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Die Kehrseite der Medaille

Peer Oscar Musinowski, Tilman Oestereich und Ekkehard Freye. (Foto: ©Birgit Hupfeld)
Peer Oscar Musinowski, Tilman Oestereich und Ekkehard Freye. (Foto: ©Birgit Hupfeld)

Mit seiner verzweifelten Liebeserklärung an das Runde im Eckigen „You’ll never walk alone“ startete Schauspieler und Regisseur Björn Gabriel mit seinen Mitstreitern den Versuch, im Institut des Dortmunder Schauspiels einerseits der Faszination des Ballspiels näher zu kommen, andererseits einen philosophisch kritischen Blick auf dessen Rolle als „Opium“ für das Volk“ zu beleuchten. Die Premiere der Inszenierung war sinniger Weise am Tag des Chapions-League-Finale zwischen Real und Atletico Madrid am 24. Mai 2014.

In den Stadien der Welt wird die Fußball-Hymne „You’ll never walk alone“ mit Inbrunst und Leidenschaft gesungen. Nirgendwo sonst erleben die Zuschauer ein Gemeinschaftsgefühl über alle Generationen und Gesellschaftsschichten hinweg und eine solche Dichte von wechselnden Emotionen. Dieser Mikrokosmos gibt den Menschen in einer besonderen Art Halt. Es vermittelt das Gefühl, in einer bedrohlichen, unberechenbaren Welt „nicht alleine“ zu stehen. Alle fiebern ohne unterschied mit „ihrer Mannschaft“ mit. Sie trauern bei Niederlagen und sind euphorisch, wenn der eigene Fußball-Verein gewinnt. Ist es so, wie Friedrich, Schiller schreibt, der Mensch nur dann ganz Mensch ist,wo er spielt? Zählt nur noch „Unterhaltung“ und Ablenkung von den wirklichen gesellschaftlichen Problemen wie etwa die zunehmende soziale Verelendung vieler Menschen, Bürgerkriegs-Gefahr und Umweltzerstörung…

Die Bühne war wie in einer griechischen Tragödie als Tempelanlage ausgestattet. Mit der Liebesgöttin Venus auf der linken Seite, einer dreistufigen Treppen und auf beiden Seiten griechische Säulen. Gabriel personalisiert diese Ambivalenz durch die beiden Schauspieler Peer Oscar Musinowski als begeisterter Fußball-Fan und Ekkehard Freye als Gegenpart, der die andere Seite repräsentierte. Freye zeigt mit viel Engagement die „Doppelmoral“ im Fußball-Geschäft auf. Die menschlichen Opfer, zum Beispiel durch die inhumane Umsiedlungspolitik, Korruption und Milliardenkosten für die Fußball WM in Brasilien bei sozialem Elend der Bevölkerung, oder aktuell die drohende Niveau-Nivellierung in vielen Bereichen durch das Freihandelsabkommen mit den USA.

Eine besondere Glaubwürdigkeit und Leidenschaft verlieh Oscar Musinowski, auch im wirklichen Leben ein ehemaliges Fußballtalent der Hertha BSC-Jugend (nach einer schweren Verletzung Model, dann Schauspieler) seiner Rolle. Der Humor kam in der Aufführung nicht zu kurz. Wunderbar, die Verfolgungsjagden der beiden Schauspieler im Stil von „Tom und Jerry“.

Der feierliche Charakter einer Show wurde mit Kleidung von Musinowski, er trug eine schwarzen Anzug , weißes Hemd und Lackschuhe , unterstrichen. Von Jan Voges projizierte zunächst einige emotionale und faszinierende Momente des Fußballs, wie zum Beispiel Ausschnitte aus den deutschen WM-Siegen oder dem Champions-League Sieg 1997 des BVB per Video auf die große Leinwand. Hinzu gesellte sich Tilman Oesterreich, der für Licht verantwortlich war.

