Alle Beiträge von Anja Cord

doing photography – Schwerpunkt Fotografie im Museum Ostwall

Fotografische Arbeiten aus der eigenen Sammlung zeigt das Museum Ostwall im Schaufenster. Die Fotografien aus den 60iger bis 80iger Jahren zeigen die Bandbreite des Genres auf.

Die Fotografie begleitet uns durch das tägliche Leben, hilft Sachverhalte einzuordnen, dokumentiert, interpretiert, zeigt persönliche Befindlichkeiten. Sie ist ein Experimentierfeld um unsere Welt durch innerliche oder äußerliche Betrachtung besser zu verstehen und bestenfalls einen Diskurs auszulösen.

„doing photography“ verbindet künstlerische Positionen in einem Querschnitt durch Zeit, Raum und Medium. Porträts, Dokumentationsbilder und mediale Experimente werden zu Schnittstellen zwischen Kunst und Alltag.


Zu sehen ist eine Auswahl aus der Sammlung des MO mit Arbeiten u.a. von Andreas Langfeld, Adrian Paci, Beate Passow, Martin Brand, Dieter Roth oder Timm Ullrichs, die sich in ihren medialen Formen unterscheiden: Diarahmen auf Leuchttischen, Bildschirme, Fotopapiere, Zeitungspapier und C-Prints.

Die Kuratorinnen Dr. Elvira Neuendank (TU Dortmund), im Foto links und Dr. Sarah Hübscher (PH Karlsruhe) warfen einen frischen Blick auf die eigene fotografische Sammlung des Museums. (Foto: © Anja Cord)
Die Kuratorinnen Dr. Elvira Neuendank (TU Dortmund), im Foto links und Dr. Sarah Hübscher (PH Karlsruhe) warfen einen frischen Blick auf die eigene fotografische Sammlung des Museums. (Foto: © Anja Cord)

Bewusst haben die beiden Kuratorinnen Dr. Elvira Neuendank und Dr. Sarah Hübscher die Bildlegenden an den Wänden weggelassen. Den Besuchern und Besucherinnen möchten sie so die Möglichkeit der unbefangenen, nicht geleiteten Betrachtung der Fotos ermöglichen. In einem Booklet sind jedoch zur Vertiefung Informationen zu allen Fotografen und ihren Arbeiten beschrieben.

Fotobuchprojekte von regionalen Künstlern bereichern die Ausstellung durch ihren aktuellen Zeitbezug.

doing photography“ feiert das Fotobuch zusätzlich mit einem Festival. Am Donnerstag, 4. August steht das Museum Ostwall von 14 bis 20 Uhr im Zeichen der Fotografie. Einige Fotografen und Fotografinnen der ausgelegten Fotobücher erzählen über die Motivation und die Entstehung ihrer Arbeiten. Gesprächsrunden, eine Photobookfair auf der Ebene 4 und ein Vortrag des künstlerischen Leiters vom Kettler Verlag lassen einen anregenden Nachmittag erwarten.

Die Ausstellung ist ein kollaboratives Projekt von TU Dortmund, der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe, der FH Dortmund und dem Frappanz_Kollektiv kultureller Freiheiten e.V. Es wird gefördert vom Freunde des Museums Ostwall e. V.

Bis zum 28. August kann die Ausstellung besichtigt werden.

Neuer Stadtbeschreiber Elias Hirschl vorgestellt

Der neue Stadtbeschreiber für Dortmund, Elias Hirschl, hat seit Anfang Mai sein Quartier im Kreuzviertel bezogen. Für sechs Monate wird der sympathische Wiener in Dortmund arbeiten und einen speziellen Blick auf Dortmund werfen. Der 28-jährige ist den Kennern des Poetry Slams schon durch einige Auftritte in Dortmund und Bochum bekannt und in NRW gut vernetzt.

Für das halbe Jahr hat er sich einiges vorgenommen. Neben der Wortkunst als Slammer möchte er Musiktexte schreiben, Essays und Artikel verfassen. Sein Hauptaugenmerk legt er auf einen neuen Roman, der hier entstehen soll. Den Inhalt skizziert er als einen Text über eine neue Arbeitswelt, gekennzeichnet durch prekäre Arbeit oder eine neue Form von Fließbandarbeit, z. B. die der Clickworker. Das Thema Entfremdung der Arbeit und undurchsichtige Strukturen soll ebenfalls mit einfließen. Für die Handlung stellt er sich einen fiktionalen Ort vor. Hirschl orientiert sich an der Transformationsleistung des Ruhrgebiets. „Das Ruhrgebiet ist zerfleddert in einzelne Städte, vieles, was früher das Stadtleben bestimmt hat, ist weg. Neues entsteht. Es gibt hier eine aktive Start up Szene.“ Seine Recherchen werden sich auch mit der Bergbau- und Stahlgeschichte der Stadt befassen.

