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Schimmelpfennigs „Das Reich der Tiere“ mit persönlicher Brisanz

Mit der Premiere von „Das Reich der Tiere“ (Roland Schimmelpfennig, * 1967 Göttingen) unter der Regie von Thosten Bihegue startete das Schauspiel Dortmund am 05.10.2019 in die neue Spielzeit 2019/20. Um es vorweg zu nehmen. Ja, die bissig-ironische Komödie „Das Reich der Tiere“ bekam natürlich durch den anstehenden Wechsel der Intendanz im Schauspiel ab der nächsten Spielzeit auch eine persönliche Note.

Das Schauspielmilieu mit seinen besonderen Gesetzen und Unsicherheiten für die Ensemble- Mitgliedern steht ja im Mittelpunkt dieser Parabel. Enthalten ist zudem eine viel weitergehende gesellschaftliche Kritik und Offenlegung der Mechanismen des kapitalistischen Systems.

Im Stück führen sechs Schauspielerinnen und Schauspieler seit sechs Jahren ein Tier-Musical auf.

Als Löwe (Christian Freund), Zebra (Ekkehard Freye), Ginsterkatze (Marlena Keil), Marabu (Frank Genser), Schildkröte (Bettina Lieder) und elegante Antilope (Alexandra Sinelnikova) erzählen sie vom Reich der Tiere. Hier regiert zunächst das Zebra, bis ihm der Löwe den Platz als Herrscher streitig macht. Beide müssen sich in brenzliger Situation vor einem Brannd und gegen das gefährliche Krokodil helfen und zusammenhalten. Aber hält der Friede lange an?

Nun soll das Stück abgesetzt werden, etwas Neues soll her. Die Unsicherheit, Neid und Missgunst, Vermutungen, eigene Träume und ganz persönliche Ängste machen sich unter den SchauspielerInnen breit. Jeder versucht, seine Chancen auszuloten und kämpft für sich. Bitter dabei ist, alle sind durch ihre langjährige Tierrolle zu namenlosen Darstellern degradiert, und keiner kennt sie wirklich als Person.

Solidarität oder Alle gegen Alle. Und die Frage: Lässt sich das Darstellerprekariat auf jeden Job ein? "Das Reich der Tiere" mit u.a.  Christian Freund, Alexandra Sinelnikova, Marlena Keil und Frank Genser. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Darstellerprekariat auf jeden Job ein? „Das Reich der Tiere“ mit u.a. Christian Freund, Alexandra Sinelnikova, Marlena Keil und Frank Genser. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Das Zebra, Schauspieler Frankie, versucht in seiner Wohnung Informationen zum neue Stück „Garten der Dinge“ von der Regisseurin (wunderbar gespielt von Bettina Lieder) zu bekommen und Vorteile für sich erlangen, indem er zur Lesung zu diesem Stück geht. Doch das geht schief. Ernüchtert spielt er später sogar in einem Werbespot mit

Obwohl eigentlich niemand (vor allem die Ginsterkatze) bei dem „Garten der Dinge“ mitmachen will, lassen sich am Ende als entpersönlichte „Dinge“ wie etwa eine Ketchupflasche, Toaster, Pfeffermühle oder Spiegelei in diesem surrealen Stück einsetzen.

Die Inszenierung stellte das Ensemble neben der schauspielerischen auch wieder einmal vor physische Herausforderungen. Choreografien und musikalische Anforderungen, ob punkig-rockig oder leiser, wurden von ihnen gemeistert. Das dieses Ensemble auch musikalische Qualitäten hat , bewies es ja schon öfter. Die verschiedenen Charaktere (Symbolhaft bei den Tieren) wurden mit großer Intensität und Körperlichkeit für die ZuschauerInnen auf die Bühne gebracht.

Künstliche Kakteen und andere Requisiten sorgten auf der Bühne für den passenden Hintergrund. Auf einer erhöhten Plattform spielen Serge Corteyn und Manuel Loos Live-Musik zur atmosphärischen Begleitung des Abends.

Die Kostüme waren sehr fantasievoll von Theresa Mielich gestaltet.

Ein komödiantisch-ironischer Theaterabend, der das Publikum trotz des ernsten gesellschaftlichen Hintergrund zum lachen brachte.

Wäre es doch besser für uns und die Gesellschaft allgemein, sich nicht spalten und gegeneinander ausspielen zu lassen. Wären Zusammenhalt und Solidarität gegen das „Krokodil“ eine Möglichkeit?

Informationen über weitere Aufführungstermin erhalten Sie wie immer unter www.theaterdo.de oder Tel.. 0231/ 50 27 222.

Hedda Gabler – destruktiv aus Langeweile

Das hatte sich Hedda irgendwie anders vorgestellt: Die Ehe mit dem Gelehrten Jörgen Tesman ist nicht im geringsten aufregend, zumal seine Ernennung als Professor in den Sternen steht, die alte verschmähte Jugendliebe wird plötzlich erfolgreich und selbst einfältige Landfrauen wie Frau Elvsted begehren aus ihrer kleinbürgerlichen Welt auf. Für Hedda steht fest: The thrill is gone. Langeweile macht sich breit und diese Langeweile gebiert Monster. Um ihre bürgerliche Sicherheit und die positive Perspektive für ihren Ehemann zu erhalten, macht sich Hedda dran, Menschen zu manipulieren und zu zerstören. Sie schafft sie es nicht, sich zu emanzipieren und für ihre Jugendliebe Lövborg zu entscheiden. So endet sie schließlich tragisch. Regisseur Jan Friedrich durchbricht in seiner Inszenierung das naturalistische Stück und erzählt es als Art Seifenoper mit Lachern vom Band. Ein Premierenbericht vom 15. Februar 2019.

Die literarische Figut der Hedda Gabler von Henrik Ibsen kommt nicht gerade sympathisch daher. Sie hasst ihren Ehemann Jörgen und seine Tante Julle, ist eifersüchtig auf ihre Bekannte Thea Elvsted, da sie zusammen mit Heddas Jugendliebe Lövborg ein neues Leben plant. Daher versucht sie das Leben von Lövborg und Thea zu zerstören. Nebenbei hat sie noch ein Verhältnis mit dem Hausfreund Brack. Auf einer Sympathieskala von 0 bis 10 würde sie wahrscheinlich im Negativbereich landen.

