewieck seine Uraufführung. Die Gruppe hat sich in den letzten Jahren intensiv mit den sogenannten „Clickarbeitern“ in der 20 Millionen Metropole Manila (Philippinen) beschäftigt und sie auch besuchte.

Sie arbeiten Stunden von Manilas Zentrum entfernt in sauberen, abgeschirmten Großraumbüros in Computerarbeits-Boxen für Outsourcingfirmen im Auftrag eines großen Konzern im Bereich soziale Medien (Facebook). Manila heißt übrigens „Hier gibt es Nilad. Nilad ist eine weißblütige Mangrovenpflanze. Durch die Urbanisierung von Manila ist sie aber im Stadtgebiet verschwunden.

Ähnlich wie die Mangrovenpflanze muss auch der Schmutz aus den sozialen Medien verschwinden. Dafür sind die „Clickarbeiter“ da. Ihr Auftrag ist es, die sozialen Netzwerke wie Instagram, YouTube und andere von brutalen Fotos oder Videos nach einem Kriterienkatalog Inhalten wie Terror, ,Kinderpornografie, Snuff-Videos und anderes als „Content Moderators“ zu reinigen (cleanen). Das streng katholisch ausgerichtete Land bieten scheinbar gute Voraussetzungen für diese Tätigkeit. Präsident Duterte geht gerade in letzter Zeit mit äußerster Härte auch gegen kleine Dealer und ihre Klientel vor. Er schreckt auch nicht davor zurück, sie lynchen zu lassen. Das Motto in den Philippinen lautet: „Cleanliness is next to Godliness“. Die zumeist sehr jungen Menschen müssen nach kurzem Training in wenigen Sekunden entscheiden, „Delete“ oder „Ignore“ für die gezeigten Videos und Fotos.

Riesewieck stellt eine fiktive Autorin , gespielt von Caroline Hanke, mitten in einen auf der Bühne platzierten, recht opulenten Pflanzenwelt. Der „wilde Garten“ symbolisiert Facebook, dass wirkt, als wäre er sich selbst überlassen. Man sieht die Mauer darum nicht und wer im Hintergrund der Bestimmende ist. Der Sprechchor des Dortmunder Schauspiels durchquerten den „Garten“ als gleich gekleidete ordnende Gärtner. Die jungen weiblichen Theaterpartisanen verkörperten mit ihren weißen Kleidern Unschuld und Reinheit.

An den Wänden waren vier große Projektionsleinwände aufgestellt. Das Publikum nimmt mitten auf der Bühne auf Palettenkisten oder Seitenbänken platz. Mitten drin statt nur dabei. Auf der Bühne sind unter anderem auch die blauen Computerarbeits-Boxen mit den Bildschirmen zu sehen. Drei Schauspieler schlüpfen als Erzähler in eine Rolle von unterschiedlichen Typen von „Clickarbeitern“. Sie wurden beim erzählen mit der Kamera begleitet.

Da ist Maggy, deren Geschichte erzählt und extensiv dargestellt von Merle Wasmuth wird. Ihr starker religiöser Hintergrund dient ihr als Hilfe oder Krücke im Umgang mit ihrer traumatisierenden Arbeit. Die dramatischen Folgen dieser Arbeit wird ohne das Publikum mit schlimmsten Gewaltbildern zu schocken, durch die Erzählungen und Darstellungen der Schauspieler eindringlich auf die Bühne gebracht. Maggy zum Beispiel leidet unter schlimmsten Waschzwang und verbraucht Unmengen an Parfüm, um den ekeligen Gestank ihrer Arbeit los zu werden. Sie nimmt nach ihrer Auffassung die „Sünden der Welt“ für alle anderen auf sich, ohne das das gesehen wird. Ein acht bis zwölfstündiger Arbeitstag, wenig Pause, knorpeliges Fleisch in Schaumstoff-Take-Away-Verpackung und Plastikbesteck. Trotz aller Bemühungen hat sie letztendlich keine Chance gegen die Schnecken, die

Nasrim, erzählt und gespielt von Björn Gabriel, ein ein Syrien stammender Clickarbeiter, hoffte auf gut Arbeitschancen und bessere Aussichten als in Europa. Wegen seiner arabischen Sprachkenntnisse hatte er gute Chancen auf den Job. In einer Mischung aus Entsetzten und schützenden Zynismus erzählt er davon, wie ihn die Bilder der Folgen explodierender Bomben eines Selbstmord-Attentätern ihn sexuell erregen und was diese kranke Lust für Folgen für seine Beziehung zu seiner Freundin hat. Er flüchtet sich in Zynismus.