Dortmunds 3. Stadtschreiber, Elias Hirschl, stellt sich vor. (Foto: © Anja Cord)
Dortmunds 3. Stadtschreiber, Elias Hirschl, stellt sich vor. (Foto: © Anja Cord)

Kulturdezernent Jörg Stüdemann bezeichnet Elias Hirschl als wichtigen Autor. „Mit seinem Buch „Salonfähig“ habe er die österreichische Gesellschaft aufgemischt. Seine Bewerbung für das Stipendium zeigte seine Affinität zum Poetry Slam, das Interesse am Strukturwandel und seine Liebe zur Musik“. Zusammen mit dem Rapper Selbstlaut bildet Hirschl das Musikduo „Ein Gespenst“.

An Dortmund gefällt ihm besonders, dass in fast jeder Straße Bäume stehen, das kennt er aus seiner Heimatstadt nicht. Die U-Bahn bezeichnet er als „niedlich“. Da ist er aus Wien andere Dimensionen gewohnt. Insgesamt fühlt er sich hier schon sehr wohl und stellt die Überlegung an, gleich ganz hier zu bleiben.

Elias Hirschl plant, den Aufenthalt in Dortmund auch für Lesungen und Poetry Slam-Auftritte zu nutzen. Kennenlernen kann man Elias Hirschl zum Beispiel am 27. Mai beim Stadtfest DortBunt, wo er sich um 15 Uhr auf der Bühne am Deutschen Fußballmuseum vorstellt. Außerdem wird er regelmäßig an einem Blog schreiben (www.literaturhaus-dortmund.de/blog)
Er erhält ein monatliches Honorar von 1800 Euro.
Das Stadtbeschreiber-Stipendium wird seit 2020 jährlich vergeben und setzt sich inhaltlich mit Transformationsprozessen in Dortmund auseinander. In der Zeit des Stipendiums arbeitet der/die Stipendiat*in eng mit dem Kulturbüro, dem Literaturhaus Dortmund und weiteren Institutionen der regionalen Literaturszene zusammen, bringt sich in die Stadtgesellschaft ein und vernetzt sich mit lokalen Literaturakteur*innen.

Die kleinen Dinge

Eine großzügige Schenkung aus dem Jahr 2020 ist die Grundlage der aktuellen Ausstellung im MO_Schaufenster. Dr. Susannah Cremer-Bermbach, die Tochter des Künstlers und Sammlers Siegfried Cremer, übergab dem Museum Ostwall 40 Arbeiten aus dem eigenen Bestand. Diese Werke ergänzen das schon vorhandene Konvolut Cremers , das in den Jahren 1991 bis 1999 angekauft wurde.

Die Sammlung des MO beinhaltet Werke des Nouveau Réalisme, der Konkreten Poesie, der Pop Art und Zero. In den vergangenen Jahren hat das Museum immer wieder Objekte aus dem schon vorhandenen Bestand gezeigt.

Das Foto zeigt v.li. Kuratorin Natalie Calkozan, Sammlungsleiterin Dr. Nicole Grote und Regina Stelter, stellvertretende Direktorin des MO. I Vordergrund ist eine kinetische Arbeit von Siegfried Cremer zu sehen. (Foto: © Anja Cord)
Das Foto zeigt v.li. Kuratorin Natalie Calkozan, Sammlungsleiterin Dr. Nicole Grote und Regina Stelter, stellvertretende Direktorin des MO. I Vordergrund ist eine kinetische Arbeit von Siegfried Cremer zu sehen. (Foto: © Anja Cord)

Im Schaufenster kombiniert Kuratorin Natalie Calkozan Werke aus der aktuellen Schenkung mit Arbeiten aus der schon vorhandenen Sammlung Cremer.