Video-Einspielungen spielten dann auch eine bedeutende Rolle bei der Inszenierung. So wies Ensemble-Mitglied Bettina Lieder mit viel Ironie auf die – vor allem – männlichen „Spieltrieb“ hin und die Unterteilung in „Homo ludens“ (Der spielende Mensch) und den „Homo faber“, den aktiv verändernden, schaffenden Menschen. Später ließ sie die beiden Männer bei dem Quiz 1,2 oder 3, ( bekanntes Kinder-Quiz Ende der 70iger Jahren von Michael Schanze). Absurd wurde die Situation, als sich herausstellte, dass in einer Fragerunde alle drei menschenverachtenden Äußerungen von FIFA-Präsident Joseph S. Blatter als Antwortlösung zutrafen. Gegen Ende traten neben Lieder auch noch Eva Verena Müller und Julia Schubert als Art „Sirenen“ auf, die die Männer bezirzten.

Ob sie damit Erfolg haben? Denn für einen richtigen Fußballfan ist sein Verein „wichtiger als Frau und Geld“, wie es in einem Fangesang heißt.

Die Frage nach dem Sinn des Lebens und der Endlichkeit hinterlässt bei den meisten Menschen eine Lücke, ähnlich wie eine Freistoßmauer. Fußball füllt die Lücke, die früher überwiegend von der Religion ausgefüllt wurde. Sie verhindert aber auch die, auch hier die Parallele zur Religion, Beschäftigung mit den realen Problemen.

Weitere Aufführungstermine sind der 05. und 18. Juni. Es ist geplant, das Stück in der nächsten Spielzeit wieder aufzunehmen.

Karten und Infos unter 0231 50 27222 oder www.theaterdo.de

Wenn Angst ein schlechter Ratgeber ist

Wie? Die Stadtgesellschaft ist mit unseren Entscheidungen nicht hochzufrieden? (v.l.n.r. Uwe Schmieder, Bettina Lieder, Julia Schubert, Carlos Lobo, Ekkehard Freye und Eva Verena Müller). Foto: ©Birgit Hupfeld
Wie? Die Stadtgesellschaft ist mit unseren Entscheidungen nicht hochzufrieden? (v.l.n.r. Uwe Schmieder, Bettina Lieder, Julia Schubert, Carlos Lobo, Ekkehard Freye und Eva Verena Müller). Foto: ©Birgit Hupfeld

„Autschland d’amour“ wurde am 03. Mai zusammen im Doppelpack mit Gogols Komödie „Der Revisor“ aufgeführt. Aus „Stadt der Angst“ wurde „Stadt in Angst“, denn die Stadtverwaltung erwartet die Ankunft eines Revisors. Und jeder hat Dreck am Stecken.

Nicolai Gogol schrieb die Komödie zwar schon 1835, um die Verhältnisse im zaristischen Russland auf die Schippe zu nehmen, doch seien wir ehrlich: Solange es Korruption gibt, bleibt sein Stück brandaktuell wie damals.

Wenn die goldenen Jacken nicht gewesen wären, hätte man denken können, die Schauspieler hätten sich für einen Film von Tim Burton zurechtgemacht mit ihren schwarzen dunklen Ringen um die Augen. Diese Ästhetik wurde dadurch noch verstärkt, in dem im Hintergrund düstere schwarz-weiß Zeichnungen von Dortmunder Sehenswürdigkeiten über eine Leinwand flimmerten. So konnte der geneigte Zuschauer den RWE-Tower, das Dortmunder U oder das Westfalenstadion erkennen, um auch visuell zu zeigen: Ja, wir sind in Dortmund.

