Das Vieh ist noch Natur – Woyzeck zum Spielzeitauftakt

Bunt, reduziert und mit SM-Anleihen – die Inszenierung von Georg Büchners „Woyzeck“ durch Jessica Weisskirchen setzt auf skurrile Einfälle und schräge Kostüme. Die Regisseurin rückt Nebenfiguren wie den Hauptmann und den Doktor stärker in den Mittelpunkt. Die Premiere war am 09. September 2022 im Studio des Schauspielhauses.

Eigentlich ist die Geschichte von „Woyzeck“ aktuell wie nie. Es geht einerseits um einen klassischen Femizid, das heißt ein Mann tötet seine Frau/Freundin aus Eifersucht, andererseits um das Thema „psychische Erkrankung“, den das Woyzeck Probleme hat, spürt man direkt am Anfang, als er über Freimaurer fabuliert. Doch viel wichtiger: Das Stück hat auch eine gesellschaftliche Dimension. Denn Woyzeck steht in der sozialen Rangordnung ganz unten. Er verdient als Soldat nicht genug, um seine Marie zu heiraten und lässt sich daher zu Menschenversuchen ein, die zu einer Mangelernährung führen.  Das verstärkt seine psychischen Probleme immer mehr.

Weisskirchen reduziert die Personen auf vier: Marie (Linda Elsner), Hauptmann (Ekkehard Freye), Doktor (Nika Mišković) und Woyzeck (Raphael Westermeier). Durch die Kostüme erscheinen die Akteure Chimärenhaft. Besonders schön ist der Doktor, der – komplett in Weiß – wirkt wie eine Mischung zwischen Domina und einem verrückten Professor.

Die Inszenierung von Weisskirchen thematisiert das Viehische im Menschen. Oder anders gesagt, Kleidung und Erziehung haben den Tieren die menschliche Seite verliehen. Gut in der Jahrmarktszene zu erkennen: „Mensch, sei natürlich! Du bist geschaffen aus Staub, Sand Dreck! Denn was willst du mehr sein als Staub, Sand, Dreck?“ singt der Chor der Tiere und weiter „Jetzt die Kunst, geht  aufrecht, hat Rock und Hosen, hat ein Säbel“.

Der animalischen Seite steht der Hauptmann mit seiner Moral und Tugendbegriffen und der Doktor als Mann der Wissenschaft entgegen, die beide auf Woyzeck herabsehen, der in seiner gesellschaftlichen Stellung keinen Platz für Moral hat.

Das Tierische, oder besser Viehische kommt den Besucher*innen gleich zu Beginn entgegen, denn die Schauspieler*innen begrüßen die Zuschauer wie Tiere im Zoo oder im Zirkus, die sicher hinter Gittern sind.    

Dadurch das Woyzeck, mehrere Jobs hat, um über die Runden zu kommen, hetzt er durch das Stück, das das Bühnenbild aufnimmt, indem es sich in ein Karussell verwandelt und Schwung aufnimmt.  Auch gelungen war die Szene, als Woyzeck in einem Popcornwagen saß, der mit Erbsen (aus Papier) gefüllt war und vom Doktor über die Bühne gezogen wurde.

Jessica Weisskirchen sorgt mit ihrer Inszenierung für einen neuen Einblick in den allzu bekannten Stoff und findet mit Günter Hans Wolf Lemke einen idealen Partner für Bühnenbild und Kostüme.

Weiter Termine und Informationen: www.theaterdo.de

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