Siegfried Cremer arbeitete als Restaurator und entwickelte aus dieser Auseinandersetzung mit den unterschiedlichsten Werken ein ausgeprägtes Gespür für Materialien und Stofflichkeiten, die ihn umgaben. Ihn interessierten alltägliche Dinge, Fundstücke die er aus dem Kontext herauslöste und als einzelne Objekte in Szene setzte. So fällt der erste Blick des Ausstellungsbesuchers auf einen in grellem Pink bemalten Eierkarton, der in seine prallen Farbigkeit ein Eigenleben entwickelt und seine ursprüngliche Funktion vergessen lässt. Dazu korrespondiert ein auf Armierungsdraht aufgespießter Schwamm von Yves Klein, in der bekannten strahlend blauen Pigmentfarbe.

Die Ausstellung gibt Einblick in die vielfältigen Interessengebiete des Künstlers und Sammlers. Sie zeigt die Wechselwirkung zwischen den gesammelten Objekten und der eigenen künstlerischen Arbeit Cremers.

Ein insektengleiches Wandobjekt aus Holz und filigranem Draht aus den 60er Jahren wirkt wie ein Pendant zu einem massiveren Werk, das den Titel „Unbeabsichtigt entstandene Skulptur“ aus dem Jahr 1983 trägt. Hierbei handelt es sich um eine Bündelung von Baustahl, den er bearbeitet, geölt und auf einen Sockel gesetzt hat.

Daneben finden sich einzelne Holzleisten, ebenfalls Fundstücke, mit leuchtendem, neonfarbigen Papier hinterlegt. Sie werfen farbige Schatten auf die Wand. Wunderbar reduzierte Formen mit beeindruckender Wirkung,

Die kleinen Dinge des Alltags kommen hier ganz groß raus. Auch wenn der Raum des Schaufensters begrenzt ist, lohnt sich ein Besuch der liebevoll erstellten Ausstellung.

Am heutigen Donnerstagabend stehen Regina Selter (stellv. Direktorin) und Kuratorin Natalie Calkozan von 18 bis 20 Uhr im MO-Schaufenster interessierten Besuchern Rede und Antwort. Eine offizielle Ausstellungseröffnung findet coronabedingt nicht statt.

Die Ausstellung läuft bis zum 3. April.

Die lustige Witwe im Geist er 1920er Jahre

„Die lustige Witwe“ als Revue-Operette zu inszenieren, erwies sich als voller Erfolg. Unter der Regie von Thomas Enzinger entspinnt sich die Geschichte einer enttäuschten Liebe der Chansonette Hannah zum Grafen Danilo auch zu einer Erzählung über die Selbstbestimmtheit einer Frau.

Nachdem die geplante Hochzeit mit Danilo gescheitert war, vermählt Hannah sich kurzentschlossen mit dem älteren Millionär Glawari. Dieser verstirbt jedoch direkt nach der Heirat. Das macht Hannah Glawari zur reichen Witwe und damit zu einem Objekt der Begierde zahlreicher Herren, nicht nur in ihrem südamerikanischen Heimatland. Sich ihrer Macht durchaus bewusst, spielt sie mit den angebotenen Avancen ohne sich fest zu binden. Die finanzielle Unabhängigkeit ermöglicht es ihr sich von den traditionellen Rollen der Frau zu emanzipieren und ihren eigenen Weg zu gehen. In der Rolle der Glawari spiegelt sich die gesellschaftliche Entwicklung der 20er Jahre, in denen die Frauen gegen die männerdominierte Welt aufbegehrten.

Auch Valencienne, als Frau des Baron Zeta (Sooyeon Lee) nimmt sich im Rahmen dessen, was ihr ohne Gesichtsverlust möglich ist. Sie spielt und kokettiert mit ihrem Verehrer Rosillon, ohne ihren Status als Baronin zu gefährden. Baron Zeta, der versucht Hannah Glawari zu einer Heirat mit seinem Landsmann Rosillon schmackhaft zu machen, ignoriert die Abwege seiner Frau. Nach zahlreichen Verwicklungen finden Graf Danilo und Hannah beim Tanz im Maxim doch noch zusammen. Ihr intensives Duett „Lippen schweigen, ’s flüstern Geigen“ ist hinreißend emotional.

ebecca Nelsen (Hanna Glawari) und Matthias Störmer (Graf Danilo Danilowitsch) in "Die Lustige Witwe" (Foto: © Björn Hickmann, Stage Picture)
Rebecca Nelsen (Hanna Glawari) und Matthias Störmer (Graf Danilo Danilowitsch) in „Die Lustige Witwe“ (Foto: © Björn Hickmann, Stage Picture)