Regisseur Marcus Lobbes hatte sich für den „Revisor“ etwas besonderes ausgedacht. Die Stadtverwaltung, bestehend aus sechs Schauspielerinnen und Schauspieler, sprach wortwörtlich mit einer Stimme. So wurde aus einem individuellem versagen eine Art kollektives Versagen. Der Dortmunder Sprechchor, der auf dem oberen Rang des Schauspielhauses platziert war, sprach die Rolle der Stadtgesellschaft, die die Handlungen der Stadtoberen kommentierte. Wenn man so will, ein Duelle zweier Sprechchöre. Die Rolle des Chlestakow, des vermeintlichen Revisors, wurde unter den Akteuren auf der Bühne verteilt. Mittels einer Maske wurde deutlich gemacht, dass Chlestakow spricht. Neben dem erwähnten Dortmunder Sprechchor spielten auf der Bühne Ekkehard Freye, Bettina Lieder, Carlos Lobo, Eva Verena Müller, Uwe Schmieder und Julia Schubert mit viel Gefühl für Komik und Ironie.

„Der Revisor“ ist ein schönes Beispiel dafür, was Ängste aus Menschen macht, die ansonsten alles im Griff zu scheinen haben. Rationales Denken? Fehlanzeige. Kritisches Nachfragen? Nö, warum? So konnte Chlestakow, der eigentlich ein einfacher kleiner Beamter ist und zudem überhaupt kein Geld hat, für einen Revisor gehalten werden. Darüber hinaus schien es für die Stadtoberen so, als ob die übliche Herangehensweise (Schmiergelder) auch hier verfängt. Und wer hätte sich nicht über die großzügigen Geldgeschenke gefreut, die ihm die Stadtoberen förmlich aufdrängten? Sogar die Frau des Bürgermeisters, die ebenfalls von allen gesprochen wurde, wäre freiwillig mit dem „Revisor“ in die Hauptstadt geflüchtet.

Kassandras zeitlose Tragik

Kassandra (Bettina Lieder) als Zerrbild ihrer selbst. (Foto: © Birgit Hupfeld).
Die Spiegel zeigen die Zerissenheit von Kassandra (Bettina Lieder). (Foto: © Birgit Hupfeld).

Die 2011 gestorbene Schriftstellerin Christa Wolf schrieb ihre Erzählung „Kassandra“ unter dem Einfluss des nuklearen Wettrüsten in West und Ost am Anfang der 80-iger Jahre des letzten Jahrhunderts. Als verschlüsselte Fabel und Mahnung vor der Bedrohung spielt ihre Erzählung in der Antike zur Zeit des Trojanischen Krieges zwischen dem Königreich Troja und Griechenland. Griechenland war zu der Zeit auch mit Sparta und Mykene verbunden. Kassandra hat viele Dimensionen, neben der Politischen auch eine Feministische.

 

Am Freitag, dem 4. April 2014 hatte „Kassandra“ in der Inszenierung und Bearbeitung von Lena Biresch und Dirk Baumann Premiere im Studio des Schauspiels Dortmund. Die politisch zeitlose Dimension steht bei ihnen im Mittelpunkt.

 

Zentrum der Aufführung ist die trojanische Königstochter, Priesterin und Seherin Kassandra. Kurz vor ihrer Ermordung blickt Kassandra, eindrucksvoll von Bettina Lieder gespielt, schonungslos reflektierend auf ihr Leben zurück.

Sie beginnt mit ihrer Kindheit als „Lieblingstochter“ ihres Vaters Priamos, dem König von Troja und ihrer strengen Mutter Hekabe, und von ihrem sehnlichsten Wunsch, Priesterin zu werden.

Im Traum wurde ihr die „Seher-Fähigkeit“ vom Gott Apollon verliehen. Als sie sich ihm nicht hingeben will, versieht er Kassandra mit einem Fluch. Sie soll zwar die Gabe zu Sehen weiter behalten, aber niemand wird ihr glauben.

Kassandra ist nun zerrieben zwischen der Verbundenheit zum König und Volk und ihrem zunehmende Ekel vor Täuschung, Betrug und Selbstbetrug, und rechthaberischer Feindseligkeit gegenüber der „Gegenpartei“ zum Machterhalt. Sie fleht ihren Vater an, doch Alternativen zu suchen und zu verhandeln. Sie sieht den Untergang Trojas voraus und muss die Ermordung von ihren Brüdern Troilos und Hektor durch „Achill, das Vieh“ verkraften, ohne etwas verhindern zu können. Darüber wird sie zeitweise krank und von ihren Geschwistern für wahnsinnig gehalten. Kraft geben ihr der Geliebte Aineias und Arisbe, die Mutter des Aisakos.

