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Internationales Ballett auf höchstem Niveau

Die neunzehnte Internationale Ballettgala am 28. und 29. Juni 2014 im Opernhaus Dortmund, konzipiert von Ballettdirektor Xin Peng Wang, stand ganz im Zeichen der großen Choreografen Sie zeigte ihren großen Einfluss sowie ihre Verdienste für die Entwicklung vom (Neo)-klassischen Ballett hin zur modernem, ausdrucksstarken und perfektionistischen Tanz-Performance. Dem neoklassischen Ballett wurde dabei mit einigen Solo-Auftritten und Pas de deux viel Raum gegeben. Durch die Abende führte wie schon so viele Jahre charmant und mit Hochachtung für das Ballett Kammersänger Hannes Brock.

Die Veranstaltung begann traditionell mit Auszügen aus einer Produktion der aktuellen Spielzeit. XIXDie Dortmunder Ballett-Kompanie bot dem Publikum mit der neu bearbeitete Aufführung „Krieg und Frieden“von Xin Peng Wang einen eindrucksvollen Einblick in das moderne Themen-Ballett.

Mit „Stars and Stripes“ des Choreografen George Balanchine entführten Iana Salenco und Rainer Krenstetter vom Staatsballett Berlin die Zuschauer in die Zeit des amerikanischen Revue-Ballett in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts mit entsprechender Musik, Spitzentanz und Sprungelementen.

Moderner Tanzelement zeigte Alessioo Carbone von der L’Opéra de Paris als „ Teufel im roten Spandex-Trikot“ bei „Arepo“. Hier war sehr schön die Weiterentwicklung im Ballett durch den Choreographen Maurice zu erkennen.

Danach folgte das einfühlsame Pas de deux aus „Krieg und Frieden“, getanzt von Jelena-Ana Stupar und Publikumsliebling Mark Radjapov vom Ballett Dortmund. Ein sehr berührendes Stück, denn eigentlich tanzen beide nicht wirklich miteinander. Die Frau möchte den Mann bei sich behalten, er soll nicht in den Krieg ziehen, doch er hat seine Entscheidung längst getroffen und lässt sie allein.

Einen „sterbenden Schwan“ erster Güte erlebte das Publikum mit Primaballerina Eve Grinsztajn von der L’Opéra de Paris in der Choreografie von Michel Fokine.

Ein besonderes Highlight war der Auftritt von Hyo-Jung Kang (Stuttgarter Ballett) und dem afroamerikanischen Tänzer Brooklyn Mack (The Washington Ballet). Sie tanzten zu „Diana und Acteon“, Choreografie: Agrippina Vaganova. Vor allem Mack bot eine wahnsinnig dynamische Vorstellung. Das er aber nicht nur über eine äußerst starke Sprungkraft verfügt, sondern den modernen Ausdrucks-Tanz beherrscht, bewies er später bei einem Solo-Auftritt.

Eher klassisch kam „Cinderella“ daher. Die Choreografie stammt von niemanden geringerem als Rudolf Nurejew, getanzt wurde es von Eve Grinsztajn und Alessio Carbone.

Ein besonderes Highlight war das Pas de deux aus „Cacti“ mit Risa Tateishi und Arsen Azatyan nach der Choreografie von Alexander Ekman. Denn es verband Humor mit tänzerischer Klasse. Zur Musik von Haydn gab es ein Zwiegespräch vom Band zwischen Mann und Frau, die mit der Choreografie verknüpft wurden.

Auch Marijn Rademaker vom Stuttgarter Ballett konnte bei „Sssst“ gefallen. Das Solo-Stück nach der Choreografie von Edward Klug zeigte zeitgenössischen Tanz in Vollendung.

Zu Live-Musik von Rachmaninov tanzten Lucia Lacarra und Marlon Dino „Three Preludes“ von Ben Stevenson. Besonders der erste Teil, bei dem beide Tänzer zunächst durch eine Ballettstange getrennt wurden, bezauberte durch seine filigranen Elemente.

Nachdem Brooklyn Mack seine hohe Körperbeherrschung unter Beweis gestellt hatte, war es dem Dortmunder Ballettensemble vergönnt, den Abschluss der Ballettgala zu präsentieren. Bei „The Vertigenous Thrill of Exactitude“ von William Forsythe. Fün Tänzerinnen und Tänzer der Kompagnie zeigten den atemberaubenden Nervenkitzel der Exaktheit, so die Übersetzung.

