BOYBAND – wann ist ein Mann ein Mann

Das Theaterkollektiv notsopretty, in Kooperation mit dem Ringlokschuppen Ruhr, führte das Stück über Männlichkeit, männliche Sexualität und die gesellschaftliche Stellung des Mannes in Theater im Depot in der Immermannstraße 29 auf.

Eine Boygroup oder Boyband (englisch boy band) ist eine Popgruppe mit ausschließlich männlichen Mitgliedern im Teenager- und Twen-Alter, die oft auch synchron zum Gesang tanzen. Nicht unter diesen Begriff fallen für gewöhnlich rein männliche Bands, deren Mitglieder Instrumente spielen

Bereit zum Auftritt: Die Boyband. (Foto:  (c) Anne Spindelndreier)
Bereit zum Auftritt: Die Boyband. (Foto: (c) Anne Spindelndreier)

Die Bezeichnung, Boygroup oder Boyband, wird erst seit den 1990er-Jahren verwendet, auch wenn das Konzept der analog zu Girlgroups meist von Managern oder in einem Casting zusammengestellten Gruppen bereits früher erfolgreich war. So in den 1960ern die Monkees, in den 1970ern die Bay City Rollers und die New Kids on the Block in den 1980ern, übrigens produziert in Deutschland, in Herne. Dann kamen die geradezu identisch konzipierten Gruppen wie Take That, East 17, Worlds Apart, Backstreet Boys, *NSYNC (beide letzteren Lou Pearlman) und Caught in the Act. Mitte der 1990er-Jahre wurde der Begriff Boygroup im deutschen Sprachraum geläufig. In der ersten Hälfte der 2010er-Jahre war One Direction international erfolgreich, in der zweiten Hälfte war vor allem die südkoreanische Gruppe BTS bis heute populär. Gecastet Boygroups und der K Pop sind seit den 1980ern vor allem in Asien sehr erfolgreich. Seit den 2010er-Jahren zunehmend weltweit.

Eine Besonderheit von Boygroups ist ihr kommerzieller Charakter, da sie auf die Zielgruppe der weiblichen Teenager ausgerichtet sind. Daneben bedienen die Boygroups auch die LGBTQIAplus community, aber ohne das zu verbalisieren. Und leider werden Gruppenmitglieder, die gay sind, daran gehindert sich zu outen, weil es die weiblichen Fans verschrecken würde … was eher eine calvinistische Prüderie ist als eine Tatsache. Zumal Boylove Filme und Mangas gerade unter weiblichen Lesern und Zuschauern größter Beliebtheit erfreuen.

Die Musik folgt aktuellen Trends, Satzgesang ist typisch. Ein Musikproduzent überwacht das Gesamtkonzept von der Musik über die Choreografien bis zum Image. Oft lösen sich Boygroups nach einigen Jahren wieder auf, wenn ihre Fans das Teenager-Alter verlassen haben oder eine neue Gruppe vermarktet werden soll, wobei aber einzelne Mitglieder durchaus auch Solo-Karrieren durchlaufen und sich, wie Robin Williams, dauerhaft etablieren können. Die koreanische K Pop Gruppe BTS ist hier eine herausragende Ausnahme, weil sie länger stabil im Markt blieben; Kulturbotschafter Koreas sind und jetzt in eine „Militärpause“ gehen, da sie ihre Militärpflicht erfüllen müssen.

Soweit der Exkurs, nun zum Stück. Es beginnt mit Versatzstücken aus Gesprächen und Fragen an die Protagonisten. Oberflächlichkeiten, die an Instagram-Posts erinnern, sie bleiben unbeantwortet. Wie die unerfüllten Liebessehnsüchte ihrer Fans. In diesen Fragen schwingen Sex und Homoerotik offen und unterschwellig mit. Und über allem schwebt die Frage, was ist das Konzept „Mann“ eigentlich, wie definiert sich ein „Mann“, wie muss oder soll er sein?

Wie toxisch das Konzept Mann ist, wird im Lauf des Stückes immer deutlicher. Ohne dabei an den derzeitigen Krieg zu denken, wo russische Soldaten und Wagner Söldner die in Russland gelebte toxische Männlichkeit „ausleben“, inklusive Vergewaltigung.

Wie schnell diese toxische Männlichkeit, deren Vertreter meine Grandmère immer mit „Männekens“ bezeichnete, gefährlich abgleiten kann, wird im weiteren Verlauf des Stückes von den Protagonisten gut herausgearbeitet und dargestellt.

Im Stück bleibt es nicht bei der Anklage, sondern es wird eine Lösung angeboten, die gerade unsere AltRight Helden im Reichsbürger- und Blut und Boden Wahn auf die hier nicht wachsenden Palmen treibt. Die das Gendern der Sprache, am alten Männlein-Konzept festhaltend, kategorisch ablehnen und dafür einen in Russland, durch einen gewissen Dugin, pervertierten Begriff verwenden, der eigentlich aus der Afro-Community der USA kommt: „woke“. Damit wird alles abgelehnt, was nicht konservativ „männlich“ ist, beginnend beim Gendern, über Trans-Menschen und am Ende alles was LGBTQIAplus ist sowie einfühlsame, sensible Männer, die sich erlauben auch Gefühle zu zeigen.  Der Ausspruch, dass alle Wölfe sein müssen, wabert in den Köpfen der AltRight (Faschisten/NAZIs) vor sich hin. Wo das endet, sieht man in der Ukraine und vor 90 Jahren hier in Deutschland.

Woke entstand im Übrigen in den 1930 in den USA unter der Afroamerikanischen Bevölkerung, die sich für Demokratie, Teilhabe, Bildung, Weltoffenheit und Menschenrechte interessierten.

Die drei Schauspieler, David Martinez Morente, Lars Nichtvontrier und Felix Breuel, schwirren zum Höhepunkt im „transparenten“ Drag als geschlechterübergreifende, fluide Individuen auf der Bühne umher und reißen das Publikum mit in den Strudel.

Zum Ende hin wird deutlich, wie sehr Männlichkeit ein Konstrukt ist, in das wir als Männer und Frauen, die Weibchen in dem primatösen Konzept, hinein geordnet und erzogen werden. Ein toxisches Konzept, das schon Herbert Grönemeyer mit „Wann ist man ein Mann?“ hinterfragte.

Eine Buchempfehlung zum Thema Boygroup/-band

Georgina Gregory: Boy Bands and the Performance of Pop Masculinity. Routledge, New York / London 2019, ISBN 978-1-138-64731-2.

Konzept / Künstlerische Leitung        notsopretty

Video                                                  Pooyesh Frozandek

Technik                                              Nils Hestermann

Outside Eyr                                        Miriam Michel

Grafikdesign                                      Viviane Lennert

Fotographie                                       Anna Spindelndreier

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