Die Neuinszenierung von Enzinger und Jenny W. Gregor basiert auf einer Aufführung von Eric Charell, der 1928 für das Große Schauspielhaus Berlin das Werk von Franz Léhar an den Zeitgeist anpasste. Er nahm die Jazzeinflüsse aus den USA auf, und fügte einige Revuetänze hinzu. Aus den vorhandenen Musikvorlagen dieser Aufführung von 1928 rekonstruierten Matthias Grimminger und Henning Hagedorn die aktuelle Bühnenfassung der beliebten Melodien. Sie änderten die Verteilung der Lieder und den Rhythmus der Melodien. So singt zum Beispiel Hannah das Lied der Grisetten, das sonst der Rolle der Valencienne zugeordnet wird. Und auch das Viljalied singt Hannah auf einer Chaiselonge liegend sehr langsam und wehmütig. Als Hanna Glawari gelingt Rebbecca Nelson ein glänzendes Debüt auf der Dortmunder Bühne.

Sooyeon Lee zeigt ihre stimmlichen Fähigkeiten mit dem Lied „Mein kleiner Pavillon“ in dem ihr weicher Sopran voll zur Geltung kommt. Mit einem umwerfenden Fächertanz begleiten die Grisetten diesen Auftritt. Das Publikum war hellauf begeistert. Mit sexy Corsagenkostümen, Stöckelschuhen und mit Federschmuck auf den Köpfen interpretierten die Tänzerinnen und Tänzer die mitreißenden Melodien und erzeugten überzeugend die das frivole Nachtleben im Pariser Maxim.

Nach anhaltendem Schlussapplaus spielte das coronabedingt dezimierte Orchester noch einmal „Dann gehen wir ins Maxim“ was das Publikum zu begeistertem Mitklatschen animierte.

Matinee New London Moves

Spannende Einblicke in die zeitgenössische britische Tanzkunst ermöglicht Ballettintendant Xin Peng Wang mit seiner aktuellen Stückauswahl. Unter dem Titel „New London Moves“ tanzt das Ensemble Choreografien von Wayne McGregor, Douglas Lee und Akram Khan. Kleine Ausschnitte der Stücke Eden/Eden (McGregor), Dust (Akram Khan) und Marquette (Douglas Lee) zeigten die Dortmunder Tänzerinnen und Tänzer in einer Matinee im Ballettzentrum Westfalen.

In Eden/Eden setzt sich McGregor mit den Möglichkeiten und Verirrungen des Clones auseinander. Ausgehend von Steve Reichs Komposition Dolly aus dem Werk „Three Tales“ beleuchtet der Choreograf das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Menschlichkeit beleuchtet. Eine Fragestellung lautet : Gibt es mehr als einen Garten Eden? Was ist Original, was eine Kopie? In der gezeigten Szene bilden sich aus anfänglich androgyn erscheinenden Wesen viele Individuen heraus.

Choreografien aus Großbritannien stehen im Mittelpunkt bei "New London Moves". (Foto: © Rike  / pixelio.de)
Choreografien aus Großbritannien stehen im Mittelpunkt bei „New London Moves“. (Foto: © Rike  / pixelio.de)

Zum Stück „Marquette“ von Douglas Lee komponierte Nicolas Savva seine erste komplett elektronische Partitur. Die Einschränkungen durch die Coronaepidemie zwangen den Musiker ausschließlich im Homeoffice zu komponieren. Er begann die Instrumente, die er vor Ort hatte, einzuspielen. Er verlangsamte den Rhythmus, zog die Akkorde auseinander und drehte die einzelnen Musikschnipsel so lange durch die elektronische Mangel bis etwas völlig Neues entstand.

Tänzer und Choreograf Akran Khan bearbeitet in seinem Stück „Dust“ die schrecklichen Auswirkungen der Materialschlacht im 1. Weltkrieg und ihre Folgen für die Soldaten, die dieser entmenschlichten Kriegstechnik ausgesetzt waren. Die Verletzungen und Traumata, sowie die sozialen Auswirkungen, wenn die Heimkehrer auf die eigenen Familien trafen. Dieses Thema setzen Alisa Uzunova und Márcio Barros Mota in einer ergreifenden tänzerischen Erzählung um. Sie nehmen die Zuschauer mit in eine Auseinandersetzung eines Paares, das seine Rollen neu definieren muss. Die Emanzipation der zurückgelassenen Frau und eine traditionelle Rollenzuschreibung prallen aufeinander. Die Beziehung muss neu ausgehandelt werden.

