Was kümmern uns die Toten – Antigone im Fletch Bizzel

In den Zeiten des Ukraine-Krieges gehen andere Katastrophen leicht unter: Klimawandel oder eben Geflüchtete, die über das Mittelmeer fliehen. Das geht nicht immer gut, viele verlieren ihr Leben im Meer. Was hat das mit Antigone zu tun? Nun, sie macht auf die Toten aufmerksam. Das passt nicht jedem. Das Kollektiv HER.story präsentierte eine moderne „Antigone“ im Fletch Bizzel. ars tremonia war am 30. September 2022 dabei.

Weiß und beige. Das Bühnenbild und die Kostüme werden durch diese beiden Farben dominiert. Auf der Bühne liegt massenhaft Müll herum. Die Stadt Theben wird durch eine Holzkonstruktion dargestellt, im Hintergrund ist Platz für die Leinwand. Auf der Leinwand rauscht nicht nur das Meer, auch die Texte des Chores sind dort zu sehen. Der Schauspieler und Musiker Mohammadhossein Mehrnejad macht passende Geräusche zu den einzelnen Szenen.

Aber zurück zu Antigone. In der antiken Version begräbt sie gegen König Kreons Willen ihren Bruder, der gegen Theben gekämpft hat. Hier in der Version, die sich aus den Texten von Thomas Köck und Berichten von Menschen speist, die die Mittelmeerüberfahrt überlebt haben, geht es um die Toten, die das Mittelmeer angespült hat.

„Was kümmern uns die Toten“ sagt der Chor. „man will das doch nicht sehen.“ Die Überflussgesellschaft, die von allem zu viel hat, möchte mit diesem Problem nichts zu tun haben. Schließlich habe man selbst genug am Hals. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Das kann Antigone (Jasmina Musić) nicht akzeptieren, sie bringt die Toten vom Strand in die Stadt, damit sie von allen gesehen werden. Ja, denn es sind auch unsere Toten. Es sind diejenigen, die für unseren Wohlstand sorgen: für unseren Kaffee, unseren Kakao, für unsere seltenen Erden aus den Minen und so weiter.

Kreon (Toni Gajanović) kann das nicht akzeptieren, denn es ist „gegen das Gesetz“. Er verkauft dies als „gelebte demokratische Praxis“. Antigones Schwester Ismene (Nermina Kukić) versucht diplomatisch zu agieren, scheitert aber. Ebenso wie der Versuch von Haimon (Mohammadhossein Mehrnejad) seinen Vater umzustimmen.

Was wiegt schwerer: Ignoranz oder Solidarität? Wie lange kann eine Gesellschaft noch wegschauen? Wir brauchen auf jeden Fall mehr Antigones und weniger Kreons. Denn Europa liegt am Strand.

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