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Reflexion über Vergänglichkeit und die Schönheit des Moments

Hier trägt der Engel Schwarz: (v.l.n.r.) Frank Genser, Marcel Schaar (Fotograf), Uwe Schmieder, Julia Schubert, Ensemble- (Foto: ©Birgit Hupfeld)

Kann man einen Augenblick für die Ewigkeit festhalten? Diese Frage spielt nicht nur in Goethes Faust beim Packt mit dem Teufel (Mephisto) eine große Rolle. Die Fotografie versucht schon länger, besondere Momente des Lebens für die Zukunft einzufangen. Einerseits kann der Betrachter sich so vergangene Augenblicke wieder in das Gedächtnis rufen, führen uns aber auch die Vergänglichkeit unseres Lebens und die Relativität von Raum und Zeit vor Augen.

Schauspielintendant Kay Voges, drei Dramaturgen und sein gesamtes Ensemble haben zusammen mit dem Kunstfotografen Marcel Schaar versucht, sich der Thematik durch die Verbindung von Fotografie und Theater zu nähern. Am Samstag, den 11.02.02017 hatte im Megastore das Theater-Abenteuer „hell / ein Augenblick“ Premiere.

Wohl einmalig in der Theatergeschichte lichtet ein Fotograf während der Vorstellung live auf der dunklen Bühne ein Motiv ab, das dann direkt in den Zuschauerraum projiziert wird. Helligkeit und Dunkelheit tauschen ihre Plätze. Die Bühne wird zu einer Dunkelkammer, die nur ab und zu durch das Blitzlicht des Fotografen für eine 1/50 Sekunden durchzuckt. Insgesamt etwa 100 mal am Abend.

Zur Erläuterung: Auf der Bühne stehen an den Seiten zwei große Leinwände und zwei Minni-Flutlichtanlagen. In der Mitte befindet sich im Hintergrund eine Art weiße „Magic-Box“ ,wo der Fotograf als „Meister des Augenblicks“ Schauspieler in speziellen Momenten ablichtet. Diese werden als schwarz-weiß Bilder auf die großen Leinwände projiziert. Diese Reduktion verlangt von den Schauspieler/innen viel Mut, denn sie sind es normalerweise gewohnt, ihre Körper deutlich sichtbar dem Publikum zu präsentieren. Die entstehenden Bilder sind berührend ehrlich und zeigen die kleinste Poren im Gesicht und Körper.

Alles fließt, alles steuert der Blitz“ ,sagt Heraklit. So beginnt der Abend mit einer philosophische Abhandlung aus dem „Baum des Lebens“ (Rabbi Isaak, Luria, um 1590) erzählt von Friederike Tiefenbacher.. Es geht darin um die Themen Leben und Licht, Raum und Zeit. Die Schauspieler/innen befinden sich sowohl auf der Bühne und in der „Magic- Box“, wo sie abgelichtet werden. Die Bilder auf der Großleinwand werden von den Schauspielern mit passenden philosophische Texte von Arthur Schopenhauer, Nietzsche, Bertand Russel, Charles Bukowski, Rainald Götz und andere begleitet. Das verstärkte die Wirkung der Bilder.

Als typisch für das, was viele Menschen empfinden, wenn sie fotografiert wurden denken, steht Uwe Schmieder, abgelichtet mit einem Schild „You see me“. Erschrocken ruft er in die Dunkelheit: „Das bin ich nicht, das bin doch nicht ich!“ Andere hingegen finden sich fotogener und rufen: „Das bin ich. So sehe ich aus.“

Es entstehen schöne Bilder von Zuneigung und Liebe, aber auch viele ernste, nachdenklich machende eindrucksvolle Bilder von Vergänglichkeit.

Für das sinnliche Erleben war der sensible begleitende Soundtrack von Tommy Finke und die Musik von Mahler bis Brian Molko/Placebo von großer Bedeutung.

Es war ein meditativer,archaischer Abend mit Nachwirkung. Wenn es um sich nicht erinnern können, Tod und Vergänglichkeit geht, ist das keine leichte komödiantische Kost. Das der Tod nicht gerne gesehen ist, zeigen die Text von Christoph Schlingsensief oder Robert Gernhardt aus dem Jahr 1997. Gernhardts Gedicht „So“ besagt, dass der Mensch in keinem Monat gerne sterben will. Er will immer wieder neue Moment generieren, um sie fest zu halten.

Wenn Politik das Private durchdringt

Auf dem Amt: SA-Mann (Frank Genser, 2.v.l.) will den arbeitslosen Bruder (Carlos Lobo 1.v.l.) der Köchin (Uwe Schmider, 4.v.l.) reinlegen. Noch im Bild sind: Bettina Lieder und Alexander Xell Dafov. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Nach dem großen Ensemblestück „Eine Familie (August: Osage County)“ hat Regisseur Sascha Hawemann in dieser Spielzeit Bertholt Brechts Szenencollage „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ (Zeitraum 1933 – 1938) im Megastore auf die Bühne gebracht. Hawemann sind dabei aktuelle Bezüge zu unserer Problemen mit zunehmen den Einfluss rechtspopulistischer und fundamental islamistischen Gruppierungen im In-und Ausland von großer Bedeutung. Das zeigt sich nicht nur die Beteiligung des 2015 aus Syrien geflohenen Schauspielers Raafat Daboul. Er steht für die vielen, vor der Gewalt in Syrien geflohenen Menschen. Ars Tremonia war am 05.012.2017 bei einer Aufführung anwesend.

Das Publikum wurde durch einen Graben voll Koffer und losen Textblättern von den Schauspielern räumlich weit getrennt. Dieser Graben stand symbolisch für alle Menschen, die als Juden und aus politischen oder anderen Gründen auf „gepackten Koffern“ saßen und und versuchten (so sie konnten) rechtzeitig zu fliehen.

Friederike Tiefenbacher spielt als jüdische Gattin eines deutschen Arztes (Andreas Beck) ein berührendes Beispiel für diese Flüchtlinge. Sie und ihr Mann versuchen verzweifelt, ihren Fluchtversuch als „kurze Reise nach Amsterdam“ zu erklären. Dem Paar und seine Freunden ist die bittere Wahrheit jedoch schon längst klar.

