Bilderflut beim Tannhäuser

Elisabeth setzt sich für Tannhäuser ein. v. l.: Gerardo Garciacano (Wolfram), Morgan Moody (Biterolf), Fritz Steinbacher (Heinrich d. Schreiber), Christian Sist (Landgraf), Martin Js. Ohu (Reinmar), John Zuckerman (Walther), Chor, Daniel Brenna (Tannhäuser, v.) (Foto: ©Thomas M. Jauk / Stage Picture)
Elisabeth setzt sich für Tannhäuser ein. v. l.: Gerardo Garciacano (Wolfram), Morgan Moody (Biterolf), Fritz Steinbacher (Heinrich d. Schreiber), Christian Sist (Landgraf), Martin Js. Ohu (Reinmar), John Zuckerman (Walther), Chor, Daniel Brenna (Tannhäuser, v.)
(Foto: ©Thomas M. Jauk / Stage Picture)

Radikal neu interpretierte Schauspieldirektor Kay Voges am 01. Dezember in der Oper Dortmund den „Tannhäuser“ von Richard Wagner. Mit dem Videokünstler Daniel Hengst an seiner Seite fügte Voges dem Tannhäuser eine weitere Dimension hinzu. Sprachgewaltige Bilder mischten sich mit dramatischer Musik und Sängerinnen und Sängern, die auch ihr Schauspieltalent in die Waagschale warfen.

Ein entscheidender Kniff von Kay Voges war die Verknüpfung der Geschichte von Tannhäuser mit dem Roman von Nikos Kazantzakis „Die letzte Versuchung“. In Kazantzakis Roman bekommt Jesus Christus die Chance, von seinem Kreuz hinabzusteigen und ein „normales“ Leben mit Maria Magdalena zu führen. Doch am Ende sieht Jesus ein, dass es seine Bestimmung war als Erlöser zu sterben.

Ähnlich geht es Tannhäuser. Er ist Gefangen im Reich der Lüste, im Venusberg. Doch er spürt, da muss noch mehr sein. Tannhäuser verlässt die Göttin Venus, und das Reich der Wollust, um sein Heil in Maria zu suchen. Diese Frauengestalt, die natürlich komplett im Gegensatz zur Göttin Venus steht, wird bei Wagner von Elisabeth, der Nichte des Landgrafen repräsentiert. Tannhäuser trifft wieder auf seine Sangeskollegen und der Sängerkrieg auf der Wartburg beginnt. Es kommt heraus, dass Tannhäuser im Venusberg war und er wird daraufhin verurteilt, als Büßer nach Rom zu pilgern, um dort Vergebung zu finden. Doch der hartherzige Papst schenkt Tannhäuser keine Vergebung: „Erst wenn ein Wanderstab frisches Grün treibt, wird dir erst vergeben“. Tannhäuser kehrt zurück, um festzustellen, dass Elisabeth gestorben ist, um im Himmel Erlösung für Tannhäuser zu erbitten. Die wird ihm im Tode gewährt, ein Pilgerstab eines Priesters zeigt frisches Grün.

 

Ein Jesus, der sich nach einem weltlichen Leben sehnt, ein Tannhäuser, der nach Erlösung strebt. Zwei Personen, quasi spiegelbildlich vereint, erweckt Voges zum Leben. Daniel Brenna, im Jesusgewand und mit Dornenkrone, sitzt im Fernsehsessel mit einer Dose Bier, während Venus (Hermine May) in einem Haushalt mit 60-er Jahre Ambiente zugange ist. „Ist das alles gewesen“, scheint sich Tannhäuser zu fragen, denn dieses hedonistische Leben bietet ihm plötzlich nichts mehr.

