Schlagwort-Archive: Caroline Hanke

Der Widersacher – wenn Lügengerüste in sich zusammenfallen

Im Studio des Dortmunder Schauspiel hatte am Sonntag, den 01.12.2019 „Der Widersacher“ nach dem gleichnamigen, auf einer wahren Begebenheit beruhenden, Roman von Emmanuel Carrère seine Premiere. Regisseur Ed. Hauswirth und Dramaturg Matthias Seier versuchten mit ihrer Inszenierung in die Hintergründe und psychologische Tiefen der realen menschlichen Tragödie eines spektakulären Mordfalls im Jahr 1993 in Frankreich zu blicken.

Manchmal, ganz selten, kann Hochstapelei zum Erfolg führen. Wer kennt nicht die Geschichte des aus dem Gefängnis entlassenen Schuster Voigt, der als „Hauptmann von Köpenick“ zum Held wurde. Doch die meisten Geschichten gehen schlecht aus. Meist enden sie im Gefängnis, aber keine endete so katastrophal wie die von Jean-Claude Romand.

Wie konnte der angeblich als Mitarbeiter in gehobener Position bei der WHO in Genf arbeitende, gutbürgerliche Familienvater Romand zu einem exzessiven Mörder seiner gesamten Familie samt Eltern und Hund werden? Wie konnte er sich über fast zwei Jahrzehnte ein Lügengerüst und Doppelleben aufbauen? Warum hatte keiner in der Familie oder Bekanntenkreis etwas bemerkt? Wieso musste es, von der ersten harmlosen kleinen Lüge angefangen, wie bei einem Kugelstoßpendel zur gewalttätigen Eruption kommen? Wie lange kann man Fassaden und Masken aufrecht erhalten? Die Grenzen zwischen „Real“ und „Fake“ verschwimmen.

Der Stoff ist gerade auch heute höchst aktuell und macht nachdenklich. Wie in der Inszenierung wörtlich ausgesprochen, wird Erfolg für viele Menschen zu einer neuen „Religion“ und gibt ihnen eine Art Daseins-Sinn.

Wie konnte Romand so lange lügen und warum ist keiner vorher misstrauisch geworden? (v.l.n.r.) Marlena Keil, Björn Gabriel, Caroline Hanke, Uwe Rohbeck. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Wie konnte Romand so lange lügen und warum ist keiner vorher misstrauisch geworden? (v.l.n.r.) Marlena Keil, Björn Gabriel, Caroline Hanke, Uwe Rohbeck. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Das Bühnenbild bot einen kleinen Einblick in die zerstörten, durch das nach seinen Taten von Romand in Brand gesetzten Wohnraum. Drei Trennwende im Hintergrund zeigten die verkohlten Überbleibsel des Wohnhauses, und in der Mitte des Raumes war auf schwarzen Sockeln Requisiten (Familenfoto, Geschirr, ein leicht verkohlter Teddybär u.s.w.) Die rechte Wandseite wurde für Videoprojektionen, wie etwa für das Gebäude der WHO oder den Jura-Wald u.a.) oder kurze Hinweise genutzt.

Die sieben Schauspieler*innen auf der Bühne versetzten sich stellvertretend für das Publikum in die beteiligten Personen, und versuchten das scheinbar Unerklärliche fassbar zu machen. Sie ließen die Entwicklungsgeschichte von der Kindheit Romands (und der anderen beteiligten Personen) bis zu der grausamen Tat mit eigenen Bemerkungen dazu Revue passieren, sowie deren möglichen Beweggründe und Persönlichkeitsstruktur zu analysieren.

Uwe Rohbeck spielte dabei sowohl den Part des recherchierenden Schriftsteller Emmanuel Carrère und am Ende den des Mörders Jean-Claude Romand (als in seiner Angst der Aufdeckung gefangenen Bär).

Alida Bohnen, Berna Celebi und Maximilian Ranft (Schauspiel studierende aus Graz) übernahmen den Part, der sich auf die Studentenjahre bezog oder den der Kinder von Romand.

Björn Gabriel, Caroline Hanke, Marlena Keil und Uwe Rohbeck übernahmen die Rollen von Freund Luc und Ehefrau in den Jahren vor und bis zu den Morden. Durch ihre stark gespielte Stellvertreterfunktion wurde es dem Publikum schwer gemacht, sich selbst unbeteiligt ruhig zurückzulehnen.

Unsicherheit, eigene „Widersacher“ (Teufel?) und Lügen, Scham, Ängste wurden ihm vor Augen geführt.

Eindrucksvoll war unter anderem der wütende Ausbruch von Marlena Keil als Florence Romand, die unbedingt eine „guten Auflauf“ aufbacken will, um wenigstens „etwas zu schaffen“. Bezeichnend für die problematische Sicht auf die Frauenrolle. Florene hat schließlich ein Studium der Medizin /Pharmazie abgeschlossen, arbeitet halbtags, hat zwei Kinder erzogen.

Es darf nicht vergessen werden, das vor allem Frauen von häuslicher Gewalt betroffen sind. Wie das Stück auch zeigt, ist das Schweigen und verdrängen ein großes Problem. Ein nachdenklich machendes Stück, das seine lustigen Momente hatte. Besonders, wenn es um die kleinen menschlichen Schwächen ging.

Informationen zu weiteren Aufführungsterminen erhalten Sie wie immer unter www.theaterdo.de oder Tel.: 0231/50-27222.

Eine Herzkammer gerät ins Stocken

150 Jahre wird die SPD in Dortmund, na ja, um genau zu sein, eine der Vorgängervereine. 1868 gründete sich die erste Dortmunder Ortsgruppe des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins. Bis zur Herzkammer der SPD sollte es in Dortmund aber noch etwas dauern. Dennoch spendierte Sänger und Musiker Rainald Grebe der „alten Tante“ ein ordentliches Geburtagsständchen und viele Gäste kamen. Auch Ars tremonia. Ein Premierenbericht vom 30. März 2019.

Besonders lustig sind Ortsvereinsversammlung selten, doch Grebe hat es geschafft, gut zweieinhalb Stunden geballte SPD-Geschichte Revue passieren lassen, ohne dass die große Langeweile aufkommt. Dabei schaffte er auch den Spagat zwischen ernst gemeinten Lob für eine Partei, die sich um die kleinen Leute gekümmert hat und vergaß nicht, auf die aktuelle Orientierungslosigkeit der Partei hinzuweisen.