Kassandra kann letztendlich nicht gegen ihre Überzeugung handeln. Aineias will sie überreden, mit ihm aus besetzten Festung Troja zu fliehen und woanders etwas neues aufzubauen. Kassandra will aber aber nicht mitkommen, da er dann wohl ein Held werden müsse und sie keinen Helden lieben könne…

 

Die Bühne war minimalistisch, nur mit einer spiegelnden Folie im Hintergrund, eingerichtet. Zum einen sollte ja Kassandra im Mittelpunkt stehen und ihr eine Stimme gegeben werden, zum anderen unterstützte die Spiegelfolie gut die Selbstreflexion der Kassandra. Bettina Lieder stellte sich so mal mit dem Rücken zum Publikum, mal drehte sie sich um und sprach die Zuschauer/innen direkt offen an. Musik gab es keine, außer bei ihrer Erzählung aus der Kriegszeit. Hier hörten die Zuschauer leise Hintergrundgeräusche wie beispielsweise Kriegstrommeln.

 

Es war schon beachtlich, wie die junge Schauspielerin nicht nur den schwierigen, komplexen Text beherrschte, sondern mit ihrer starken Präsenz und Ausdruckskraft das Publikum in ihren Bann zog. Jede Geste und Wechsel in der Stimme zeigten die Gefühlswelt der Kassandra. Sei es Verzweiflung, Schuldgefühle, weil sie zunächst den Betrug mit der angeblich von den Griechen zurückeroberten „verschleierten Helena“ nicht sofort öffentlich gemacht hat, Ekel ob der Gewalt des Krieges oder die liebevollen Gefühle für Aineias.

Einer der Höhepunkte des Abends war sicherlich, als Kassandra sagt: „Wann ein Krieg beginnt, lässt sich zeitlich gut Terminieren. Aber wann beginnt die Vorkriegszeit?“ Oder als sie am Ende betont: „Eine Welt die Helden braucht, ist dem Untergang geweiht.“

Das ließ viel im Publikum wohl auch an gegenwärtige Konflikte wie im Augenblick in der Ukraine denken.

Ein nachdenklicher Abend, aber mit dem Wissen, dass sich die Welt im ständigen Wandel befindet, was durch auch als Quelle möglicher Hoffnung auf positive Veränderungen sein sollte.

Eine gelungene Inszenierung mit einer starken schauspielerischen Leistung wurde mit viel Beifall belohnt.

Karten gibt es noch für die Vorstellungen am 09. und 25. April sowie für den 23. Mai 2014. Karten und Infos unter www.theaterdo.de oder 0231 50 27222.

 

Kein Gehör für Kassandra

Hätte Kassandra (Bettina Lieder) sich anders entscheiden können? (Foto: © Edi Szekely)
Hätte Kassandra (Bettina Lieder) sich anders entscheiden können? (Foto: © Edi Szekely)

Am Freitag, den 4. April ist um 20:00 Uhr Premiere für „Kassandra“ nach Christa Wolf (1929 -2011) in einer Fassung von Regisseurin Lena Biresch und Dramaturg Dirk Baumann im Studio des Dortmunder Schauspielhauses. Im Zentrum der Erzählung steht die Zeit der „Trojanische Krieg“ zwischen Troja und Griechenland im Verbund mit Mykene und Sparta.

