Faszination Stadionstimmung und klassische Musik

Die Dortmunder Philharmoniker präsentieren in der Spielzeit 2023/2024 das Ruhrgebiet in seinen verschiedenen Facetten. Am 16./17.01.2024 wurde im hiesigen Konzerthaus eine spannende Verbindung zwischen der Faszination des Stadions und klassischer Musik geschaffen. Die Dortmunder Philharmoniker unter der temperamentvollen Leitung des jungen belgischen Dirigenten Martijn Dendievel hatte hierfür als Moderatoren Dr. Michael Stille (Orchesterdirektor) sowie BVB-Stadionsprecher Nobby Dickel eingeladen.

Als passender Einstieg (wie vor jedem Heimspiel) wurde auch hier „You’ll Never Walk Alone“ (Richard Roger/Oscar Hammerstein II) gesungen. Kammersänger Morgan Moody sorgte mit seinem kraftvoll-warmen Bassbariton für Gänsehaut-Feeling und ab der zweiten Strophe wurde (so gut es ging) mitgesungen. Einige Menschen aus dem Publikum ließen es sich nicht nehmen, ihre schwarz-gelben BVB-Schals zu tragen und selbst beim Orchester wurde eine entsprechende Devotionalie ausgelegt.

Nobby Dickel gab einige Fußball-Anekdoten und rückblickend humorvolle Erinnerungen zum Pokal-Endspiel 1989 zum Besten.

Die folgende „Suite und Fußballspiel“ aus dem Ballett „Das goldene Zeitalter op. 22“ von Dimitri Schostakowitsch (1906-1975) boten sich als „verbindende“ klassische Musik idealerweise an. Der russische Komponist war nicht nur ein glühender Anhänger von Zenit St. Petersburg, sondern hatte sogar eine Schiedsrichter-Lizenz.

Die Handlung mit einer Fußballmannschaft im Mittelpunkt war wie für Schostakowitsch geschaffen. Allerdings wollte das Regime Stalins das musikalische Fußballspiel „sowjetischer Fußballverein gegen dekadenten kapitalistischen Westverein“ gerne für seine Zwecke instrumentalisieren. Wenig begeistert wegen der platten, propagandistischen Handlung changierte der Komponist zwischen sarkastischer Parodie, schrillen Modernismen, grotesken Witz und überhöhtem Pathos. Alle musikalischen Register wurden dann im Fußballspiel aus dem II. Akt gezogen, um die unterschiedlichen Stimmungslagen während eines Fußballspiels für das Publikum spürbar zu machen. Einzelne Instrumente hatten Gelegenheit, sich hier zu profilieren.

Ein besonderer Genuss für die Ohren war die folgende sportlich-dynamische „Carmen Fantasie“ über Themen aus der Oper „Carmen“ (Georges Bizet) von dem jüdischen Komponisten Franz Waxman (1906-1967). Inspiriert wurde der vor den Nazis bis in die USA geflohene Komponist hierzu von dem berühmten Geiger Jascha Heifetz. Die von der jungen Mira Foron (Violine) virtuos und gefühlvoll interpretierte Version der „Carmen Fantasien“ wurde vom Publikum begeistert gefeiert.

Nach der Pause folgte die anspruchsvolle „Sinfonie Nr. 5 d-Moll op. 47“ von Dimitri Schostakowitsch. Wichtig zu wissen ist hier, dass der Komponist im Laufe des Jahres 1936 immer mehr unter dem Druck des Stalin-Regimes stand.  Im Angesicht von Säuberungen und Schauprozessen fürchte er, jederzeit von der Polizei oder dem Geheimdienst abgeholt zu werden.

Unter diesem emotionalen Ausnahmezustand musste die Sinfonie musikalisch oberflächlich den Forderungen nach „Volksverbundenheit“ oder „Heroik“ genügen, aber gleichzeitig den Zuhörenden eine grundsätzlich oppositionelle Haltung verdeutlichen. Der letzte Satz steht exemplarisch für diese Doppelbödigkeit. Nach einer dramatisch explosiven Entwicklung findet die Musik ein nicht gelöstes, sondern aggressiv-bombastisches Ende in D-Dur.

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