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Tag 4 – Internationales Frauenfilmfestival Dortmund / Köln 2019

Das Internationale Frauenfilmfestival präsentierte am vierten Tag das Flüchtlingsdrama „Sempra mio figlio“, das auch über das Schicksal der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan informiert. Danach wurde es Zeit für den Zombiethriller „Endzeit“, der sich im zweiten Teil als Film mit Ökobotschaft wandelte. Greta Thunberg würde der Film und seine Botschaft sicher gefallen.

Sembra mio figlio

Ismail und sein Bruder Hassan sind als Kinder aus Afghanistan vor dem Krieg und den Taliban geflohen und leben jetzt in Italien. Eine kleine Schneiderei sichert den Lebensunterhalt, Ismail verdient mit Übersetzungen in einem Flüchtlingsheim noch etwas dazu. Nach vielen vergeblichen Versuchen und zwanzig Jahre später, erreicht er endlich telefonisch seine Mutter, doch diese erkennt ihn nicht mehr. Seine Mutter wurde wieder verheiratet und der Stiefvater will, dass die Söhne nach Pakistan kommen. Ismail hegt große Sympathien für eine Kollegin bei der Flüchtlingshilfe, sein Stiefvater will ihn aber in Pakistan verheiraten, das lehnt er kategorisch ab.

Die Brüder sind sich nicht einig, ob sie dem neuen Vater trauen können. Tagelang schwelt der Konflikt. Eines Morgens ist Hassan abgereist. Ismail erinnert sich an den Rat seines Vaters: Reise immer einzeln, dann stirbt nur einer, die anderen überleben. Auch Ismail macht sich dann allein auf den Weg. Im Film versinnbildlicht durch die Verwandlung des Gesichts seiner Freundin Nina in das einer Hazara Frau. Dann beginnt eine Reise auf verschlungenen Wegen nach Pakistan. Die Zeitebenen verschwimmen, die Fahrt ist verwirrend und konspirativ. Der Zuschauer bekommt eine Ahnung davon, welchen Strapazen die Flüchtlinge auf ihrem Weg aus den Kriegsgebieten ausgesetzt sind.

Die Flüchtlinge geben ihrer Hoffnung nach Frieden Ausdruck. Sembra mio figlio (R: Costanza Quatriglio, IT/HR/BE 2018)

Auf der Tour trifft Ismail eine Flüchtlingsgruppe seines Volkes der Hazara, die mit Kerzen das Wort „Peace“ vor sich aufgebaut hat. Am Morgen, als Schleuser die Flüchtlinge abtransportiert haben, bleibt nur das in Wachs geschriebene Peace als kleine Spur der Menschen zurück. Ihr Schicksal ist ungewiss.

Das Volk der Hazara erlebte 1890 einen Genozid durch die paschtunische Mehrheit im neu gegründeten Afghanistan. Ihr mongolisches Aussehen und ihre Religion macht sie auch heute noch zu Opfern der Taliban und dem Islamischen Staat.

Ismail findet den am Telefon ausgemachten Treffpunkt. In einem kleinen dunklen Raum stehen mehrerer Frauen zusammen und starren ihn an. Er erzählt leise mit welchen Worten seine Mutter ihn und seinen Bruder damals weggeschickt hat. Dann schauen sich Ismail und die Frauen minutenlang intensiv in die Augen. Tränen fließen da jede von ihnen Kinder verloren hat. Endlich gibt sich die richtige Mutter zu erkennen. Das Ziel der Reise ist erreicht, was weiter geschieht, bleibt am Ende ungewiss.

Regisseurin Constanza Quatriglio berichtet, dass der Film mit zahlreichen Laiendarstellern gedreht wurde, die alle einen Flüchtlingshintergrund hatten. Dies ermöglichte ihnen die Rollen authentisch auszufüllen. Unter den Frauen die das Wiedersehen spielten, war auch die Mutter des Schauspielers Bashir Anhang (Ismail)

(Anja Cord)

Zombie-Thriller mit Ökobotschaft

Der Film „Endzeit“ (D, 2018) von Carolina Hellsgård ist nur auf den ersten Blick ein typischer Zombiefilm. Denn er trägt eine Botschaft vor sich her, die im zweiten Teil des Films endgültig zum Tragen kommt.

„Endzeit“ beginnt genretypisch, im Jahre 2 nach einer Zombieapokalypse, die durch eine Seuche entstanden ist, gibt es nur noch zwei Städte: Weimar und Jena. Während Jena nach einem Gegenmittel forscht, ist Weimar unerbittlich und tötet jeden Infizierten. Vivi und Eva fliehen aus unterschiedlichen Gründen von Weimar und wollen mit einem selbstfahrenden Zug nach Jena. Wie es in solchen Filme so kommt: Der Zug bleibt auf freier Strecke stehen und die beiden Frauen müssen sich durch die Natur nach Jena durchschlagen.

Danach beginnt sich der Film stärker auf die Dämonen der beiden Hauptdarstellerinnen zu konzentrieren. Vivi trägt Schuldgefühle, weil sie ihre kleine Schwester im Stich gelassen hat und Eva, die taffe Frau, flieht vor den Menschen, die sie getötet hat.