Das große Problem von Hedda ist, dass sie aus einer gutbürgerlichen Schicht (sie ist die Tochter eines Generals) durch die Heirat mit Jörgen Tesman in die Kleinbürgerlichkeit abgestiegen ist. Ihre einzige Hoffnung ist, dass ihr Mann eine Professorenstelle bekommt und dadurch ihr sozialer Status wieder steigt. Doch mittlerweile hat sich in ihrem Leben die Langeweile breit gemacht.

Auch der perfekte Hausmann Jörgen (Ekkehard Freye) kann Hedda (Bettina Lieder) nicht aus ihrer Langeweile befreien. (Foto: © Birigt Hupfeld)
Auch der perfekte Hausmann Jörgen (Ekkehard Freye) kann Hedda (Bettina Lieder) nicht aus ihrer Langeweile befreien. (Foto: © Birigt Hupfeld)

Friedrich inszeniert das Stück in zwei Ebenen. Die erste ebene ist durch Künstlichkeit geprägt und findet in einer sauberen „Barbie und Ken“-Welt statt. Hier tragen die Schauspieler Puppenmasken werden von externen Kolleginnen und Kollegen quasi „synchronisiert“. Wie in einer Seifenoper – inklusive Lacher vom Band – wird die scheinbar heile Welt, in der es keine Konflikte gibt, dargestellt. Doch wehe, wenn die Masken fallen.

Bettina Lieder als Hedda Gabler hat einen schweren Job und sie meistert ihn vorzüglich. Denn neben der oberflächlichen Barbie-Hedda, muss sie auch die intrigante Hedda zeigen. Sehr eindringlich gelingt ihr das beim Quälen von Thea Elvsted. Keine Angst, hier wurde Thea durch eine Puppe gespielt.

Hedda hat es mit sehr schwachen Männern zu tun. Ihr Ehemann Jörgen (gespielt von Ekkehard Freye) ist ein Bücherwurm par exellance und ganz in seiner Kleinbürgerlichkeit gefangen. Er setzt seine Frau mit seinem Kinderwunsch unter Druck und bemerkt nicht, dass er keinen richtigen Kontakt zu ihr bekommt. Eine typische Szene ist, als Jörgen sich freut, dass Tante Julle ihm seine Pantoffel mitgebracht hat. Er ist halt ein echter „Pantoffelheld“. Hedda nennt sie ihm am Anfang des Stückes konsequent „Herr Tesman“. Doch ihre Manipulationen führen nicht zum gewünschten Erfolg, auch Lövborg nimmt ḱeinen „schönen Tod“. In letzter Konsequenz tötet sich Hedda selbst. Tod durch Langeweile.

Ejlert Lövberg (gespielkt von Christian Freund) könnte zum Held des Stückes werden, ja wenn er etwas gefestigter im Leben wäre. Er verachtet Thea Elvsted, obwohl sie für ihn ihren Mann verlassen will und ihn von seinem Alkoholismus befreit hat. Doch leider ist er standhaft wie ein Kartenhaus und unter Heddas Einfluss beginnt er wieder zu trinken und verliert das Manuskript seines kommenden Buches.

Den schmierigen Charakter Brack spielt Uwe Rohbeck. Brack ist ein Mensch, der genau weiß, wo und wie er einen Vorteil bekommt. Er erkennt sofort die Differenzen zwischen Jörgen und Hedda und nistet sich als Liebhaber ins Hause Tesman ein. Darüber hinaus bekommt er mit wie Hedda das Manuskipt von Lövborg vernichtet.

Jetzt könnte man sagen, Hedda ist eine starke Frau, die sich gegen drei schwache Männer durchsetzen muss, aber leider behandelt sie ihre Geschlechtsgenossin Thea Elvsted (Alexandra Sinelnikova) genauso mies. Thea wird als Gewinnerin aus der Geschichte herausgehen, denn sie hat als einzige den Mut, sich aus der kleinbürgerlichen Ehe zu emanzipieren. Sie verlässt ihren Mann und wird höchstwahrscheinlich mit Jörgen zusammenkommen, da die beiden an den erhaltenen Notizen von Lövborg weiterarbeiten werden.

Bleibt als weitere Figur Tante Julle (Marlena Keil). Die Ausgeburt der Kleinbüprgerlichkeit und dient quasi als Sidekick für die Inszenierung. Sie opfert ihr Leben und ihr Geld wie selbstverständlich für ihren Neffen und lässt sich auch durch Heddas Verachtung nicht aus der Ruhe bringen.

Sicher, die Inszenierung eines Stückes aus der Zeit des Naturalismus mit Barbie-Puppen und Lachern aus dem Off wird nicht jedem gefallen. Doch es zeigt sehr gut die Künstlichkeit, die sich hinter der Fassade versteckt. Bettina Lieder ist mit ihrer Präsenz und Wandelbarkeit eine nahezu perfekte Hedda, ebenso in ihren verletzlichen wie boshaften Momenten.

Infos über weitere Termine und Karten gibt es unter www.theaterdo.de

Die Schöpfung – eine Inszenierung „Next Generation“

Im Schauspiel Dortmund hatte am Samstag, den 07.04.2018 die „Schöpfung“ nach Joseph Haydn (Text Gottfried van Swieten) unter Verwendung von Szenen aus „Die Ermüdeten“ von Bernhard Studlar, Stanislaw Lem, Goethes Faust, Richard Dawkins, der Bibel u.a. seine Premiere.

Die Regisseurin Claudia Bauer stellte in dieser spannenden Kooperations-Projekt zwischen Oper und Schauspiel dem bekannte Oratorium (Uraufführung 1798 Wien) von Joseph Haydn sozusagen ein existentialistische moderne „Next Generation“-Fassung der Schöpfung gegenüber. Das Oratorium dient als Folie für Gegenwart und Zukunft mit Blick auf die Potentiale und Gefahren einer einer digitalen Schöpfung.

Beteiligt an diesem Projekt waren als Opernsänger Maria Helgath (Sopran) als Engel Gabriel, Ulrich Cordes (Tenor) als Engel Uriel und Robin Grunwald (Bass) als Engel Raphael mit ihren starken Stimmen. Begleitet wurden sie am elektronischen Piano und Cembalo von Petra Riesenweber und mit Live-Musik gestaltet von Tommy Finke (T. D. Finck).

Die sechs Schauspieler des Dortmunder Ensembles (Ekkehard Freye, Björn Gabriel, Frank Genser, Marlena Keil, Bettina Lieder und Uwe Rohbeck) agierten sowohl in den Räumen einer fantastischen Drehbühne, wie auch über eine Bildschirm übertragen und auf der Bühne.