Die Premiere der „New London Moves“ ist am 19. Februar im Opernhaus.

Rauschender Ballettabend mit Strawinsky

Zwei beeindruckende Interpretationen von „Petruschka“ und „Le Sacre du Printemps“ von Igor Strawinsky zeigt das Dortmunder Ballett im Opernhaus.

In der Inszenierung von Xing Pen Wang begibt sich das Ballett auf eine Zeitreise durch das 20. Jahrhundert bis heute. Ein weißer riesiger Stoffzylinder in der Mitte der Bühne dient als Projektionsfläche für gefilmte und gezeichnete Bildikonen. Die Zeitreise beginnt im Entstehungsjahr des Stückes 1911, im Zusammenspiel mit den Tänzern ist man an Fritz Langs Metropolis erinnert. Die zahlreichen Filmzitate enden in einer digital animierten futuristischen Szenerie.

Unter aus dem Off eingespieltem wahnsinnigen Gekicher erscheint Petruschka (Javier Cacheiro Alemán) auf der Bühne. Selbstverliebt und selbstbewusst tanzt er durch die Zeiten, spielt mit den Frauen, stellt sich zur Schau und genießt das Leben. Nachdem er während einer seiner Eskapaden niedergeschlagen wird, rettet ihn ein Mädchen, in das er sich sofort verliebt. Nach einigen koketten Annäherungen, wendet diese sich jedoch einem reicheren, besser situierten Geschäftsmann zu. Petruschka gerät in eine Abwärtsspirale, sein Glück schwindet, sein Selbstvertrauen ist dahin. Das Ensemble tanzt als Straßengang und zeigt ihm, dass er nicht mehr dazu gehört. Er ist allein. Mit einem letzten Aufbäumen in pinkfarbenen und gelben Outfit, geschminkt als Joker, versucht er sich noch einmal zu etablieren, schafft dies aber nicht. Als letzten Ausweg geht er in den Tod. Das gleiche gruselige Gekicher vom Beginn des Stückes erschallt zum Ausklang erneut.

Javier Cacheiro Alemán (Petruschka), Ensemble; Foto: (c) Leszek Januszewski
Javier Cacheiro Alemán (Petruschka), Ensemble; Foto: (c) Leszek Januszewski

Spektakuläre Tanzszenen im Dauerregen zeichnen die Inszenierung von Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ aus. In Kaskaden stürzte immer wieder Wasser auf die Bühne herab. Zeitweilig meinte man das Wasser am Boden müsse in den Orchestergraben überlaufen. Eine Meisterleistung vollbrachten die Tänzer und Tänzerinnen auf dem spiegelglatten Tanzboden. Sehr deutlich veränderten sie ihre Haltung. Sie tanzten mit tiefer gebeugten Knien, um besseren Halt zu finden, was einen erdverbundenen Eindruck verstärkte. Mit wirbelnden Figuren und rutschenden Bewegungen entstehen völlig ungewohnte Bilder. Das Dortmunder Ballett studierte die Choreografie des „Bewegungspoeten“ Edward Clug mit Tänzer und Choreograf Gaj Zmavc ein, der das Ensemble mit den Vorstellungen von Clug vertraut machte.

Zu Beginn sind sechs Männer und Frauen isoliert auf einer dunkelblauen Bühne zu sehen. Sie tanzen für sich, sind dann aber auf der Suche nach dem zukünftigen Frühlingsopfer. In einer archaisch wirkenden Tanzszene erwählen sie schließlich das Opfer aus ihrer Mitte, brillant verkörpert von Sae Tamura. Sie wird eingekreist, versucht zu fliehen, erkennt nach einigen Kämpfen mit der Gruppe die Aussichtslosigkeit ihrer Lage und nimmt sie an. In einem atemberaubenden Finale wird Sae Tamura vom hellen Licht, in dem sich die Gruppe befindet ins Dunkel und in die Ausweglosigkeit geworfen. Das Publikum war wie gebannt und applaudierte dann mit langanhaltenden Standing Ovations für dieses wundervolle Tanzerlebnis.

