Ars tremonia

Harvest – eine archaisch-impressionistische Gesellschaftsfabel

image_print

In der Schauburg Dortmund stand am 03.04.2025 im Rahmen des IFFF (Dortmund + Köln) der Wettbewerbsfilm Harvest (Ernte) von Athena Rachel Tsangari auf dem Programm. Die Autorenfilmerin gilt als eine der zentralen Figuren des neuen griechischen Kinos, das in den letzten Jahren mit unkonventionellen Erzählweisen und radikalem Bilddenken auf sich aufmerksam gemacht hat.

Mit Harvest entführt sie das Publikum in eine traumhaft-archaische Welt: ein mittelalterliches, abgelegenes Dorf in Schottland, bewohnt von Schäferinnen und Bauern. Dort lebt der Witwer Walter Thirsk, der einst aus der Stadt kam und inzwischen selbst als Bauer arbeitet. Obwohl er nicht vollständig zur Dorfgemeinschaft gehört, ist er auch kein Außenseiter – ein romantischer Antiheld, hin- und hergerissen zwischen seiner Loyalität zu den Bewohnerinnen und seinem Glauben an Fortschritt und Veränderung.

Zwischen Aberglaube, Macht und Moderne

Das abgeschottete Dorf ist tief in seinen Riten und traditionellen Strukturen verwurzelt. Neuem gegenüber herrscht Misstrauen. Nach einem mysteriösen Brandanschlag geraten drei fremde Personen unter Verdacht – sie werden gewaltsam verfolgt und zur Rechenschaft gezogen. Parallel dazu schreitet die Kartografierung des Landes voran, und ein patriarchalischer Aristokrat plant, das Gebiet zu modernisieren und wirtschaftlich auszubeuten.

Der Film arbeitet mit kraftvollen, atmosphärischen Bildern, aufgenommen auf grobkörnigem 16-mm-Material, und eindringlichen Nahaufnahmen. Im ständigen Wechsel zwischen idyllischer Natur und brutalen Ausbrüchen tastet sich Harvest oft an psychische und physische Schmerzgrenzen heran – nichts für zartbesaitete Gemüter. Ambivalente Figuren und starke, widerständige Frauen prägen die Erzählung und verleihen ihr Tiefe.

Harvest ist ein zeitloses, allegorisches Gesellschaftsdrama über Fremdenfeindlichkeit, Machtstrukturen und einen entfesselten, rücksichtslosen Kapitalismus – mit gelegentlichen Längen. Gerade in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung, wachsender sozialer Ungleichheit und einer erneuten Radikalisierung rechter Ideologien wirkt der Stoff erstaunlich aktuell. Die Parabel über das „Fremde“ und seine willkürliche Ausgrenzung lässt sich unmittelbar in unsere Gegenwart übertragen – ob in Bezug auf Migration, Umweltkonflikte oder den Kampf um kulturelle Deutungshoheit.

Auch im Kontext von Athena Rachel Tsangaris Werk zeigt sich eine inhaltliche und formale Linie: Nach Arbeiten wie Attenberg (2010) oder der Ko-Produktion Chevalier (2015), in denen sie soziale Machtverhältnisse, Geschlechterrollen und das Verhältnis von Körper und Raum untersucht, schlägt sie mit Harvest eine ernstere, politischere Tonlage an. Der Film bleibt dabei aber ihrem unverwechselbaren Stil treu: fragmentarisch erzählt, visuell kraftvoll und offen für Mehrdeutigkeiten. Es ist ein Film, der mehr fragt als beantwortet – und genau darin liegt seine Stärke.

Englischkenntnisse sind übrigens von Vorteil, da der Film ausschließlich in dieser Sprache untertitelt ist.