Durch die elf ausgewählten Szenen führte Uwe Schmieder als Bertolt Brecht engagiert. Neben Videobildern von im Hintergrund erfuhr das Publikums von Brechts „Epischen Theater“ und dem V-Effekt (Verfremdung). Er ist der Überzeugung, dass die Menschen sich aktiv für eine gerechtere, angst freie Gesellschaft einsetzen und kämpfen müssen und können. Brecht hat seine Szenen kaleidoskopisch angelegt, Hawemann versucht ein Band zwischen den Szenen zu finden, indem er Figuren öfter auftreten lässt wie beispielsweise das Dienstmädchen Marie. Dazu lässt er Figuren auftreten wie einen an Gustav Gründgens erinnernden „Mesphisto“ auftreten.

Die Auswirkung des Politischen auf das Privatleben sind allen Szenen gemeinsam. Nur ein paar Beispiele dafür: Frank Genser als brutal-zynischer SA-Mann Theo, der seine Lebensgefährtin Marie, gespielt von Bettina Lieder, jeden kleinsten Widerspruch austreibt. Er provoziert zudem seinen seinen arbeitslosen Nachbarn, gespielt von Carlos Lobo, im Spiel um ihn aufs Glatteis zu führen und zu denunzieren. Das Elternpaar (Merle Wasmuth und Carlos Lobo), das sich ausmalt, wie ihr für kurze Zeit verschwundener Sohn (Raafat Daboul) etwas System kritisches gehört haben könnte und sie eventuell denunziert. Andreas Beck spielt einen Amtsrichter, der zu jeder Rechtsbeugung bereit ist, um sich vor unliebsamen Konsequenzen für sich selber zu schützen. Das stellt sich als gar nicht so einfach da.

Die Szenen wurden zwischendurch musikalisch sensibel live und mit verschiedenen Instrumenten von Alexander Xell Dafov untermalt.

Sprachlos und nachdenklich machten gegen Ende das Paar Marie (Bettina Lieder) die Dienstmädchen und Theo (Frank Genser) der SA-Mann. Während ihrer in festlicher Kleidung zelebrierten Hochzeit erzählen die Beiden ohne jegliche Spur von Empathie in allen Einzelheiten von den grausamen Massenexekutionen in der Ukraine durch die deutsche Wehrmacht und ihren ukrainischen. Einen krasseren Gegensatz kann es nicht geben.

Ein Klima der Angst wird von interessierten Kreisen auch in der Gegenwart wieder geschürt. Wird gehen wir damit um?

Weitere Infos und Termine unter www.theaterdo.de

Zwischen Show und Realität

Noch zeigt Katja (Merle Wasmuth) dem Journalisten Pierre (Carlos Lobo) die kalte Schulter. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Noch zeigt Katja (Merle Wasmuth) dem Journalisten Pierre (Carlos Lobo) die kalte Schulter. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Am 21.10.2016 hatte der junge Regisseur Maximilian Lindemann sein Debüt mit dem Stück „Das Interview“ von Theodor Holman nach dem gleichnamigen Film (2003) von Theo van Gogh im Dortmunder Megastore.

Fans des „Studios“ können sich freuen. „Das Interview“ bringt die besondere Atmosphäre der Bühne in den Megastore. Das spannende Kammerspiel zwischen dem 26-jährigen Soap-Star Katja, gespielt von Merle Wasmuth und dem Politik-Journalisten Pierre Petersen (45 Jahre), gespielt von Calos Lobo, findet vor ein kargen Bühne mit zwei geräumigen Ledersesseln und einer langen Ledercouch statt und die übrige Wohnung wird von einem glitzer-behangenem, durchgängigen Vorhang verborgen.

Der Reiz dieses Stoffes liegt vor allem an dem Zusammenprall dieser beiden unterschiedlichen Charaktere. Beide sind dabei absolute Medienprofis. Es geht immer um die Frage, wie komme ich hinter der Oberfläche? Das Stück wirkt wie eine Art Boxkampf mit Worten. Jeder versucht den anderen aus seiner Deckung zu locken, und wie es beim Boxkampf häufig vorkommt, tragen beide am Ende Narben davon.

Katja ist der von einem Millionen-Publikum bewunderte, junge und schöne Star im Showbusiness. Ihr ist klar, dass ihre äußere Hülle das besondere Kapital für ihre Karriere ist. Um ihr Gesicht nicht zu verlieren, setzt sie wie der Journalist immer wieder neue Masken auf. Sie kokettiert dabei geschickt mit Rollenerwartungen und Klischees, so zum Beispiel Drogen, Silikonbrüste oder ständiges Handygebimmel. Sie kann jeden Mann haben, den sie will.

Ihr unterschwelliger Wunsch nach Respekt und Wahrnehmung ihrer Persönlichkeit blitzt dazwischen immer wieder durch.

Pierre ist ein angesehener investigativer Politik-Journalist mit Erfahrung im Balkan-Krieg. Den Unfalltod seiner damals neunjährigen Tochter hat ihn tief getroffen. Nur durch Zufall und Ersatz für einen Kollegen nimmt er eher mit Widerwillen an. Ist dieses Interview nicht unter seiner Würde?

Schon bei ihrer ersten Begegnung sehen sich die beiden Protagonisten sehr lange abschätzend an.

Die (anfängliche) Ignoranz des Journalisten, der den Soap-Star kaum kennt, weiß Katja schlagfertig zu kontern. Es entwickelt sich ein witzig-bissiger Schlagabtausch zwischen den beiden Personen. Wahrheit und Lüge sind da bald nicht mehr zu unterscheiden. Langsam kommt es auch zu einer vorsichtigen Annäherungen zwischen diesen unterschiedlichen Menschen.

Nicht nur ihre Einsamkeit, sondern auch ihre dunklen Geheimnisse kommen am Ende ans Tageslicht.

Merle Wasmuth spielt die schlagfertige Schauspielerin mit Sexappeal in all ihren Facetten glaubwürdig. Das gilt für die witzig-ironischen Momente genau so wie in ihrer Traurigkeit.

Carlos Lobo im edlen Zwirn überzeugt als Politik-Journalist, der hin und her gerissen ist zwischen seinen anfänglichen Ignoranz dem wachsenden Interesse an der Person Katja.