Auch ungewohnt für die Zuschauer sind die Sänger wie Walther von der Vogelweide oder Wolfram von Eschinbach. Keine frommen Minnesänger, sondern Gerado Garciano, John Zuckermann, Morgan Moody und Kollegen sahen eher aus wie „Die Wartburg sucht den Superstar“ im Gangsta-Rap-Format. Gold, Glitzer und typische Posen, wobei auch die Waffen locker sitzen, wie Tannhäuser feststellen musste.

Der absolute Star, auch gesanglich, war an diesem Abend Christiane Kohl als „Elisabeth“. Sie verkörperte die reine sinnliche Liebe, die die Minnesänger besangen. Eine Liebe, die aber nur von ferne gelebt werden durfte, wer sich dem Fleisch zuwandte wie Tannhäuser, der wird ausgeschlossen. Ähnlich entrückt sang Kohl ihre Elisabeth.

Daniel Brenna sang den wohl ungewöhnlichsten Tannhäuser im Jesuslook. Bei der Anfangsarie schien sich noch ein Frosch in Brennas Kehle versteckt zu haben, der sich erst nach einigen Takten löste. Danach fand er zu einer guten Form. Gesanglich war sein Wechsel zwischen Langeweile im Venusberg, Streitlust auf der Wartburg und die Sehnsucht nach Erlösung spürbar. Dennoch war es Wolfram (Gerado Garciano), dem mit seinem Lied an den Abendstern, einen der emotionalen Höhepunkte der Oper gelang. Nicht nur durch seine Körpergröße war Christian Sist, als Landgraf Hermann und Chef der Sängergang präsent auf der Bühne.

 

Apropos Bühne: War der Venusberg noch die Wohnhölle für Spießer, stand das Kreuz aus Videobildschirmen im Mittelpunkt der Bühne. Vom ihm kam Jesus/Tannhäuser zu ihm ging er wieder zurück. Die meiste Zeit diente es als Art Wegekreuz. Auch die Kuppel des Venusberges kehrte als Dornenkrone zurück.

 

Voges und Hengst fügten mit ihren Videos der Oper neben der Musik, der Bühne und dem Gesang eine weitere Ebene hinzu. Zu sehen gab es beispielsweise Reminiszenzen an religiöse Bilder der Kunstgeschichte, die verfremdet waren wie „Das letzte Abendmahl“ von Da Vinci oder die Papstbilder von Francis Bacon. Komische Elemente waren ebenfalls zu sehen. Beispielsweise beim Sängerkrieg, als neben Angela Merkel auch das Dortmunder U auftauchte. Dafür gab es spontanen Applaus. Sehr emotional und anrührend war die Videoszene, in der Elisabeth nach ihrer letzten Arie in den Tod ging.

 

Ein großes Lob gehört auch der Musik. Die Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Gabriel Feltz erschlugen die Sängerinnen und Sänger nicht mit der Wucht, die Wagner entfachen kann, sondern sorgten für einen Klangteppich, auf dem die Beteiligten nicht versanken. Zu der gelungenen Aufführung gehörten auch die Chöre und die Statisterie.

 

Wenn Schauspieldirektor Kay Voges in der Oper „fremdgeht“, folgen ihm einige Schauspielkollegen. In den Videos waren Merle Wasmuth, Frank Genser, Carlos Lobo , Uwe Rohbeck und Uwe Schmieder zu sehen. Sogar die Bedienung Uschi Bienek war zu sehen.

 

Was bleibt von der Premiere? Eine ungewöhnliche, aufregende und radikale Tannhäuser-Inszenierung. Sie ist ebenso radikal wie Wagner damals radikal war. „Kinder, schafft Neues“, soll Wagner gesagt haben. Voges hat es gewagt und gewonnen. Sicher, das Stück wird und soll nicht jedem gefallen. Es ist Kunst und darüber kann und muss man streiten. Aber, dass trotz der Kampagne gegen Kay Voges, der überwiegende Teil der Zuschauer die Inszenierung mit Bravo-Rufen und Standing Ovation gefeiert hat, ist ein sehr positives Signal.

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