Es begann wie eine Ortsvereinssitzung, allerdings in einer feierlichen Umgebung. Anke Zillich spielte die Ortsvereinsvorsitzende des fiktiven Ortsvereins. Erst einmal wurden alle anderen Ortsvereinsvorsitzenden begrüßt, was bei der Menge an Ortsvereinen in der Dortmunder SPD eine Weile dauerte. Christian Freund, Caroline Hanke, Marlena Keil und Uwe Schmieder spielten weitere Mitglieder des Ortsvereins.

Ein klein wenig Geschichtsunterricht gab es auch: Christian Freund und Carloine Hanke (als Jusos) referierten vor der Orstvereinsvorsitzenden (gespielt von Anke Zillich) links im Bild. (Foto: ©Birgit Hupfeld)
Ein klein wenig Geschichtsunterricht gab es auch: Christian Freund und Caroline Hanke (als Jusos) referierten vor der Orstvereinsvorsitzenden (gespielt von Anke Zillich) links im Bild. (Foto: ©Birgit Hupfeld)

Zu einer Jubiläumsveranstaltung gehören natürlich auch Reden. Neben Videobotschaften von Andrea Nahles oder Franz Müntefehring gab es auch echte Grußworte, gesprochen vom Oberbürgermeister Ullrich Sierau. Dabei spielte Andreas Beck – mit einer herrlichen Perücke – den OB, während der echte im Publikum saß. Er nahm es wohl mit Humor. Die anderen „Gäste“ kamen aus der Gruft: Ferdinand Lasalle, Willy Brandt, Kurt Schumacher, Rosa Luxemburg.

Wie es sich für eine Arbeiterpartei gehört wurden auch viele Lieder gesungen. „Die Gedanken sind frei“ und „Wann wir schreiten Seit’ an Seit’“ erklangen zusammen mit dem Publikum, während „Die Partisanen von Amur“, „Und weil der Mensch ein Mensch ist“ oder „Mein Vater wird gesucht“ vom Ensemble gesungen wurde.

Dabei wurden auf der Feier des Ortsvereins auch Gäste begrüßt. Der Chor der Naturfreunde, der AWO und der Tafel (alles der Tafelchor) und der Männergesangverein der Zeche Viktoria. Die Ästhetisierung von gefährlicher Schwerarbeit durfte natürlich nicht fehlen. So erklang das altbekannte „Glück auf“ als Reminiszenz der Bergbautradition und für alle Bergbau-Romantiker.

Ab diesem Zeitpunkt wurde aus der fröhlichen Jubilarfeier eine Zustandsbestimmung der SPD. „DJ Alexander“ alias Andreas Beck erzählte vom auszehrenden Leben einer „Ich-AG“, die durch Gerhard Schröder in der Regierungszeit von Rot-Grün eingeführt wurde. Doch gibt es noch Arbeiter anno 2019? Und wenn ja, wer sind sie? Die Antwort gab Rosa Luxemburg (Caroline Hanke): Von wegen es gebe keine Arbeiter mehr. Müllmänner, Paketboten, Kindergärtnerin, Krankenpfleger. „Das ist die Mehrheit. Das sind Millionen. Und das ist die Klientel der SPD. Liebe Genossen, wenn ihr das nicht erkennt: dann löst euch doch auf.“

Wenn es nach „Unsere Herzkammer“ geht, dann geht die SPD ihrem Ende entgegen. Zumindest hat Rainald Grebe eine Beerdigung als Schlusspunkt gesetzt. „Wir wollen von allen geliebt werden, doch das geht nun mal nicht“, sprach Anke Zillich als Ortsvereinsvorsitzende. Doch es gibt noch Hoffnung: „Wir können doch frei aufspielen, was wagen, was riskieren“. Das wäre der SPD zu wünschen.

Neben dem Ensemble gehört natürlich ein großes Lob den Chören sowie den Musikern Umut Akkuş, Tobias Bülow, Jens-Karsten Stoll und Markus Türk, die als Multiinstrumentalisten das Jubilarfest perfekt begleiteten.

Wer auch noch zur Jubilarfeier möchte, Karten und Informationen gibt es unter www.theaterdo.de

Schräge Ruhrpottkomödie mit Musik und „Omma“

Laut Wikipedia ist Popcornkino eine wenig gehaltvolle Filmproduktion mit vornehmlichen Unterhaltungscharakter. Unterhaltungscharakter ja, aber über das „wenig gehaltvolle“ kann man streiten, denn Unterhaltung kann sehr wohl gehaltvoll sein. Wie komme ich von der Premiere von „Als die Omma den Huren noch Taubensuppe kochte“ am 16. Februar 2019 zum Popcornkino? Weil das Stück im besten Sinne Unterhaltungstheater ist, quasi Popcorntheater.

Aus der Vorlage des gleichnamigen Buches von Anna Basener machte die Regisseurin Gerburg Jahnke eine leicht bekömmliche Theaterkomödie mit Musik. Die Hauptfigur, die „Omma“, wurde von Anke Zillich gespielt. Vor allem zu Beginn interagierte sie sehr aktiv mit dem Publikum und erläuterte erst einmal das Geheimnis eines „Samtkragen“. Das ist ein Getränk aus drei Teilen Korn und einen Teil Boonekamp. Wobei der Boonekamp sachte auf den Korn geschüttet wird. Die Zuschauer spüren sofort, dass Anke Zillich die Omma mit Herz und Leidenschaft spielt.

Die Omma ist auch Dreh- und Angelpunkt des Stückes. Als Hauswirtschafterin in einem Bordell wird sie schnell zur guten Seele für die Huren. Vor allem für Mitzi. Nachdem sie sich den brutalen Zuhälter Herbert entledigt hatten, bauen Mitzi und Omma das Bordell in eine Pension um. Doch Mitzi kann ihr altes Gewerbe nicht vergessen. Dummerweise lacht sie sich den noch brutaleren Blazek an. Jetzt ist guter Rat teuer. Mitzi und Omma täuschen Mitzis Tod vor. Auf der Beerdigung lernt Ommas Enkelin Bianca den Polizisten Bernhard kennen.