 

Die trojanische Königstochter und Priesterin Kassandra ist vom Gott Apollon in die Kunst der Wahrsagung eingeweiht worden. Da sie sich einer Liebesbeziehung mit Apollon verweigert, verflucht dieser sie. Keiner soll ihren seherischen Fähigkeiten glauben schenken. So bleiben auch ihre Warnungen vor den drohenden zehnjährigen Trojanischen Krieg ungehört. Verzweifelt und vergeblich versucht sie, den „unvermeidbaren Untergang“ noch zu verhindern. Von den Siegern wird Kassandra als Sklavin verschleppt, demütigt und am Ende ermordet…

 

Der Ausgangspunkt des Stückes ist der Zeitraum kurz vor Kassandras Ermordung. Sie erzählt Erinnerungen an ihre Erlebnisse in der Kindheit, wie sie Seherin wurde und wie sich ihr politisches Bewusstsein entwickelt hat. Wolfs „Kassandra“ hat viele Dimensionen. Vor allem eine Politische – geschrieben wurde die Erzählung Anfang der 80iger Jahre des letzten Jahrhunderts zum Höhepunkt der nuklearen Aufrüstung in West und Ost mit seinem Bedrohungsszenario. Zudem hat sie natürlich auch eine starke feministische Aussage.

 

„Bei unserer Inszenierung steht Kassandra als eine Person, die letztendlich nur ihre Überzeugung verpflichtet fühlt im Mittelpunkt. Sie steht dem politischen System und seinen Mechanismen kritisch gegenüber und will die Fehler der Regierung aufzeigen. Gleichzeit zeigt sie andere, friedliche Wege der Konfliktbewältigung auf. Sie findet aber kein Gehör“, so Baumann. „Wir wollen dieser Frau wie es auch Christa Wolf wollte, eine besondere Stimme verleihen. Schwierig war, das 350-seitige wortgewaltige Werk so zu bearbeiten und zu kürzen, dass wir dem Publikum in 80 Minuten ein interessantes und eindrucksvolles Theatererlebnis mit der spezifischen interessanten politischen Dimension bieten können“, ergänzte Biresch.

 

In ihrer ersten Solo-Rolle als Schauspielerin wird Bettina Lieder vom Ensemble des Dortmunder Schauspielhaus die Kassandra spielen.„Wir gebrauchen bei dieser Aufführung wird eine minimalistische Formsprache sein. Die Figur der Kassandra steht im Zentrum des Geschehens und die Geschichte lebt von der Präsenz der Schauspielerin. Das ist eine große Herausforderung“, erklärte die Regisseurin. „Auch das Publikum wird in den Prozess des Erkennens und Sehens einbezogen“, ergänzte Baumann. Assoziationen zu Konflikten der Gegenwart wie etwa in der Ukraine werden da nicht rein zufällig aufkommen.

 

„Das Bühnenbild ist ebenfalls minimalistisch und eher abstrakt gehalten,, um nicht von der Hauptperson abzulenken“, verriet die für die Ausstattung verantwortliche Mareike Richter.

 

Die Premiere am 04. April 2014 ist bereits ausverkauft, aber Karten gibt es noch für die Vorstellungen am 09. und 25. April sowie für den 23. Mai 2014. Karten und Infos unter www.theaterdo.de oder 0231 50 27222.

Dunkle Seiten im Märchen

Die Gebrüder Grimm (Ekkehard Freye und Sebastian Kuschmann) legen Hand bzw. die Schere an das Märchen von "Rotkäppchen und dem bösen Wolf". Der Wolf wird von Uwe Schmieder gespielt.
Die Gebrüder Grimm (Ekkehard Freye und Sebastian Kuschmann) legen Hand bzw. die Schere an das Märchen von „Rotkäppchen und dem bösen Wolf“. Der Wolf wird von Uwe Schmieder gespielt. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Drehbühne, Live-Musik und Video: Die drei Erfolgszutaten von „Meister und Margarita“ spielten auch beim Stück „Republik der Wölfe“, das am 15. Februar 2014 Premiere feierte, eine zentrale Rolle. Claudia Bauer interpretierte die bekanntesten Märchen der Gebrüder Grimm in ihrer eigentlich rohen und sexualisierten Art und kombinierte sie mit Texten von Anne Sexton. Absolut nichts für Kinder. Ein Premierenbericht.

