Premiere für mich: Zum ersten Mal besuche ich den Kubus, ein kleines Musiktheater in der Saarlandstraße. Der Dortmunder Sprechchor feierte dort am 8. November 2024 mit „Die Geschöpfe“ eine gelungene Premiere unter der Regie von Ludwig Juhrich. Ovids Metamorphosen sind ein episches Werk in 15 Büchern, das etwa im Jahr 8 n. Chr. fertiggestellt wurde und mythologische Verwandlungsgeschichten erzählt. Der Sprechchor hat drei dieser Geschichten für die Aufführung ausgewählt.
Die Bühne war geschmückt wie ein Tempel des Apollon, voller Kunstwerke und Symbolen. Schließlich erschien Apollon in der Person des Sprechchormitglieds Roman D. Metzner selbst auf der Bühne, der zugleich die instrumentale Begleitung übernahm. Der Sprechchor verkörperte einerseits einen Priesterchor (in weiß und beige gekleidet), wobei einzelne Mitglieder solistische Rollen übernahmen.
Moderne Themen in klassischen Geschichten
Die erste Metamorphose handelt vom Künstler Pygmalion, der eine Abneigung gegen Frauen hat und sich stattdessen auf seine Kunst konzentriert. Eines Tages erschafft er eine Statue aus Elfenbein, die so schön und lebendig wirkt, dass er sich in sie verliebt. Die Göttin Venus erhört seine Bitte und lässt die Statue lebendig werden. Die Geschichte von Pygmalion ist nach wie vor aktuell: Heutige Erzählungen über künstliche Intelligenz, Roboter oder virtuelle Figuren, die menschliche Eigenschaften entwickeln und Beziehungen eingehen, werfen ähnliche Fragen auf – über die Natur der Liebe, Kontrolle und die Beziehung zwischen Mensch und Kreation.
In der Geschichte von Philemon und Baucis aus den Metamorphosen wird ein altes Ehepaar, das für seine aufrichtige Liebe und tiefes Vertrauen belohnt wird, in zwei miteinander verflochtene Bäume verwandelt. Diese Verwandlung symbolisiert ihre unzertrennliche Bindung, die selbst über den Tod hinaus besteht. Auch dieses Motiv findet sich in modernen Stücken wieder; das bekannteste dürfte Bertolt Brechts Der gute Mensch von Sezuan sein, da beide Werke zentrale Themen wie Menschlichkeit, Gastfreundschaft und die Frage nach gutem Handeln in einer herausfordernden Gesellschaft behandeln.
Apollon und die Frage nach der Macht der Götter
Die tragische Liebesgeschichte von Hyazinthos und Apollon behandelt die Themen Liebe, Verlust und Transformation. Selbst Apollons göttliche Macht kann nicht verhindern, dass Hyazinthos stirbt, und der Gott muss lernen, den Verlust zu akzeptieren. Hier konfrontiert der Priesterchor Apollon und lässt ihn schließlich Ludwig Feuerbach zitieren: „Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde.“ Auch die sogenannten göttlichen Gaben, wie die Musik, besaßen die Menschen schon vorher. Es ist der Atem der Menschen, der die Götter zu dem macht, was sie sind. Ein ähnliches Thema behandelt Terry Pratchett in seinem Buch Small Gods (Einfach göttlich): In der Scheibenwelt hat ein Gott nur dann Macht, wenn Menschen an ihn glauben. So muss der Gott Om versuchen, seinen Jünger Brutha von seiner Existenz und seiner Mission zu überzeugen.
Mit dieser gelungenen Religionskritik ging der Abend zu Ende. Der Dortmunder Sprechchor zog die Zuschauer mühelos in seinen Bann, und die musikalische Begleitung passte hervorragend zur Inszenierung. Das atmosphärische Stück passt perfekt in das kleine Musiktheater. Es gibt noch eine letzte Gelegenheit, Die Geschöpfe zu sehen.
Aufführungsinformationen Sonntag, 17. November, 18:30 Uhr
Musiktheater Kubus
Saarlandstraße 124a
44139 Dortmund
Tickets und Reservierung:
E-Mail: ovid.sprechchor@gmail.com
Telefon: 0176/8422 6375
Eintrittspreis: 12 €