Freundinnen fürs Leben: "Omma" (Anke Zillich) und rechts die Hure Mitzi (Frederike Tiefenbacher). Foto: © Birgit Hupfeld
Freundinnen fürs Leben: „Omma“ (Anke Zillich) und rechts die Hure Mitzi (Frederike Tiefenbacher). Foto: © Birgit Hupfeld

Dann überschlagen sich die Ereignisse: Omma verschwindet zu ihrer in Berlin wohnenden Tochter Bianca. Diese entdeckt, dass Mitzis Grab leer ist und plötzlich tauchen Bernhard, die tot geglaubte Mitzi und der brutale Blazek auch in Berlin auf.

Das Stück ist eine Reminiszenz an das Ruhrgebiet und seine Einwohner. Die Omma trägt das Herz immer auf dem richtigen Fleck und geht dabei auch resolut vor. So vertreibt sie Louise, die „über korrekte“ Mitbewohnerin von Bianca, nach einem kurzen, aber heftigen Wortgefecht. Auch Zuhälter Herbert räumt sie aus dem Weg.

Hingegen ist Bianca noch eine Frau, die ihren Weg sucht. Sie versucht sich bisher erfolglos in der Berliner Kreativszene durch das Designen von Unterwäsche. Durch ein Missverständnis gibt ihr Bernhard für Sex Geld, was Bianca völlig verwirrt. Ist sie etwa auch eine Prostituierte? Caroline Hanke spielt die Bianca in ihrer Zerrissenheit sehr schön, gut zu sehen bei der Autofahrt zu Mitzis Grab. Mitzi wird dargestellt durch Friederike Tiefenbacher, die erst im zweiten Teil „leibhaftig“ dazukommt. Ihr fataler Hang nach (älteren) starken Männern bringt die Handlung in dramatische Fahrwasser. Alle anderen Schauspieler (Mario Lopatta, Jens Kipper, Andreas Beck, Louise Kinner, Kevin Wilke, Ralf Kubik) spielen meistens mehrere Rollen. So werden die drei Prostituierten Ulla, Maria und Schantall durch Männer gespielt.

Das Stück ist eine musikalische Komödie, daher gab es auch einige Songs, die von einzelnen oder mehreren Darstellern zu Gehör gebracht wurden. Die Texte stammen von der Autorin des Buches, Anna Basener, die Musik von Tommy Finke. Die Lieder waren gelungen und abwechslungsreich (Schlager, Rock bis hin zum schwermütigen polnischen Walzer). Basener gelang es (vor allem beim Abschlusssong) eine wichtige Botschaft unterzubringen, den Respekt vor den Frauen, die im ältesten Gewerbe der Welt arbeiten: „Du sollst nicht die Damen reizen, die für dich die Beine spreizen.“

Somit komme ich zum Fazit: „Als die Omma den Huren noch Taubensuppe kochte“ ist Popcorntheater im allerbesten Sinne. Gut gemachte Unterhaltung, tolle Schauspieler, viel Musik und gute Laune. Kritiker mögen bemängeln, dass der „Slang“ der Omma zuviel Ruhrpottklischee widerspiegelt, doch Originale bleiben Originale. Es ist eher schade, dass sie mit der Zeit aussterben.

Weitere Infos zu Karten und Termine unter www.theaterdo.de

Humorvolle Verbeugung vor dem italienischen Giallo-Genre

Während Kay Voges uns am Vortag in die Parallelwelt entführte, schmiss Jörg Buttgereit die Zeitmaschine an und schickte die Besucher ins Italien der 70er Jahre: Im Studio des Dortmunder Schauspiels hatte am 16.09.2018 das neue Stück „Im Studio hört dich niemand schreien“ von Jörg Buttgereit und Anne-Katthrin Schulz (frei nach Argento und Strickland) Premiere.

Es war nicht nur eine respektvoll-humorvolle Verbeugung vor dem italienischen Giallo-Slasherfilm der 70-iger Jahre (insbesondere auch Peter Stricklands Giallo-Hommage „Berberian Sound Studio“, Pychothriller 2012).Zugleich erfährt das Publikum etwas über das „Making of“ dieser Filme und bekommt auch kleine Einblicke in das Genre in den 1970-iger Jahren über eingebaute Textpassagen beispielsweise aus „The Sinful Dwarf (Vidal Raski 1973) oder etwa Argentos „Vier fliegen auf Grauen Samt“ (1971).

Bühnenbild und Kostüme im Studio wurde in akribischer Arbeit von der gelernten Architektin Susanne Priebs dem Interieur im Jugendstil und Art Déco und der Mode des Italien um 1976 nachempfunden. Jedes Detail sollte stimmen. Ob es das Telefon mit der Wählscheibe, ein altes Ton- Aufnahmegerät, das Mobiliar oder die schwarzen Mäntel, Perücken und Kleidung der Frauen, Koteletten und Schnauzbart des Sohnes und vieles andere mehr.

Die ZuschauerInnen und ZuhörerInnen tauchen quasi ein in das Jahr 1976 und dem Tonstudio (Sound Studio) von Regisseur Dario Winstone( der Vorname weist natürlich nicht zufällig auf Dario Argento hin) und seiner Familie sowie Synchronsprecherin und Mitarbeiter im Hintergrund.

In diese spezielle Welt hinein stößt Geräuschemacher Maximilian Schall, der das frisch abgedrehte Filmmaterial von Winestone nachvertonen soll. Er war bisher nur für die Vertonung von harmlosen Naturfilmen mit Tieren verantwortlich und weiß nicht so recht, was ihn erwartet.

Verliert Maximilian Schall (Uwe Robeck) noch den Verstand? v.l.n.r. (Caroline Hanke, Christian Freund, Uwe Rohbeck, Ekkehard Freye, Alexandra Sinelnikova). Foto: © Birgit Hupfeld.
Verliert Maximilian Schall (Uwe Robeck) noch den Verstand? v.l.n.r. (Caroline Hanke, Christian Freund, Uwe Rohbeck, Ekkehard Freye, Alexandra Sinelnikova). Foto: © Birgit Hupfeld.

Uwe Rohbeck, schon oft in Buttgereit-Stücken (zum Beispiel „Elefantenmensch“) zu bewundern, schlüpft wieder einmal meisterhaft in die Rolle des kleinen, verschüchtert wirkenden Geraüschemachers mit Schiebemütze, der Briefe von seiner Mutter zugeschickt bekommt.

Man merkt ihm deutlich an, wie unwohl er sich dabei fühlt, einen gewalttätigen Horrorfilm nachzuvertonen. Er fühlt sich in dem Genre unwohl, gibt aber sein Bestes.