Im Prolog stellten sie sich als Maschine die „Vernunft“, aber keine vernünftige Person ist.

Der gesungenen Schöpfungsgeschichte stellen sie die digitale Schöpfung mit gewaltigen Bildern der sozio-kulturellen Entwicklungsgeschichte gegenüber.

Als Person (Schauspieler) wurden sie durch verschiedene Masken und Kostümierungen verfremdet. Dabei blieben sie eindrucksvoll in ihren maschinelle Bewegungen und ausdrucksstarken Darbieten der Zitate. Dabei wurden auch aktuell diskutierte politische Fragen wie etwa um das bedingungslose Grundeinkommen eingebaut. Der Mensch als defektes Wesen dargestellt, das durch seine individuellen Persönlichkeiten zur Zerstörung und dem Untergang geweiht ist. Die Freiheit ist größer als die Vernunft, mit der die Menschen nicht umgehen können.

Parallel zu Haydns Schöpfung geht es bei der von der Maschine erzählten Geschichte mit dem Chaos am Anfang los, mit der Entstehung des Wetter, dem Phänomen Zivilisation, Entstehung der Arten, Kulturentwicklung, Ideologien und Religion. Der Mensch hat sich schließlich selbst zum „Gott“ gemacht und seine Welt der Zerstörung preis gegeben. Am Ende steht die Entwicklung vernünftiger und unpersönlicher Intelligenz.

Sänger und Schauspieler beim Prolog des Stückes. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Sänger und Schauspieler beim Prolog des Stückes. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Bauer arbeitet nicht nur mit eindringlichen visuellen Bildern, sondern verstärkt ihre Wirkung noch durch Wiederholungen (Loops) und Sprachverzerrung, ähnlich wie zum Beispiel Kay Voges bei seinem „Goldenen Zeitalter“. Dabei geht sie bis zur Schmerzgrenze. Schrill wird da schon mal unverständlich aneinander vorbei geredet, um zu verdeutlichen, dass nur die eigene Persönlichkeit mit ihrer Befindlichkeit im Mittelpunkt steht.

Eindrucksvoll der Dialog gegen Ende von Eva (Bettina Lieder) und Adam (Frank Genser). Eva, eine nach den Maßen von Adams Rippe als und unpersönliche vernünftige Maschine, und Adam geraten vor romantischem Hintergrund in einen Disput. Der entsetzte Adam will keine simulierte, sonder eine nicht planbare geheimnisvolle menschliche Liebe und das Recht aus seinen Kampf um Leben und Tod. Das wird aber laut Eva nicht möglich sein. Der Mensch zerstört seine Biosphäre und nur die Aufgabe der Persönlichkeit kann ihn retten.

Was bleibt dann aber von dem Individuum? Nur der Hunger und die Unersättlichkeit sind der einzige Berührungspunkt zwischen Mensch und „Maschine“.

Die Thematik des abends wurde schon von einigen Autoren und Philosophen behandelt. Zu 80% wurden Zitate aus Werken des polnischen Philosophen und Science-Fiction-Autors Stanislaw Lem (1921-2006). Bedeutend sind dabei vor allem die Zitate aus seinem Buch „Also sprach Golem“. Der Titel spielt auf das Werk „Also sprach Zarathustra“ von Nietzsche an. Der von Menschen gebaute Super-Computer „Golem XIV“ in der Geschichte hat die Intelligenzbarriere durchbrochen und verfügt über eine eigenständige Vernunft. Lem weist hier auf die geistige Beschränktheit des sich als „Krone der Schöpfung“ betrachtenden Menschen hin, die tieferen Gründe der Natur zu erkennen. Der genetische Code hat gegenüber den aus ihm entstandenen Organismen eine evolutionär vorrangige Stellung ein. So heißt es in einem Zitat: „ Der Sinn Boten ist die Botschaft.“ Die Idee des dominanten Gensnahm der britische Biologe und Autor Richard Dawkins (*1941) in seinem Buch „Das egoistische Gen“ (1976) auf und führt die gesamte Entwicklung des Lebens auf die Selektion von Genen zurück.

Die „Schöpfung“ ist kein Oratorium mit Schauspiel und Haydn-Fans werden vielleicht enttäuscht sein, doch den Zuschauer erwartet ein bildgewaltiges, musikalisches Spektakel mit wunderbaren Sängern und engagierten Schauspielern.

Der Kirschgarten – Aus der Ordnung gefallen

Ein großes Ensemble-Stück im kleinen Studio. 10 Schauspieler und einen Musiker brachte Regisseur Sascha Hawemann in den „Kirschgarten“ von Anton Tschechov unter. Die Tragik-Komödie war die bitter-süße Kapitulation des Adels vor dem neu aufstrebenden Bürgertum. Ein Premierenbericht vom 29. Dezember 2017.

Wenig Platz fürs Publikum. Zwei Stuhlreihen vor Kopf, an der Seite nur eine. Selbst das Füße ausstrecken war nicht immer gefahrlos möglich, denn der kleine Gang wurde auch von den Schauspielern benutzt. Aber gerade diese Nähe machte die Inszenierung von Havemann zu einem emotionalen Erlebnis.

In „Der Kirschgarten“ von Tschechow geht es um das Gut und den Kirschgarten von Ljubow Andrejewka Ranjewskaja, die dort mit ihrem Bruder Gajew, ihrer Tochter Anja und ihrer Adoptivtochter Warja lebt. Gerade aus dem Ausland wiedergekommen, sind sie zwar völlig überschuldet, aber vor allem Ljubow Andrejewka ist noch dem aristokratischen Denken verfallen. Daher lehnt sie auch das Angebot vom Kaufmann Lopachin ab, den Kirschgarten zu parzellieren und zu verpachten. Am Ende verliert sie Gut und Garten.

Warja (Bettina Lieder) ist reifer als das müde "Seelchen" Anja (Merle Wasmuth) kann aber den Verkauf von Gut und Garten nicht verhindern. (Foto: © Brigit Hupfeld)
Warja (Bettina Lieder) ist reifer als das müde „Seelchen“ Anja (Merle Wasmuth) kann aber den Verkauf von Gut und Garten nicht verhindern. (Foto: © Brigit Hupfeld)

1861 wurde die Leibeigenschaft in Russland abgeschafft. Die alten traditionellen Werte lebten aber in den Köpfen weiter. Sehr gut zu sehen in den Figur von Ljubow Andrejewka. Friederike Tiefenbacher spielte die weibliche Hauptfigur als verletzliche Frau, die zwar immer wieder versucht ihren Stolz zu bewahren, aber am Ende vor den Trümmern ihrer Existenz steht. Ljubow Andrejewka hatte es nie verstanden, dass die Macht vom Adel zum Geldadel wechselte. Vom gleichen Schlag ist ihr Bruder Gajew (Ekkehard Freye). Er scheitert in seinen Versuchen, Geld aufzutreiben, um das Gut zu retten.