Neuer Blick auf afrikanische Kunst

Spannende und vor allem neue Einblicke in die afrikanische Kunstszene erwarten die Besucher der neuen Ausstellung im Dortmunder U. Konzipiert von der renommierten Kuratorin Nana Oforiatta Ayim zeigt sie historische und zeitgenössische Kunst aus Ghana. Unter dem Ausstellungstitel „The Museum as Home“ stellt die Kuratorin große Fragen an sich und die Besucher. Wie steht es mit der Restitution gestohlener, enteigneter Kunstwerke und Objekte? Wie ist das heutige Verhältnis der Europäer zum afrikanischen Kontinent? Sind die kolonialen Vorurteile überwunden? Wie kommen die verschiedenen schwarzen und weißen Communities ins Gespräch? Können wir das auf Augenhöhe schaffen? Wie muss ein Museum aussehen, um passend für die afrikanischen Kunstwerke zu sein?

Die letzte Frage beschäftigt Ayim seit Jahren in dem von ihr gegründeten ANO Institut of Arts and Knowledge. Von dort versucht sie panafrikanische Perspektiven außerhalb ihres Kontinents zu etablieren. Im Zuge dieser Recherche hat sie eine Art Roadshow mit einem mobilen Museum entwickelt. Eine modulare, zerlegbare Bambusstruktur beherbergt die verschiedenen Kunstwerke und dient so als verbindendes Konzept einer Ausstellung. Diese Konstruktionen wurden durch den Architekten DK Osseo-Asare speziell entwickelt, er nennt sie Fufuzelas. Sie sind nun auch essenzieller Bestandteil der Dortmunder Ausstellung.

Ausstellung EFIE “ The Museum as Home“ im Dortmunder U. Kuratorin Nana Oforiatta Ayim führt durch die Ausstellung. (Foto: © Anja Cord)

„Wer das Museum und die darin beherbergten Werke als Teil von sich selbst begreift, nicht als Raum mit eigenen Codes und Zwecken, entwickelt ganz andere Gefühle gegenüber den Werken. Wir betrachten die Objekte nicht als tote Gegenstände, für uns haben sie eine Seele“, sagt Ayim.

Die Ausstellung zeigt Arbeiten von Na Chainkua Reindorf, Afroscope, Kwasi Darko, Diego Araúja, Kuukua Eshun, Rita Mawuena Benissan und Studio Nyali.

Gezeigt werden begehbare Installationen, Fotoarbeiten, Skulpturen, historische Objekte aus verschieden europäischen Museen und Videoarbeiten.

Ein besonderes Werk der Schau ist die Arbeit Sovereignty von El Anatsui. Sein Wandobjekt aus plattgeklopften Flaschenverschlüssen strahlt Kraft und Selbstvertrauen aus. Der etablierte Künstler wird als Godfather der ghanaischen Kunst bezeichnet und hat mit seinen, auf dem weltweiten Kunstmarkt gehandelten, Werken den Weg für die nächste Künstlergeneration geebnet.

Nachdenklich macht der Film von Nii Kwate Owoos „ You hide me“. 1970 filmte er im Depot des British Museum Regale voller Raubkunst und forderte schon damals die Restitution dieser Objekte. Dass auch nach 50 Jahren diese Aufgabe nur bruchstückhaft geschafft ist, fühlt sich etwas beschämend an.

Künstler der Ausstellung EFIE im Dortmunder U. re. Kuratorin Nana Oforiatta Ayim. v.li. Kwasi Darko, dann Dolmetscherin) , Diego Araúja, Kuukua Eshun, Na Chainkua Reindorf (Foto: © Anja Cord)
Künstler der Ausstellung EFIE im Dortmunder U. re. Kuratorin Nana Oforiatta Ayim. v.li. Kwasi Darko, dann Dolmetscherin) , Diego Araúja, Kuukua Eshun, Na Chainkua Reindorf (Foto: © Anja Cord)

Nana Oforiatta Ayim erläuterte mir, dass die afrikanischen Künstler nicht auf der Suche nach ihrer Identität seien, sondern auf dem Weg diese ureigene Identität stärker und lauter zu artikulieren.

Das Dortmunder U bietet ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Filmen, Diskussionsrunden, Livekonzerten, Kunstkursen und Workshops.

Die Ausstellung läuft vom 10. Dezember bis zum 6. März 2022.

Matinee weckt Vorfreude auf Premiere von „strawinsky!“

Erste Einblicke in die aktuelle Inszenierung von „Petruschka“ und „Le Sacre du Printemps“ erhielten die Gäste einer Tanzmatinée im Ballettzentrum Westfalen. Choreografiert von Xin Peng Wang (Petruschka) und Edward Clug (Sacre).