Das Publikum sieht nicht den Film, sondern hört nur die Szenen-Einspielungen mit den Synchronsprecherinnen und später noch Sprecher. Der Horror spielt sich im Kopf ab.

Die geben alles, um das Geschehen mit lautem Schreien, Stöhnen und ihrer Sprache akustisch glaubhaft darzustellen. Maximilian Schall macht mit verschiedensten Requisiten, unter anderem Gemüse ( etwa Kohlkopf, Wirsing, Wassermelone) in das er herzhaft mit einem großen Messer hinein sticht, einem Handschuh aus Leder, Papiere und Folien zum Reißen für jede Situation das passende Geräusch. Er steigert sich nach und nach hinein.

Als „Running Gag“ läuft er immer vergeblich der Erstattung seiner Auslagen für den Flug von Deutschland nach Italien. Eine kleine Spitze gegen das Kunstverständnis (Kunst als ehrenvolle Aufgabe, die man eigentlich nicht mit Geld vergüten muss).

Ekkehard Freye spielt mit viel Spaß den von sich eingenommenen sexistischen Macho-Regisseur Dario Winestone, der (wie eben Argento) einen ästhetisch hohem Niveau und mit stilistischen Anspruch an seinen spektakulären Inszenierungen voll Gewaltexzessen, qualvollen Vergewaltigungen bis hin zum Mord.

Während Eva Leone (Marlena Keil) auch so ihre Schwierigkeiten hat, kennen sich die Tochter Asia (Alexandra Sinelnikova) und Dario Winestones zweite Frau Janet Lee Curtis (Caroline Hanke) mit den Giallo-Filmen gut aus. Caroline Hanke spielt die Janet mit schwarzer Langhaar-Perücke als selbstbewusst scheinende Domina, die hinter ihrem Mann steht. Marlena Keil als Eva Leone begehrt nach und nach gegen den sie sexuell ausnutzenden Winestone auf. Bei einen spektakulären Spagetti-Essen während einer Pause werden die verschiedenen Ansichten der einzelnen Familien-Mitglieder deutlich. Die Tochter Asia verachtet ihren sexistischen und Macho-Vater mit seinen Gewaltfantasie-Filmen. Sohn Rock Hamond träumt von zukunftsweisenden Filmen wie etwa Kubricks „2001 – Odysse im Weltraum“ mit dem klügsten Computer der Welt „Hal 9000“.

Selbstverständlich streut Buttgereit auch einige Zitate und Anspielungen aus anderen Filmen ein. So träumt Winestone von einem Film, in dem die Verbrechen schon vor der Tat verhindert werden (Minority Report“). Das Motiv von „Vier Fliegen auf grauem Samt“ , bei der das letzte vom Opfer gesehene Bild den Mörder überführt und Janet spricht in ihrer Rolle als Hexe die Wörter „Klaatu Verata Nektu“ richtig aus, anders als Ash im zweiten Teil von „Tanz der Teufel“.

Am Ende verschwimmen die grenzen zwischen der Schattenwelt des Film-Kunstwerks zwischen Leben und Tod und der Realität.

Ein aufregender Theaterabend mit dem Dreamteam Buttgereit und Rohbeck und eine gelungene Hommage an das Filmgenre „Giallo“.

Bedeutend für die atmosphärische Begleitung des Stückes war das ausgezeichnete Sound Design von Frank Behnke und die Dramaturgie von Anne-Kathrin Schulz und Michael Eickhoff.

Weiter Aufführungstermine: 20.09.2018 um 20.00 Uhr, 06.10.2018 (20:00 Uhr), und 28.10.2018 um 18:30 Uhr. (15,- Euro).

Weitere Informationen und Karten unter www.theaterdo.de oder Tel. 0231/ 50 27 222

Memory Alpha – das fehlbare und manipulierbare Gehirn

Das Gehirn ist die komplexeste Struktur im bekannten Universum. 86 Milliarden Nervenzellen sorgen dafür, dass wir so leben können wie wir es tun, beispielsweise sorgen sie dafür, dass ich gerade diesen Text tippen kann. Für die Verbindung zwischen den Nervenzellen sind Synapsen zuständig. Die Synapsen wiederum sind verantwortlich für unser Gedächtnis. Und unser Gedächtnis ist es, was uns als Menschen ausmacht. Ein Premierenbericht vom 06. April 2018.

Was hat das jetzt alles mit Theater zu tun? Im Stück „Memory Alpha oder die Zeit der Augenzeugen“ dreht sich alles um das Thema Gedächtnis. Das Vergessen von Erinnerungen, das Behalten von Erinnerungen und vor allem das Verändern von Erinnerungen. Wenn das menschliche Gedächtnis fehlbar ist, was ist eigentlich mit dem elektronischen? Vergisst die Cloud? Können elektronische Gedächtnisse manipuliert werden? Die Frage werden sich Menschen in China stellen müssen, denn 2020 will die chinesische Regierung für jeden Chinesen eine Art Scoringsystem einführen. Gute Taten werden mit Pluspunkten belohnt, schlechte Taten zu Punktabzug. Jeder wird auch sehen können, wie viele Punkte sein Nachbar oder Arbeitskollege hat.

Kann man falsche Erinnerungen hervorrufen. Das ist das Thema bei "Memory Alpha". (v.l.n.r.) Friederike Tiefenbacher, Uwe Schmieder, Caroline Hanke und Christian Freund. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Kann man falsche Erinnerungen hervorrufen. Das ist das Thema bei „Memory Alpha“. (v.l.n.r.) Friederike Tiefenbacher, Uwe Schmieder, Caroline Hanke und Christian Freund. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Im Stück dreht sich alles um vier Personen: Dr. Gerd Stein (Uwe Schmieder), Leiter des „Instituts für Digitalität und Erinnerung“, wird in Brüssel von einem Auto zerquetscht, nachdem er vor dem chinesischen Scoringsystem gewarnt hat. Steins Schwester Charlotte (Caroline Hanke) ist eines von wenigen Menschen auf der Erde, die kaum vergessen können. Die Gedächtnisforscherin Prof. Johanna Kleinert (Friederike Tiefenbacher) versucht mit False Memory Experimenten das Gedächtnis ihres Probanden Sebastian Grünfeld (Christian Freund) zu hacken.

Stein lässt sein Gedächtnis die letzten Wochen Revue passieren, um herauszufinden, wer im Auto saß.

