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Schräge Ruhrpottkomödie mit Musik und „Omma“

Laut Wikipedia ist Popcornkino eine wenig gehaltvolle Filmproduktion mit vornehmlichen Unterhaltungscharakter. Unterhaltungscharakter ja, aber über das „wenig gehaltvolle“ kann man streiten, denn Unterhaltung kann sehr wohl gehaltvoll sein. Wie komme ich von der Premiere von „Als die Omma den Huren noch Taubensuppe kochte“ am 16. Februar 2019 zum Popcornkino? Weil das Stück im besten Sinne Unterhaltungstheater ist, quasi Popcorntheater.

Aus der Vorlage des gleichnamigen Buches von Anna Basener machte die Regisseurin Gerburg Jahnke eine leicht bekömmliche Theaterkomödie mit Musik. Die Hauptfigur, die „Omma“, wurde von Anke Zillich gespielt. Vor allem zu Beginn interagierte sie sehr aktiv mit dem Publikum und erläuterte erst einmal das Geheimnis eines „Samtkragen“. Das ist ein Getränk aus drei Teilen Korn und einen Teil Boonekamp. Wobei der Boonekamp sachte auf den Korn geschüttet wird. Die Zuschauer spüren sofort, dass Anke Zillich die Omma mit Herz und Leidenschaft spielt.

Die Omma ist auch Dreh- und Angelpunkt des Stückes. Als Hauswirtschafterin in einem Bordell wird sie schnell zur guten Seele für die Huren. Vor allem für Mitzi. Nachdem sie sich den brutalen Zuhälter Herbert entledigt hatten, bauen Mitzi und Omma das Bordell in eine Pension um. Doch Mitzi kann ihr altes Gewerbe nicht vergessen. Dummerweise lacht sie sich den noch brutaleren Blazek an. Jetzt ist guter Rat teuer. Mitzi und Omma täuschen Mitzis Tod vor. Auf der Beerdigung lernt Ommas Enkelin Bianca den Polizisten Bernhard kennen.

Freundinnen fürs Leben: "Omma" (Anke Zillich) und rechts die Hure Mitzi (Frederike Tiefenbacher). Foto: © Birgit Hupfeld
Freundinnen fürs Leben: „Omma“ (Anke Zillich) und rechts die Hure Mitzi (Frederike Tiefenbacher). Foto: © Birgit Hupfeld

Dann überschlagen sich die Ereignisse: Omma verschwindet zu ihrer in Berlin wohnenden Tochter Bianca. Diese entdeckt, dass Mitzis Grab leer ist und plötzlich tauchen Bernhard, die tot geglaubte Mitzi und der brutale Blazek auch in Berlin auf.

Das Stück ist eine Reminiszenz an das Ruhrgebiet und seine Einwohner. Die Omma trägt das Herz immer auf dem richtigen Fleck und geht dabei auch resolut vor. So vertreibt sie Louise, die „über korrekte“ Mitbewohnerin von Bianca, nach einem kurzen, aber heftigen Wortgefecht. Auch Zuhälter Herbert räumt sie aus dem Weg.

Hingegen ist Bianca noch eine Frau, die ihren Weg sucht. Sie versucht sich bisher erfolglos in der Berliner Kreativszene durch das Designen von Unterwäsche. Durch ein Missverständnis gibt ihr Bernhard für Sex Geld, was Bianca völlig verwirrt. Ist sie etwa auch eine Prostituierte? Caroline Hanke spielt die Bianca in ihrer Zerrissenheit sehr schön, gut zu sehen bei der Autofahrt zu Mitzis Grab. Mitzi wird dargestellt durch Friederike Tiefenbacher, die erst im zweiten Teil „leibhaftig“ dazukommt. Ihr fataler Hang nach (älteren) starken Männern bringt die Handlung in dramatische Fahrwasser. Alle anderen Schauspieler (Mario Lopatta, Jens Kipper, Andreas Beck, Louise Kinner, Kevin Wilke, Ralf Kubik) spielen meistens mehrere Rollen. So werden die drei Prostituierten Ulla, Maria und Schantall durch Männer gespielt.

Das Stück ist eine musikalische Komödie, daher gab es auch einige Songs, die von einzelnen oder mehreren Darstellern zu Gehör gebracht wurden. Die Texte stammen von der Autorin des Buches, Anna Basener, die Musik von Tommy Finke. Die Lieder waren gelungen und abwechslungsreich (Schlager, Rock bis hin zum schwermütigen polnischen Walzer). Basener gelang es (vor allem beim Abschlusssong) eine wichtige Botschaft unterzubringen, den Respekt vor den Frauen, die im ältesten Gewerbe der Welt arbeiten: „Du sollst nicht die Damen reizen, die für dich die Beine spreizen.“

Somit komme ich zum Fazit: „Als die Omma den Huren noch Taubensuppe kochte“ ist Popcorntheater im allerbesten Sinne. Gut gemachte Unterhaltung, tolle Schauspieler, viel Musik und gute Laune. Kritiker mögen bemängeln, dass der „Slang“ der Omma zuviel Ruhrpottklischee widerspiegelt, doch Originale bleiben Originale. Es ist eher schade, dass sie mit der Zeit aussterben.

Weitere Infos zu Karten und Termine unter www.theaterdo.de

Theaterstück um soziale Gerechtigkeit und Haltung

Im Studio des Dortmunder Schauspiels hatte am 12.10.2018 „Everything belongs to the Future“ von der feministischen Autorin und Journalistin Laurie Penny unter der Regie von Laura N. Junghanns seine Premiere. Vier Schauspiel-Studierenden der Kunstuniversität aus Graz stellten sich mit diesem Stück im Rahmen ihres einjährigen Aufenthalts in Dortmund als erste Gruppe des neu am Schauspiel Dortmund beheimateten Schauspielstudio als Teil des Ensembles vor.