Es ist schon eine schwierige und beachtliche Leistung über anderthalb Stunden das Publikum zu unterhalten und bei der Stange zu halten.

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Liebe oder gesellschaftlicher Aufstieg?

Auch in der Liebe gilt: Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. (v.l.n.r. Bettina Lieder,  Frank Genser, Julia Schubert, Christoph Jöde und Max Thommes) Foto: © Birgit Hupfeld.
Auch in der Liebe gilt: Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. (v.l.n.r. Bettina Lieder,
Frank Genser, Julia Schubert, Christoph Jöde und Max Thommes) Foto: © Birgit Hupfeld.

Immerhin geht es trotz Krise den Friseuren anscheinend prima, zumindest in der Inszenierung von „Kasimir und Karoline“ in der Regie von Gordon Kämmerer, die am 18. September im Megastore Premiere hatte. Die Kostüme und Frisuren wirkten leicht skurril und hatten einen leichten Comic-Touch. Hinzu kamen choreografische Elemente, die aus dem tragikomischen Stück eine flotte Unterhaltungspartie machte. Eben wie auf dem Rummel, Glück und Elend liegen eng beieinander und manchmal ist der Partner auf dem Nachhauseweg ein anderer als auf dem Hinweg.

„Kasimir und Karoline“ von Ödön von Horváth spielt in den Jahren der Weltwirtschaftskrise des 20. Jahrhunderts. Aber das Stück kann problemlos in die Jetztzeit verlegt werden, denn Wirtschaftskrise ist immer noch aktuell. Passend zur Jahreszeit spielt das Stück auf dem Oktoberfest. Kämmerer verzichtete – anders als die Düsseldorfer beim Theatertreffen 2014 – auf eine Verortung in heimische Gefilde.

Kämmerer beginnt mit einer Szene aus einem anderen Stück von von Horváth nämlich „GlaubeLiebeHoffnung“, in der eine Frau ihren Körper an die Anatomie verkaufen möchte. Diese Idee ist nicht neu, denn Jette Steckel hat es 2015 im Thalia Theater ähnlich gemacht. Glücklicherweise geht Kämmerer direkt danach straff zum eigentlich Stück über: Kasimir (Ekkehard Freye) und Karoline (Julia Schubert) möchten einen Abend auf dem Oktoberfest verbringen. Die Stimmung ist getrübt, denn Kasimir hat vor einem Tag seinen Job verloren. Kasimirs depressive Stimmung vertreibt Karoline, die mit dem Zuschneider Schürzinger (Frank Genser) eine passende Begleitung kennenlernt. Kasimir hingegen trifft seinen kriminell gewordenen Freund Merkl Franz (Christoph Jöde) mit seiner Freundin Erna (Bettina Lieder). Doch auch das aufkeimende Glück von Karoline wird gestört, als zwei Herren der gehobenen Gesellschaft, Kommerzienrat Rauch (Carlos Lobo) und Landgerichtsdirektor Speer (Max Thommes) ein Auge auf Karoline werfen.

Trotz der leicht schrillen Inszenierung (Jugendlichen wird‘s vermutlich gefallen), strahlt dieses Stück eine melancholische Stimmung aus. Kasimir, auch wenn er am Schluss mit Erna möglicherweise sein Glück und seine Bestimmung findet, muss den Verlust seiner Liebe Karoline verwinden. Karoline ist in gewisser Weise berechnend, denn sie will auf gesellschaftlicher Ebene aufsteigen und schafft es mit Schürzinger. Denn auch Schürzinger tauscht Liebe für Karriere, er überlässt Karoline seinem Chef Rauch für eine Beförderung. So gesehen passen beide gut zusammen.

Kämmerer inszeniert sein Stück passend für einen Rummelplatz. Schrill, laut, rasant (die umgebauten Carts sind ein Hingucker) und strafft den Horváth. So lässt er beispielsweise die menschlichen Kuriositäten wegfallen. Zwar ist der Beginn aus „GlaubeLiebeHoffnung“ in meinen Augen etwas merkwürdig, der zweite eingebaute Text von Horváth, der kleine Monolog „Die Wiesenbraut“ über die Rolle von manchen Mädchen auf dem Oktoberfest, ist aber sehr passend.

Das Ensemble macht einen guten Job, es harmonisiert sehr und es macht Spaß, ihnen beim der Handlung durch das Festzelt mit den riesigen Weißwürsten zu folgen. Musik gibt es in zwei Varianten: Hauptsächlich durch den Elektronik-Musiker Max Thommes, der passende Rummelplatz-Musik einstreut und dem Fanfaren-Corps 1974 Dortmund-Wickede, der für die entsprechende Bierzelt-Atmosphäre sorgt.

Auf dem Rummelplatz sind alle gleich, sagt Kommerzienrat Rauch einmal. Auf den ersten Blick vielleicht, aber es macht schon einen Unterschied, ob man einmal die teure Achterbahn fahren kann oder öfters. Das Stück und die Inszenierung ist eine absolute Empfehlung, vor allem für junges Publikum.

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Gefangen im Schubladendenken

Hinter der liberalen Fassade brodelt der Nahost-Konflikt. (v.r.n.l.) Amir (Carlos Lobo), Emily (Bettina Lieder) und Isaac (Frank Genser). Foto: © Birgit Hupfeld.
Hinter der liberalen Fassade brodelt der Nahost-Konflikt. (v.r.n.l.) Amir (Carlos Lobo), Emily (Bettina Lieder) und Isaac (Frank Genser). Foto: © Birgit Hupfeld.

Kann sich ein Mensch von seiner Religion lösen? Oder sehen ihn die Mitmenschen immer noch als Muslim, Christ, Hindu, Jude? Ist er immer noch verantwortlich für das, was seine Ex-Religion tut oder nicht tut? In dem intensiven Kammerstück „Geächtet“ von Ayad Akhtar in der Inszenierung von Kay Voges dreht sich alles um die Frage, wie schwer es ist, aus dem Schubladendenken zu entkommen. Die zweite Premiere im Megastore schafft es, ein punktgenaues Kammerspiel in der großen Halle zu kreieren.