Das Stück von Anne-Kathrin Schulz ist kein „Wer-war der Mörder“-Stück, am Ende sind wir genauso ratlos wie Gerd Stein, der blumengeschmückt in das Nichts versinkt. Ed. Hauswirth macht aus dem Stück zwar keine wissenschaftliche Vorlesung, doch während der 90 Minuten lernen die Zuschauer einiges über das menschliche Gehirn. Wie kollektive Erinnerungen entstehen (jeder weiß sicher, wo er sich am 11.09.2001 befand), aber auch wie Erinnerungen durch Experimente gefälscht werden können. Die Bühne ist quasi mit Leinwänden überdacht auf denen Bilder projiziert werden, die vier Schauspielerinnen und Schauspieler tragen dezente Kleidung.

Was bringt die Zukunft? Werden uns gefakte Erinnerungen eingepflanzt wie im Film „Total Recall“ und wir erinnern uns an Dinge, die wir gar nicht getan haben? Werden wir von einem elektronischen Gedächtnis kontrolliert, das sich unsere guten und bösen Taten merkt?

„Memory Alpha“ ist ein gelungenes Stück im besten Sinne des Aufklärungstheaters.

Der Kirschgarten – Aus der Ordnung gefallen

Ein großes Ensemble-Stück im kleinen Studio. 10 Schauspieler und einen Musiker brachte Regisseur Sascha Hawemann in den „Kirschgarten“ von Anton Tschechov unter. Die Tragik-Komödie war die bitter-süße Kapitulation des Adels vor dem neu aufstrebenden Bürgertum. Ein Premierenbericht vom 29. Dezember 2017.

Wenig Platz fürs Publikum. Zwei Stuhlreihen vor Kopf, an der Seite nur eine. Selbst das Füße ausstrecken war nicht immer gefahrlos möglich, denn der kleine Gang wurde auch von den Schauspielern benutzt. Aber gerade diese Nähe machte die Inszenierung von Havemann zu einem emotionalen Erlebnis.

In „Der Kirschgarten“ von Tschechow geht es um das Gut und den Kirschgarten von Ljubow Andrejewka Ranjewskaja, die dort mit ihrem Bruder Gajew, ihrer Tochter Anja und ihrer Adoptivtochter Warja lebt. Gerade aus dem Ausland wiedergekommen, sind sie zwar völlig überschuldet, aber vor allem Ljubow Andrejewka ist noch dem aristokratischen Denken verfallen. Daher lehnt sie auch das Angebot vom Kaufmann Lopachin ab, den Kirschgarten zu parzellieren und zu verpachten. Am Ende verliert sie Gut und Garten.

Warja (Bettina Lieder) ist reifer als das müde "Seelchen" Anja (Merle Wasmuth) kann aber den Verkauf von Gut und Garten nicht verhindern. (Foto: © Brigit Hupfeld)
Warja (Bettina Lieder) ist reifer als das müde „Seelchen“ Anja (Merle Wasmuth) kann aber den Verkauf von Gut und Garten nicht verhindern. (Foto: © Brigit Hupfeld)

1861 wurde die Leibeigenschaft in Russland abgeschafft. Die alten traditionellen Werte lebten aber in den Köpfen weiter. Sehr gut zu sehen in den Figur von Ljubow Andrejewka. Friederike Tiefenbacher spielte die weibliche Hauptfigur als verletzliche Frau, die zwar immer wieder versucht ihren Stolz zu bewahren, aber am Ende vor den Trümmern ihrer Existenz steht. Ljubow Andrejewka hatte es nie verstanden, dass die Macht vom Adel zum Geldadel wechselte. Vom gleichen Schlag ist ihr Bruder Gajew (Ekkehard Freye). Er scheitert in seinen Versuchen, Geld aufzutreiben, um das Gut zu retten.

Die andere Figur, die den Zeitenwandel versucht zu negieren, ist der alte Diener Firs (Uwe Schmieder). Für Firs ist die neue Ordnung nichts. „Hie Bauern, hie Herren – man wusste, woran man war. Jetzt läuft alles durcheinander, kein Mensch kennt sich mehr aus.“ Am Ende des Stückes bleibt er einsam und vergessen im verlassenen Gutshaus.

Die neue Zeit repräsentiert niemand so gut wie der Kaufmann Lopachin. Eine Paraderolle für Frank Genser, der dem Stück eindeutig seinen Stempel aufdrückte. „Dasselbe Gut hab‘ ich gekauft, auf dem mein Vater und Großvater leibeigene Knechte waren, die nicht mal die herrschaftliche Küche betreten durften“, sagt er als Lopachin. Eines der zentralen Sätze im Stück. Doch Lopachin fehlt etwas, die Liebe. Er liebt Warja (Bettina Lieder), doch er ist vor lauter Geld verdienen unfähig, seine Gefühle auszudrücken. Warja ist zwar die realistischere der beiden Töchter und wurde von Lieder auch mit einer gehörigen Portion Energie und Entschlossenheit gespielt.

Auch dem nächsten Liebespaar ist kein glückliches Ende beschieden. Anja (bezaubernd Merle Wasmuth) ist ein sensibles Mädchen, das den ewigen Studenten Trofimov liebt. Trofimov, gespielt von Björn Gabriel im Rudi-Dutschke-Look), kann sehr gute Reden halten, ist aber unfähig zu lieben. Von daher trennen sich ihre Wege am Schluss.

Das Stück ist in den Nebenrollen sehr gut besetzt. Carline Hanke als überdrehte Gouvernante Charlotta und Marlena Keil als Dunjascha. Dunjascha teilt das Schicksal von Anja und Warja, denn auch aus ihrer Liebe wird nichts. Jascha (schön geckenhaft gespielt von Raafat Daboul) verschmäht sie, und den Pechvogel Semjon (auch Uwe Schmieder) will sie nicht.

Eine wichtige Rolle spielte Alexander Xell Dafov als Musiker, der die Inszenierung klanglich begleitete. Von Russen-Pop über russischer Sakralmusik und 80er Jahre Reminiszenzen „The final Countdown“ bis hin zu elektronischer Partymusik reichte das Repertoire.

Nach „Eine Familie“ im großen Haus und „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ im Megastore war es die erste Arbeit Hawemanns im Studio. Bühnenbildner Wolf Gutjahr nutzte den verfügbaren Raum optimal aus. Durch die Nähe zum Publikum war die Inszenierung sehr intensiv, vor allem im zweiten Teil, als die Komödie sich in eine Tragödie wandelte. Emotion pur – Dank eines engagierten und spielfreudigen Ensembles mit Frank Genser als Kirsche auf der Sahne.

