Ars tremonia

Zeitinsel Beat Furrer – Auf der Suche nach den Grenzen von Sprache und Klang

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Mit vier Konzertabenden würdigte das Dortmunder Konzerthaus das Wirken des schweizerischen Komponisten Beat Furrer mit einer Zeitinsel. Furrer, der in diesem Jahr seinen 70. Geburtstag feiert, war selbst anwesend und dirigierte an zwei Tagen seine Werke. Ein Bericht über die vier Zeitinseltage.

Zeitinsel Beat Furrer Tag 1 – Enigma Zyklus

Der Donnerstag, der 03.10.24, präsentierte gleich zwei Avantgardisten der Musik. Neben Beat Furrer wurden noch Kompositionen von Giovanni Gabrieli gespielt, der den Übergang zwischen Renaissance und Barock mitgeprägt hat.
Doch der Schwerpunkt lag auf dem Zyklus „Enigma“. Beat Furrer benutzt dabei Texte des Universalgelehrten Leonardo da Vinci. Die Fragmentierung der Texte und ihre oft wissenschaftlich-philosophische Natur stehen im Einklang mit Furrers musikalischer Sprache, die das Publikum in einen Zustand des Suchens, Fragens und der ständigen Veränderung versetzt. Furrer experimentiert in „Enigma“ mit der menschlichen Stimme als Instrument, zerlegt Sprache in ihre klanglichen Elemente und schafft dadurch eine komplexe, spannungsgeladene Klangwelt.
Die barocken Kompositionen von Gabrieli, Orlando di Lasso und Antonio Lotti fügten sich überraschenderweise gut in die eher avantgardistische Musik Furrers ein. Das ist auch dem Chorwerk Ruhr zu verdanken, das unter der Leitung von Zoltán Pad eine bravouröse Leistung zeigte.

Zeitinsel Beat Furrer Tag 2 – Schubert und Furrer

Die Kombination zwischen dem Romantiker Franz Schubert und dem Avantgardisten Beat Furrer klingt auf den ersten Blick merkwürdig, doch vielleicht gibt es ja Gemeinsamkeiten, beispielsweise in der Schaffung atmosphärischer Klangwelten.
Den Beginn am 04.10.24 machte Furrers Violinkonzert, die Solistin war Noa Wildschut, die in der vergangenen Spielzeit bereits in einem Kammerkonzert der Dortmunder Philharmoniker musiziert hatte. Furrer setzt in der Solovioline zahlreiche erweiterte Spieltechniken ein, um die klanglichen Möglichkeiten des Instruments zu erweitern. Dazu gehören Flageoletts, Sul Ponticello (Spielen nahe am Steg), Sul Tasto (Spielen über dem Griffbrett) und perkussive Klänge. Diese Techniken erzeugen ungewöhnliche Klangfarben, die das Konzert über die traditionellen Klangmöglichkeiten eines Violinkonzerts hinausführen. Das machte die Sache für Wildschut herausfordernd. Begleitet wurde Wildschut vom WDR Sinfonieorchester.
Im dritten Satz gesellt sich ein Akkordeon als „Vermittler“ zum Orchester hinzu, zieht sich gegen Ende aber wieder zurück. Freund oder Feind der Violine? Ein spannendes Konzert.
Franz Schuberts 4. Sinfonie in c-Moll, auch bekannt als die „Tragische“, ist ein Werk, das sich stilistisch zwischen der Klassik und der Frühromantik bewegt. Sie entstand 1816, als Schubert erst 19 Jahre alt war, und ist geprägt von starken dramatischen Kontrasten sowie einer intensiven Auseinandersetzung mit der klassischen Form. Die Wahl der Tonart c-Moll, die oft mit Schicksal und Ernsthaftigkeit assoziiert wird, verstärkt diese dramatische Wirkung. Schubert setzt in dieser Sinfonie auf starke dynamische Kontraste und ausdrucksstarke Harmonien, die eine dunkle, spannungsreiche Atmosphäre schaffen. Beat Furrer dirigierte das WDR Sinfonieorchester.