Aus Petruschka sahen wir zwei Tanzszenen. Einmal, wie Petruschka auf die Ballerina aufmerksam wird und um sie wirbt. Als Zweites die Niederlage des Harlekins, denn die junge Frau folgt lieber dem gut situierten Rivalen. Dieser kommt mit einem Segway, als Zitat einer Kutsche, in den weißen Probenraum gefahren. Das Ballett zeigt die dramatische Entwicklung einer unerwiderten Liebe von Petruschka zu einer jungen Frau und deren Entscheidung für Macht und Geld. Xin Peng Wang beschreibt das Stück zusammenfassend „Sehr viel Drama und viel Musik in sehr kurzer Zeit“. Eine Herausforderung für alle Beteiligten. Auf das digitale Bühnenbild in der Oper, gestaltet vom Videodesigner Hartmut Schörghofer, dürfen die Besucher gespannt sein.

So dürfen die Zuschauer die fertige Fassung von "Le Sacre du Printemps" im Opernhaus erleben. Zu sehen ist Sae Tamura (Opfer) und das  Ensemble. (Foto: ©Leszek Januszewski)
So dürfen die Zuschauer die fertige Fassung von „Le Sacre du Printemps“ im Opernhaus erleben. Zu sehen ist Sae Tamura (Opfer) und das Ensemble. (Foto: ©Leszek Januszewski)

Aus Strawinskis Sacre zeigte die Kompanie zwei kurze, aber brilliante Tänze. Einen heidnischen Gruppentanz zur Einstimmung auf das Frühlingsopferfest und den Tanz eines jungen Mädchens, das durch seinen Tod das Frühlingsritual abschließt und erfüllt.

Die leidenschaftliche Musik Strawinskys und deren komplexe Gefühlswelten finden ihren Ausdruck in den Bewegungen der Tänzer. Die gefeierte Choreografie des „Bewegungspoeten“ Edward Clug erarbeitete sich das Ensemble mit Tänzer und Choreograf Gaj Zmavc, der im Sinne von Clug die Tänzer an das Stück heranführt.

Durch die einstündige Veranstaltung führte die Gastdramaturgin Ira Goldbecher. Im Gespräch mit Xin Peng Wang und Gaj Zmavc brachte sie den sonntäglichen Gästen Motivation und Hintergründe der Inszenierungen nahe.

Premiere des Balletts ist am 3. Dezember um 19.30h in der Oper Dortmund.

Böhmische Romantik mit Dvořák und Suk

Den bekanntesten Komponisten der böhmischen Romantik Antonín Dvořák und seinen Schüler Josef Suk verband nicht nur die Liebe zur Musik. Der jüngere Musiker Suk war mit der jüngsten Tochter Dvořáks liiert und heiratete sie auch. Diese schicksalhafte familiäre Verbindung bildete die Klammer des 3. Philharmonischen Konzertes unter dem Titel „Todesengel“.

Zu Beginn wurde Dvořáks Opus 104, Konzert für Violoncello und Orchester gespielt. Daniel Müller-Schott brillierte als Solist und wurde zu Recht vom Publikum für bejubelt. Das technisch sehr anspruchsvolle Stück galt nach seiner Vollendung sogar als unspielbar. Dvořák schrieb das Konzert in New York. Eigentlich mochte er die Cellomusik nicht, ließ sich jedoch überreden und schrieb dann eines der bis heute beliebtesten Cellowerke. Der Sound und die Hektik der Großstadt klangen immer wieder an, und ließen mich kurz an Melodien von Gershwin denken. In seiner Zeit in New York war er immer von Heimweh geplagt, weshalb auch zahlreiche Motive der böhmischen Volksmusik in den Melodien auftauchen. Die letzten 60 Takte seines Konzertes änderte Dvořák später nochmal um. Er gedachte damit seiner einstmals unerwiderten Liebe zu der gerade verstorbenen Josefina Čermáková. Deren Lieblingslied von ihm „Lasst mich nicht allein“ hatte Dvořák auch schon in den zweiten Satz seines Konzertes eingearbeitet.