 

In dieser Spielzeit sind die Gebrüder Grimm und ihre Märchen im Theater Dortmund ja hoch im Kurs. Das Kinder- und Jugendtheater zeigte am 16. Februar zum letzten Mal „Grimm spielen“, die Oper präsentiert ab dem 22. März „Aschenputtel“ von Rossini und das Schauspiel eben „Die Republik der Wölfe“.

 

Acht Märchen von „Schneewittchen“ bis „Dornröschen“ werden nicht durch den Kakao gezogen, sondern in die heutige Zeit transportiert. Sie sind zu „urban legends“ geworden, denn der wahren Schrecken findet heute nicht mehr im finsteren Wald statt, sondern in der Stadt, im Großstadtdschungel.

 

Den Beginn machte „Schneewittchen“. Friederike Tiefenbacher spielte die „böse Königin“, die vom Hofstaat umschwärmt wird. Sie ahnt aber, dass es mit ihrer Schönheit bald vorbei sein wird, und das 13-jährige Schneewittchen (Eva Verena Müller) an ihre Stelle tritt. Schneewittchen flieht zu den sieben Zwergen (Mitglieder des Dortmunder Sprechchors), nimmt aber auch den vergifteten Apfel der Königin an und fällt in einen Tiefschlaf. Am Ende der „Republik der Wölfe“ vermischt sich „Schneewittchen“ mit „Dornröschen“.

 

Nach einer kleinen Drehung ging es weiter mit dem Märchen. „Hänsel und Gretel“ wurde vermischt mit dem Märchen „Der süsse Brei“. Frank Genser rezitierte nach einem Schaumkuss-Massaker einige Zeilen aus dem Märchen. Claudia Bauer stellte in ihrer Sichtweise von „Hänsel und Gretel“ den Aspekt der „zu stopfenden Münder“ in den Vordergrund. Die Mutter (Julia Schubert) schickt zwei ihrer Kinder weg, weil sie „total unproduktiv sind und nichts zur Gesellschaft beitragen“. Daher müssen die beiden (Peer Oscar Musinowski und Carloline Hanke) in den Wald.

 

Sehr beeindruckend war auch die Interpretation von „Rumpelstilzchen“. Ekkehard Freyer spielte einen Müller, der eine Aufstiegsmöglichkeit sucht und seine Tochter (Bettina Lieder) als das „Nonplusultra“ anpreist. Wie es heutzutage Eltern gerne tun, die ihre Kinder als „Wunderkinder“ anpreisen. Das Stroh zu Gold spinnen kann sie natürlich nur mit Hilfe von Rumpelstilzchen (Uwe Schmieder). Erst nachdem sie seinen Namen sagt, wird sie ihn los. Hier brilliert Uwe Genser als König, der nur an dem Gold interessiert ist.

 

Einen sehr stark sexualisierten Aspekt hatte der „Froschkönig“. Hier wird er nicht an die Wand geworfen und mutiert auch nicht zum Prinzen, sondern wird nach der Vergewaltigung der Königstochter (Friederike Tiefenbacher) von ihr ermordet.

 

Den aktuellen „Supermodel“-Hype nahm Bauer beim „Aschenputtel“ auf das Korn. Die Stiefschwestern (Bettina Lieder und Julia Schubert) nahmen sogar Verstümmelungen in Kauf, um dem blasierten reichen König (Oscar Musinowski) zu gefallen. Letztendlich entscheidet er sich doch für Aschenputtel (Caroline Hanke).

 

Rotkäppchen ist in „Republik der Wölfe“ sehr nahe an der ursprünglichen Fassung des Märchens. Denn Charles Perraults Fassung sollte jungen Mädchen vor Sittenstrolchen warnen. In seiner Fassung wird auch das Rotkäppchen nicht befreit. Die Brüder Grimm (Sebastian Kuschmann und Ekkehard Freye) kämpfen um das „Märchen-Ende“. Letztendlich wird Rotkäppchen mit der Schere aus dem Bauch des Wolfes geschnitten. Der Wolf (Uwe Schmieder) ist hier kein Tier, sondern ein skrupelloser (Serien-)Mörder.