Der dritte Clickarbeiter Dodong (Raafat Daboul), versucht verbissen und hartnäckig, den australischen Pornoring-Chef „Scully“ ausfindig zu machen. „Scully“ steht dabei einerseits für die reale Person Peter Scully, ein Australier, der seit 2015 auf den Philippinen verhaftet wurde, weil er mehrere Kinder missbraucht und die Taten gefilmt hat. Auch ein Mord wird ihm vorgeworfen. Mittlerweile droht im die Todesstrafe.

Aber „Scully“ kann auch für die anderen Personen stehen, die irgendwo auf der Welt Vergewaltigung und Mord filmen und ins Netz stellen. „Irgendwo ist irgendwann immer Nacht“, sagt die Autorin verzweifelt.

Facebook ist in der Diskussion. Beispielsweise soll „Hate Speech“ (Hassreden) stärker bekämpft werden. Doch das sind immer zwei Seiten der Medaillen. Ist es wirklich gut, alles „Schlechte“ fern zu halten anstatt sich mit den (wahren) Ursachen dieses „Bösen“ in und außerhalb von uns auseinander zu setzten. Und wer setzt welche Kriterien?

Im Herbst 2017 erscheint übrigens im dtv Verlag das Buch „Digitale Drecksarbeit. Wie uns Facebook und Co. Von dem Bösen erlösen“. Verfasser: Moritz Riesewieck.

Informationen zu weiteren Aufführungsterminen erhalten Sie unter www.theaterdo.de

Heldenhafter Kampf gegen die Monotonie

Die Damen von der Telefonzentrale (Dortmunder Sprechchor) erzählten von Burnout und Depressionen. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Die Damen von der Telefonzentrale (Dortmunder Sprechchor) erzählten von Burnout und Depressionen. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Herzlich willkommen zum „Tag der offenen Tür“ in ihrem Finanzamt. Was wie eine komische Idee klingt, gab und gibt es aber in der Realität. Julia Schubert präsentiert – zum ersten Mal als Regisseurin – in den Kulissen der „Borderline Prozession“ eine irre Reise durch die Räume eine fiktiven Steuerbehörde. Merkwürdiges, Verzweifeltes, Komisches wechseln in jeder Runde ab. „Heimliche Helden“ könnte der skurrile Zwillingsbruder der „Borderline-Prozession“ sein. Auch bei den „Heimlichen Helden“ sieht der Zuschauer nicht alles, es sei denn, er kommt öfter wieder. Da wir von Ars tremonia zu Zweit unterwegs waren, konnten wir bei der Premiere am 21. Oktober 2016 einen Blick in alle Räume erhaschen.

Wie bereits geschrieben, das Stück findet in den Kulissen der „Borderline-Prozession“ statt, genauer gesagt, im vorderen Teil. Es gibt acht Räume und den Garten, aber nur sieben Runden, die jeweils um die 10 Minuten dauerten. Natürlich unterbrochen von der Mittagspause („Mahlzeit“) Jeder Zuschauer erhält eine Karte mit einer Nummer. Dort ist penibel (wir sind ja in einer deutschen Steuerbehörde) aufgezeichnet, welche Räume in welcher Runde man zu besuchen hat. Nicht, dass noch etwas durcheinander kommt.

Doch am Anfang erzählte uns Frank Genser im Wartebereich über die „heimlichen Helden“: Die Beamten in der Steuerbehörde, die treu gegen die Monotonie ihres Tagesablauf ankämpften. Ich halte es aber eher wie Schriftsteller Terry Pratchett, der in seinem Buch „Das Licht der Fantasie“ eine Figur folgendermaßen charakterisierte: „Er machte graue Durchschnittlichkeit zu einer erhabenen Kunst, und in seinem Bewusstsein herrschte die gleiche dunkle, gnadenlose Logik wie in einer Beamtenseele“.

Stichwort: Grau. Schauspieler und Mitglieder des Sprechchores trugen beinahe allesamt diese schöne unbunte Farbe.

