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Im Teufelskreis der Brandstifter

Nach fast zwei Jahren konnte das Schauspiel Dortmund endlich die Spielzeit 2017/2018 mit der Premiere von „Biedermann und die Brandstifter / Fahrenheit 451“ wieder an alter Wirkungsstätte am Hiltropwall eröffnen. Aber nicht traditionell unter der Regie des Intendanten Kay Voges, sondern dieser „Doppelpack“ wurde mit einer modernen Inszenierung von Gordon Kämmerer geschnürt.

Drei Personen aus der „Fahrenheit 451“ ( von Ray Bradbury) stehen auf der Bühne. Clarisse McClellan (Bettina Lieder), Mildred Montag (Merle Wasmuth) und Feuerwehrmann Guy Montag (Uwe Schmieder). Sie werden mit der Hebebühne nach oben transportiert. Eine erste Verbindung zu dem folgenen Drama „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch.

Familie Biedermann beim gemeinsamen fröhlichen Essen (v.l.n.r.) Ekkehard Freye, Frauke Becker und Alexandra Sinelnikova. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Familie Biedermann beim gemeinsamen fröhlichen Essen (v.l.n.r.) Ekkehard Freye, Frauke Becker und
Alexandra Sinelnikova. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Diese Aussage begründete Karl Popper in seinem Buch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“. Max Frisch exerziert dies in „Biedermann und die Brandstifter“ durch. Bühnenbildner Matthias Koch präsentiert eine mintfarbene, sterile Behausung der Familie von Gottlieb Biedermann (Ekkehard Freye). Das einzige „kuschelige“ Element ist ein riesiger Plüschbär, an dem sich die verstört wirkende Tochter Anna (Frauke Becker) vertrauen und Wärme suchend klammert, die sie in der „Keimzelle der Gesellschaft“, ihrer Familie, nicht findet. Seine Frau Babette (Alexandra Sinelnikova) ist scheinbar lebensmüde.

Der Regisseur benutzt ähnlich wie Kay Voges beim „Goldenen Zeitalter“ das Stilmittel ständiger Wiederholungen (Loops) immer alltäglichen Leben. Roboterhaft mechanisch bewegen sich die drei Schauspieler ohne zu sprechen. In das Geschehen platzt der angeblich Obdachlose – in schwarz gekleidete Ringer – Josef Schmitz (Björn Gabriel) und später sein Freund Wilhelm Maria Eisenring (Max Thommes). Familie Biedermann bietet ihnen trotz unguter Gefühle eine Unterkunft auf dem Dachboden. Trotz anfänglich markiger Worte wird Gottlieb immer mehr zu einem „Versteher“ und lässt noch jede fadenscheinige Ausrede gelten. Denn „die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Die glaubt niemand,“ so Schmitz. Obwohl genügend Warnungen (Sprechchor) herausgegeben werden.

Am Ende siegt die Intoleranz und Biedermann bezahlt seine native Toleranz und verschwindet in der Versenkung.

Der Abend geht fließend und konsequent zu „Fahrenheit 451“ über. In Bradburys dystopischer Geschichte wurde die Intoleranz institutionalisiert. Um zu verhindern, dass irgendwelche Bücher Menschen verletzen oder auf dumme Ideen bringen könnten, hat man sie gleich verboten. Um sicher zugehen, verbrennt man sie, wenn man ihrer habhaft werden kann. Dies macht die Feuerwehr. Im Original heißen sie „fire-men“, was man auch als Brandstifter übersetzen kann und so besteht die Verbindung zum ersten Stück.

Clarissa McClellan (Bettina Lieder) zeigt Guy Montag (Uwe Schmieder) die Poesie der Natur. (Foto. © Birgit Hupfeld)
Clarissa McClellan (Bettina Lieder) zeigt Guy Montag (Uwe Schmieder) die Poesie der Natur. (Foto. © Birgit Hupfeld)

In „Fahrenheit 451“ trifft der Feuerwehrmann Guy Montag auf die junge Nachbarin Clarisse McClellan. Clarisse will Guy von der Schönheit der Natur und der Bedeutung von Worten überzeugen. Diese Welt wird im Nieselregen berührend von Bettina Lieder und Uwe Schmieder dargestellt. Montags Frau Mildred (Merle Wasmuth) dagegen ist ein typisches Exemplar dieser Gesellschaft. Als kleiner Gag bringt Kämmerer die „Biedermanns“ als Soap auf die Riesenleinwand. Der dramatische Höhe – und Wendepunkt ist mit beeindruckendem Videohintergrund ist die Stelle, als Guy bei einem Einsatz erleben muss, dass Alice Hudson (Alexandra Sinelnikova) mit ihren Büchern zusammen verbrannt wird. Er kann so nicht weiter machen. Sein Vorgesetzter Captain Beatty, wohl nicht zufällig gespielt von Björn Gabriel, dem Brandstifter aus dem „Biedermann“, versucht ihn zu beschwichtigen. Die Verbindung beider Stücke wird offensichtlich. Eine Gruppe von Dissidenten konnte fliehen und versucht, die Gedanken der verbrannten Bücher großer Denker im Kopf zu behalten. Sie werden auf der Bühne von den einzelnen Mitgliedern des Sprechchors verkörpert. Der Dortmunder Sprechchor hat wieder eine wichtige Funktion als mahnende stimme des Gewissens. Nach der Zerstörung ihrer ehemaligen Heimatstadt wollen etwas Neues aus der „alten Asche“ aufbauen. Muss es immer so weit kommen?