Das Stück von Akthar handelt vom erfolgreichen Anwalt Amir und dessen Ehefrau und Künstlerin Emily. Zum gemeinsamen Abendessen haben sich das befreundete Ehepaar Isaac und dessen Frau Jory eingefunden. Jory arbeitet in der gleichen Kanzlei wie Amir. Eine kleine Rolle spielt Abe (Merlin Sandmeyer), der Neffe Amirs. Wer jetzt an „Der Gott des Gemetzels“ von Yasemine Reza denkt, der liegt nicht ganz falsch. Auch wenn „Geächtet“ über mehrere Monate spielt, ist doch das gemeinsame Essen der dramaturgische Höhepunkt.

Amir (Carlos Lobo) hat es geschafft. Der Sohn pakistanischer Eltern hat es als Einwanderungskind zum Anwalt in einer guten Anwaltskanzlei geschafft. Seine Religion hat er ad acta gelegt und fühlt sich eher der USA verpflichtet als seinem Heimatland, das er sogar verleugnet. „Mein Vater ist in Indien geboren, nicht in Pakistan. Pakistan gab es 1946 noch nicht“. Im Gegensatz zu Amir ist seine Frau Emily (Bettina Lieder) seit einiger Zeit in einen Islam vernarrt und zwar aus ästhetizistischen Gründen. Die politische und soziale Komponente des Islams versucht sie zu negieren oder zu verharmlosen. So entstehen schon einige Konflikte mit Amir, der auch die dunklen Seiten des Islams von seinem Elternhaus kennt.

Das zweite Ehepaar Isaac (Frank Genser) und Jory (Merle Wasmuth) wirkt im Vergleich ein wenig blass und konstruiert. Isaac, der Kurator, ist Jude und offensichtlich eher in Emily verknallt, als in ihre Bilder, was auch letztendlich das Fass zum Überlaufen bringt. Jory ist extrem opportunistisch, denn anstatt sich mit Amir solidarisch zu erklären, sie kommt als Schwarze ebenfalls aus schwierigen Verhältnissen, setzt sie ihre Karriere in der Kanzlei auf Amirs Kosten fort.

Schweinefleisch und Wein? Angepasst im „american dream“ bis ins kleinste Detail? Amir bekommt keine Chance. Man steckt einfach Menschen in Schubladen. Schublade „Muslim“ auf und Amir rein. Amir hat sich von seiner Religion losgesagt? „Du hast einen Selbsthass auf den Islam“. Amir möchte weiter Karriere machen in einer jüdischen Anwaltskanzlei? Ob man jemand vertrauen kann, der seiner Frau zuliebe einem Imam im Gefängnis unterstützt hat?

Letztendlich wird Amir das Stigma „Moslem“ nicht los, weil weder Emily noch Isaac oder Jory in ihm einen Menschen sehen, sondern nur eine Projektionsfläche für ihre Bedürfnisse. Die Abschlussszene ist eine Art Tribunal. Hier wird Amir vor allem von seinem Neffen Abe mit den Trümmern seines Lebens konfrontiert. Durch das Scheitern von Amir wird Abe radikalisiert. „Wenn schon du keine Chence bekommt, was soll ich dann tun…“

Kay Voges‘ Inszenierung beginnt mit einem Kniff. Alle Darsteller sind als Albinos mit weißer Haut und roten Augen geschminkt. Das verhindert nicht nur die Problematik mit einem eventuellen Blackfacing von Jory, sondern macht auch deutlich, dass trotz optischer Gleichheit tief im Inneren Vorurteile lauern. Dass das Stück von der ersten Sekunde fesselt, liegt am feinen Zusammenspiel von Lobo, Lieder, Genser, Wasmuth und Sandmeyer. Komplettiert wird das Ganze von einer feinen Videoarbeit von Mario Simon und der Musik von Tommy Finke.

Das Stück hat nicht nur wegen den Diskussionen um die Flüchtlingspolitik eine große Aktualität, es beschäftigt sich auch mit der Frage: Sind wir bereit den Menschen zu akzeptieren wie er ist ohne ihn in Schubladen zu stecken? Unbedingt ansehen!

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Familiäre Kernspaltung

Wer den Tod vor Augen hat wie Violet, kann auch mal Tacheles reden! (v.l.n.r.) Andreas Beck, Marlena Keil, Frank Genser, Carlos Lobo, Bettina Lieder, Merle Wasmuth, Janine Kreß und Friederike Tiefenbacher. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Wer den Tod vor Augen hat wie Violet, kann auch mal Tacheles reden! (v.l.n.r.) Andreas Beck, Marlena Keil, Frank Genser, Carlos Lobo, Bettina Lieder, Merle Wasmuth, Janine Kreß und Friederike Tiefenbacher. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Die Familie ist der Kern der Gesellschaft, so heißt es. Und wenn es zur Kernspaltung kommt, dann entsteht auch zerstörerische Energie, die wehtut und Narben hinterlässt. Wenn dann noch ein gut gehütetes Geheimnis wie eine Bombe in die Familie platzt, sind wir bei „Eine Familie“ von Tracy Letts in der Inszenierung von Sascha Hawemann. Ein Premierenbericht.

„Eine Familie“ ähnelt ein wenig dem Stück „Das Fest“, das von Kay Voges vor einigen Spielzeiten inszeniert wurde. In beiden Stücken geht es um den Zerfall einer Familie, wobei beim „Fest“ ein dunkles Geheimnis des Familienpatriarchen im Mittelpunkt stand, während bei der „Familie“ die Matriarchin und ihre Töchter ein bitteres Resümee ihres Lebens ziehen müssen.

Kurz zur Geschichte: Nachdem der alkoholkranke Beverly eine Pflegekraft für seine krebskranke und tablettensüchtige Frau Violet gefunden hat, verschwindet er. Violet ruft ihre Schwester sowie ihre drei Töchter zu sich, später kommt die Nachricht über Beverlys Selbstmord. Auf der Trauerfeier eskaliert die Situation.