Für mich begann der Zug durch die Büros bei Herrn Genser, der gekonnt die Möglichkeiten darbot, wie man sich die Zeit vertrieb, wenn man nichts zu arbeiten hatte. Gekonntes Kugelschreiber bewegen von rechts nach links und ein kleines Theaterstück mit Spielfiguren. Danach hatte ich gleich in zwei Räumen die Konfrontation mit dem negativen Auswirkungen der sich ständig wiederholenden Arbeiten. Depression bei den Damen vom Telefondienst und Marlena Keil präsentierte eine Mitarbeiterin mit persönlichen Problemen.

Hier noch ein kleiner Einschub: Innerhalb der Räume wechseln sich die Szenen auch noch ab, so dass kaum jemand den gleichen Abend erleben wird.

Eine besondere Rolle spielte Uwe Schmieder, alias Herr Krüger. In ziemlich mitgenommener Kleidung schlürfte er schon zu Beginn durch den Gang. In dem kleinsten grottenartigen Raum der „Büros“ konnten die Besucher erfahren, das er schon über 35 Jahre im Steuerbüro gearbeitet hat und nun in den Ruhestand geschickt wird. Sein Wellensittich im Einweckglas hat diese Zeit nicht überlebt. Tragisch-komisch dargestellt.

Neben „normalen“ Büros, gab es auch noch sehr besondere Räume: Im Garten wurde das Betriebsfest vorbereitet und die Zuschauer durften mit Hand anlegen. Käsewürfel zurecht machen, an einer Büroklammergirlande basteln oder Buchstaben ausschneiden. Der abgefahrenste Ort war sicherlich das Auto mit den Einschusslöchern der Borderline Prozession. Hier unterhielten Ekkehard Freye und Thorsten Bihegue die Besucher auf ihre spezielle Art.

Zum Abschluss des Tages der offenen Tür stieg dann noch das Betriebsfest, bei dem der altgediente Kollege Krüger verabschiedet wurde und der Alleinunterhalter Rene Carmen drei Lieder sang.

Julia Schubert schafft es, zusammen mit dem Ensemble und dem Sprechchor, ein warmherziges Stück auf die Bühne zu bringen. Ein liebevoller und humorvoller Blick auf Typen und Situationen von Menschen, die eben nicht 24 Stunden, sieben Tage die Woche kreativ arbeiten müssen, dafür aber nach 17 Uhr den Stift fallen lassen können. Welches Leben ist das bessere? Das muss jeder Besucher für sich selber entscheiden.

Wann ist wieder Tag der offenen Tür in der Finanzbehöre? Am 01. und am 27. November 2106 oder unter www.theaterdo.de nachschauen.

Die Demokratie auf wackeligem Fundament

Kaum gewählt wird der Abgeordnete (Sebastian Kuschmann) von der Basis (Dortmunder Sprechchor) in die Mangel genommen. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Kaum gewählt wird der Abgeordnete (Sebastian Kuschmann) von der Basis (Dortmunder Sprechchor) in die Mangel genommen. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Die Französische Revolution ist die Geburtsstunde des modernen Europas. Das Bürgertum emanzipiert sich gegenüber dem Adel und wird endgültig politische Kraft. Die Ideale „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ verbreiten sich über ganz Europa. Den ersten Schritt zur Revolution machten die Generalstände, die sich 1789 zur Nationalversammlung erklärten, mit dem Ziel Frankreich eine Verfassung zu geben. Mit dem Erwachen des Volkes erwachte auch der Volkszorn. In „Triumph der Freiheit #1“ nach dem ausgezeichneten Theaterstück „Ça ira (1) Fin de Louis (La Revolution #1)“ von Joel Pommerat geht es um die ersten Schritte der bürgerlichen Gesellschaft im Kampf um politische Macht. Ein Premierenbericht vom 16. September 2016.

Dass das Stück von Pommerat 2015 viele Preise in Frankreich abgeräumt hat, ist wahrscheinlich der Tatsache geschuldet, dass die Französische Revolution in den Genen der Franzosen verankert ist. Bei uns hier ist das eher ein Thema im Geschichtsunterricht. Je nach Aufmerksamkeit erinnert man sich noch an Namen wie Robespierre oder Danton und die Guillotine. Doch wie hat alles angefangen? Regisseur Ed. Hauswirth und Dramaturg Alexander Kerlin zeigen in ihrer Bearbeitung einen kleinen Politkrimi mit Intrigen, Finten und einem König, der vom Schachspieler zur Schachfigur mutiert. In der Inszenierung steht dabei nicht die historische Exaktheit im Mittelpunkt, sondern die Referenzen auf die Jetztzeit. Und davon gibt es mehr als uns lieb sein kann.