 

Beeindruckend war an diesem Abend die Bühne. Doppelstöckig drehte sie sich und bot die Möglichkeit, die Märchen ohne Unterbrechung hintereinander weg zu spielen. Sie gingen quasi ineinander über. Neben der Aktion auf der Bühne gab es Live-Videos, die vom Sohn des Schauspieldirektor Jan Voges aufgenommen wurden. Zu sehen waren sie auf der linken Seite der Bühne.

 

Neben den Schauspielern, die eine engagierte Leistung boten, war auch der Dortmunder Sprechchor zu sehen: Bei „Schneewittchen“ spielten sie die sieben Zwerge und bei „Die 12 tanzenden Prinzessinnen“ durften die Damen passenderweise im Prinzessinnen-Kostüm auf die Drehbühne.

 

Eine wichtige Rolle spielte die Musik. Paul Wallfisch, Alexander Hacke, Mick Harvey und Danielle de Picciotto standen auf der rechten Seite als „Ministry of Wolves“ auf der Mühne. Verkleidet waren sie als Art Geistliche mit Beffchen dazu eine Wolfsmaske. Eine kleine Doppeldeutigkeit, denn ministry kann „Ministerium“ oder aber „geistliches Amt“ bedeuten.

 

Ihre Musik war nicht nur Soundtrack, sondern mehr mit den Märchen verwoben. Musikalisch eine Mischung zwischen „Botanica“ (Wallfisch) und Einstürzende Neubauten (Hacke). Bei der Premiere gab es noch einige Abstimmungsprobleme mit dem Ton, so dass sich manchmal Schauspieler gegen die Musik nicht durchsetzen konnte (beispielsweise die Mutter von „Hänsel und Gretel“).

 

Ein gelungener Abend, an dem alles passte: Schauspieler, Dortmunder Sprechchor, Musik, Bühne, Regie. Wer seine Kindheitsmärchen gerne mal sehen möchte, wie sie „gegen den Strich“ gebürstet und in die heutige Zeit transponiert werden, sollte sich unbedingt eine Karte für die kommenden Aufführungen besorgen.

 

Für die weiteren Termine gibt es noch Karten: 05., 06., 07., 08.,09. März sowie 11., 12., 13. April und 09., 10. und 11. Mai 2014. Weitere Infos: www.theaterdo.de

Zum Objekt degradiert

Uwe Rohbeck als John Merrick. (Foto: © Edi Szekely)
Uwe Rohbeck als John Merrick. (Foto: © Edi Szekely)

Am 29. November hatte im Studio des Schauspielhauses das Stück „Der Elefantenmensch“ von Bernard Pomerance in der Inszenierung von Jörg Buttgereit Premiere. Ähnlich wie bei „Kannibale und Liebe“ basiert das Stück auf eine wahre Geschichte. Zum Objekt degradiert weiterlesen

Drama Queens im Liebestaumel

Schafft es Romeo seine Juklia noch einmal runzukriegen? (v.l.n.r.) Andreas Beck, Eva Verena Müller, Peer Oscar Musinowski, Sebastian Graf, Merle Wasmuth und Bettina Lieder. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Schafft es Romeo seine Julia noch einmal runzukriegen? (v.l.n.r.) Andreas Beck, Eva Verena Müller, Peer Oscar Musinowski, Sebastian Graf, Merle Wasmuth und Bettina Lieder. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Bei der Premiere des Lieder-abends mit Live-Musik „Drama Queens“- neue Songs aus der Kantine“, nach einer Idee von Christian Quitschke am 6. Oktober 2013 stand die Musik voll im Mittelpunkt. Gesprochen wurde von den drei Weiblichen und drei männlichen Schauspielern „Drama Queens“ noch weniger als bei „La Cantina Adrenalina“ aus der letzten Spielzeit.

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