Schmutzige Wäsche waschen ist ein viel zu harmloser Begriff, was in den mehr als drei Stunden auf der Bühne von Sascha Hawemann passiert, es ist eine knallharte Abrechnung der Matriarchin Violet (Friederike Tiefenbacher), die erkennt, dass ihr Matriarchin-Gen in ihren Töchtern nicht weiterlebt. Barbara (Merle Wasmuth) wird von ihrem Mann Bill (Carlos Lobo) verlassen und ihre 14-jährige Tochter Jean (Marlena Keil) entgleitet ihr. Karen (Bettina Lieder), der Typ Karrierefrau, hat mit ihrer neuen Eroberung zur Verwirklichung ihrer Kleinmädchenträume auch keinen Glückstreffer gelandet, denn Steve (Frank Genser) macht sich an Jean ran. Ivy (Julia Schubert) ist die tragische Gestalt des Stückes, denn die jüngste Tochter, die noch in der Nähe ihrer Mutter wohnt und von ihr nicht ernst genommen wird, erlebt bei ihrem Emanzipationsversuch – sie will mit ihrem Cousin Little Steve (Peer Oscar Musinowski) nach New York – eine persönliche Katastrophe. Dazu bekommt auch Violets Schwester Mattie Fae (Janine Kreß) mit ihrem Mann Charlie (Andreas Beck) ordentlich ihr Fett weg.

Jeder der Charaktere in dem Stück ist nicht ohne Fehler, und solche aufzudecken ist die Spezialität von Violet, die mit ihrem Mundhölenkrebs die „passende“ Krankheit hat, denn aus ihrem Mund kommen fast nur Gehässigkeiten.

Während die Elterngeneration noch Werte und Ideale der 68er Generation hochhält, nicht umsetzt erscheinen auf der Drehbühne Begriffe aus dem Gedicht „The hollow men“ von T.S. Eliot, in dem es um den moralischen Verfall der Gesellschaft geht, die letztlich daran zugrunde geht. Die Warnerin vor diesem Verfall ist Violet. Ihre Töchter sind alles Produkte einer narzisstischen Gesellschaft, die letztlich aber scheitern. Oft hält Violet ihren Töchtern das Alter vor. „Du kannst mit einer jüngeren Frau nicht mithalten“, wirft sie Barbara an den Kopf.

Hawemann nutzt in seiner Inszenierung exzessiv die Drehbühne und fordert von seinen Schauspielern höchsten Einsatz. Besonders beeindruckend war das Konterfei von Beverly (ebenfalls gespielt von Andreas Beck) während der Trauerfeier. Als schwebte sein Geist noch über der Familie.

Eine kleine, aber wichtige Rolle spielte Alexander Xell Dafov als unterstützende Pflegekraft Johnna, der auch noch live die Musik auf der Gitarre und dem Akkordeon spielte.

Ein monumentales Stück, das vor allem nach der Pause an Schwung und Dramatik gewinnt. Hier stehen nicht nur die Frauen im Mittelpunkt, sondern auch der Wertewandel von Generation zu Generation. Von einer Familie zu einer Gemeinschaft, mit der man nur zufällig genetisch miteinander verbunden sei, wie zu Ivy ihren Schwestern sagt. Nicht mehr von „Blut ist dicker als Wasser“. Hier werden Familienbande nicht nur gelöst, sondern auch radikal gekappt.

Auch die Frage „Was machen wir mit Mutter?“ steht im Raum. In Hawemanns Inszenierung bleibt letztendlich Barbara bei ihr, da sich ihr Familienglück komplett aufgelöst hat, während Ivy und Karen das Weite suchen.

Am Ende lauert der Faschismus

Caroline Hanke als desillusionierte Elektra im ländlichen Exil. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Caroline Hanke als desillusionierte Elektra im ländlichen Exil. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Elektra gegen Klytaimnestra. Revolte gegen Ordnung. Alexander Kerlin schuf aus dem Familiendrama „Elektra“ von Euripides ein wortgewaltiges Gesellschaftsdrama. Was passiert, wenn sich der ewige Kampf zwischen Revolution und unbedingten Machterhalt abnutzt? Dann entsteht aus dem Chaos etwas viel schlimmeres: Der absolute Vernichtungswillen. Etwas, das skrupellos genug ist, ohne mit der Wimper zu zucken, 100 Millionen Menschen umzubringen. Ein Premierenbericht vom 07. Februar 2015.

Die Geschichte bleibt im wesentlichen die alte: Elektra, zwangsweise mit einem Bauern verheiratet, sinnt auf Rache an ihrer Mutter Klytaimnestra. Diese hat ihren Mann und Elektras Vater Agamemnon umgebracht und ihren Liebhaber Aighist zum König ernennen lassen. Die Hoffnung auf Rache wächst, als Elektras totgeglaubter Bruder Orest auftaucht, im Schlepptau seinen Freund Pylades. Endlich kann es zum Showdown kommen, doch am Ende spielt Pylades seinen letzten Trumpf aus.

Im ersten Teil von Kerlins Neubearbeitung treffen zwei Systeme aufeinander. Das Prinzip „Machterhalt“ mit dem Motto „In unserem erfolgreichen Staat, der gut ist und ohne Alternative“ gegen die Revolte. „Ich lehne deinen Staat ab, Seine Freiheit ist die größte Heuchelei“ schreit Elektra ihrer Mutter vor ihrer geplanten Hinrichtung zu. „Lieber das Nichts als dieses Leben“.

Doch in der großen „Beschimpfungsszene“ wird deutlich, wie sich Mutter und Tochter doch ähneln. „Unsere Mittel gleichen sich und wer am Ende Recht hat weiß der Geier“, so Klytaimnestra zu Elektra.

Orest klingt am Anfang ebenfalls revolutionär, dabei ein wenig naiv. Er will „mit seinem letzten blutigen Schlag den Kreislauf des Tötens durchbrechen“. Für ein goldene Zeitalter, das gerechtere Menschen und eine bessere Ordnung der Dinge schafft. Auf zum letzten Gefecht. Doch sein Ziel Aighist zu töten, schafft er nicht, denn „Aighist ist überall. Er ist nirgendwo. Überall und nirgendwo“, verzweifelt Orest, der statt des Kopfes des Königs einen Schweinskopf mitgebracht hat.