Anders als bei vielen Filmen sind die Zombies in "Endzeit" ziemlich gut zu Fuß. Daher müssen Vivi und Eva ordentlich Fersengeld geben.  Endzeit (R: Carolina Hellsgård, DE 2018) © Grown Up Films ZDF - Anke Neugebauer
Anders als bei vielen Filmen sind die Zombies in „Endzeit“ ziemlich gut zu Fuß. Daher müssen Vivi und Eva ordentlich Fersengeld geben. Endzeit (R: Carolina Hellsgård, DE 2018) © Grown Up Films ZDF – Anke Neugebauer

Hellsgård bringt im zweiten teil des Films noch eine weitere Komponente ein. Nicht umsonst sind viele grandiose Naturaufnahmen zu sehen, einmal entdecken die beiden Frauen sogar Giraffen, die aus dem Erfurter Zoo geflohen sind. Flüsse, Wälder, Felder, all das wird in seiner Pracht als Alternative zu den beiden Städten präsentiert. Das geschieht mit Absicht. Denn es taucht die Figur „Die Gärtnerin“ auf, die offensichtlich eine Mischform zwischen Mensch und Pflanzenwesen darstellt. Sie ist die Personifikation von „Mutter Natur“ oder Gaia und enthüllt, dass die Natur den Menschen durch die Seuche auslöschen wollte. Diese Symbiose sei nicht das Ende, sondern der neue Anfang.

In „Endzeit“ sind die Zombies keine Manifestation einer unterprivilegierten Bevölkerung, die sich erhebt, sondern letztendlich die Konsequenz des menschlichen Fehlverhaltens wider die Natur. Durch die Zunahme von multiresistenten Keimen ist es durchaus vorstellbar, dass sich die Menschheit in nicht allzu langer Zeit einem Virus oder einem Bakterium gegenübersieht, das den großteils der Bevölkerung ausrottet. Ähnlich wie es die Pest im 14. Jahrhundert getan hat.

Wer auf viel Blut und menschliche Innereien steht, der wird sicher enttäuscht sein, wer intelligenten Horror mit einer eindringlichen Botschaft mag, sollte sich diesen Film unbedingt ansehen.

(Michael Lemken)

Tag 3 – Internationales Frauenfilmfestival Dortmund / Köln

Ins Rennen um den internationalen Spielfilmwettbewerb für Regisseurinnen ging am 3. Tag des IFFF Dortmund / Köln der brasilianische Film „Los Silencios“ der Regisseurin Beatriz Seigner. Es ist in verschiedener Hinsicht ein bemerkenswerter Film. Für unsere westlich geprägte europäische Sichtweise etwas befremdlich anmutend, lotet er unterschiedliche Grenzerfahrungen aus. Abends wurde der Film „Der Boden unter den Füßen“ von Marie Kreutzer gezeigt. Es ist eine Geschichte zweier unterschiedlicher Schwestern.

Magischer Realismus aus dem Amazonasgebiet.

Es sind zum einen die Grenzen zwischen Brasilien, Kolumbien Peru, aber auch die Übergänge zwischen Lebenden und den Toten sowie Land und Fluss. „Los Silencios“ bewegt sich zwischen Dokumentation und Fiktion, Geistern und Realismus.

Den politisch-gesellschaftlichen Hintergrund bildet der Bürgerkrieg in Kolumbien. Konflikt zwischen Paramilitärs und Guerilla machen die Situation für die Bevölkerung lebensgefährlich und zwingen viele Menschen zur Flucht.

"Los Silencios" (R: Beatriz Seigner, BR 2018) spielt nicht nur im politischen Zwischenreich, sondern auch in dem zwischen Lebenden und Toten.  (© Trigon-Film)
„Los Silencios“ (R: Beatriz Seigner, BR 2018) spielt nicht nur im politischen Zwischenreich, sondern auch in dem zwischen Lebenden und Toten. (© Trigon-Film)

Der erste Zufluchtsort für die Protagonistin Ampora (neben ihrem Ehemann im Film die einzige professionelle Schauspielerin) und ihre Kinder Nuria und Fabio vor den bewaffneten Konflikt ist die auch real existierende Insel „Isla de la Fantasía“. Diese befindet sich mitten im Amazonas im Grenzgebiet von Brasilien, Kolumbien und Peru.

Bis auf die Mutter Ampora und dem Vater in der Geschichte wurden alle anderen Personen von Menschen (Laien) dargestellt, die wirklich auf der Insel wohnen. Sie bekamen erstmals Gelegenheit, „Ihre Geschichte“ zu erzählen. Das sorgte neben den Naturgeräuschen des Amazonas für eine besondere Authentizität.

Der harte Kampf ums Überleben, gegen den Ausverkauf und für Entschädigungen wird lebendig vor Augen geführt. So muss Ampora, die ihren Mann und Tochter im Bürgerkrieg verloren hat, nicht nur um eine Aufenthaltserlaubnis kämpfen, sondern auch darf hoffen, dass die beiden Toten gefunden werden und sie Reparationszahlungen bekommt. Die Ölgesellschaft möchte ihr mit wenig Geld die Klagerechte abkaufen.

Das Publikum erfährt nicht nur aus erster Hand von der Situation der Dorfbewohner, sondern auch über ihr besonderes Verhältnis zu ihren Toten und Geistern. Sie sind in der Gemeinschaft weiter allgegenwärtig. Es gibt neben der wöchentlichen Dorfversammlung auch eine „Versammlung der Geister der Toten“ statt. Hier bekommen sie eine Stimme und ihren Platz in der Gesellschaft zurück.