Doch es war nicht vorbei, denn drei Tänzerinnen und Tänzer wurden verabschiedet, darunter der beliebte Mark Radjapov, der vielen Stücken von Xin Peng Wang seinen Stempel aufgedrückt hat. Unvergessen sein „böser Zauberer“ bei Fantasia. Radjapov verabschiedete sich vom Dortmunder Publikum mit einer großartigen Performance beim Stück „Abgeschminkt“.

Der Krieg als großer Entscheider

Pierre (Mark Radjapov) ist angesichts der Toten (Alysson da Rocha Alves) und Verwundeten verzweifelt. (Foto: ©Bettina Stöß / Stage Picture)
Pierre (Mark Radjapov) ist angesichts der Toten (Alysson da Rocha Alves) und Verwundeten verzweifelt. (Foto: ©Bettina Stöß / Stage Picture)

Ist es Zufall, dass die Neuauflage des Balletts „Krieg und Frieden“ von Xin Peng Wang gerade zur 100-jährigen Wiederkehr des Beginns des Ersten Weltkrieges aufgeführt wird? Denn genauso wie in Tolstois Meisterwerk waren die Menschen 1914 zunächst euphorisch, bis sie dann die Schrecken des Krieges am eigenen Leib erfahren mussten. Auch bei den vier Protagonisten Natascha, Lisa, Andreji und Pierre wird der Krieg zum Entscheider über ihr weiteres Schicksal. Ars tremonia war bei der Premiere der Neufassung am 04. April im Opernhaus Dortmund dabei.

 

Mit Monica Fotescu-Uta als Natascha und Mark Radjapov als Andreji waren zwei Akteure dabei, die schon vor sechs Jahren mitgetanzt haben. Damals war das Handlungsballett „Krieg und Frieden“ etwas unerhört Neues auf der Dortmunder Ballettbühne und bedeutete gleichzeitig die Eigenständigkeit des Balletts als eigene Sparte.

 

Das Ballett beginnt mit einem Fest und endet mit einem Totentanz. Auch hier sind Parallelen zu 1914 und 1918 erkennbar. Das „Fin de siècle“ endete in Revolutionen und Chaos. Xin Peng Wang zeigt in seinen Choreografien sehr eindrucksvoll die Schrecken des Krieges und die Verzweiflung der zurückgebliebenen Frauen. Gleich zu Beginn des zweiten Teils tanzen Natascha und Lisa (Jelena-Ana Stupar) ein ergreifendes Duo. Beide Verlassene, dadurch sie sind sich doch sehr ähnlich. Das wird in der Choreographie deutlich. Unterstützt wird das Duo durch die Ergreifende Filmmusik zu „Odna“ (Allein) von Dimitri Schostakowitsch.

 

Drastisch erzählt Xin Peng Wang das Schicksal der Soldaten. Militärischer Zwang, Gewalt und am Ende die Schlacht und der Tod. Pierre (Alysson da Rocha Alves) überlebt zwar, aber mit Schäden an Körper und Seele.

 

Da Rocha Alves tanzt einen Pierre mit all seinen Facetten. Von Hurrapatriotismus bis zum verzweifelten Opfer der Kriegsmaschinerie. Mark Radjapov tanzt den zerrissenen Andreji, der zwischen zwei Frauen steht. Einerseits mit Lisa verheiratet, liebt er eigentlich Natascha. Hier nimmt ihm der Krieg die Entscheidung ab, er fällt.

 

Fotescu-Uta tanzte die erst unbeschwerte Natascha mit kecker Fröhlichkeit, doch wird sie schon bald den Ernst des Lebens kennenlernen. Ergreifend die Abschiedsszene, als sie zusammen mit Lisa (Stupar) Pierre und Andreji in eine ungewissen Zukunft verabschieden müssen.

 

Beim Bühnenbild waren das Auffälligste eine Vielzahl von Haken, an denen Körbe befestigt waren. So entstand ab und zu der Eindruck einer Waschkaue. Sehr effektvoll wurden sie beim erwähnten Duo der beiden Frauen eingesetzt. Zunächst schienen sie wie eine Art von Grenzziehung und Distanz, doch mit der Zeit verschwanden die Körbe und Natascha und Lisa tanzten gemeinsam.

Ein weiteres gelungenes Element bei der Aufführung war das Licht. Als das Corps de Ballett als Soldaten aufmarschiert, scheint es durch die Schattenwirkung, als ob hunderte weitere Menschen mitmarschieren.