Nachdem Elektra Klytaimnestra ermordet hat, scheint die Revolution doch geglückt, oder? Es ist Pylades, der Freund von Orest, der das Ruder an sich reißt. Aus dem schweigsamen Pylades wird der totalitäre Pylades. Nachdem er einen Ledermantel anzieht, der gewisse Ähnlichkeit mit einem Gestapo-Mantel hat, beginnt er seinen Monolog. Der erinnert in Teilen an rechte Ökos, die „um die Erde zu retten“, auch einen Großteil der Menschen vernichten würde. So redet auch Pylades. „14 Milliarden Füße. Der Erdball schreit um Hilfe.“ dagegen hilft nur „Erstmal bringen wir testweise 100 Millionen Menschen um. Und das einzige, was uns dann noch hilft, ist noch mal 100 Millionen umzubringen. Und so weiter.“

Alexander Kerlin präsentiert uns einen Kampf der Systeme, der nach dem Motto endet „wenn zwei sich streiten freut sich der Dritte“. Ruhig und gelassen wartet Pylades auf seine Chance, die kommen wird, wenn sich beide Systeme erschöpft haben. Eine ähnliche Situation wie in den 30er Jahren in Deutschland.

Sehr stark in dem Stück waren die beiden Frauenrollen der Elektra und der Klytaimnestra. Caroline Hanke war nach ihrer Zeit im Mutterschutz wieder voll aktiv, wie man sofort zu beginn sah, als sie sich mit gymnastischen Übungen auf eine Art von Einsatz vorzubereiten schien. Friederike Tiefenbacher spielte eine Klytaimnestra als „Diva der herrschenden Klasse“. Elegant, aber auch festkrallend an der Macht war sie eine ebenbürtige Gegnerin von Elektra.

Peer Oscar Musinowski zeigte einen Orest, der an seiner Aufgabe Aighist zu töten scheitert. „Die Tragödie ist aus“, verzweifelt er. „Da ist kein Feind mehr, der eure Freiheit unterdrückt“. Musinowski bringt diesen Zwiespalt zwischen den energischen Orest zu Beginn und dem desillusionierten Orest gegen Ende des Stückes gut auf die Bühne.

Carlos Lobo hat eine sehr spannende Rolle, denn er spielt den Pylades. Der sagt erst einmal gar nichts und steht wie ein Unbeteiligter im Hintergrund. Erst am Ende, als sich die Kräfte der Revolte und des Beharrens erschöpft haben, kommt er zu seinem großen Auftritt.

Der Bauer/Henker wurde von Frank Genser dargestellt. Der Henker, der eigentlich Elektra töten sollte, bekommt sie zur Frau und wird Bauer. Aus einem Werkzeug der Mächtigen entwickelt der Charakter eine Art „Stockholm-Syndrom“ und stellt sich auf die Seite Elektras. Doch sein Henkerhandwerk scheint noch nicht vergessen, er dient sich Pylades an. „Wo echte Not herrscht, wird mein Handwerk noch geschätzt.“

Mit viel Humor spielten auch die Chormitglieder Bettina Lieder und Merle Wasmuth ihre Rollen. Der Chor, der das Volk symbolisiert stellte sich je nach Situation immer auf die Seite derjenigen, die gerade obenauf war.

Regisseur Paolo Magelli stellte in „Elektra“ die Schauspieler in den Mittelpunkt seiner Inszenierung. Das Bühnenbild war reduziert. Das Feld des Bauern wurde mit Schottersteinen dargestellt, um die Kargheit des Bodens zu symbolisieren. Einfache Tische und Stühle.

Daneben gab es Videoeinblendungen mit Klytaimnestra und Elektra und Orest als Kindern. In dieser Art Rückblende versucht die Mutter ihren Kindern die „wahre“ Geschichte von Helena, Paris und Agamemnon zu erzählen. Ihre Kinder schreien aber „Du lügst, du lügst!“

Die Musik kam von einer Liveband mit dem musikalischen Leiter des Schauspiels Paul Wallfisch sowie Geoffrey Burton und Larry Mullins. Ihre Musik war avantgardistisch, manchmal laut, aber nicht schrill und passte sich dem Geschehen auf der Bühne an.

Elektra wurde entscheidend gegen den Strich gebürstet und mit vielen Anspielungen aus der Jetztzeit versehen. Das ist ein Verdienst der Textbearbeitung von Alexander Kerlin. Ein sehenswertes Stück.

Im Fegefeuer der Eitelkeiten

Der Moment der Wahrheit, als Johan erzählt, er habe eine Geliebte.  Friederike Tiefenbacher Carlos Lobo Bettina Lieder Uwe Schmieder Julia Schubert Frank Genser Merle Wasmuth. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Der Moment der Wahrheit, als Johan erzählt, er habe eine Geliebte. Friederike Tiefenbacher, Carlos Lobo, Bettina Lieder, Uwe Schmieder, Julia Schubert, Frank Genser und Merle Wasmuth. (Foto: © Birgit Hupfeld)

„Love is a Battlefield“, sang Pat Benatar im Jahre 1983. Und in dieses Schlachtfeld geraten Johan und Marianne nach zehn Jahren Ehe. Urplötzlich und heftig. Claudia Bauer nahm sich „Szenen einer Ehe“ von Ingmar Bergman vor und verwandelte den Film in eine besondere Bühnenfassung mit multiplen Johanns und Mariannes. Ein Premierenbericht.

Johann und Marianne führen seit zehn Jahren eine mustergültige Ehe. Sie haben zwei Kinder, Erfolg im Beruf und sind der Ansicht, dass sie ihre Konflikte offen besprechen können. Doch plötzlich erklärt Johann, dass er sich in ein junge Frau namens Paula verliebt habe und verlässt sie. Für Marianne bricht eine Welt zusammen, doch nach einiger Zeit lernt sie, mit den Geschehnissen umzugehen. Dennoch bricht die aufgestaute Aggression am Ende durch.

Stecken in einem Menschen nicht mehr als eine Persönlichkeit? Mal muss man die devote oder die freundliche Gesicht zeigen. Manchmal präsentiert man auch hässliche Fratze. Aber man muss funktionieren, ob im Beruf oder in der Familie. Regisseurin Claudia Bauer lässt Marianne und Johan in vier Paare aufspalten, die völlig unterschiedlich mit der Katastrophe der Trennung umgehen (müssen). Vom Flehentlichen „Bitte bleib doch“, bis hin zum Wütend werden, all das zeigen die unterschiedlichen Mariannes in der Szene als Johan zu Paula geht.