Auch Ampora geht in ihrem Alltag zunächst so um, als würden die Tochter und ihr Mann noch unter ihnen Leben. Sie spricht zu ihnen und wäscht sogar ihre Tochter. Erst ein Paket mit den gefundenen Überresten der beiden Familienangehörigen bringt die erschütternde Realität ins Haus.

Einiges erfährt man über Riten der Bewohner. Die Totengeister werden mit fluoreszierenden Farben gekennzeichnet, die sich zum Ende hin immer mehr verstärken. (Lisa Lemken)

Eindringliches Geschwisterdrama

Mit „Der Boden unter den Füßen“ gelang der österreichischen Regisseurin Marie Kreutzer ein starker Film. In 109 Minuten erzählt sie die Geschichte zweier Schwestern. Lola ist Unternehmensberaterin und steckt ihre ganze Kraft in ihre Karriere. Sie pendelt zwischen Konferenzen, Büro und anonymen Hotelzimmern. Ihre ältere Schwester Conny leidet an paranoider Schizophrenie, einmal im Jahr geht es ihr besonders schlecht. Dieses Mal begeht sie einen Selbstmordversuch. Hier nimmt die Geschichte Fahrt auf. Conny wird vorübergehend in die Psychiatrie eingewiesen. Jetzt ist Lola mehr gefordert als sie geplant hat. Sie versucht in ihrem streng getakteten Alltag mit den unberechenbaren Anforderungen durch die Krankheit ihrer Schwester klarzukommen, steht kurz vor einem Burn-out. Es zeigt sich wie dicht Aufstieg und Chaos beieinander liegen. Nach mehreren Verwicklungen und Schwierigkeiten nimmt Lola ihre Schwester mit nach Hause. Sie organisiert deren Alltag, sodass sie wieder ihrer Arbeit nachgehen kann. Doch die leichte Entspannung hält nicht lange vor, Conny stürzt sich vom Balkon der Wohnung in den Tod. Lola erleidet einen Nervenzusammenbruch und wird ins Krankenhaus eingeliefert. Sie erhält Antidepressiva verschrieben und ist bei der Beisetzung ihrer Schwester die einzige Hinterbliebene.

Ein Schwesterndrama aus Österreich. "Der Boden unter den Füßen" (R: Marie Kreutzer, AT 2019) © Novotnyfilm - Juhani Zebra
Ein Schwesterndrama aus Österreich. „Der Boden unter den Füßen“ (R: Marie Kreutzer, AT 2019) © Novotnyfilm – Juhani Zebra

Im Interview erzählt Marie Kreutzer, dass der Film autobiografische Züge trägt. Ihre Tante litt ebenfalls an Schizophrenie und als Jugendliche hat sie diese regelmäßig in der Psychiatrie besucht. Sie konnte so auf einige ihr bekannte Gesprächsverläufe zurückgreifen. Zwei extreme Rollenentwürfe stehen sich hier gegenüber. Im Verlauf des Films verschwimmen immer wieder die Grenzen und man fragt sich, welcher der Schwestern eher geholfen werden müsste. Am Ende war die Ältere, Conny an vielen Stellen die Stärkere. Sie setzte die Akzente, während Lola mit der Furcht vor den Auswirkungen der Krankheit auf ihr eigenes Leben kämpfte.

Die Regisseurin Marie Kreutzer im Interview mit Stefanie Görtz (IFFF). (Foto: Anja Cord)
Die Regisseurin Marie Kreutzer im Interview mit Stefanie Görtz (IFFF). (Foto: Anja Cord)

Die schauspielerische Leistung von Pia Hierzegger, die die Conny verkörperte, war beeindruckend. (Anja Cord)

Tag 1 – Internationales Frauenfilmfestival Dortmund / Köln 2019

Der erste Tag des Internationalen Frauenfilmfestival Dortmund / Köln 2019 bot in der Kategorie des Spielfilmwettbewerbs für Regisseurinnen am 10.04.2019 im Dortmunder Kino Schauburg um 20:00 Uhr mit „Wajib“ (Verpflichtung) einen Film der Regisseurin Annemarie Jacir ein familiäres Kaleidoskop der palästinensisch-israelischen Problematik. Die Regisseurin lebt wieder in Palästina, hat aber einen US-Pass. Das erlaubt ihr, ohne Probleme nach Israel ein- und ausreisen zu können.

Die Stadt Nazareth ist die größte palästinensische Stadt auf dem Staatsgebiet Israels. Die jüngere Stadt Nazrat-Illit wird hauptsächlich von Juden, während Nazareth in erster Linie von Muslimen und Christen bewohnt ist. In „Wajib“ geht es um die Tradition, die Einladungen zur Hochzeit der Tochter persönlich zu überbringen. Der in Rom lebende Architekt Shadi kommt ohne Begeisterung wegen der Hochzeitsvorbereitungen für seine Schwester Amal für kurze Zeit in seine Heimatstadt Nazareth zurück. Diese hatte er wegen der Schwierigkeiten mit den Israelis und seinem Vater verlassen und lebt zusammen mit seiner der PLO nahestehenden Freundin in Rom. Sein Vater Abu Shadi arangiert sich dagegen mit den Israelis , da er gerne Rektor werden möchte. Nun begleitet er ihn in einem humorvollem urbanen Roadmovie bei der Abgabe der Einladungen.