Die andere Figur, die den Zeitenwandel versucht zu negieren, ist der alte Diener Firs (Uwe Schmieder). Für Firs ist die neue Ordnung nichts. „Hie Bauern, hie Herren – man wusste, woran man war. Jetzt läuft alles durcheinander, kein Mensch kennt sich mehr aus.“ Am Ende des Stückes bleibt er einsam und vergessen im verlassenen Gutshaus.

Die neue Zeit repräsentiert niemand so gut wie der Kaufmann Lopachin. Eine Paraderolle für Frank Genser, der dem Stück eindeutig seinen Stempel aufdrückte. „Dasselbe Gut hab‘ ich gekauft, auf dem mein Vater und Großvater leibeigene Knechte waren, die nicht mal die herrschaftliche Küche betreten durften“, sagt er als Lopachin. Eines der zentralen Sätze im Stück. Doch Lopachin fehlt etwas, die Liebe. Er liebt Warja (Bettina Lieder), doch er ist vor lauter Geld verdienen unfähig, seine Gefühle auszudrücken. Warja ist zwar die realistischere der beiden Töchter und wurde von Lieder auch mit einer gehörigen Portion Energie und Entschlossenheit gespielt.

Auch dem nächsten Liebespaar ist kein glückliches Ende beschieden. Anja (bezaubernd Merle Wasmuth) ist ein sensibles Mädchen, das den ewigen Studenten Trofimov liebt. Trofimov, gespielt von Björn Gabriel im Rudi-Dutschke-Look), kann sehr gute Reden halten, ist aber unfähig zu lieben. Von daher trennen sich ihre Wege am Schluss.

Das Stück ist in den Nebenrollen sehr gut besetzt. Carline Hanke als überdrehte Gouvernante Charlotta und Marlena Keil als Dunjascha. Dunjascha teilt das Schicksal von Anja und Warja, denn auch aus ihrer Liebe wird nichts. Jascha (schön geckenhaft gespielt von Raafat Daboul) verschmäht sie, und den Pechvogel Semjon (auch Uwe Schmieder) will sie nicht.

Eine wichtige Rolle spielte Alexander Xell Dafov als Musiker, der die Inszenierung klanglich begleitete. Von Russen-Pop über russischer Sakralmusik und 80er Jahre Reminiszenzen „The final Countdown“ bis hin zu elektronischer Partymusik reichte das Repertoire.

Nach „Eine Familie“ im großen Haus und „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ im Megastore war es die erste Arbeit Hawemanns im Studio. Bühnenbildner Wolf Gutjahr nutzte den verfügbaren Raum optimal aus. Durch die Nähe zum Publikum war die Inszenierung sehr intensiv, vor allem im zweiten Teil, als die Komödie sich in eine Tragödie wandelte. Emotion pur – Dank eines engagierten und spielfreudigen Ensembles mit Frank Genser als Kirsche auf der Sahne.

 

Infos und Karten unter www.theaterdo.de

 

Im Teufelskreis der Brandstifter

Nach fast zwei Jahren konnte das Schauspiel Dortmund endlich die Spielzeit 2017/2018 mit der Premiere von „Biedermann und die Brandstifter / Fahrenheit 451“ wieder an alter Wirkungsstätte am Hiltropwall eröffnen. Aber nicht traditionell unter der Regie des Intendanten Kay Voges, sondern dieser „Doppelpack“ wurde mit einer modernen Inszenierung von Gordon Kämmerer geschnürt.

Drei Personen aus der „Fahrenheit 451“ ( von Ray Bradbury) stehen auf der Bühne. Clarisse McClellan (Bettina Lieder), Mildred Montag (Merle Wasmuth) und Feuerwehrmann Guy Montag (Uwe Schmieder). Sie werden mit der Hebebühne nach oben transportiert. Eine erste Verbindung zu dem folgenen Drama „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch.

Familie Biedermann beim gemeinsamen fröhlichen Essen (v.l.n.r.) Ekkehard Freye, Frauke Becker und Alexandra Sinelnikova. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Familie Biedermann beim gemeinsamen fröhlichen Essen (v.l.n.r.) Ekkehard Freye, Frauke Becker und
Alexandra Sinelnikova. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Diese Aussage begründete Karl Popper in seinem Buch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“. Max Frisch exerziert dies in „Biedermann und die Brandstifter“ durch. Bühnenbildner Matthias Koch präsentiert eine mintfarbene, sterile Behausung der Familie von Gottlieb Biedermann (Ekkehard Freye). Das einzige „kuschelige“ Element ist ein riesiger Plüschbär, an dem sich die verstört wirkende Tochter Anna (Frauke Becker) vertrauen und Wärme suchend klammert, die sie in der „Keimzelle der Gesellschaft“, ihrer Familie, nicht findet. Seine Frau Babette (Alexandra Sinelnikova) ist scheinbar lebensmüde.

Der Regisseur benutzt ähnlich wie Kay Voges beim „Goldenen Zeitalter“ das Stilmittel ständiger Wiederholungen (Loops) immer alltäglichen Leben. Roboterhaft mechanisch bewegen sich die drei Schauspieler ohne zu sprechen. In das Geschehen platzt der angeblich Obdachlose – in schwarz gekleidete Ringer – Josef Schmitz (Björn Gabriel) und später sein Freund Wilhelm Maria Eisenring (Max Thommes). Familie Biedermann bietet ihnen trotz unguter Gefühle eine Unterkunft auf dem Dachboden. Trotz anfänglich markiger Worte wird Gottlieb immer mehr zu einem „Versteher“ und lässt noch jede fadenscheinige Ausrede gelten. Denn „die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Die glaubt niemand,“ so Schmitz. Obwohl genügend Warnungen (Sprechchor) herausgegeben werden.

Am Ende siegt die Intoleranz und Biedermann bezahlt seine native Toleranz und verschwindet in der Versenkung.