Daniel Müller-Schott verzauberte das Publikum mit Dvořáks Konzert für Violoncello. (Foto: © Uwe Arens)
Daniel Müller-Schott verzauberte das Publikum mit Dvořáks Konzert für Violoncello Nr. 2. (Foto: © Uwe Arens)

Nach der Pause erwartete die Besucher die Sinfonie „Asrael“ von Josef Suk. Diese Sinfonie in c-Moll schrieb der Komponist nach dem plötzlichen Tod Antonin Dvořáks. Josef Suk, vom Tod seines bewunderten Schwiegervaters tief getroffen, begann mit der Arbeit an Asrael. Asrael gilt als eine mystische Engelsfigur, die im islamischen Glauben die Seelen der Verstorben auf dem Weg zu Allah begleitet. Vielleicht fand Josef Suk in seiner Trauer auch Trost in dieser Vorstellung. Nur ein halbes Jahr später, er steckte mitten in der Komposition, verstarb auch seine über alles geliebte Frau Otilka. Ein weiterer Schicksalsschlag für ihn. Zum Ausklang seiner Sinfonie wechselt der Komponist aus dem getragenen c-Moll in ein viel helleres C-Dur. Dies klingt wie ein erster Hoffnungsschimmer in einer schweren persönlichen Krise. Es gibt ein Zitat von Josef Suk zu seinem Gemütszustand: „Solch ein Unglück zerstört entweder einen Menschen oder trägt alle schlafenden Kräfte in ihm an die Oberfläche. Die Musik hat mich gerettet“.

Ein wunderbarer Konzertabend, der sehr berührte, und dennoch nicht traurig nach Hause gehen ließ.

Wladimir Kaminer im MKK

Zu Gast bei LesArt, dem Literaturfestival Dortmund war am 11.11.21 Bestsellerautor Wladimir Kaminer. Lässig, abwechselnd mit einem Glas Wasser oder einem Glas Rotwein in der Hand an einem kleinen Bistrotisch stehend, bezauberte er das Publikum in der Rotunde des Museums für Kunst und Kulturgeschichte mit seinen Geschichten.

Wladimir Kaminer ist ein russischstämmiger Autor. Er lebt mit seiner Familie in Berlin und erfreut seit 20 Jahren seine Leser- und Hörerschaft mit einem schier unerschöpflichen Output an amüsanten Geschichten.

Wladimir Kaminer verzauberte seine Zuhörerschaft bei seiner Lesung im MKK. (Foto: © Anja Cord)
Wladimir Kaminer verzauberte seine Zuhörerschaft bei seiner Lesung im MKK. (Foto: © Anja Cord)

Diesmal stellte er Texte aus den Büchern „Rotkäppchen raucht auf dem Balkon“ und „Wellenreiter“ vor. Kaminer nennt die Bücher Teil einer Corona-Trilogie. Das dritte Buch ist gerade im Entstehen.

Beim Vortrag der ersten Geschichte erfuhren die Zuhörer wie seine Mutter das abgelegte Smartphone der Enkelin geschenkt bekam und mit welchen Schwierigkeiten die fast neunzigjährige Dame zu kämpfen hatte. Als sie eine SpieleApp herunterladen wollte, sollte sie die Erlaubnis ihrer Eltern einholen, um weiterzuspielen. Dann fehlte das Passwort und Wladimir Kaminer berichtete die witzigen Umstände, die ihn praktisch zum Elternteil seiner Mutter machten, der ihr den Umgang mit den gefährlichen Apps zubilligte.

Auch erfuhr das Publikum, dass Kaminers Tochter ihn zum Titel des ersten Buches inspirierte. Während eines Gesprächs mit seiner Mutter und seiner Tochter über Rotkäppchen und dessen Motivation zur Großmutter in den Wald zu gehen, ging seine Tochter zum Rauchen auf den Balkon und, voilà, der Titel des Buches war geboren.

Kaminer plauderte witzig, charmant und unterhaltsam. Er erzählte von Dreharbeiten einer Deutschlandreise, die beinah Corona zum Opfer gefallen wäre, ihn dann aber doch ins fast menschenleere Neuschwanstein oder nach Oberammergau führte. Dort aß er mit ‚Jesus‘ eine „Weißwurst und trank mit dessen Schwester ein Bier“. Egal worüber er berichtet, der Schriftsteller zieht seine Zuhörer in seinen Bann.

Kaminer beweist eine verblüffende Beobachtungsgabe und einen sehr genauen Blick auf Menschen und ihre Marotten.

Die Lachmuskeln wurden an diesem Abend reichlich beansprucht.

Das waren die kurzweiligsten und amüsantesten zwei Stunden, die ich seit langer Zeit erleben durfte.