 

Die Musik zum Ballett stammt von Dimitri Schostakowitsch. Dabei wurde darauf geachtet, nicht nur die populären Stücke des Komponisten zu nehmen wie beispielsweise die 7. Sinfonie, sondern auch eher unbekannte Werke wie die Filmmusik zu „Odna“. Die Dortmunder Philharmoniker unter Philipp Armbruster zeigten ebenso wie die Tänzer ein souveräne Leistung.

 

„Krieg und Frieden“ ist ein Handlungsballett mit starken Emotionen. Für alle Beteiligten gab es vom Publikum Standing Ovations zum Schluss.

 

Weitere Termine: 13.04.14, 19.04.14, 16.05.14, 28.05.14 und 19.06.14

 

Karten sind noch erhältlich unter www.theaterdo.de oder 0231 50 27222.

 

Getanzte Hommage an die kleinen Leute

Marianne (Monica Fotescu-Uta) tanzt mit einem Skelett. (Foto: ©Thomas M. Jauk / Stage Picture)
Marianne (Monica Fotescu-Uta) tanzt mit einem Skelett. (Foto: ©Thomas M. Jauk / Stage Picture)

Die Uraufführung des neuen Balletts von Xin Peng Wang „Geschichten aus dem Wiener Wald“ von Ödön von Horváth am 22. Februar 2014 im Opernhaus präsentierte das Kleinbürgertum als handelnde Protagonisten. Xin Peng Wang und seine Mitstreiter zauberten herrliche Bilder aus Wien auf die Bühne. Ob der Tod nun ein Wiener ist? Keine Ahnung, aber er kann sehr gut tanzen.

 

Keine Könige und Kaiser, kein Drama an einem Fürstenhof und weltpolitische Entscheidungen werden auch nicht gefällt. Die „Geschichten aus dem Wiener Wald“ von Ödön von Horváth stellt die kleinen Leute in den Mittelpunkt. Sie leben irgendwo in den Vorstädten und erleben dort ihre Komödien, Tragödien und Dramen, von denen in der Regel niemand sonst Notiz nimmt. Von Horváth schreibt sie aus seiner Wiener Sicht, doch die Geschichten können auch in der Dortmunder Nordstadt oder in Scharnhorst passieren und vermutlich tun sie es sogar jeden Tag.

 

Zur Geschichte: Es gibt in Wien eine Legende, dass die Toten, die auf der Erde noch eine Rechnung offen haben, einmal im Jahr die Chance bekommen, etwas zu verändern. An dieser Aufgabe versuchen sich Marianne, Oskar, Alfred und Valerie.

Marianne und der biedere Oskar sind verlobt. Marianne trifft aber den Hallodri Alfred, der mit Valerie zusammen ist. Anton verlässt Valerie um mit Marianne zu leben, die ein Kind von ihm bekommen hat. Es dauert nicht lange, dann hat Alfred Marianne und das Kind satt und er kehrt zu Valerie zurück. Marianne ist allein, arbeitet aus Verzweiflung in einem Nachtclub. Auch die Kirche, an die sie sich in ihrer Verzweiflung wendet, gewährt ihr keine Absolution. Als Oskar schließlich erfährt, dass das Kind, das Marianne in eine Pflegefamilie gegeben hat, tot ist, nimmt er sie wieder auf.

 

Xin Peng Wang hat dieser Geschichte noch zwei wichtige Personen hinzugefügt. Zum einen den „Tod“ als handelnde Figur, der wie ein Dirigent oder ein Marionettenspieler die Toten unter seiner Kontrolle hat und zum anderen „das kleine Mädchen“, die einzige lebende Figur, denn alle anderen sind ja tot. Ob sie nun den Geist oder die Seele des ursprünglich verstorbenen Mädchens verkörpert, die Hoffnung oder das Gewissen, bleibt dem Zuschauer überlassen.

 

Das Corps de Ballet spielt in dem Stück mehrere Rollen. Erst beim zweiten oder dritten Blick erkennt man, dass die Tänzer wie Totenköpfe geschminkt sind. Sie verkörpern einerseits die Natur wie beispielsweise die Wellen der Donau oder die Büsche im Wind, andererseits spielen sie auch das „Volk“. Besonders beeindruckend ist die Szene in der Wiener Vorstadt, als alle weiblichen Mitglieder des Ensembles mit Kinderwagen auf die Bühne kamen. Hier kommt mir das Zitat von Heinrich Böll in den Kopf, der über das ähnliche Milieu in Köln geschrieben hat:

„Mädchen kreuzten meinen Schulweg, balgten sich am Straßenrand, heute – morgen, so schien es mir, waren sie schon junge Frauen, übermorgen Mütter“ (Heinrich Böll, Essayistische Schriften und Reden, Band 1, ©1979 Kiepenheuer & Witsch, Köln.