Wie konnten Johan und Marianne es nur zehn Jahre aushalten und zwei Kinder bekommen? Durch Verstellung und durch Verleugnung der eigenen Wünsche. Besonders schön zu sehen in der ersten Szene: Katarina und Peter zwei Freunde von Johann und Marianne kommen zu Besuch. Alle tragen Masken, um ihre wahren Gefühle nicht gegenüber ihren Freunden zu zeigen. Die „wilde“ Art mit der Katarina und Peter ihre Ehe und Streitigkeiten austragen, irritiert Marianne und Joahnn.

Dass die unterdrückten Aggressionen bei Marianne und Johann brodeln, wurde in der nächsten Szene deutlich. Ihre Versuche aus dem täglichem Einerlei auszubrechen, sind zum Scheitern verurteilt. Brav bleiben sie hinter Schafsmasken versteckt, aber wollen den jeweiligen Partner mit dem Telefon eins überbraten.

Besonders komisch wurde es vor allem in der Szene. Als Johan, in dem Fall Carlos Lobo, bei einem Wiedersehen ein paar Jahren nach der Trennung erkennt, dass seine inzwischen starke Ex diese anscheinend besser verarbeitet hat als er selber. Der „weinerliche Johan“ lässt sich von allen Seiten trösten und klagt sein Leid über die „anstrengende“ Geliebte Paula.

Das ganze Stück hindurch wird auch musikalisch mit einem Soundtrack begleitet. Vom positiven „(You make me feel) Mighty Real“ von Jimmy Somerville zu Beginn über das verzweifelte „Jolene“ von Dolly Parton als Johan Marianne verlässt bis hin zum „Love Hurts“ von Roy Orbinson am Ende werden die Emotionen musikalisch verarbeitet. Teilweise singen die Schauspieler auch live.

Am Ende haben die beiden wieder ein gemeinsames Verhältnis gefunden. Als gute Freunde, die heimlich im Landhaus ihrer Leidenschaft frönen können, ohne gesellschaftliche Verpflichtungen oder irgendwelche Rollens spielen zu müssen.

Respekt an alle Schauspielerinnen und Schauspieler, die vier Mariannes und Johans gespielt haben. Dabei waren Frank Genser, Sebastian Kuschmann, Bettina Lieder, Carlos Lobo, Uwe Schmieder, Julia Schubert, Friederike Tiefenbacher und Merle Wasmuth.

Ein oft grotesk-komisches und sehr direktes Schauspiel.

Hamlet-Konzentrat mit Überwachungskameras

Gertrud, die Königin, Hamlets Mutter, nun Frau des Claudius: Friederike Tiefenbacher Claudius, König von Dänemark: Carlos Lobo Laertes, Polonius' Sohn: Christoph Jöde. (Foto: © Edi Szekely)
Gertrud, die Königin, Hamlets Mutter, nun Frau des Claudius: Friederike Tiefenbacher
Claudius, König von Dänemark: Carlos Lobo
Laertes, Polonius‘ Sohn: Christoph Jöde. (Foto: © Edi Szekely)

Am Ende von „Hamlet“ stand ein typischer Voges-Gag. Frank Genser und Uwe Schmieder, seit Beckets Lum und Purl ein kongeniales Duo, standen als Wum und Wendelin auf der Bühne und riefen ständig „Wir machen jetzt politisches Theater“, während die Zuschauer ermuntert wurden Tweets zu senden, bis sich der Saal leerte. Wie heißt es so schön, wenn sie nicht gestorben sind, dann rufen sie noch heute. Nur Schade für die Schauspieler, sie erhielten nicht ihren verdienten Applaus und Regisseur Kay Voges nicht die Reaktion der Zuschauer auf seine Inszenierung.

Hamlet. Ein Klassiker. Nicht totzukriegen. Kay Voges sah in dem Stoff von Shakespeare Hamlet nicht als Zauderer, sondern als Überwachten. Diese Interpretation gibt es Stoff mühelos her. Polonius lauscht ständig hinter irgendwelchen Vorhängen und Rosencrantz und Guildenstern werden als Spione auf Hamlet angesetzt.

Voges modernisiert das Stück und bringt es in die Gegenwart. Gleich zu beginn wird das Grundgesetz (repräsentiert vom alten König Hamlet) mit der Begründung „Kampf dem Terror“ quasi ermordet. Danach entwickelt sich eine Tragödie mit Überwachung, Schaffung eines Übermenschen und vielen Toten. Nichts für Freunde von werkgetreuen Inszenierungen, denn neben Shakespeares Text gibt es zeitgenössisches Material zum Thema Überwachung und Leben in der Moderne.

Fünf Video-Kameras und eine Kinect-Kamera sorgen für ein riesiges Überwachungsbild. Mittels Videobearbeitung können wir Bilder aus jedem Raum des Königsschlosses sehen. Voges schafft aus dem Stoff „Hamlet“ eine Überwachungs-Exegese, die mit Elementen aus populären Fernsehsendungen wie etwa „Big Brother“ spielt. War bei „Das Fest“ noch für den Zuschauer deutlicher zu sehen, wie der Film im Hintergrund live entstand, ist bei „Hamlet“ diese Transparenz verloren gegangen. Der „Container“, indem die eigentliche Handlung stattfindet, ist für den Theaterzuschauer nicht einsehbar. Intransparenz in einer Geschichte über die allgegenwärtige Transparenz von Daten und Vorgängen. Wir agieren wie jemand, der diverse Monitore in einer U-Bahn-Station oder in einem Kaufhaus überwacht. Überall scheint etwas zu passieren.

„Hamlet“ als Überwachungsdrama zu inszenieren ist so verkehrt nicht, das Konzept ist schlüssig. Doch Berater Polonius als eine Art Dr. Frankenstein in Szene zu setzen, der an einer perfekten Symbiose von Mensch und Maschine bastelt (der alte König Lear wird in den transhumanen Fortinbras verwandelt), ist meiner Meinung nach ein wenig überdreht.

Technisch ist der „Hamlet“ auf einer hohen Stufe angelangt. Video, Sound und Musik verschmelzen zu einer Symbiose und zusammen mit den Schauspielern entwickelt sich eine Form von Zwitter zwischen Film und Schauspiel. Doch man kann auch bemängeln, dass die Schauspieler von der Technik in den Hintergrund gespielt werden. Schön zu sehen, wenn Hamlet (Eva Verena Müller) oder Laertes (Christoph Jöde) nach vorne auf die Bühne kommen. Sie wirken unter der Riesenleinwand ein wenig klein und unbedeutend.