Der Abend geht fließend und konsequent zu „Fahrenheit 451“ über. In Bradburys dystopischer Geschichte wurde die Intoleranz institutionalisiert. Um zu verhindern, dass irgendwelche Bücher Menschen verletzen oder auf dumme Ideen bringen könnten, hat man sie gleich verboten. Um sicher zugehen, verbrennt man sie, wenn man ihrer habhaft werden kann. Dies macht die Feuerwehr. Im Original heißen sie „fire-men“, was man auch als Brandstifter übersetzen kann und so besteht die Verbindung zum ersten Stück.

Clarissa McClellan (Bettina Lieder) zeigt Guy Montag (Uwe Schmieder) die Poesie der Natur. (Foto. © Birgit Hupfeld)
Clarissa McClellan (Bettina Lieder) zeigt Guy Montag (Uwe Schmieder) die Poesie der Natur. (Foto. © Birgit Hupfeld)

In „Fahrenheit 451“ trifft der Feuerwehrmann Guy Montag auf die junge Nachbarin Clarisse McClellan. Clarisse will Guy von der Schönheit der Natur und der Bedeutung von Worten überzeugen. Diese Welt wird im Nieselregen berührend von Bettina Lieder und Uwe Schmieder dargestellt. Montags Frau Mildred (Merle Wasmuth) dagegen ist ein typisches Exemplar dieser Gesellschaft. Als kleiner Gag bringt Kämmerer die „Biedermanns“ als Soap auf die Riesenleinwand. Der dramatische Höhe – und Wendepunkt ist mit beeindruckendem Videohintergrund ist die Stelle, als Guy bei einem Einsatz erleben muss, dass Alice Hudson (Alexandra Sinelnikova) mit ihren Büchern zusammen verbrannt wird. Er kann so nicht weiter machen. Sein Vorgesetzter Captain Beatty, wohl nicht zufällig gespielt von Björn Gabriel, dem Brandstifter aus dem „Biedermann“, versucht ihn zu beschwichtigen. Die Verbindung beider Stücke wird offensichtlich. Eine Gruppe von Dissidenten konnte fliehen und versucht, die Gedanken der verbrannten Bücher großer Denker im Kopf zu behalten. Sie werden auf der Bühne von den einzelnen Mitgliedern des Sprechchors verkörpert. Der Dortmunder Sprechchor hat wieder eine wichtige Funktion als mahnende stimme des Gewissens. Nach der Zerstörung ihrer ehemaligen Heimatstadt wollen etwas Neues aus der „alten Asche“ aufbauen. Muss es immer so weit kommen?

Ein großer Dank geht an alle Schauspieler, aber vor allem an Uwe Schmieder, der Guy Montag in einer beeindruckenden Weise spielt und dabei die Würde und Verletzlichkeit des Menschen gekonnt darstellt.

Kunstfreiheit und Meinungsfreiheit gibt es nicht geschenkt. Man muss sie sich täglich erkämpfen. Allzu blinde Toleranz ist hier ebenso Fehl am Platz wie bedingungsloser Konsumfetischismus und Berieselung durch Fernsehen oder Smartphone. Ein Theaterabend, der dem Publikum viel zum Nachdenken mit nach Hause gibt.

Informationen zu weiteren Aufführungsterminen erhalten sie wie immer unter: www.theaterdo.de

Im Sog von Licht und Musik

[fruitful_alert type=“alert-success“]Psychologische Farbenlehre als Teil des Loops. (Andreas Beck im Affenkostüm, Damen und Herren des ChorWerk Ruhr, Raafat Daboul (Hirn)
©Thomas Jauk, Stage Picture.[/fruitful_alert]

„Einstein on the beach“ von Philip Glass ist mehr eine Meditation als eine Oper, wie wir sie gewohnt sind. Wenn noch Kay Voges als Regisseur hinzukommt, bekommt man eine 3 ½-stündige Reise voller akustischer und visueller Eindrücke geschenkt. Ein Geschenk, auf das man sich einlassen muss. Ein Premierenbericht vom 23.04.17.

Philip Glass mit seiner minimal music ist wie geschaffen für Schauspielintendant Kay Voges, der in Vergangenheit und Gegenwart sich ebenfalls mit wiederkehrenden, aber minimal veränderten Loops beschäftigt hat, man denke nur an das „Goldene Zeitalter“. Und wo kann Voges seine Leidenschaft für Videokunst besser zur Geltung bringen, als eben bei dieser Oper. Denn Heldentenöre suchte man vergeblich, auch eine durchgehende Handlung ist schwerlich auszumachen. So lässt man sich am besten fallen, lässt sich von der Musik treiben und genießt die Optik. Zwar war die Bühne zweckmäßig und minimalistisch, dafür boten die Kostüme der Akteure (Schauspieler, Sängerinnen und Chor) einiges fürs Auge: Außerirdische oder eine Sängerin mit „Gehirnfrisur“.

Die „Gehirnfrisur“ erinnerte an die Marsianer aus dem Film „Mars attack! Und auch sonst scheint sich Voges bei seinem Spacetrip bei einigen Science-fiction-Filmen inspiriert zu haben. So wirkt der Chor gleich zu Beginn optisch wie die Kinder aus dem „Dorf der Verdammten“. Vielleicht war auch Schauspieler Andreas Beck, in seinem Affenkostüm, eine kleine Reminiszenz an „Planet der Affen“.

Auch sonst gab es viel zu sehen, eine Videoinstallation vom bekannten Team um Lars Ullrich und Mario Simon vom Schauspiel zauberte meditative Bilder auf die Leinwand. Die Oberbekleidung des Chores war multifunktional, denn sie konnte auch per LED-Lampen den gesang optisch unterstützen.

Einstein selbst tauchte in dem Stück auch auf: Einerseits als Violinist (klasse Önder Baloglu) und im Rollstuhl sitzend (verkörpert durch Kammersänger Hannes Brock). Seine Relativitätstheorie von Raum und Zeit ist ein wichtige Bestandteil der Oper.

Für die Beteiligten war diese Oper kein leichtes Unterfangen. Denn wenn es auch nicht gesanglich anspruchsvoll wie eine Wagner-Oper war, brauchten alle höchste Konzentration bei den winzigen Variationen der sich immer wiederholenden Texte. Die Texte bestanden größtenteils aus Zahlen (one, two, three, four, five, six) oder italienischen Notennamen (do, re, mi). Der Loop, die Wiederholung war der zentrale Kern.