 

Infos und Karten unter www.theaterdo.de

 

Die Unmöglichkeit trotz unbegrenzter Möglichkeiten

[fruitful_alert type=“alert-success“]Von diesem Tisch gehen die meisten Episoden aus. (Foto: © Birgit Hupfeld)[/fruitful_alert]

Was ist die Liebe in Zeiten von „alles kann – nichts muss“? Joël Pommerat zeigt uns in „Die Wiedervereinigung der beiden Koreas“ die Schwierigkeiten von Menschen, sich aufeinander einzulassen, ihre Lebensentwürfe in Einklang zu bringen und ehrlich zu anderen zu sein. Die Premiere des Stückes unter der Regie von Paolo Magelli war am 08. April 2017 im Megastore.

er die Liebe. Doch keine Angst, der französische Autor hat keinen großen Eimer Zuckerguss parat, um ihn über das Publikum zu gießen. Kein triefender Kitsch á la „Tatsächlich… Liebe“, bei Pommerat geht es ums Eingemachte in den Beziehungen. Und die können durchaus komisch sein, wie bei einer geplanten Hochzeit, der bei die Braut kurz vorher feststellt, dass ihr Bräutigam doch auch ein Techtelmechtel mit jeder ihrer Schwestern hatte. Mehr ins Genre Horror/Psychodrama geht die Episode einer Babysitterin, die auf die nichtexistierenden Kinder eines Paares aufpassen muss. Natürlich machen sie die Babysitterin für das vermeintliche Verschwinden ihrer Kinder verantwortlich und dem Zuschauer ist es nicht deutlich: Ist das ein perfides Spiel, was die beiden treiben oder nicht.

Die Liebe hat bei Pommerat auch schmerzhafte Facetten: Einer Patientin einer Psychiatrie-Einrichtung soll überzeugt werden, ihr Kind abzutreiben, das sie mit einem anderen Patienten gezeugt hat und die Liebe eines Priesters zu einer Prostituierten steht unter einer harten Belastungsprobe.

In dem Stück stehen die Schauspieler im Mittelpunkt: Besonders wenn alle mehrere Rollen spielen. Die Premiere war auch die Premiere für Christian Freund, der ab der Spielzeit 2017/18 dem Ensemble angehören wird. Zusammen mit Ekkehard Freye, Frank Genser, Caroline Hanke, Marlena Keil, Sebastian Kuschmann, Uwe Schmieder, Julia Schubert, Friederike Tiefenbacher und Merle Wasmuth fügte sich Freund in das gut funktionierende Team ein, das neben Tempokomödie auch die leisen romantischen Töne traf.

Ein großes Lob gebührt dem Bühnenbildner Christoph Ernst. Der Anfang und das Ende war eine Reminiszenz an da Vincis Gemälde „Das letzte Abendmahl“ und der Tisch war ein zentraler Punkt in dem Stück. Rechts und links waren Treppen zu einer Balustrade und ein vergittertes „Dachgeschoss“ zu sehen. Styroporplatten mit sichtbaren Leimspuren und Plastikflaschen als Baluste erzeugten die Anmutung eines Rohbaus. Vielleicht ein Symbol für die Liebe, die immer Veränderungen unterworfen ist. Vielleicht ist es auch unmöglich, der Liebe eine bestimmte, dauerhafte Gestalt zu geben, ebenso unmöglich wie die Wiedervereinigung der beiden Koreas.

Weitere Termine und Karten unter www.theaterdo.de

 

Reflexion über Vergänglichkeit und die Schönheit des Moments

Hier trägt der Engel Schwarz: (v.l.n.r.) Frank Genser, Marcel Schaar (Fotograf), Uwe Schmieder, Julia Schubert, Ensemble- (Foto: ©Birgit Hupfeld)

Kann man einen Augenblick für die Ewigkeit festhalten? Diese Frage spielt nicht nur in Goethes Faust beim Packt mit dem Teufel (Mephisto) eine große Rolle. Die Fotografie versucht schon länger, besondere Momente des Lebens für die Zukunft einzufangen. Einerseits kann der Betrachter sich so vergangene Augenblicke wieder in das Gedächtnis rufen, führen uns aber auch die Vergänglichkeit unseres Lebens und die Relativität von Raum und Zeit vor Augen.

Schauspielintendant Kay Voges, drei Dramaturgen und sein gesamtes Ensemble haben zusammen mit dem Kunstfotografen Marcel Schaar versucht, sich der Thematik durch die Verbindung von Fotografie und Theater zu nähern. Am Samstag, den 11.02.02017 hatte im Megastore das Theater-Abenteuer „hell / ein Augenblick“ Premiere.

Wohl einmalig in der Theatergeschichte lichtet ein Fotograf während der Vorstellung live auf der dunklen Bühne ein Motiv ab, das dann direkt in den Zuschauerraum projiziert wird. Helligkeit und Dunkelheit tauschen ihre Plätze. Die Bühne wird zu einer Dunkelkammer, die nur ab und zu durch das Blitzlicht des Fotografen für eine 1/50 Sekunden durchzuckt. Insgesamt etwa 100 mal am Abend.

Zur Erläuterung: Auf der Bühne stehen an den Seiten zwei große Leinwände und zwei Minni-Flutlichtanlagen. In der Mitte befindet sich im Hintergrund eine Art weiße „Magic-Box“ ,wo der Fotograf als „Meister des Augenblicks“ Schauspieler in speziellen Momenten ablichtet. Diese werden als schwarz-weiß Bilder auf die großen Leinwände projiziert. Diese Reduktion verlangt von den Schauspieler/innen viel Mut, denn sie sind es normalerweise gewohnt, ihre Körper deutlich sichtbar dem Publikum zu präsentieren. Die entstehenden Bilder sind berührend ehrlich und zeigen die kleinste Poren im Gesicht und Körper.

Alles fließt, alles steuert der Blitz“ ,sagt Heraklit. So beginnt der Abend mit einer philosophische Abhandlung aus dem „Baum des Lebens“ (Rabbi Isaak, Luria, um 1590) erzählt von Friederike Tiefenbacher.. Es geht darin um die Themen Leben und Licht, Raum und Zeit. Die Schauspieler/innen befinden sich sowohl auf der Bühne und in der „Magic- Box“, wo sie abgelichtet werden. Die Bilder auf der Großleinwand werden von den Schauspielern mit passenden philosophische Texte von Arthur Schopenhauer, Nietzsche, Bertand Russel, Charles Bukowski, Rainald Götz und andere begleitet. Das verstärkte die Wirkung der Bilder.