Interessant ist, dass die beiden von Saleh und Mohammad Bakri gespielt werden, die auch im wahren Leben Sohn und Vater sind. Während der Fahrt brechen zwischen ihnen Konflikt auf politischen, gesellschaftlichen aber auch persönlichen Ebene auf.

Szene aus "Wajib": Vater und Sohn bringen persönlich Einladungen vorbei. Bei den kleinen Geschichten lernt man sehr viel über das tägliche Leben in Nazareth. (Foto: Wajib (R: Annemarie Jacir, PS/FR/DE/CO/NO/QA/AE 2017) © Pyramide Films)
Szene aus „Wajib“: Vater und Sohn bringen persönlich Einladungen vorbei. Bei den kleinen Geschichten lernt man sehr viel über das tägliche Leben in Nazareth. (Foto: Wajib (R: Annemarie Jacir, PS/FR/DE/CO/NO/QA/AE 2017) © Pyramide Films)

Die Mutter, die nur über Telefonate mit ihrem Sohn Shadi im Film vorkommt, spielt eine wichtige Rolle. Sie hatte die Familie früh, vor allem wegen der politischen Verhältnisse, verlassen. Das hat der Vater nicht vergessen und nimmt es ihr immer noch sehr übel. Der Sohn wiederum ist sauer auf seinen Vater, der sich nach seiner Meinung zu sehr anpasst und verbiegt. Das er sehr viel Wert auf die Meinung von Familie und Freunden in seinem Heimatort legt, zeigt sich vor allem, als er seinen Sohn auch einmal als „Arzt“ ausgegeben hat. Aber auch andere Figuren, die nicht im Film zu sehen sind, haben eine wichtige Rolle. Shadis Freundin Nada wird von seinem Vater mehr oder weniger ignoriert, vermutlich weil er Angst vor politischen Repressalien hat. Auch der israelische Freund des Vaters ist nicht im Bild zu sehen. Es bleibt unklar, ob er eine Einladung bekommt oder ob sich Shadi durchgesetzt hat.

Bespitzelung, die fehlende Müllentsorgung und oft Benachteiligung der Palästinenser durch die Israelis wird von Shadi in Nebensätzen oder Seitenblicken angesprochen und gestreift. Das Verhältnis von Israel und Palästina wird mit viel Empathie beschrieben, sowie gleichzeitig das Vater-Sohn-Verhältnis ausgelotet.

Auf der Reise werden kleine Geschichten erzählt. Cousinen wollen den Architekten aus Rom zur Heimkehr „verführen“. Man bekommt kleine humorvolle Einblicke in die verschiedenen Welten der zur Hochzeit eingeladenen Muslime, Christen und Atheisten.

Kleine Schummeleien, doppeldeutige Bemerkungen oder Sticheleien beleben und befeuern dieses bemerkenswerte Roadmovie. Am Ende sitzen Vater und Sohn einträchtig zusammen auf dem Balkon.

Bewegender Animationsfilm bei der Eröffnung des 36. Frauenfilmfestivals

Mit dem beeindruckenden Animationsfilm „THE MAN WOMAN CASE“ von Anaïs Caura wurde das Internationale Frauenfilmfestival 2019 in Dortmund eröffnet. Das diesjährige Motto lautet „Bilderfallen: Täuschung, Tarnung, Maskerade“. Zur Eröffnung am Abend im Dortmunder Cinestar sprachen Festivalleiterin Dr. Maxa Zoller, Birgit Jörder (Bürgermeisterin der Stadt Dortmund und Schirmherrin des Festivals), Dr. Martina Gräfin von Bassewitz (Referatsleiterin Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) und Klaus Kaiser (Parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW) ihre Grußworte.

Bei der Eröffnungspressekonferenz des Internationalen Frauenfilmfestivals waren zugegen (v.l.n.r.) Festivalleiterin Dr. Maxa Zoller, Regisseurin Anaïs Caura (THE MAN WOMAN CASE), Stefanie Görtz (Pressearbeit), Edima Otoukon (Jurymitglied), Bürgermeisterin Birgit Jörder und Jurymitglied Sheri Hagen. (Foto: © Anja Cord)
Bei der Eröffnungspressekonferenz des Internationalen Frauenfilmfestivals waren zugegen (v.l.n.r.) Festivalleiterin Dr. Maxa Zoller, Regisseurin Anaïs Caura (THE MAN WOMAN CASE), Stefanie Görtz (Pressearbeit), Edima Otoukon (Jurymitglied), Bürgermeisterin Birgit Jörder und Jurymitglied Sheri Hagen. (Foto: © Anja Cord)

Doch zurück zum Hauptfilm „THE MAN WOMAN CASE“. Es ist die wahre Geschichte von Eugene/Eugenia Falleni. Falleni wurde 1875 in Italien als Euginia geboren, wanderte mit ihrer Familie mit zwei Jahren nach Australien. Als Teenager wurde die männliche Seite immer dominanter und sie verwandelte sich in Eugene. Falleni arbeitete als Seemann, dabei wurde ihre Identität entdeckt, sie wurde vergewaltigt und bekam ein Kind, das sie zur Adoption freigab. Später heiratete sie die Witwe Annie Birkitt, die einen Sohn in die Ehe brachte. Als Birkitt entdeckte, dass Falleni ebenfalls eine Frau war, kam es – je nach Lesart – zu einem tödlichen Unfall oder zu einem Mord. Jedenfalls wurde Falleni erst zum Tode verurteilt, dann zu lebenslänglich. 1931 wurde sie freigelassen.

