Die Unterschiede zwischen Klassik und Jazz können mitunter erstaunlich gering sein. Obwohl beide zunächst aus unterschiedlichen ästhetischen und gesellschaftlichen Kontexten stammen, traten sie im Verlauf des 20. Jahrhunderts zunehmend in einen fruchtbaren Dialog.
Heute sind die Grenzen zwischen klassischer und improvisierter Musik fließender denn je. Komponistinnen, Interpretinnen und Ensembles bewegen sich selbstverständlich zwischen beiden Welten – etwa in der zeitgenössischen Ensemblepraxis, im Crossover oder in improvisatorischen Konzerten mit klassischem Instrumentarium. In diesem Spannungsfeld bewegt sich auch die französische Trompeterin Lucienne Renaudin Vary, die gemeinsam mit dem Pianisten Tim Allhoff am 30.04.2025 im Rahmen der Konzertreihe „Junge Wilde“ im Konzerthaus Dortmund auftrat.
Ein musikalischer Streifzug durch das 20. Jahrhundert
Es überrascht daher kaum, dass Werke aus dem 20. Jahrhundert im Zentrum des Programms standen – mit einer einzigen Ausnahme: Johann Sebastian Bach. Den Auftakt bildete die „Sonatine für Trompete und Klavier“ von Jean Françaix. Dieses Werk verströmt französischen Esprit und besticht durch rhythmische Raffinesse, die stellenweise an jazzige Synkopen erinnert, ohne den Jazz direkt zu zitieren. Das Zusammenspiel zwischen Trompete und Klavier ist dabei eng verzahnt, geprägt von pointierten rhythmischen Kontrasten.

Anschließend führte die musikalische Reise nach Spanien: Die „Siete canciones populares españolas“ von Manuel de Falla versprühen folkloristische Klangfarben. Jede Miniatur spiegelt einen eigenen musikalischen Charakter und eine spezifische regionale Herkunft wider – von andalusischer Melancholie bis zu kastilischer Herbheit.
Nach der Pause wurde es jazziger: Mit George Gershwins „I Loves You, Porgy“ aus Porgy and Bess stellten Vary und Allhoff eindrucksvoll ihre Improvisationskunst unter Beweis. Es folgte eine weitere Station des Abends – Südamerika: „Retrato em Branco e Preto“ („Porträt in Schwarz und Weiß“) von Antônio Carlos Jobim ist ein melancholisches, introspektives Stück, das in der Fassung für Klavier und Trompete eine besonders intime und zugleich elegante Wirkung entfaltete.
Tim Allhoff erhielt darüber hinaus Gelegenheit, sich auch solistisch zu präsentieren: Im ersten Teil interpretierte er ein Werk von Bach, nach der Pause folgte seine eigene Version von „Blackbird“ von den Beatles – ein poetischer, zugleich moderner Kontrastpunkt.
Das Publikum zeigte sich durchweg begeistert von diesem abwechslungsreichen und berührenden Konzertabend und dankte den Künstlern mit langanhaltendem Applaus.