Als typisch für das, was viele Menschen empfinden, wenn sie fotografiert wurden denken, steht Uwe Schmieder, abgelichtet mit einem Schild „You see me“. Erschrocken ruft er in die Dunkelheit: „Das bin ich nicht, das bin doch nicht ich!“ Andere hingegen finden sich fotogener und rufen: „Das bin ich. So sehe ich aus.“

Es entstehen schöne Bilder von Zuneigung und Liebe, aber auch viele ernste, nachdenklich machende eindrucksvolle Bilder von Vergänglichkeit.

Für das sinnliche Erleben war der sensible begleitende Soundtrack von Tommy Finke und die Musik von Mahler bis Brian Molko/Placebo von großer Bedeutung.

Es war ein meditativer,archaischer Abend mit Nachwirkung. Wenn es um sich nicht erinnern können, Tod und Vergänglichkeit geht, ist das keine leichte komödiantische Kost. Das der Tod nicht gerne gesehen ist, zeigen die Text von Christoph Schlingsensief oder Robert Gernhardt aus dem Jahr 1997. Gernhardts Gedicht „So“ besagt, dass der Mensch in keinem Monat gerne sterben will. Er will immer wieder neue Moment generieren, um sie fest zu halten.

Heldenhafter Kampf gegen die Monotonie

Die Damen von der Telefonzentrale (Dortmunder Sprechchor) erzählten von Burnout und Depressionen. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Die Damen von der Telefonzentrale (Dortmunder Sprechchor) erzählten von Burnout und Depressionen. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Herzlich willkommen zum „Tag der offenen Tür“ in ihrem Finanzamt. Was wie eine komische Idee klingt, gab und gibt es aber in der Realität. Julia Schubert präsentiert – zum ersten Mal als Regisseurin – in den Kulissen der „Borderline Prozession“ eine irre Reise durch die Räume eine fiktiven Steuerbehörde. Merkwürdiges, Verzweifeltes, Komisches wechseln in jeder Runde ab. „Heimliche Helden“ könnte der skurrile Zwillingsbruder der „Borderline-Prozession“ sein. Auch bei den „Heimlichen Helden“ sieht der Zuschauer nicht alles, es sei denn, er kommt öfter wieder. Da wir von Ars tremonia zu Zweit unterwegs waren, konnten wir bei der Premiere am 21. Oktober 2016 einen Blick in alle Räume erhaschen.

Wie bereits geschrieben, das Stück findet in den Kulissen der „Borderline-Prozession“ statt, genauer gesagt, im vorderen Teil. Es gibt acht Räume und den Garten, aber nur sieben Runden, die jeweils um die 10 Minuten dauerten. Natürlich unterbrochen von der Mittagspause („Mahlzeit“) Jeder Zuschauer erhält eine Karte mit einer Nummer. Dort ist penibel (wir sind ja in einer deutschen Steuerbehörde) aufgezeichnet, welche Räume in welcher Runde man zu besuchen hat. Nicht, dass noch etwas durcheinander kommt.

Doch am Anfang erzählte uns Frank Genser im Wartebereich über die „heimlichen Helden“: Die Beamten in der Steuerbehörde, die treu gegen die Monotonie ihres Tagesablauf ankämpften. Ich halte es aber eher wie Schriftsteller Terry Pratchett, der in seinem Buch „Das Licht der Fantasie“ eine Figur folgendermaßen charakterisierte: „Er machte graue Durchschnittlichkeit zu einer erhabenen Kunst, und in seinem Bewusstsein herrschte die gleiche dunkle, gnadenlose Logik wie in einer Beamtenseele“.

Stichwort: Grau. Schauspieler und Mitglieder des Sprechchores trugen beinahe allesamt diese schöne unbunte Farbe.

Für mich begann der Zug durch die Büros bei Herrn Genser, der gekonnt die Möglichkeiten darbot, wie man sich die Zeit vertrieb, wenn man nichts zu arbeiten hatte. Gekonntes Kugelschreiber bewegen von rechts nach links und ein kleines Theaterstück mit Spielfiguren. Danach hatte ich gleich in zwei Räumen die Konfrontation mit dem negativen Auswirkungen der sich ständig wiederholenden Arbeiten. Depression bei den Damen vom Telefondienst und Marlena Keil präsentierte eine Mitarbeiterin mit persönlichen Problemen.

Hier noch ein kleiner Einschub: Innerhalb der Räume wechseln sich die Szenen auch noch ab, so dass kaum jemand den gleichen Abend erleben wird.

Eine besondere Rolle spielte Uwe Schmieder, alias Herr Krüger. In ziemlich mitgenommener Kleidung schlürfte er schon zu Beginn durch den Gang. In dem kleinsten grottenartigen Raum der „Büros“ konnten die Besucher erfahren, das er schon über 35 Jahre im Steuerbüro gearbeitet hat und nun in den Ruhestand geschickt wird. Sein Wellensittich im Einweckglas hat diese Zeit nicht überlebt. Tragisch-komisch dargestellt.

Neben „normalen“ Büros, gab es auch noch sehr besondere Räume: Im Garten wurde das Betriebsfest vorbereitet und die Zuschauer durften mit Hand anlegen. Käsewürfel zurecht machen, an einer Büroklammergirlande basteln oder Buchstaben ausschneiden. Der abgefahrenste Ort war sicherlich das Auto mit den Einschusslöchern der Borderline Prozession. Hier unterhielten Ekkehard Freye und Thorsten Bihegue die Besucher auf ihre spezielle Art.

Zum Abschluss des Tages der offenen Tür stieg dann noch das Betriebsfest, bei dem der altgediente Kollege Krüger verabschiedet wurde und der Alleinunterhalter Rene Carmen drei Lieder sang.

Julia Schubert schafft es, zusammen mit dem Ensemble und dem Sprechchor, ein warmherziges Stück auf die Bühne zu bringen. Ein liebevoller und humorvoller Blick auf Typen und Situationen von Menschen, die eben nicht 24 Stunden, sieben Tage die Woche kreativ arbeiten müssen, dafür aber nach 17 Uhr den Stift fallen lassen können. Welches Leben ist das bessere? Das muss jeder Besucher für sich selber entscheiden.

