Lenz von Trafique – Wahnsinniger oder Held

Woher kommt die Faszination von Georg Büchner sich mit Menschen zu beschäftigen, die nach heutiger Definition als „psychisch krank“ gelten würden? Liegt es daran, dass er Arzt war? Bei „Woyzeck“ ist es der langsame Wahn, vielleicht mitverursacht durch medizinische Experimente, die ihn zu einem Eifersuchtsmord treibt. Und bei Lenz?

Die Theatergruppe Trafique um Björn Gabriel aus Köln präsentierte am 07. Oktober 2022 im Roto-Theater wegen einer Corona-Erkrankung nur einen Film, der aber weit mehr war als nur eine abgefilmte Bühne, sondern auch die Dynamik des Stückes einfangen konnte, wenn auch der wichtige direkte Kontakt zum Publikum fehlte.

Dieses saß trotzdem erwartungsvoll im Roto-Theater, ausgestattet mit einer Tüte Popcorn und lies sich auf den „Lenz“ ein. Im Film von Trafique steht die Begegnung von Lenz mit dem Pfarrer Oberlin im Mittelpunkt und die Entwicklung des Wahnsinns von Lenz. Büchners Arbeit basiert auf dem Schicksal des Schriftstellers Jakob Michael Reinhold Lenz, der von 1751 – 1792 lebte. Auch Pfarrer Johann Friedrich Oberlin (1740-1826) ist eine historische Figur, die bis heute einen positiven Ruf genießt.

Eindrücklich zeigten die drei Schauspieler Anna Marienfeld, Franziska Schmitz und Stephan Weigelin den Weg in den Wahnsinn. In kalter blauer Farbe zeichnet der Film Oberlins Haus, dessen oberflächlicher Humanismus auch viel Kälte ausstrahlt. Im satten Grün hingegen erscheinen die Naturszenen.

Doch woran krankt Lenz? An seinem Idealismus? Vielleicht an seiner Orientierungslosigkeit? Der historische Lenz stammt aus dem Baltikum und hat sich früh von seinem Elternhaus entfernt, ging nach Straßburg und St. Petersburg. Schließlich starb er in Moskau.

Was kann einem Menschen denn Halt geben? Als Sohn eines Pfarrers, der bei einem Pfarrer Asyl sucht, kann es nur die Religion sein. Denn in dieser Zeit wurden psychische Erkrankungen gerne auch als „Sünde“ gegen Gott bezeichnet. Doch die Religiosität Oberlins kann Lenz nicht helfen, Lenz versucht sogar in seinem Wahn ein jüngst gestorbenes Kind wieder aufzuwecken.

Büchners Lenz spielt in einer Zeit voller Umbrüche. 1835 ist in Deutschland die Zeit der Industrialisierung und des Frühkapitalismus. Gewaltige Umbrüche tun sich auf, die die Gesellschaft umwälzen werden. In dieser Zeit leben Menschen wie Lenz, die aus der Zeit gefallen sind. Büchners Lenz versucht seinen Idealismus und Heimat zu bewahren in einer Zeit der Umbrüche und Orientierungslosigkeit und scheitert. Die Religion hat ihre Bindungskraft und ihre Versprechungen verloren. Es bleibt der Wahnsinn.

Manche Zeiten kommen wieder. Die Orientierungslosigkeit, die die Digitalisierung und die aktuellen Krisen manchen Menschen gebracht hat, ist vielfach spürbar.

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