Den größten Teil der Arbeit hatten neben den Musikern der Chor des ChorWerk Ruhr, die auch in verschiedenste Kostüme schlüpfen mussten. Es war grandios, ihre Spielfreude trotz der hohen Konzentration zu erleben. Auch die Sängerinnen und Sänger Hasti Molavian, Ileana Mateescu und eben Hannes Brock führten den schwierigen Job bravourös aus. Da die Oper auch eine Kooperation mit dem Schauspielhaus war, übernahmen die Schauspielerinnen und Schauspieler Bettina Lieder, Eva Verena Müller, Andreas Beck und Raafat Daboul dank ihrer Bühnenpräsenz wichtige Funktionen in der Oper. Das bekam der musikalische Leiter Florian Helgath gut in den Griff.

Wie gesagt, man muss sich auf dieses Stück einlassen. „Einstein on the beach“ ist keine Mozart-Oper. Es ist halt etwas anders. Dazu gehört zum Beispiel, dass die Möglichkeit besteht, während des Stückes hinaus- und wieder hineinzugehen. Ein kleiner Teil nutzte die Gelegenheit, um nicht mehr wiederzukommen. Die, die geblieben sind, belohnten den Mut der Oper Dortmund mit einem donnernden Applaus.

Weitere Informationen unter www.theaterdo.de

Trump – eine unfassbare Geschichte?

[fruitful_alert type=“alert-success“]Bildunterschrift: Die Party ist vorbei, wie geht’s mit Trump weiter? Andreas Beck und
Bettina Lieder erzählten einiges über die Geschichte des aktuellen US-Präsidenten. (Foto: © Birgit Hupfeld)[/fruitful_alert]

Am Freitag, den 03.03.2017 luden die Schauspieler Bettina Lieder und Andreas Beck unter der Regie von Marcus Lobbes im Megastore zu einer ganz besonderen Stehparty. Ganz im amerikanischen Style gehalten mit Fähnchen und passender Hintergrundmusik konnten die Premierengäste zunächst Hotdog und Popcorn zu sich nehmen. Der Stargast, über den der Abend ging, war zwar immer präsent, aber natürlich nicht anwesend: Donald Trump, seines Zeichens 45. Präsident der USA. Der amerikanische Performer und Autor Mike Daisey hat sich schon vor längerer Zeit mit dem Phänomen Donald Trump befasst. Für die Deutschsprachige Erstaufführung hier in Dortmund übersetzten die Dramaturgin Anne-Kathrin Schulz und ihr Mitarbeiter Matthias Seier den Originaltext „The Trump Card“ ins Deutsche.

Eigentlich ist „Trump“ oder „The Trump Card“ ähnlich wie „Die Ektase und Agonie des Steve Jobs“ (im Schauspielhaus 2012 mit Andreas Beck aufgeführt) als Monolog konzipiert. Mit der Bearbeitung des Stoffes für das hiesige Publikum und Aktualisierungen hat der amerikanische Autor keine Probleme. Daher konnte Regisseur Marcus Lobbes den Stoff nicht als Monolog, sondern mit zwei Schauspielern inszenieren. Bettina Lieder und Andreas Beck vom Dortmunder Schauspiel waren die Gastgeber für eine Art Dinner-Party.

Die beiden Schauspieler wurden von der für die Kostüme verantwortliche Mona Ulrich schick eingekleidet. Bettina Lieder im schönen, halb schulterfreiem Kleid in hellem Lila hatte aber mit ihren silbernen Pumps mit den sehr hohen Absätzen zu kämpfen.

Im Laufe des Abends erfahren wir viel über die Person Donald Trump. Vor allem aber auch über seiner prägenden Familiengeschichte mit seinem Vater, dem Rassismus und Skrupellosigkeit durchaus nicht fremd waren. Hinzu kommt seine überaus große Selbstinszenierung. Wussten Sie dass es beispielsweise Mineralwasser von Trump gibt oder ein Brettspiel namens „The Trump Game“? (Für Hardcore-Fans: auf Amazon erhältlich). Zudem arbeitet er mit Mechanismen, die auch für europäische populistische Parteien gelten: Provozieren, bei Bedarf zurückrudern, leugnen von Tatsachen und der Aufbau von Lügen um einen Kern Wahrheit.

Das Schöne an der Inszenierung ist auch, dass das Publikum mit einbezogen wird. Es ist beileibe kein Mitmachtheater, aber sowohl vom erhöhte Podest als auch mit Ausflügen in die Menschenmenge sprachen die beiden Gastgeber die Anwesenden direkt an. So zum Beispiel: „Sie haben sicher auch gedacht, dieser Mann wird doch nie Präsident…“

Die Schauspieler agierten mit viel Spielfreude und warfen sich humorvoll und mit Selbstironie die verbalen Bälle zu.

Ist Trump nun die Wurzel allen Übels? Müssen wir vielleicht einfach nur die Geduld aufbringen und warten, bis die vier Jahre Präsidentschaft von Trump vorbei sind? Die bittere Aussicht, die Mike Daisey uns am Ende mit auf dem Weg gibt, ist düster. So lässt er den verstorbenen Roy Cohn, einem jüdischen, aber zugleich antisemitischen Anwalt und engen Berater von Donald Trump, sagen: „Was ihr nicht versteht, ist, dass da draußen schon jemand ist, der ihn beobachtet, der alles, was er macht, beobachtet und sich Notizen macht. Alles, was er macht, aufschreibt. Und diese Person denkt sich: ‚Ich werde sein wie er, aber besser. Ich werde schärfer agieren und viel klüger.‘“

Am Ende ist die Party vorbei und es gibt einen langen verdienten Beifall für die beiden Schauspieler. Jeder, der sich auch nur einen Hauch für Politik und deren Mechanismen interessiert, sollte gehen in dieses Stück.

Informationen über weitere Termine erhalten Sie unter : www.thaterdo.de

Reflexion über Vergänglichkeit und die Schönheit des Moments

Hier trägt der Engel Schwarz: (v.l.n.r.) Frank Genser, Marcel Schaar (Fotograf), Uwe Schmieder, Julia Schubert, Ensemble- (Foto: ©Birgit Hupfeld)

Kann man einen Augenblick für die Ewigkeit festhalten? Diese Frage spielt nicht nur in Goethes Faust beim Packt mit dem Teufel (Mephisto) eine große Rolle. Die Fotografie versucht schon länger, besondere Momente des Lebens für die Zukunft einzufangen. Einerseits kann der Betrachter sich so vergangene Augenblicke wieder in das Gedächtnis rufen, führen uns aber auch die Vergänglichkeit unseres Lebens und die Relativität von Raum und Zeit vor Augen.