Der Animationsfilm ist frei von digitalen 3-D-Bildern. Er ist hauptsächlich in Schwarz-Weiß, mit wenigen Farbtupfern in Rot oder Blau. Die Machart, die an alte Animationsfilme erinnert, macht vor allem in den surrealen Zwischensequenzen die Zerrissenheit und das Zerfließende im Charakter von Eugene/Euginia deutlich. Dafür bot sich Tinte als Medium besonders gut an.

Frischer Wind beim Internationalen Frauenfilmfestival 2019 in Dortmund

Turnusmäßig hat das Internationale Frauenfilmfestival Dortmund /Köln (09. – 14.04.2019) in diesem Jahr seinen Hauptsitz in unserer Stadt. Einiges hat sich seit dem Herbst 2018 getan.

Die langjährige engagierte künstlerische Leiterin des IFFF Silke Räbiger, hat den Staffelstab an Dr. Maxa Zoller, die als freie Filmkuratorin, Dozentin für Experimentalfilmgeschichte und Dozentin für zeitgenössische Kunst das Filmprogramm vor allem auch dem jungen Publikum nahe bringen will. Dr. Zoller war zuletzt Lehrbeauftragte an der American University in Kairo, wo sie sechs Jahre lebte.

So wird zum Beispiel auch Musik, tanzbarer Rap, Hiphop und Reggae der aufstrebenden Dortmunder Musikerin TriXstar im Jazzclub domicil mit einem Konzert zu hören sein.

Das Motto des IFFF „Bilderfallen: Täuschung, Tarnung, Maskerade“ ist Programm.

Die Festivalleitung und das Team wollen das Publikum anregen, genauer hinzusehen „Das Trugbild hat eine enorme Kraft“, so Zoller. Für Momente wird das, was wir als Wahrheit bezeichnen, aus den Angeln gehoben. Eine Bilderfalle wird zu einer Störung der Bezüge zu den Dingen an sich. Sie schafft so Raum und Zeit zwischen den Dingen und Körpern, die sich auf einmal frei bewegen können. Doppelungen von Bildern sollen irritieren und schaffen eine surreale Atmosphäre.

Dr. Maxa Zoller ist die neue künstlerische Leiterin des Internationalen Frauenfilmfestivals Dortmund/Köln. Hier in einer der Spielstätten des Festivals, dem Jazzclub domicil. Das Kassenhäuschen aus den 50iger Jahren zeugt von der ehemaligen Kinogeschichte des Ortes. Das Festival läuft in diesem Jahr vom 9. - 14. April 2019. (Foto: © Anja Cord)
Dr. Maxa Zoller ist die neue künstlerische Leiterin des Internationalen Frauenfilmfestivals Dortmund/Köln. Hier in einer der Spielstätten des Festivals, dem Jazzclub domicil. Das Kassenhäuschen aus den 50iger Jahren zeugt von der ehemaligen Kinogeschichte des Ortes. Das Festival läuft in diesem Jahr vom 9. – 14. April 2019. (Foto: © Anja Cord)

Neben den über 100 Filmen aus 32 Ländern, Sonderveranstaltungen wie Radtouren zu verschieden Filmen auf den Fassaden der Stadt, einem trotz der politischen Probleme aufbauend optimistischen Dokumentarfilm über die sudanesische Frauennationalmannschaft (porträtiert von Marwa Zein) im Deutschen Fußballmuseum, Konzerten und mehr auch diesmal wieder 8 Wettbewerbsfilme von nationalen und internationalen Regisseurinnen gezeigt in der Schauburg gezeigt. Das Publikum kann per Stimmabgabe mit entscheiden, wer das ausgelobte Preisgeld als bester Regisseurinnen-Film erhält.

Im Jahr 2019 sind zur Freude der Festivalleitung gleich zwei deutschsprachige Filme im Rennen.

Zum umfangreichen Themenbereichen gehören bei den Filmen die Genader-Problematik, Genitalverstümmlung bei Frauen, deutsche und internationale Geschichte aus verschieden Blickwinkeln oder auch ein religions- kritischer Film aus Mazedonien. Wer dem Horror-Genre zugeneigt ist, kommt zum Beispiel bei dem Film „Endzeit“ auf seine Kosten.

Für Kinder ab 4 Jahren und ihre Familien wird auch am Wochenende ein spezielles Programm angeboten.

Die Vernetzung gewinnt immer mehr an Bedeutung. So ist es erfreulich, das sich neben den zahlreichen Sponsoren und Förderern, immer mehr Spielstätten am IFFF beteiligen. Neu sind neben dem CineStar, der Schauburg, Innogy Forum und dem Kino im U jetzt das Fußballmuseum sowie das domicil dabei.