Ein großer Dank geht an alle Schauspieler, aber vor allem an Uwe Schmieder, der Guy Montag in einer beeindruckenden Weise spielt und dabei die Würde und Verletzlichkeit des Menschen gekonnt darstellt.

Kunstfreiheit und Meinungsfreiheit gibt es nicht geschenkt. Man muss sie sich täglich erkämpfen. Allzu blinde Toleranz ist hier ebenso Fehl am Platz wie bedingungsloser Konsumfetischismus und Berieselung durch Fernsehen oder Smartphone. Ein Theaterabend, der dem Publikum viel zum Nachdenken mit nach Hause gibt.

Informationen zu weiteren Aufführungsterminen erhalten sie wie immer unter: www.theaterdo.de

Liebe oder gesellschaftlicher Aufstieg?

Auch in der Liebe gilt: Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. (v.l.n.r. Bettina Lieder,  Frank Genser, Julia Schubert, Christoph Jöde und Max Thommes) Foto: © Birgit Hupfeld.
Auch in der Liebe gilt: Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. (v.l.n.r. Bettina Lieder,
Frank Genser, Julia Schubert, Christoph Jöde und Max Thommes) Foto: © Birgit Hupfeld.

Immerhin geht es trotz Krise den Friseuren anscheinend prima, zumindest in der Inszenierung von „Kasimir und Karoline“ in der Regie von Gordon Kämmerer, die am 18. September im Megastore Premiere hatte. Die Kostüme und Frisuren wirkten leicht skurril und hatten einen leichten Comic-Touch. Hinzu kamen choreografische Elemente, die aus dem tragikomischen Stück eine flotte Unterhaltungspartie machte. Eben wie auf dem Rummel, Glück und Elend liegen eng beieinander und manchmal ist der Partner auf dem Nachhauseweg ein anderer als auf dem Hinweg.

„Kasimir und Karoline“ von Ödön von Horváth spielt in den Jahren der Weltwirtschaftskrise des 20. Jahrhunderts. Aber das Stück kann problemlos in die Jetztzeit verlegt werden, denn Wirtschaftskrise ist immer noch aktuell. Passend zur Jahreszeit spielt das Stück auf dem Oktoberfest. Kämmerer verzichtete – anders als die Düsseldorfer beim Theatertreffen 2014 – auf eine Verortung in heimische Gefilde.

Kämmerer beginnt mit einer Szene aus einem anderen Stück von von Horváth nämlich „GlaubeLiebeHoffnung“, in der eine Frau ihren Körper an die Anatomie verkaufen möchte. Diese Idee ist nicht neu, denn Jette Steckel hat es 2015 im Thalia Theater ähnlich gemacht. Glücklicherweise geht Kämmerer direkt danach straff zum eigentlich Stück über: Kasimir (Ekkehard Freye) und Karoline (Julia Schubert) möchten einen Abend auf dem Oktoberfest verbringen. Die Stimmung ist getrübt, denn Kasimir hat vor einem Tag seinen Job verloren. Kasimirs depressive Stimmung vertreibt Karoline, die mit dem Zuschneider Schürzinger (Frank Genser) eine passende Begleitung kennenlernt. Kasimir hingegen trifft seinen kriminell gewordenen Freund Merkl Franz (Christoph Jöde) mit seiner Freundin Erna (Bettina Lieder). Doch auch das aufkeimende Glück von Karoline wird gestört, als zwei Herren der gehobenen Gesellschaft, Kommerzienrat Rauch (Carlos Lobo) und Landgerichtsdirektor Speer (Max Thommes) ein Auge auf Karoline werfen.

Trotz der leicht schrillen Inszenierung (Jugendlichen wird‘s vermutlich gefallen), strahlt dieses Stück eine melancholische Stimmung aus. Kasimir, auch wenn er am Schluss mit Erna möglicherweise sein Glück und seine Bestimmung findet, muss den Verlust seiner Liebe Karoline verwinden. Karoline ist in gewisser Weise berechnend, denn sie will auf gesellschaftlicher Ebene aufsteigen und schafft es mit Schürzinger. Denn auch Schürzinger tauscht Liebe für Karriere, er überlässt Karoline seinem Chef Rauch für eine Beförderung. So gesehen passen beide gut zusammen.

Kämmerer inszeniert sein Stück passend für einen Rummelplatz. Schrill, laut, rasant (die umgebauten Carts sind ein Hingucker) und strafft den Horváth. So lässt er beispielsweise die menschlichen Kuriositäten wegfallen. Zwar ist der Beginn aus „GlaubeLiebeHoffnung“ in meinen Augen etwas merkwürdig, der zweite eingebaute Text von Horváth, der kleine Monolog „Die Wiesenbraut“ über die Rolle von manchen Mädchen auf dem Oktoberfest, ist aber sehr passend.

Das Ensemble macht einen guten Job, es harmonisiert sehr und es macht Spaß, ihnen beim der Handlung durch das Festzelt mit den riesigen Weißwürsten zu folgen. Musik gibt es in zwei Varianten: Hauptsächlich durch den Elektronik-Musiker Max Thommes, der passende Rummelplatz-Musik einstreut und dem Fanfaren-Corps 1974 Dortmund-Wickede, der für die entsprechende Bierzelt-Atmosphäre sorgt.

Auf dem Rummelplatz sind alle gleich, sagt Kommerzienrat Rauch einmal. Auf den ersten Blick vielleicht, aber es macht schon einen Unterschied, ob man einmal die teure Achterbahn fahren kann oder öfters. Das Stück und die Inszenierung ist eine absolute Empfehlung, vor allem für junges Publikum.

Mehr Infos: www.theaterdo.de