Schauspielintendant Kay Voges, drei Dramaturgen und sein gesamtes Ensemble haben zusammen mit dem Kunstfotografen Marcel Schaar versucht, sich der Thematik durch die Verbindung von Fotografie und Theater zu nähern. Am Samstag, den 11.02.02017 hatte im Megastore das Theater-Abenteuer „hell / ein Augenblick“ Premiere.

Wohl einmalig in der Theatergeschichte lichtet ein Fotograf während der Vorstellung live auf der dunklen Bühne ein Motiv ab, das dann direkt in den Zuschauerraum projiziert wird. Helligkeit und Dunkelheit tauschen ihre Plätze. Die Bühne wird zu einer Dunkelkammer, die nur ab und zu durch das Blitzlicht des Fotografen für eine 1/50 Sekunden durchzuckt. Insgesamt etwa 100 mal am Abend.

Zur Erläuterung: Auf der Bühne stehen an den Seiten zwei große Leinwände und zwei Minni-Flutlichtanlagen. In der Mitte befindet sich im Hintergrund eine Art weiße „Magic-Box“ ,wo der Fotograf als „Meister des Augenblicks“ Schauspieler in speziellen Momenten ablichtet. Diese werden als schwarz-weiß Bilder auf die großen Leinwände projiziert. Diese Reduktion verlangt von den Schauspieler/innen viel Mut, denn sie sind es normalerweise gewohnt, ihre Körper deutlich sichtbar dem Publikum zu präsentieren. Die entstehenden Bilder sind berührend ehrlich und zeigen die kleinste Poren im Gesicht und Körper.

Alles fließt, alles steuert der Blitz“ ,sagt Heraklit. So beginnt der Abend mit einer philosophische Abhandlung aus dem „Baum des Lebens“ (Rabbi Isaak, Luria, um 1590) erzählt von Friederike Tiefenbacher.. Es geht darin um die Themen Leben und Licht, Raum und Zeit. Die Schauspieler/innen befinden sich sowohl auf der Bühne und in der „Magic- Box“, wo sie abgelichtet werden. Die Bilder auf der Großleinwand werden von den Schauspielern mit passenden philosophische Texte von Arthur Schopenhauer, Nietzsche, Bertand Russel, Charles Bukowski, Rainald Götz und andere begleitet. Das verstärkte die Wirkung der Bilder.

Als typisch für das, was viele Menschen empfinden, wenn sie fotografiert wurden denken, steht Uwe Schmieder, abgelichtet mit einem Schild „You see me“. Erschrocken ruft er in die Dunkelheit: „Das bin ich nicht, das bin doch nicht ich!“ Andere hingegen finden sich fotogener und rufen: „Das bin ich. So sehe ich aus.“

Es entstehen schöne Bilder von Zuneigung und Liebe, aber auch viele ernste, nachdenklich machende eindrucksvolle Bilder von Vergänglichkeit.

Für das sinnliche Erleben war der sensible begleitende Soundtrack von Tommy Finke und die Musik von Mahler bis Brian Molko/Placebo von großer Bedeutung.

Es war ein meditativer,archaischer Abend mit Nachwirkung. Wenn es um sich nicht erinnern können, Tod und Vergänglichkeit geht, ist das keine leichte komödiantische Kost. Das der Tod nicht gerne gesehen ist, zeigen die Text von Christoph Schlingsensief oder Robert Gernhardt aus dem Jahr 1997. Gernhardts Gedicht „So“ besagt, dass der Mensch in keinem Monat gerne sterben will. Er will immer wieder neue Moment generieren, um sie fest zu halten.

Wenn Politik das Private durchdringt

Auf dem Amt: SA-Mann (Frank Genser, 2.v.l.) will den arbeitslosen Bruder (Carlos Lobo 1.v.l.) der Köchin (Uwe Schmider, 4.v.l.) reinlegen. Noch im Bild sind: Bettina Lieder und Alexander Xell Dafov. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Nach dem großen Ensemblestück „Eine Familie (August: Osage County)“ hat Regisseur Sascha Hawemann in dieser Spielzeit Bertholt Brechts Szenencollage „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ (Zeitraum 1933 – 1938) im Megastore auf die Bühne gebracht. Hawemann sind dabei aktuelle Bezüge zu unserer Problemen mit zunehmen den Einfluss rechtspopulistischer und fundamental islamistischen Gruppierungen im In-und Ausland von großer Bedeutung. Das zeigt sich nicht nur die Beteiligung des 2015 aus Syrien geflohenen Schauspielers Raafat Daboul. Er steht für die vielen, vor der Gewalt in Syrien geflohenen Menschen. Ars Tremonia war am 05.012.2017 bei einer Aufführung anwesend.

Das Publikum wurde durch einen Graben voll Koffer und losen Textblättern von den Schauspielern räumlich weit getrennt. Dieser Graben stand symbolisch für alle Menschen, die als Juden und aus politischen oder anderen Gründen auf „gepackten Koffern“ saßen und und versuchten (so sie konnten) rechtzeitig zu fliehen.

Friederike Tiefenbacher spielt als jüdische Gattin eines deutschen Arztes (Andreas Beck) ein berührendes Beispiel für diese Flüchtlinge. Sie und ihr Mann versuchen verzweifelt, ihren Fluchtversuch als „kurze Reise nach Amsterdam“ zu erklären. Dem Paar und seine Freunden ist die bittere Wahrheit jedoch schon längst klar.

Durch die elf ausgewählten Szenen führte Uwe Schmieder als Bertolt Brecht engagiert. Neben Videobildern von im Hintergrund erfuhr das Publikums von Brechts „Epischen Theater“ und dem V-Effekt (Verfremdung). Er ist der Überzeugung, dass die Menschen sich aktiv für eine gerechtere, angst freie Gesellschaft einsetzen und kämpfen müssen und können. Brecht hat seine Szenen kaleidoskopisch angelegt, Hawemann versucht ein Band zwischen den Szenen zu finden, indem er Figuren öfter auftreten lässt wie beispielsweise das Dienstmädchen Marie. Dazu lässt er Figuren auftreten wie einen an Gustav Gründgens erinnernden „Mesphisto“ auftreten.