Das Festival wird programmatisch am 09.04.2019 um 19:00 Uhr im CineStar mit einem ungewöhnlichen, eindringlichen Animationsfilm eröffnet. THE MAN WOMAN CASE von Anaïs Caura erzählt den Gerichtsfall von Eugene/Eugenia Falleni aus Sydney – eine der ersten dokumentierten Transgender-Personen aus dem Jahr 1920. Ein Film von wegweisender künstlerischer Qualität.

Über das umfangreiche Angebot, Termine, Orte und Preise können sie sich schon jetzt über die Webseite: www.frauenfilmfestival.eu einen kleinen vorläufigen Überblick verschaffen.

Nach Ostern können sie dann das aktualisierte Programm abfragen.

Übrigens: Schon vor dem Beginn des Festivals wird man in der Dortmunder Innenstadt auf eigenartige Körperwesen in einem gestrickten Kokon stoßen.

Lassen Sie sich überraschen. Das IFFF kommt so auf alle Fälle mitten in unsere Stadtgesellschaft.

Soldatinnendrama gewinnt Jurypreis beim diesjährigen Frauenfilmfestival

[fruitful_alert type=“alert-success“]Aurore (Ariane Labed) und Marine (Soko) versuchen vergeblich, den Kriegsalltag zu vergessen. (Foto: © Jerome Prébois)[/fruitful_alert]

Ab 19:00 Uhr wurde im Kino im Dortmunder U nach einem humorvoll-feierlichen Festival- Rückblick durch die Organisationsleitung zunächst der durch die Kinobesucher mit ihren Stimmkarten während der Woche vergebene Publikumspreis verkündet. Er ging an die britische Gesellschaftssatire „The Party“ von der Regisseurin Sally Potter. Er überzeugte mit seinem schwarzen Humor, den geschliffenen Dialogen und der starken Gesamtleistung aller beteiligten SchauspielerInnen.

Der Film fand auch eine lobende Erwähnung bei der Wettbewerbs-Jury Marnie Blok (NL), Pecha Lo (Thailand) und und der deutschen Filmeditorin und Dramaturgin Gesa Marten.

Acht Filme waren um den mit 15.000 Euro ausgelobten Preis für den „Internationalen Spielfilmwettbewerb für Regisseurinnen“ angetreten. Der Preis wird zwischen der Regisseurin (5.000 Euro) und dem deutschen Verleih (10.000 Euro) aufgeteilt. Neben der Würdigung der Regisseurin soll so auch der Vertrieb der Filme in Deutschland gefördert werden.

Die Wettbewerbsjury verkündete den Gewinner des Preises: Es ist der französische Afghanistan-Heimkehrer Film „Voir du pays (The Stopover)“ von Delphine und Muriel Coulin. Er zeigte eindrucksvoll und eindringlich, das ein „normales Leben“ nach einem grausamen Kriegseinsatz auch für die beteiligten schwer traumatisierten Soldaten schwer möglich ist. Er wirkt nachhaltig auf ihr „Leben danach“ und äußert sich unter anderem in Aggression oder Zurückgezogenheit. Der Thematik von unterschwellig vorhandener sexuelle Gewalt, die ins besondere die weiblichen Soldatinnen betrifft, wird in diesem Film Raum gegeben.

Wie es sich gehört, wurde im Anschluss das gelungene IFFF Dortmund/Köln 2017 gebührend gefeiert.

Hier ein Rückblick über die Wettbewerbsfilme:

[fruitful_tabs type=“accordion“ width=“100%“ fit=“false“]
[fruitful_tab title=“Tag 1″] The Party [/fruitful_tab]
[fruitful_tab title=“Tag 2″] Corniche Kennedy  [/fruitful_tab]
[fruitful_tab title=“Tag 3″] Peur de rien [/fruitful_tab]
[fruitful_tab title=“Tag 4″] Voir du pays und En amont du fleuve [/fruitful_tab]
[fruitful_tab title=“Tag 5″] Pokot und Tess [/fruitful_tab]
[fruitful_tab title=“Tag 6″] Mãe só há uma [/fruitful_tab]
[/fruitful_tabs]

Abschlusstag IFFF Dortmund/Köln 2017 – Selbstfindungsdrama aus Brasilien

[fruitful_alert type=“alert-success“]Naomi Nero (Mitte) spielt den jungen Pierre, der urplötzlich mit seinen leiblichen Eltern konfrontiert wird. (Foto: © Frauenfilmfestival)[/fruitful_alert]

Als letzten Beitrag für den Internationalen Spielfilmwettbewerb für Regisseurinnen ging „Mãe só há uma (Don‘t call me son)“ aus Brasilien (2016) von Anna Muylaert ins Rennen. Eine Coming-of-Age Story um den 17-jährigen Pierre (gespielt von Naomi Nero). Er lebt mit seiner Mutter und Schwester in einem Vorort von São Paulo und befindet sich mitten in seiner sexuellen Orientierungs- und Selbstfindungsphase. Dann stellt sich heraus, dass er und seine Schwester von der Mutter als Kinder gestohlen wurden. Seine gut betuchten biologischen Eltern wollen ihn plötzlich „nach Hause“ holen. Er muss sich in einer ihn vereinnahmenden fremden Welt mit neuen Bruder und Namen zurechtfinden.