Bereits der Beginn ist hochaktuell: Frankreich ist 1789 so gut wie pleite. Staatsbankrott droht. Der Premierminister (gespielt von Andreas Beck) hat einen revolutionären Plan: Alle sollen sich gleichermaßen an den Staatsfinanzen beteiligen. Das kommt bei den privilegierten Ständen von Klerus und Adel gar nicht gut an. Eine Reichensteuer? Unvorstellbar! Daher verlangt der Adel die Einberufung des Generalstände, die seit über 150 Jahren nicht mehr getagt haben. Die einzelnen Stände sollen fein säuberlich getrennt tagen. Schnell ist den Abgeordneten des dritten Standes (Bürgertum) klar, dass sie nur Staffage sind und keinerlei politische Macht bekommen sollen. Die Unzufriedenheit wächst. Aus die Versammlung der Generalstände wird zur Nationalversammlung erklärt. Auf der Seite des Königs wie auch auf der Seite des Volkes wächst die Radikalität.

Ein Historienstoff im modernen Kostüm. Auch wenn das barocke Element in Kleidung oder Haartracht aufgenommen wurde, es wurde oft mit Ereignissen aus der Jetztzeit kombiniert. Der König (Uwe Rohbeck) wird per Videokonferenz zugeschaltet, bei der Berichterstattung über die Pariser Krawalle läuft ein Nachrichtenticker wie bei N24, die Ansprache des Königs auf dem Smartphone ist eine Reminiszenz auf eine ähnliches Ereignis nach dem Putsch in der Türkei.

Doch im Mittelpunkt des Stückes stehen die Diskussionen bei den Vertretern des Dritten Standes. Schon bald macht sich eine Radikalisierung und Aufspaltung in verschiedene Fraktionen breit, deren Gräben immer tiefer werden. Lefranc (Marlena Keil), ist eine radikale Politikerin, die die

Unzufriedenheit des Volkes schürt und mit geheimen Todeslisten arbeitet. Dem Vertreter Carray (Sebastian Kuschmann) wird Verrat an den Zielen des Volkes vorgeworfen. Er bekommt, auch eine kleine Anspielung, eine Torte ins Gesicht. Der Kampf zwischen Gemäßigten wie Gigart (Uwe Schmieder) und Boberlé (Caroline Hanke) und den radikalen Vertretern verläuft nicht immer starr. Es gibt Koalitionen und Zerwüfnisse je nach Entwicklung der Ereignisse.

Ein weiteres Thema in dem Stück spielt die Flüchtlingsproblematik. Hier sind sie keine Bootsflüchtlinge, sondern ausländische Soldaten, die für die Staatsmacht das aufständische Volk bekämpfen. Die Aufstände werden unter dem bekannten Schlachtruf „Wir sind das Volk“ begleitet. Hier verliert die junge Demokratiebewegung auch ihre Unschuld, indem sie gefangene Soldaten töten lässt.

Ein gelungenes Element im Stück war die Bühne. Sie stand in der Mitte des Raumes und war wie eine riesige rechteckige Wippe. Auf großen Federn gelegen zeigte sie die Fragilität der Demokratiebewegung, der Schritt ließ die Bühne in eine andere Richtung kippen.

Die Schauspieler inklusive des Dortmunder Sprechchors zeigten eine sehr kompakte Vorstellung. Herauszuheben ist Uwe Rohbeck als König, der vom mutmaßlichen Entscheider zum Getriebenen wird und trotz des Mantras „Wir schaffen das schon“ am Ende allein da steht. Ein bitteres Bild zum Schluss, als sich alle Figuren von ihm wegdrehen.

„Triumph der Freiheit“ ist mit Sicherheit mehr politisches Theater als historisches. Historische Genauigkeit stand nicht im Zentrum des Stückes, sondern die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und die haben manchmal erschreckende Parallelen zum Heute. Es lohnt sich, dieses Stück anzusehen, denn es wird nicht nur gezeigt, was passiert, wenn die Büchse der Pandora (Volkszorn) geöffnet wird, sondern auch wie Politik in den Hinterzimmern funktioniert.