Die Auswirkung des Politischen auf das Privatleben sind allen Szenen gemeinsam. Nur ein paar Beispiele dafür: Frank Genser als brutal-zynischer SA-Mann Theo, der seine Lebensgefährtin Marie, gespielt von Bettina Lieder, jeden kleinsten Widerspruch austreibt. Er provoziert zudem seinen seinen arbeitslosen Nachbarn, gespielt von Carlos Lobo, im Spiel um ihn aufs Glatteis zu führen und zu denunzieren. Das Elternpaar (Merle Wasmuth und Carlos Lobo), das sich ausmalt, wie ihr für kurze Zeit verschwundener Sohn (Raafat Daboul) etwas System kritisches gehört haben könnte und sie eventuell denunziert. Andreas Beck spielt einen Amtsrichter, der zu jeder Rechtsbeugung bereit ist, um sich vor unliebsamen Konsequenzen für sich selber zu schützen. Das stellt sich als gar nicht so einfach da.

Die Szenen wurden zwischendurch musikalisch sensibel live und mit verschiedenen Instrumenten von Alexander Xell Dafov untermalt.

Sprachlos und nachdenklich machten gegen Ende das Paar Marie (Bettina Lieder) die Dienstmädchen und Theo (Frank Genser) der SA-Mann. Während ihrer in festlicher Kleidung zelebrierten Hochzeit erzählen die Beiden ohne jegliche Spur von Empathie in allen Einzelheiten von den grausamen Massenexekutionen in der Ukraine durch die deutsche Wehrmacht und ihren ukrainischen. Einen krasseren Gegensatz kann es nicht geben.

Ein Klima der Angst wird von interessierten Kreisen auch in der Gegenwart wieder geschürt. Wird gehen wir damit um?

Weitere Infos und Termine unter www.theaterdo.de

Heldenhafter Kampf gegen die Monotonie

Die Damen von der Telefonzentrale (Dortmunder Sprechchor) erzählten von Burnout und Depressionen. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Die Damen von der Telefonzentrale (Dortmunder Sprechchor) erzählten von Burnout und Depressionen. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Herzlich willkommen zum „Tag der offenen Tür“ in ihrem Finanzamt. Was wie eine komische Idee klingt, gab und gibt es aber in der Realität. Julia Schubert präsentiert – zum ersten Mal als Regisseurin – in den Kulissen der „Borderline Prozession“ eine irre Reise durch die Räume eine fiktiven Steuerbehörde. Merkwürdiges, Verzweifeltes, Komisches wechseln in jeder Runde ab. „Heimliche Helden“ könnte der skurrile Zwillingsbruder der „Borderline-Prozession“ sein. Auch bei den „Heimlichen Helden“ sieht der Zuschauer nicht alles, es sei denn, er kommt öfter wieder. Da wir von Ars tremonia zu Zweit unterwegs waren, konnten wir bei der Premiere am 21. Oktober 2016 einen Blick in alle Räume erhaschen.

Wie bereits geschrieben, das Stück findet in den Kulissen der „Borderline-Prozession“ statt, genauer gesagt, im vorderen Teil. Es gibt acht Räume und den Garten, aber nur sieben Runden, die jeweils um die 10 Minuten dauerten. Natürlich unterbrochen von der Mittagspause („Mahlzeit“) Jeder Zuschauer erhält eine Karte mit einer Nummer. Dort ist penibel (wir sind ja in einer deutschen Steuerbehörde) aufgezeichnet, welche Räume in welcher Runde man zu besuchen hat. Nicht, dass noch etwas durcheinander kommt.

Doch am Anfang erzählte uns Frank Genser im Wartebereich über die „heimlichen Helden“: Die Beamten in der Steuerbehörde, die treu gegen die Monotonie ihres Tagesablauf ankämpften. Ich halte es aber eher wie Schriftsteller Terry Pratchett, der in seinem Buch „Das Licht der Fantasie“ eine Figur folgendermaßen charakterisierte: „Er machte graue Durchschnittlichkeit zu einer erhabenen Kunst, und in seinem Bewusstsein herrschte die gleiche dunkle, gnadenlose Logik wie in einer Beamtenseele“.

Stichwort: Grau. Schauspieler und Mitglieder des Sprechchores trugen beinahe allesamt diese schöne unbunte Farbe.

Für mich begann der Zug durch die Büros bei Herrn Genser, der gekonnt die Möglichkeiten darbot, wie man sich die Zeit vertrieb, wenn man nichts zu arbeiten hatte. Gekonntes Kugelschreiber bewegen von rechts nach links und ein kleines Theaterstück mit Spielfiguren. Danach hatte ich gleich in zwei Räumen die Konfrontation mit dem negativen Auswirkungen der sich ständig wiederholenden Arbeiten. Depression bei den Damen vom Telefondienst und Marlena Keil präsentierte eine Mitarbeiterin mit persönlichen Problemen.

Hier noch ein kleiner Einschub: Innerhalb der Räume wechseln sich die Szenen auch noch ab, so dass kaum jemand den gleichen Abend erleben wird.

Eine besondere Rolle spielte Uwe Schmieder, alias Herr Krüger. In ziemlich mitgenommener Kleidung schlürfte er schon zu Beginn durch den Gang. In dem kleinsten grottenartigen Raum der „Büros“ konnten die Besucher erfahren, das er schon über 35 Jahre im Steuerbüro gearbeitet hat und nun in den Ruhestand geschickt wird. Sein Wellensittich im Einweckglas hat diese Zeit nicht überlebt. Tragisch-komisch dargestellt.

Neben „normalen“ Büros, gab es auch noch sehr besondere Räume: Im Garten wurde das Betriebsfest vorbereitet und die Zuschauer durften mit Hand anlegen. Käsewürfel zurecht machen, an einer Büroklammergirlande basteln oder Buchstaben ausschneiden. Der abgefahrenste Ort war sicherlich das Auto mit den Einschusslöchern der Borderline Prozession. Hier unterhielten Ekkehard Freye und Thorsten Bihegue die Besucher auf ihre spezielle Art.

Zum Abschluss des Tages der offenen Tür stieg dann noch das Betriebsfest, bei dem der altgediente Kollege Krüger verabschiedet wurde und der Alleinunterhalter Rene Carmen drei Lieder sang.

Julia Schubert schafft es, zusammen mit dem Ensemble und dem Sprechchor, ein warmherziges Stück auf die Bühne zu bringen. Ein liebevoller und humorvoller Blick auf Typen und Situationen von Menschen, die eben nicht 24 Stunden, sieben Tage die Woche kreativ arbeiten müssen, dafür aber nach 17 Uhr den Stift fallen lassen können. Welches Leben ist das bessere? Das muss jeder Besucher für sich selber entscheiden.

Wann ist wieder Tag der offenen Tür in der Finanzbehöre? Am 01. und am 27. November 2106 oder unter www.theaterdo.de nachschauen.