Pierre feiert nicht nur gerne Partys, er zieht auch gerne Frauenkleidung an und ist auch sonst experimentierfreudig. Auf der anderen Seite liebt er Musik und spielt als Gitarrist in einer Rock-Band. Sein einziger Wunsch ist es, so akzeptiert zu werden, wie er ist. Es kommt zu Konfrontationen mit seinen leiblichen Eltern, die lieber einen „richtigen Mann“ aus ihm machen würden, der Fußball liebt und Interesse an Bowling hat. Pierre kämpft für seinen eigenen Lebensentwurf und provoziert seine „neuen Eltern“. Am Ende versucht er, seine „beiden Familien“ irgend wie in Einklang zu bringen. Ein witziges Plädoyer für Patchworkfamilien, das auf einer realen Geschichte in Brasilien beruht. Die Regisseurin beleuchtet diese Geschichte aus der Sicht des jungen Mannes.

Tag fünf Internationales Frauenfilmfestival Dortmund/Köln 2017

[fruitful_alert type=“alert-success“]Bild aus dem Film „Tess“ mit Christia Visser. (Foto: © Frauenfilmfestival)[/fruitful_alert]

Der erste Beitrag an diesem Tag im Rahmen des Internationalen Spielfilmwettbewerbs für Regisseurinnen und auch für den Publikumspreis im Rennen war der Ökothriller „Pokot / Spoor“ (Polen , Tschechische R., Schweden, Slowakische R.) von Agniezka Holland frisch aus dem Jahr 2017.

Die pensionierte Bauingenieurin Janina Duszejko lebt mit ihren beiden Hündinnen in einem kleinen Bergdorf an der tschechisch-polnischen Grenze. Als die beiden Hunde der radikalen Tierschutzaktivistin verschwinden, geschehen wenige Monate später grausamen Morde an angesehenen Gemeindemitgliedern. Alle waren Jäger und wie sich heraus stellt , auch brutale Wilderer. Die Polizei und die katholische Kirche haben kein offenes Ohr für die vielen Klagen der Duszejko gegen die Wilderer. Zu den Morden stellt die hartnäckig etwas verschrobene alte Frau ihre eigene Theorie: Die Morde wurden von wilden Tieren als Rache begannen. Die Situation eskaliert und die Wahrheit über der Morde und das Motiv kommt nach und nach ans Licht…

Die Protagonistin des Films ist ehrlich, radikal, mutig und ein wenig verrückt. Sie hat nicht nur Mitgefühl für Tiere, sondern auch ein Herz für Menschen am Rande der Gesellschaft. Sie ist aber eine durchaus ambivalente Persönlichkeit. So weist sie zum Beispiel den Priester aufgeklärt darauf hin, dass alle Lebewesen, auch die Tiere, gleich viel wert sind, glaubt aber aber gleichzeitig an den Einfluss von Horoskopen und Planeten auf uns Menschen. Die Rebellin und ihre extreme Revolte sollen provozieren und zum Nachdenken anregen. Das Ganze mit einer Portion Humor aufgelockert. Die Naturschönheit und Freundschaft werden in Kontrast zu Korruption und Grausamkeit gesetzt. Eingespielte Rückblenden fördern das Verständnis.

Die Musik spielt eine bedeutende Rolle in diesem Film. Sie untermalt gekonnt jede Stimmung, ob bedrohlich oder heiter.

Der zweite Wettbewerbsfilm „Tess“ (Südafrika 2016) von Meg Rickards ist keine leichte Filmkost. Das Thema Kindesmissbrauch und dessen Folgen für die Betroffenen wird hier in schonungsloser Klarheit offen gelegt. Die junge weiße Tess (Christia Visser) arbeitet als Sexarbeiterin in Kapstadt. Ihr Leben droht vollständig aus den Fugen zu geraten, als sie schwanger wird. In vielen sensibel eingefügten Rückblenden erfahren wir nach und nach etwas über die traurigen und grausamen Kindheitserlebnisse von Tess. Ihr sexueller Missbrauch als Kind, geduldet von der Mutter, macht ihren weiteren Lebensweg verständlich. Sie sieht sich als schmutziges und wertloses Wesen. Das Männer, die sie nach Belieben brutal benutzen, nimmt sie als gegeben hin. Erst als der kleinen Tochter einer Bekannten das gleiche Schicksal wie ihr droht, greift sie mutig ein. Ihr Selbstbewusstsein wächst und findet die Kraft, sich mit ihrer Vergangenheit, speziell mit ihrer Mutter, auseinander zu setzten. Auch im Sinne ihres eigenen Kindes findet sie eine Lösung. Die Stärke diese Filmes liegt nicht nur im gesprochene Wort, sondern besonders darin,was sich in den Gesichtern abspielt und lesen lässt. Auch bei „Tess“ spielt die atmosphärische Verstärkung durch die Hintergrundmusik eine wesentliche Rolle. Ein Spielfilm, der nachwirkt.