Weitere Infos unter www.theaterdo.de

Die unglaubliche Reise ins Herz der katholischen Aufklärungsliteratur

Leon Müller, Ekkehard Freye und Mitglieder des Dortmunder Sprechchors (Foto ©Birgit Hupfeld)
Leon Müller, Ekkehard Freye und Mitglieder des Dortmunder Sprechchors (Foto ©Birgit Hupfeld)

Wenzel Storch wollte sein erstes Theaterstück „Komm in meinen Wigwam“ nicht als Satire verstanden haben. Doch der harte Realismus der katholischen Aufklärungs- und Anstandsliteratur der 50er und 60er allein reichte aus, um die Besucher der Premiere am 17. Oktober im Studio ständig zum kichern zu bringen. Es ging um die Werke des späteren Ehrenprälat Bernhard Lutz, der als Autor in seinen Werken eine wahre Pracht von knospenden Blüten und Stengeln zum Lobpreise Gottes wachsen ließ.

Ein Gemeindehaus im Irgendwo. Gut katholisch in lila ausgestattet mit einer Kanzel. Ekkehard Freye gibt eine Art Gemeinderatsvorsitzenden, der durch einen wahrlich bunten Abend führt. Thema ist das Werk von Bernhard Lutz. An seiner Seite sind zwei Ministranten (Maximilian Kurth und Finnja Loddenkemper vom Jugendclub Theaterpartisanen) und ein Wissenschaftler, der von Thorsten Bihegue dargestellt wird. Bihegue ist eigentlich Dramaturg am Haus, doch nach seiner schauspielerischen Leistung am Freitag könnte man problemlos sagen: Das Schauspielensemble hat ein neues Mitglied gewonnen.

Stilecht werden wir in die 50er Jahre geführt, wenn Kaplan Buffo (Heinrich Fischer vom Seniorentheater) mit einem Mädchen (Jana Katharina Lawrence) und einem Jungen (Leon Müller) in zeitgenössischer Kleidung sehen. Auch Lawrence und Müller sind Mitglieder der Theaterpartisanen Buffo dient als eine Art Reinkarnation von Lutz.

Wie sollte es auch anders sein, es wird viel aus den Werken von Lutz und auch teilweise auch anderen katholischen Aufklärungsautoren rezitiert. „Ein fröhlicher Fabulant“ nennt unser Wissenschaftler Lutz einmal. Lutz hat aber nicht nur eine kirchliche Karriere, sondern war im Zweiten Weltkrieg auch Bomberpilot, so dass er auch bei Streitigkeiten durchaus physische Gewalt empfiehlt. Ein kleiner Don Camillo eben.

Die Sprache und vor allem die Metaphern die Lutz benutzt hat, klingt für unsere Ohren 60 Jahre später extrem komisch. Sätze, die vielleicht 1951 noch unschuldig klangen, haben manchmal eine eindeutig zweideutige Konnotation bekommen. Heute denkt kaum jemand bei Titeln wie „Peter legt die Latte höher“ nur an Stabhochsprung. Vor allem nicht, wenn der Junge auf dem Titelbild uns mit dem Hintern (auch Allerwertester genannt) entgegenkommt.

Doch mit blühenden Wiesen und ihren sprießenden Knospen brauchten die Zuschauer nicht nur ihre Phantasie bemühen. Dank der wunderbaren Arbeit von Pia Maria Mackert, die für Bühne und Kostüme zuständig war, erwachten die Stengel plötzlich zum Leben, auch tanzende Nonnen bevölkerten die Bühne. Unter den Kostümen verbargen sich Mitglieder des Dortmunder Sprechchors.

Wenzel Storch, der nach eigenen Angaben katholisch erzogen wurde, hat in „Komm in meinen Wigwam“ (ja, das ist das Lied von Heino und kam auch zu Gehör), eine ganze Menge aufgearbeitet. Seiner Leidenschaft für christlichen Pop und die Kastelruther Spatzen wurde ebenfalls gefrönt. Und natürlich dem Mann ein Denkmal gesetzt, dessen Werke eine weite Verbreitung fanden, der aber heutzutage vergessen ist. Weder im Kirchenlexikon noch bei Wikipedia taucht Bernhard Lutz auf, der mit seinem „poetischen Realismus“ und seinen „sakral-psychedelischen“ Zeichnungen, in der katholischen Sexualmystik der 50er und 60er Jahre führend war. Die 70er Jahre haben in dann weggespült.

Bei aller Ironie und vielen Gelegenheiten zum Schmunzeln ist der ernste Hintergrund angesichts der in den letzten Jahren öffentlich gewordenen Pädophilie-Skandalen in der katholischen Kirche im Hintergrund gegenwärtig. Sieht man von Freye und Bihegue ab, waren nur Laien auf der Bühne, ein Umstand, den Storch durchaus bevorzugt. Alles in allem war es ein gelungener Abend.