Die jungen Studierenden hatten sich mit Laurie Pennys bissig-wütend und nachdenklicher Novelle einen aktuell brisanten und schweren Stoff vorgenommen. Das Stück ist in einer dystopischen Gesellschaft der Zukunft im Jahr 2098 in Großbritannien (Oxford) angesiedelt.

Zeit ist zum Luxusgut geworden, das sich eine Elite von Reichen und Hochqualifizierten dank der blauen Pille „The Fix“ leisten können. Vor Jahren unter anderem von dem Wissenschaftler Dave entwickelt, einem inzwischen achtundneunzig jährigen im Körper eines fünfundzwanzig jährigen Mannes. Nur 1% können sich den Luxus leisten, während der Rest in immer prekärer werdenden Lebensverhältnissen vor sich hin vegetieren und unablässig altern. Eine Gruppe, die gemeinsam in einer heruntergekommenen Wohngemeinschaft leben, versuchen sich entgegen zu stellen und planen die Revolte. Zunächst mit Hilfe von Dave, der ein Generikum von „The Fix“ für alle Menschen entwickeln will. Die Situation spitzt sich zu, und die verschiedenen Personen müssen sich entscheiden und Haltung zeigen. Wem kann man trauen?…

Die zwei Welten wurden in der Inszenierung sichtbar getrennt. Die Umgebung im Vordergrund im Gefängnis oder der Wohngemeinschaft wurde eher schäbig und düster mit entsprechendem Mobiliar dargestellt. Im Hintergrund war eine Fläche mit drei Räumen zu sehen. Durch Glasfenster war es dem Publikum erlaubt, in die Welt der Eliten (Universität Oxford, Apotheke Pharmazeuten)) u hinein zu blicken. Im Mittelbereich war durch eine Art Guckloch -symbolhaft – eine größere armlose Büste von Aphrodite (Göttin der Schönheit), um die herum die blauen „The Fix“-Pillen kreisend projiziert wurden.

Auf die Künstler und Bediensteten, die bei der jährlichen Immatrikulations-Feier für die neuen Studenten dabei sind, wird von den Herrschenden herab gesehen. Sie sind für sie nur schmückendes Beiwerk. Parker, einer der Professoren und Pharmazeut, spricht hochmütig zu der kommenden Elite. Kevin Wilke füllt die Rolle des Macht bewussten und arroganten Parker stark aus.

Die Geschichte wird in Rückblicken erzählt. Die junge Nina, enthusiastisch gespielt von Bérénice Brause, erzählt am Anfang ihre Geschichte in Gefangenschaft. Sie ist diejenige aus der Widerstandsgruppe, die ihre „Ideale“ bis zum Ende am konsequentesten verteidigt. Aus Solidarität mit der armen Bevölkerung nimmt sie bis zum Schluss die „Wunderpille“ nicht. Soziale Gerechtigkeit und gleiche Chancen für alle sind der Maßstab. In einem Spiegel hinter ihr kann das Publikum ihren Alterungsprozess, auch bitter enttäuscht von den „Verrätern“, an einer Projektion verfolgen.

Noch denkt Nina (Bérénice Brause), dass Alex (Mario Lopatta) und Dave (Frieder Langenberger) gemeinsame Sache mit ihr machen. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Noch denkt Nina (Bérénice Brause), dass Alex (Mario Lopatta) und Dave (Frieder Langenberger) gemeinsame Sache mit ihr machen. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Ihr Freund Alex, gespielt von Mario Lopatta, steht etwas unsicher zwischen den Welten. Eigentlich auf der Seite des Widerstand, ist er aber auch frustriert durch den jahrelangen erfolglosen Kampf und eher pessimistisch. Das private Glück mit Nina ist ihm zunächst einmal am Wichtigsten. Um es nicht zu gefährden, lässt er sich mit schlechtem Gewissen von der Gegenseite bestechen. Die innere Zerrissenheit wird von dem jungen Schauspieler glaubhaft auf die Bühne gebracht.

Als Entwickler von „The Fix“ hat Dave, sensibel gespielt von Frieder Langenberger, in mehrfacher Hinsicht ein schlechtes Gewissen und will seiner Verantwortung für die Menschen gerecht werden.

Besonders schmerzt ihn, dass der an der Entwicklung beteiligte Freund und Kollege, von den Herrschenden vernichtet und totgeschwiegen wurde.

Die experimentelle elektronische Musik von der Künstlerin Sonae fügte sich wunderbar in das geschehen ein.

Gerechtigkeit, die Rolle des Alterns in der Gesellschaft oder die Aufgabe von Kunst und Kultur sind Angesprochene Themen in der Aufführung.

Die Inszenierung verzichtet auf einseitige Zuweisungen von „gut und böse“. Die Charaktere werden in ihren Konflikten und in ihrer Zerrissenheit und in den gesellschaftlichen Rollen gezeigt. . Es bleibt ( nicht nur) der Jugend überlassen, sich sozialen Ungerechtigkeiten entgegen zu stellen und sie trotz aller negativen Erfahrungen und Schwierigkeiten nicht nur hilflos zu akzeptieren.

Informationen zu weiteren Aufführungsterminen erhalten Sie wie immer unter www.theaterdo.de

oder Tel.: 0231/ 50 27 222.