Tag vier Internationales Frauenfilmfestival Dortmund/Köln

[fruitful_alert type=“alert-success“]En amont du fleuve(Upstream): Auf einer Flussfahrt kommen sich die beiden Halbbrüder näher. (Foto: ©Figna Sinke)[/fruitful_alert]

Der Beitrag „Voir du pays /The Stopover“ (F 2016) von den Delphine und Muriel Coulin für den Internationalen Spielfilmwettbewerb für Regisseurinnen und dem Publikumspreis packt ein sensibles Thema an.
Die jungen Soldatinnen Aurore (Ariane Labed) und Marine (Soko) verbringen nach Beendigung ihres Afghanistan-Einsatzes zusammen mit ihren Kameraden drei Tage in einem Fünf-Sterne-Hotel im griechischen Teil Zyperns. Sie sollen sich hier nicht nur erholen, sondern mitten unter Touristen das Erlebte hinter sich lassen. Ihre  traumatischen Erlebnisse um Leben und Tod sollen sie mit Unterstützung von Psychologen verarbeiten, um sie auf das „normale“ Leben in ihren Heimatorten vor zu bereiten. Während dieser Dekompression werden sie mit Hilfe der verwendeten Virtuel-Reality-Technologie wieder in die gefährlichen Situationen in Afghanistan hinein versetzt und erzählen dann über ihre Erlebnisse und Gefühle dabei. Das soll für sie eine Art Befreiungsakt sein, der sie befähigt, den Alltag in ihren Familien zu hause zu bewältigen..
Diese Illusion zerplatzt aber schnell wie eine Seifenblase. Aggressionen, Gereiztheit und Empfindlichkeiten unter den SoldatInnen werden schnell deutlich sichtbar. Der Gegensatz der schön luxuriösen Umgebung des Hotels mit seinen Möglichkeiten zu prassen und freizügig zu feiern passt nicht zu den grausamen Gewalterlebnissen der Afghanistan-Heimkehrer. Der Film lässt diese Gegensätze auch in seinen Bildern immer wieder aufeinander prallen. Ein kleiner Funke genügt, um das Fass zum überlaufen zu bringen und der Aggression freien Lauf zu lassen.Wie kann man überhaupt sein Leben bewältigen, wenn man solche Gewalt erlebt hat? Ein beeindruckendes Zeugnis für die Folgen von Krieg, Zerstörung und Brutalität und ein Plädoyer gegen Kriege und deren fatalen Folgen für alle beteiligten Menschen.

Der zweite Film an diesem Tag im selben Wettbewerb war „En amont du fleuve (Upstream)“ (B/NL/KRO 2016) von der bekannten belgischen Regisseurin Marion Hänsel.
Diese Film ist ein einfühlsame, meist ruhige Auseinandersetzung mit der behutsamen Annäherung zweier Halbbrüder um die 50, die nach dem Tod ihres gemeinsamen Vaters von ihrer Existenz erfahren und mit einem Motorboot in Kroatien zum Ort des mutmaßlichen Selbstmords ihres Vaters fahren. Sie wollen hinter das Geheimnis diese Unglücks und ihrem Vater als Person näher kommen. Homer, Besitzer eine Lastkraftwagen-Unternehmens und Joé der Schriftsteller sind stille, eigenbrötlerische und verschlossene Typen. Homer wurde von seinem Vater zeitlebens ignoriert, und Joé von seinem gewalttätigen Vater öfter misshandelt. Sie fahren den Fluss hinauf Richtung Wasserfälle und treffen auf den mysteriösen Iren Sean. Er soll sie zum Kloster führen, wo ihr Vater zu Tode kam. Es folgt ein psychologisches Abenteuer inmitten der schönen schroffen Felsenstrukturen Kroatiens. Wie bei einem Puzzle-Spiel fügt sich das Bild des Vaters für die beiden unterschiedlichen Brüder zusammen. Am Ende zeigt sich, dass sie mehr verbindet als sie dachten. Ein psychologisch gut erzähltes Abenteuer mit vielen Nahaufnahmen und den wunderbaren Schauspielern Olivier Gourmet und Sergi López.

Tag 3: Internationales Frauenfilmfestival Dortmund/Köln 2017

[fruitful_alert type=“alert-success“]Lina (Manal Issa) muss ihr Leben selbst gestalten. (Foto: © Frauenfilmfestival)[/fruitful_alert]

Der französische Beitrag „Peur de rien“ aus dem Jahr 2015 von Danielle Arbid für den Internationalen Wettbewerb für Regisseurinnen und dem Publikumspreis zeigt den ganz persönlichen Blickwinkel einer jungen Libanesin, die in den 1990er Jahren mit einem Studienvisum nach Paris reist.

Lina (Manal Issa) kommt mit gerade mal 18 Jahren in eine ihr fremde Welt nach Paris. Dort stellen sich ihr viele Herausforderungen, die sie alleine meistern muss. Ob sie vor den sexuellen Belästigungen ihres Onkels flieht, Freunde und Hilfe sucht, die Enttäuschung mit ihrem verheirateten Liebhaber verarbeitet, das richtige Studium für sich findet, oder am Ende mit Hilfe eines Anwaltes den Verlust ihrer Aufenthaltsgenehmigung verhindern muss.

Auf ihrem Weg zu einem selbstbestimmten Leben wird sie auch mit Rassismus und Drogen konfrontiert. Nach und nach wird sie immer selbstsicherer und kämpft für ihre Rechte. Eine beeindruckende Protagonistin und ein von der Musik getragenes Zeitporträt mit auch berührenden Momenten. In Zeiten zunehmender Migration ein Beitrag für ein wenig mehr Verständnis.