Das Konzerthaus Dortmund widmete dem Komponisten Beat Furrer eine eigene Zeitlinsel. (Foto: (c) Manu Theobald)
Das Konzerthaus Dortmund widmete dem Komponisten Beat Furrer eine eigene Zeitlinsel. (Foto: (c) Manu Theobald)

Zeitinsel Beat Furrer Tag 3 – Klangkosmos Furrer

Wieder eine Kombination mit Werken aus der Vergangenheit, diesmal aus dem 14. Jahrhundert, mit Werken von Beat Furrer. Zwei spannende Werke von Furrer gefielen mir besonders. Die Kombination zwischen Sopran und Saxophon („In mia vita da vuolp“) sowie zwischen Sopran und Posaune („Spazio immergente“) erforschte die Koexistenz zwischen Stimme und Instrument. Beide suchen und finden sich, entfernen sich voneinander, spielen miteinander und gehen sich aus dem Weg.
Passend dazu die Musik aus dem 14. Jahrhundert. „Fumeux fume par fumée“, komponiert von Solage um 1390, ist ein außergewöhnliches Werk aus dem Ars Subtilior, einem Stil der mittelalterlichen Musik. Die Texte beschreiben eine „raucherfüllte“ Atmosphäre und spielen mit Themen wie Dunkelheit, Verwirrung und möglicherweise Trunkenheit. Sowohl die Musik als auch die Worte schaffen eine surreale und traumhafte Stimmung.
Im Mittelpunkt stand „Akusmata“ von Beat Furrer. Es ist ein Werk für acht Stimmen und acht Instrumente, das 2019/2020 komponiert wurde. Es ist inspiriert von den geheimnisvollen und teils rätselhaften Sprüchen, die Pythagoras zugeschrieben werden. Furrer verarbeitet diese Sprüche musikalisch, indem er die harmonischen Strukturen dekonstruiert und die Beziehung zwischen Stimme und Instrument neu gestaltet. Das Ergebnis ist eine dichte und sich ständig verändernde Klangwelt, die den Hörer in eine mystische und nur im Ohr existierende Realität führt.
An dem Abend wirkten mit: Cantando Admont, das Klangforum Wien mit Cordula Bürgi als Dirigentin, Johanna Zimmer als Sopran, Gerald Preinfalk (Saxophon) und Mikael Rudolfsson an der Posaune.

Zeitinsel Beat Furrer Tag 4 – Begehren

Der letzte Abend der Zeitinsel Beat Furrer gehörte seiner Oper „Begehren“. Das Werk ist nicht als traditionelle Oper konzipiert, sondern als eine experimentelle Form von Musiktheater. Furrer bricht die lineare Erzählstruktur auf, indem er verschiedene Texte und musikalische Ebenen miteinander verschränkt. Die Gesangsstimmen und Instrumente interagieren auf vielschichtige Weise, wobei die Musik oft fragmentarisch und dissonant ist, was die Unmöglichkeit des Begehrens musikalisch darstellt. Die Geschichte ist angelehnt an die antike Erzählung von „Orpheus in der Unterwelt“, einem der ältesten Opernstoffe.
Ein zentrales Element von „Begehren“ ist die Interaktion von Stimme und Sprache. Die musikalischen Linien der Sänger sind oft zersplittert, fast gesprochen, was der expressiven Tiefe des Textes eine zusätzliche Dimension verleiht. Die Klanglandschaft ist geprägt von wiederholten Motiven, die Spannung und Unruhe erzeugen, was das zentrale Thema der unerfüllten Sehnsucht verstärkt.
Wieder waren Cantando Admont sowie das Klangforum Wien involviert. Sarah Aristidou spielte SIE, Christoph Brunner sang und sprach die männliche Hauptrolle. Beat Furrer dirigierte seine Oper selbst.

Somit gingen vier intensive Abende zu Ende, die den Komponisten Beat Furrer gut präsentierten. Es war zeitgenössische klassische Musik, und es war klar, dass es nicht jedermanns Geschmack traf. Dennoch war es eine spannende Auseinandersetzung mit Musik und Musikformen, die im üblichen, von Musik der Romantik geprägten Konzertleben selten vorkommt.