Wann ist wieder Tag der offenen Tür in der Finanzbehöre? Am 01. und am 27. November 2106 oder unter www.theaterdo.de nachschauen.

Die Demokratie auf wackeligem Fundament

Kaum gewählt wird der Abgeordnete (Sebastian Kuschmann) von der Basis (Dortmunder Sprechchor) in die Mangel genommen. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Kaum gewählt wird der Abgeordnete (Sebastian Kuschmann) von der Basis (Dortmunder Sprechchor) in die Mangel genommen. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Die Französische Revolution ist die Geburtsstunde des modernen Europas. Das Bürgertum emanzipiert sich gegenüber dem Adel und wird endgültig politische Kraft. Die Ideale „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ verbreiten sich über ganz Europa. Den ersten Schritt zur Revolution machten die Generalstände, die sich 1789 zur Nationalversammlung erklärten, mit dem Ziel Frankreich eine Verfassung zu geben. Mit dem Erwachen des Volkes erwachte auch der Volkszorn. In „Triumph der Freiheit #1“ nach dem ausgezeichneten Theaterstück „Ça ira (1) Fin de Louis (La Revolution #1)“ von Joel Pommerat geht es um die ersten Schritte der bürgerlichen Gesellschaft im Kampf um politische Macht. Ein Premierenbericht vom 16. September 2016.

Dass das Stück von Pommerat 2015 viele Preise in Frankreich abgeräumt hat, ist wahrscheinlich der Tatsache geschuldet, dass die Französische Revolution in den Genen der Franzosen verankert ist. Bei uns hier ist das eher ein Thema im Geschichtsunterricht. Je nach Aufmerksamkeit erinnert man sich noch an Namen wie Robespierre oder Danton und die Guillotine. Doch wie hat alles angefangen? Regisseur Ed. Hauswirth und Dramaturg Alexander Kerlin zeigen in ihrer Bearbeitung einen kleinen Politkrimi mit Intrigen, Finten und einem König, der vom Schachspieler zur Schachfigur mutiert. In der Inszenierung steht dabei nicht die historische Exaktheit im Mittelpunkt, sondern die Referenzen auf die Jetztzeit. Und davon gibt es mehr als uns lieb sein kann.

Bereits der Beginn ist hochaktuell: Frankreich ist 1789 so gut wie pleite. Staatsbankrott droht. Der Premierminister (gespielt von Andreas Beck) hat einen revolutionären Plan: Alle sollen sich gleichermaßen an den Staatsfinanzen beteiligen. Das kommt bei den privilegierten Ständen von Klerus und Adel gar nicht gut an. Eine Reichensteuer? Unvorstellbar! Daher verlangt der Adel die Einberufung des Generalstände, die seit über 150 Jahren nicht mehr getagt haben. Die einzelnen Stände sollen fein säuberlich getrennt tagen. Schnell ist den Abgeordneten des dritten Standes (Bürgertum) klar, dass sie nur Staffage sind und keinerlei politische Macht bekommen sollen. Die Unzufriedenheit wächst. Aus die Versammlung der Generalstände wird zur Nationalversammlung erklärt. Auf der Seite des Königs wie auch auf der Seite des Volkes wächst die Radikalität.

Ein Historienstoff im modernen Kostüm. Auch wenn das barocke Element in Kleidung oder Haartracht aufgenommen wurde, es wurde oft mit Ereignissen aus der Jetztzeit kombiniert. Der König (Uwe Rohbeck) wird per Videokonferenz zugeschaltet, bei der Berichterstattung über die Pariser Krawalle läuft ein Nachrichtenticker wie bei N24, die Ansprache des Königs auf dem Smartphone ist eine Reminiszenz auf eine ähnliches Ereignis nach dem Putsch in der Türkei.

Doch im Mittelpunkt des Stückes stehen die Diskussionen bei den Vertretern des Dritten Standes. Schon bald macht sich eine Radikalisierung und Aufspaltung in verschiedene Fraktionen breit, deren Gräben immer tiefer werden. Lefranc (Marlena Keil), ist eine radikale Politikerin, die die

Unzufriedenheit des Volkes schürt und mit geheimen Todeslisten arbeitet. Dem Vertreter Carray (Sebastian Kuschmann) wird Verrat an den Zielen des Volkes vorgeworfen. Er bekommt, auch eine kleine Anspielung, eine Torte ins Gesicht. Der Kampf zwischen Gemäßigten wie Gigart (Uwe Schmieder) und Boberlé (Caroline Hanke) und den radikalen Vertretern verläuft nicht immer starr. Es gibt Koalitionen und Zerwüfnisse je nach Entwicklung der Ereignisse.

Ein weiteres Thema in dem Stück spielt die Flüchtlingsproblematik. Hier sind sie keine Bootsflüchtlinge, sondern ausländische Soldaten, die für die Staatsmacht das aufständische Volk bekämpfen. Die Aufstände werden unter dem bekannten Schlachtruf „Wir sind das Volk“ begleitet. Hier verliert die junge Demokratiebewegung auch ihre Unschuld, indem sie gefangene Soldaten töten lässt.

Ein gelungenes Element im Stück war die Bühne. Sie stand in der Mitte des Raumes und war wie eine riesige rechteckige Wippe. Auf großen Federn gelegen zeigte sie die Fragilität der Demokratiebewegung, der Schritt ließ die Bühne in eine andere Richtung kippen.

Die Schauspieler inklusive des Dortmunder Sprechchors zeigten eine sehr kompakte Vorstellung. Herauszuheben ist Uwe Rohbeck als König, der vom mutmaßlichen Entscheider zum Getriebenen wird und trotz des Mantras „Wir schaffen das schon“ am Ende allein da steht. Ein bitteres Bild zum Schluss, als sich alle Figuren von ihm wegdrehen.

„Triumph der Freiheit“ ist mit Sicherheit mehr politisches Theater als historisches. Historische Genauigkeit stand nicht im Zentrum des Stückes, sondern die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und die haben manchmal erschreckende Parallelen zum Heute. Es lohnt sich, dieses Stück anzusehen, denn es wird nicht nur gezeigt, was passiert, wenn die Büchse der Pandora (Volkszorn) geöffnet wird, sondern auch wie Politik in den Hinterzimmern funktioniert.

Weitere Infos unter www.theaterdo.de