Die Hauptrolle hatte Eva Verena Müller inne. Im Batman-Kostüm, mit blonder Perücke und Nerdbrille spielte sie einen „Hamlet“, der vielleicht gerne ein Superheld sein möchte, aber viel zu zögerlich ist und letztendlich an seiner Aufgabe – der Rache an seinen Vater – scheitert. Bettina Lieder spielte eine zarte zerbrechliche Ophelia, im Ballettkleid, die ein wenig hilflos durch die Handlung irrt. Publikumsliebling Christoph Jöde spielte den Laertes in Uniform. Bestimmt entschlossen. Zu tun, was zu tun ist. Letztendlich als Gegenteil von Hamlet. Beide gehen in einem Showdown oder besser „Shootdown“ unter. Carlos Lobo als König Claudius hatte ein wenig Ähnlichkeit mit Graf Orloc aus „Nosferatu. Er spielte ihn als reinen Machtmenschen. Frederike Tiefenbacher spielte die Mutter Hamlets ebenfalls nur eine Nebenrolle. Michael Witte gab einen Polonius in der Variante „verrückter Wissenschaftler“, während Sebastian Kuschmann die merkwürdigste Rolle hatte: Er spielte nicht nur den alten König, sondern auch den als künftigen Übermenschen angelegten Fortinbras.

Für Shakespeare-Puristen ist dieser Hamlet mit Sicherheit nicht gedacht. Die Bücher können also getrost zu Hause gelassen werden. Wer sich auf ein Konzentrat einlässt, in der die Technik eine wesentliche Rolle spielt, sollte den Versuch wagen und sich Voges‘ Inszenierung anschauen. Nicht zögern wie Hamlet, es braucht schon etwas Mut.

 weitere Termine sind: SO, 21. SEPTEMBER 2014, MI, 01. OKTOBER 2014. FR, 14. NOVEMBER 2014, FR, 12. DEZEMBER 2014, SA, 27. DEZEMBER 2014, DO, 08. JANUAR 2015, SA, 14. FEBRUAR 2015, MI, 04. MÄRZ 2015, SO, 12. APRIL 2015 und DO, 21. MAI 2015

Karten und Infos unter 0231 50 27 222 oder www.theaterdo.de

Wenn Angst ein schlechter Ratgeber ist

Wie? Die Stadtgesellschaft ist mit unseren Entscheidungen nicht hochzufrieden? (v.l.n.r. Uwe Schmieder, Bettina Lieder, Julia Schubert, Carlos Lobo, Ekkehard Freye und Eva Verena Müller). Foto: ©Birgit Hupfeld
Wie? Die Stadtgesellschaft ist mit unseren Entscheidungen nicht hochzufrieden? (v.l.n.r. Uwe Schmieder, Bettina Lieder, Julia Schubert, Carlos Lobo, Ekkehard Freye und Eva Verena Müller). Foto: ©Birgit Hupfeld

„Autschland d’amour“ wurde am 03. Mai zusammen im Doppelpack mit Gogols Komödie „Der Revisor“ aufgeführt. Aus „Stadt der Angst“ wurde „Stadt in Angst“, denn die Stadtverwaltung erwartet die Ankunft eines Revisors. Und jeder hat Dreck am Stecken.

Nicolai Gogol schrieb die Komödie zwar schon 1835, um die Verhältnisse im zaristischen Russland auf die Schippe zu nehmen, doch seien wir ehrlich: Solange es Korruption gibt, bleibt sein Stück brandaktuell wie damals.

Wenn die goldenen Jacken nicht gewesen wären, hätte man denken können, die Schauspieler hätten sich für einen Film von Tim Burton zurechtgemacht mit ihren schwarzen dunklen Ringen um die Augen. Diese Ästhetik wurde dadurch noch verstärkt, in dem im Hintergrund düstere schwarz-weiß Zeichnungen von Dortmunder Sehenswürdigkeiten über eine Leinwand flimmerten. So konnte der geneigte Zuschauer den RWE-Tower, das Dortmunder U oder das Westfalenstadion erkennen, um auch visuell zu zeigen: Ja, wir sind in Dortmund.

Regisseur Marcus Lobbes hatte sich für den „Revisor“ etwas besonderes ausgedacht. Die Stadtverwaltung, bestehend aus sechs Schauspielerinnen und Schauspieler, sprach wortwörtlich mit einer Stimme. So wurde aus einem individuellem versagen eine Art kollektives Versagen. Der Dortmunder Sprechchor, der auf dem oberen Rang des Schauspielhauses platziert war, sprach die Rolle der Stadtgesellschaft, die die Handlungen der Stadtoberen kommentierte. Wenn man so will, ein Duelle zweier Sprechchöre. Die Rolle des Chlestakow, des vermeintlichen Revisors, wurde unter den Akteuren auf der Bühne verteilt. Mittels einer Maske wurde deutlich gemacht, dass Chlestakow spricht. Neben dem erwähnten Dortmunder Sprechchor spielten auf der Bühne Ekkehard Freye, Bettina Lieder, Carlos Lobo, Eva Verena Müller, Uwe Schmieder und Julia Schubert mit viel Gefühl für Komik und Ironie.

„Der Revisor“ ist ein schönes Beispiel dafür, was Ängste aus Menschen macht, die ansonsten alles im Griff zu scheinen haben. Rationales Denken? Fehlanzeige. Kritisches Nachfragen? Nö, warum? So konnte Chlestakow, der eigentlich ein einfacher kleiner Beamter ist und zudem überhaupt kein Geld hat, für einen Revisor gehalten werden. Darüber hinaus schien es für die Stadtoberen so, als ob die übliche Herangehensweise (Schmiergelder) auch hier verfängt. Und wer hätte sich nicht über die großzügigen Geldgeschenke gefreut, die ihm die Stadtoberen förmlich aufdrängten? Sogar die Frau des Bürgermeisters, die ebenfalls von allen gesprochen wurde, wäre freiwillig mit dem „Revisor“ in die Hauptstadt geflüchtet.