Kommen wir zu den Solisten: „Der Tod ist pünktlich, er kommt weder zu spät noch zu früh“, sagte Dramaturg Christian Baier bei der Premierenfeier. Hinzu kommt, dass er bei den „Geschichten aus dem Wiener Wald“ noch eine majestätische Bühnenpräsenz und Sprungkraft hat. Das alles verlieh ihm Mark Radjapov, der schon in Fantasia als Dr. Zaponetti glänzte.

Die Primaballerina Monica Fostecu-Uta tanzte die Marianne. Dabei deckte sie das ganze Gefühlsspektrum, was diese junge Frau durchleben muss ab. Erst forsch , als sie sich von Oskar trennt und sich für Alfred entscheidet flatterhaft wie ein Schmetterling.Später zeigt uns Fotescu-Uta eine verletzte, hoffnungslose, immer verzweifelter werdende Marianne, die von allen verlassen scheint.

In dem Stück spielen die Männer eher eine Nebenrolle. Oscar (Howard Quintero Lopez) als verlassener Verlobter, der Marianne am Ende doch wieder zurück nimmt. Dimitry Semionov tanzt einen von sich überzeugten Alfred, der immer wieder Glück bei den Frauen hat und dem auch Valerie letztendlich nicht widerstehen kann.

Valerie (getanzt von Emilie Nguyen) hat einen äußert komischen Auftritt, als sie in einem Liegestuhl dösend, von lästigen Mücken und Fliegen gestört wird.

 

Das kleine Mädchen wird getanzt von Stephanine Ricciardi. Sie ist die einzige lebende Figur in diesem Stück. Ihre berührendste Szene hat sie zusammen mit ihrer Mutter Marianne, die sie aber nicht berühren darf, denn der Tod ist immer dazwischen und achtet darauf, dass diese Linie zwischen den lebenden und den Toten nicht überschritten wird.

 

Trotz dieses Dramas gibt es einige Stellen, die zum Schmunzeln sind wie die erwähnte Badeszene mit den Mücken. So setzt das Corps de Ballet die Klänge der „Trisch-Tratsch-Polka“ von Johann Strauss das Tratschen herrlich tänzerisch um.

Ein großes Kompliment auch für wunderschönen Kostüme unter Leitung von Ute Werner, wie zum Beispieles die Badeanzüge im Stil des beginnenden 20. Jahrhunderts oder die Mönchskutten in der Szene in der Kirche. Die Beleuchtung wurde von Stefan Schmidt sehr geschickt eingesetzt. Besonders beeindruckend war etwa der einsam in einem Lichtstrahl stehende Kinderwagen. Die Mutter Marianne will von der dunklen rechten Seite zu ihrem Kind, wird aber von Alfred zurückgehalten.

Die Bühne war sparsam, aber effektvoll. Neben typischen Wiener Bildern wie dem Prater, wurden die Handlungsorte rudimentär und skizzenhaft im Hintergrund gezeigt. Beeindruckend waren die Skelette, die schon ziemlich am Anfang von der Decke schwebten und Marianne zum Tanzen animierten.

 

Kommen wir zur Musik. Sie wird live gespielt von den Dortmunder Philharmonikern. Bei der Premiere war Motonori Kobayashi auf dem Dirigentenpult. Neben Johann Strauß, der mit seinen Walzern und Polkas einen wesentlichen Teil der Musik „beisteuerte“, erklangen noch Werke von Alban Berg. Berg steht zwar im Spannungsfeld zwischen Neuromantik und Atonalität, doch zusammen mit den Werken von Strauss verbanden sie sich zu einer Art Gesamtmusik. Neben den gefälligen Melodien, erklangen auch sperrige. Wie im wirklichen Leben.

 

So war es nicht verwunderlich, dass am Ende des Abends die Besucher stehend alle Beteiligten feierten. Dortmund erlebte wieder einen großen Ballettabend.

Weitere Termine: So, 09. März 2014, Sa, 15. März 2014, Fr, 21. März 2014, Mi, 26. März 2014, Sa, 29. März 2014, Mi, 16. April 2014, Sa, 26. April 2014, Sa, 03. Mai 2014, Fr, 09. Mai 2014, So, 25. Mai 2014, Sa, 31. Mai 2014 und Sa, 14. Juni 2014. Infos und Karten unter www.theaterdo.de