Auf der Bühne im Reinoldisaal steht ein Flügel. Und die Ankündigung, dass der vorgesehene Pianist erkrankt ist. Ballast für den Abend? Nein.
Auf die Bühne kommt für den ersten Teil der arrivierte und preisgekrönte Musiker Karsten Scholz von den Dortmunder Philharmonikern, der scheinbar mühelos in den vergangenen zwei Tagen das vorgesehene Programm einstudieren konnte. Jedenfalls füllt er seinen Part komplett aus und spielt sich virtuos durch den Abend und seinen Solopart von Schumann.
Mit ihm erscheint der Opernstar – mit wehenden Haaren, aber streng mit Fliege und Frack. Der argentinische Bariton Germán E. Alcántara ist auf den Brettern in Theatern wie dem traditionsreichen Teatro Colón in Buenos Aires, in dem auch Caruso, Callas, Domingo und Pavarotti gastierten, ebenso zu Hause wie in London oder Köln. Bereits mehrfach war er zu Gast in Dortmund beim Musikfestival „Klangvokal“. Mit diesem Hintergrund und der Liebe zu Oper und Tango entstand die Idee zu diesem Abend eigens für dieses Festival.

Mit eindrücklicher Leidenschaft erklingen schon die ersten Töne. Germán E. Alcántara ist jemand, der es schafft, auch ohne Kulisse seine Arien schauspielerisch zu interpretieren – mit ausdrucksstarker Mimik, Gestik und vollem Körpereinsatz. Dabei reicht seine Stimme bereits aus, um den Saal zu fesseln. Doch so ist es ein Vergnügen, ihn nicht nur zu hören, sondern ihm auch zuzuschauen.
Es erklingen Arien aus Mozarts Don Giovanni und Bellinis I Puritani – es geht um Liebe und Leidenschaft, um Verrat und Rache. Verdis Maskenball und Rigoletto liefern weitere Arien. Mit dem ausführlichen Programmheft, das alle Liedtexte im Original und in Übersetzung enthält, lassen sich die Passagen sehr gut verfolgen – wenn man es denn will. Man kann sich aber auch einfach den Tönen überlassen.
Am Ende von Verdis Anklage an die „abscheulichen Höflinge“ rauft sich der Interpret die Haare, reißt sich die Fliege ab und fällt vor dem imaginären Gesindel auf die Knie – voller und überzeugender Leidenschaft. Nicht umsonst heißt der Abend Opera Passion.
Tango-Passion: Von Buenos Aires nach Dortmund
Und der Tango?
Die Tango-Passion erfüllt sich im zweiten Teil. Dafür konnte das Klangvokal-Festival unter der Leitung von Torsten Mosgraber kurzfristig eine Tangospezialistin und Arrangeurin aus Paris gewinnen, die selbst ein Tangoorchester leitet. Auf der Dortmunder Bühne gehören Lysandre Donoso, ein gefragter Bandoneonist, und der Bassist Lucas Frontini zum Ensemble. Gemeinsam mit dem erkrankten Knut Jacques und Alcántara entwickelten sie das Programm.
Germán E. Alcántara – mit streng zum Pferdeschwanz gebundenen Haaren, schwarzem Hemd, oben offen, und Jackett – ergibt sich im ersten Tango der Trunkenheit. In zwölf Chansons sind auch die Liebe und die Umgebung Thema, in der der Tango Argentino seine Heimat hat.
Der Tango hat es in den „Operntempel“ Teatro Colón in Buenos Aires geschafft, entstanden ist er jedoch auf den Straßen von Buenos Aires und Montevideo – beeinflusst von Einwanderern aus aller Welt.
Alcántara interpretiert Chansons von Troilo, Stampone, Mores, Gardel und anderen – Piazzolla darf dabei natürlich nicht fehlen.
Ihren instrumentalen Solopart bestreiten die Musikerinnen und Musiker mit einem Tango von Luis Bernstein.
Im Grunde könnte es so weitergehen. Doch auch dieser Abend erreicht sein Ende.
Noch nicht ganz.
Zwei Zugaben runden das zweistündige Programm ab. Bei einer davon greift Alcántara selbst zur Gitarre. Eine Strähne hat sich längst aus dem strengen Pferdeschwanz gelöst.
Ein leidenschaftlicher Abend mit einem hervorragenden Ensemble, das harmonierte, obwohl die Pianisten nur zwei Tage zur Vorbereitung hatten. Eine Wiederholung des Abends wäre wünschenswert – es würde sich lohnen.
Das Klangvokal-Festival startet also furios in die neue Saison. Das aktuelle Programmheft erscheint am 26. Februar. Online findet man alle Informationen unter www.klangvokal.de.