Der Rest ist Schweigen

Wie mal beeindruckend: Der Dortmunder Sprechchor. (Foto: © Edi Szekely)
Wieder einmal beeindruckend: Der Dortmunder Sprechchor. (Foto: © Edi Szekely)

Hurra, die Revolution findet doch statt. Erst langsam und schleppend und dann ist sie da. Die Menschen tanzen auf den Straßen, doch dann verwandeln sie sich. Ihr Tanz geht in einen Marschschritt über. Eines der beeindruckendsten Bilder, die Uwe Schmieder in seiner Inszenierung von Heiner Müllers „Hamletmaschine“ mit dem Dortmunder Sprechchor ins Studio des Schauspielhauses zaubert. Ja, hier im Theater, in dem Träume noch Realität werden können.

Uwe Schmieder, Ensemble-Mitglieder am Dortmunder Schauspielhaus, im Osten der Republik sozialisiert erarbeitete zusammen mit dem Dortmunder Sprechchor, Merle Wasmuth (Ophelia), Sebastian Graf (Hamlet) und musikalischer Soundbegleitung durch Ole Herbström, Müllers Revolutionsstück, die Hamletmaschine (1977). Neben dem Originaltext mischt Schmieder auch weitere Texte hinzu, wie beispielsweise Müllers Gespräche mit Alexander Kluge.

Heiner Müller ist ein Grenzgänger. Sich bewegend zwischen Ost und West entwickelte er in der „Hamletmaschine“ einen Ekel auf beide Systeme. Dem autoritären System im Osten gilt sein Hass genauso wie den „Kaufhallen Gesichtern mit den Narben der Konsumschlacht“ im Westen. Ähnlich wie Hamlet ist Müllers Welt anscheinend in Unordnung geraten.

Stichwort Hamlet. Müller bettet seine Hamletmaschine um seien Titelfigur und Ophelia. Trauer und Tod ist das Thema zu Beginn. Gleich zu Beginn begrüßen einige Sprechchormitlieder“ die Besucher in tiefschwarzen Mönchskutten. Und hoffnungslos, beinahe misanthropisch endet das Stück. Ophelia wird zur Rächerin Elektra: „Es lebe der Hass, die Verachtung, der Aufstand, der Tod“. Kein Happy End bei Müller.

Im Original „Hamlet“ von Shakespeare gibt es ein Stück im Stück (damit will Hamlet den Mord an seinem Vater durch seinen Onkel beweisen), auch in der „Hamletmaschine“ lässt uns Müller (und auch Schmieder) im Unklaren, ob Hamlet oder ein Hamlet-Darsteller spricht. Diese Ambivalenz macht das Stück sehr reizvoll.

Trotz „Internationale“ und Anti-Kapitalismuskritik: Heiner Müller weiß genau, was mit Menschen geschieht, die in ihr Räderwerk geraten. Das Stück „Mauser“ ist ein gutes Beispiel dafür. Auch in der Hamletmaschine bringt die Revolution, die aber von vielen gewünscht wird (Utopien!) letztendlich nicht den gewünschten Erfolg. Da es wie bisher aber auch nicht weiter gehen kann, bleibt die Suche nach einer „positiven Utopie“ trotzdem immer notwendig.

Immerhin: Die Evolutionstheorie lehrt uns, das die Welt beständig im Wandel ist – dies dürfen Humanisten, die sich mit dem realen Leid auf diesem Planeten nicht einfach abfinden können (und wollen), vielleicht auch als eine Quelle der Hoffnung begreifen.

Geschickt wurden aktuelle Bezüge wie der Phoenix-See, die Ukraine-Krise und die Neujahrsansprache der Kanzlerin mit in die Inszenierung eingewoben.

Neben dem großartigen Sprechchor, konnten auch Merle Wasmuth als Ophelia und Sebastian Graf als Hamlet glänzen. Sehr ausdrucksstark gelang es ihnen, die verschiedenen Emotionen, ob Ironie, Trauer oder unbändige Wut und Verzweiflung glaubhaft auf die Bühne zu bringen. Ole Hebström sorgte mit seinen gut und einfühlsam platzierten musikalischen Soundeffekten im Hintergrund für ein stimmiges Gesamterlebnis.