Ein Workshop, der aus dem Ruder lief, um zu einem fulminanten Theaterstück unter der der Führung und Regie von Rada Radojčić zu wachsen. Wenn alle Workshops nur so fulminant aus dem Ruder liefen.
Helden und Mut in den Zeiten von Krisen … Aus einem Corona Workshop für Jugendliche erwuchs aus Rollenspielen, als Tiere, der Wunsch ein Stück zu inszenieren, in dem zuerst um Tiere geht … Das Dschungelbuch von Rudyard Kipling bot sich an … Die Interpretation der Kulturbrigaden mit den durchweg jungen Darstellern, keine Profis, aber exzellente Darsteller, transferierte das Stück mit Elementen aus der Disney Chemieküche in einen anderen Dschungel, als den der Autor, kolonial belastet, im Sinn hatte.
Der Großstadtdschungel und seine Gefahren, repräsentiert durch die grellen Neonfarben und zuweilen “punkigen” Kostümen und Frisuren ist das Feld auf dem sich ein naiv, widerspenstig, trotziger Mowgli, Freya Erdmann und diabolisch, hinterlistiger Shere Khan, Nikke Wächter, duellieren.
Warum sollte bitte nicht eine Frau (XX) einen Mann (XY) darstellen können! Ein “Y” ist wie ein kaputtes “X”. Man wird also zum Mann durch Mangel an Information … ich wünschte es wäre ein Joke.
Ausgefallen war EINEN Tag vor der Premiere Ida Ettinger, die den Mowgli spielen sollte, weil sie sich mit Covid19 infizierte. Im Laufe EINES Tages wurde umbesetzt, ein neues Kostüm besorgt etc. und Freya Erdmann übernahm das Dschungelkind, ohne, dass es irgendeinem Gast aufgefallen wäre … Eine erstaunliche Leistung! Nebenbei spielte sie den Mowgli fantastisch.
Baghira (Dzaki Radojčić) und Balou (Mika Kuruc) haben mit dem beratungsresistenten Mowgli so ihre Probleme, wie so manche Eltern mit ihren Sprösslingen oder besser Pubertieren.
Und wie bei manchen Pubertieren blitzen auch bei Mowgli Elemente des späteren Erwachsenen durch, die seine Stärke ausmachen.
Mowgli, eigentlich ein Antiheld wird zum Helden des Dschungels mit seinem Sieg über Shere Khan, der wunden leckend abzieht … geschlagen aber nicht überwältigt oder besiegt ist er immer noch eine Gefahr für die Zukunft von Mowgli, der von Baghira und Balou zu dem Menschen, vor denen sie ihn immer und immer gewarnt hatten, gebracht wird. Zu seinem Besseren? Zu seinem Schutz?
Versüßt wird der Übergang in die neue Kultur durch ein Mädchen, in das sich Mowgli verliebt.
Heute, vor allem nach der Flüchtlingskrise von 2015 kann man Mowgli wie einen Flüchtling in ein anderes Land und damit wie Mowgli eine andere Welt sehen. Der Dschungel als Großstadt ist nur allzu offensichtlich, auch wenn Kipling hier den Dschungel des kolonialen indischen Subkontinents sah … das Kronjuwel des Englischen Empire …
Alle Schauspieler haben zu keinem Zeitpunkt den Eindruck von Laien gemacht, im Gegenteil.
Die weiteren Darsteller*innen sind:
Kaa/ Rakscha/ Geier: Anikka Czaia
Oberst Hati/ King Lui: Milena Roganovic
Wolfskind/ Elefantentochter/Affe/ Geier/ Mädchen: Jamie Neumann
Wolfskind/ Elefantenfrau/Affe/ Geier: Hanna Christgen
Wolfskind/ Elefantensohn/Affe: Robin Galik
Die Kulturbrigaden haben ein vielschichtiges und absolut sehenswertes Stück Theater aus dem Ruder gelaufenen Workshop auf die Bühne gestellt.
Mehr Infos unter www.fletch-bizzel.de