Ars tremonia

Paradies, gutbürgerlich

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Die Schöpfungsgeschichte in 75 vergnüglichen Minuten – Premiere im Theater Fletch Bizzel

Viele Werke des Meistererzählers und scharfzüngigen amerikanischen Journalisten Mark Twain gehören heute zum Kanon der Weltliteratur. Mit den Abenteuern von Tom Sawyer und Huckleberry Finn machten viele junge Leser ihre ersten spannenden Lektüreerfahrungen. Nicht ganz so bekannt sind Mark Twains humoristisch-satirische Einfälle zur Genesis, die er unter dem Titel Die Tagebücher von Adam und Eva 1906 veröffentlichte. Bianka Lammert und Carsten Bülow haben dieses kleine komische Werk für die Bühne aufbereitet. Herausgekommen ist dabei eine kurzweilige, poetische, bisweilen auch nachdenkliche szenische Lesung, bei der sich ein aufgewecktes Premierenpublikum köstlich unterhalten fühlte.

Von der ersten Begegnung bis zur Ehe

Adams Tagebuch hatte Mark Twain bereits 1893 geschrieben. Nach dem Tod seiner Frau ergänzte er die Geschichte durch Evas Tagebuch und überarbeitete das Ganze zu einer Liebesgeschichte der besonderen Art, in der Eva vor allem den poetisch-philosophischen Part bedient, während Adam eher der Mann fürs Praktische ist. Leicht machen es sich die beiden ersten Menschen nicht – es ist wahrlich keine Liebe auf den ersten Blick. Adam fühlt sich gestört in seinem Junggesellendasein von dem lästigen Geschöpf, das unaufhörlich redet und ihn ständig verfolgt. Die neugierige Eva hingegen begreift ihre Beziehung eher als Experiment und erkennt irgendwann, dass es sich bei dem „anderen“ nicht um ein Reptil, sondern um ein verwandtes Wesen handelt, dem sie den Namen „Mann“ gibt. Von diesem Zeitpunkt an kommen sich die beiden unausweichlich näher, sie lernen sich kennen und lieben. Diese Entwicklung erzählt Mark Twain mit viel Witz und Einfühlungsvermögen, wobei seine Protagonisten weniger den biblischen Originalen nachempfunden sind, sondern ganz gegenwärtig ein Paar der bürgerlichen Mittelschicht repräsentieren – mit allen dazugehörigen Ehe-Klischees. Da bedient der Autor auch alle rollenspezifischen Traditionen: Der Mann geht auf die Jagd, während sie Heim und Herd versorgt und dabei – ganz nebenbei – das Feuer entdeckt. Er fragt nach dem Nutzen, sie nach dem Gefühl, er ist der Kopf- und sie der Bauchmensch. Diese etwas unzeitgemäßen Textpassagen werden von den beiden Darstellern mit Augenzwinkern und Ironie gekonnt parodiert.

Carsten Bülow und Bianca Lammert als Adam und Eva. (Foto: (c) Fletch Bizzel)
Carsten Bülow und Bianca Lammert als Adam und Eva. (Foto: (c) Fletch Bizzel)

Besonders kommt dies zur Geltung, als Kain und Abel, die Kinder, in ihr Eheleben treten. Während Carsten Bülow als Adam sich den Kopf darüber zerbricht, zu welcher Tiergattung diese Findlinge wohl gehören – erst hält er Kain für einen Fisch, dann für ein Känguru und schließlich für einen Bären – entdeckt Bianka Lammert als Eva die Mutterliebe und beschützt die Kinder vor dem eher grobschlächtigen Vater. In dieser Passage der szenischen Lesung, die durch wohldosierte Aktionen, kleine Gänge, vorwurfsvolle Blicke und besänftigende Augenaufschläge untermalt wird, darf das Publikum an so mancher Stelle auch herzhaft lachen.

Nach und nach übernimmt dann die Frau das Ruder, lässt sich von der Schlange überreden, Äpfel vom verbotenen Baum der Erkenntnis zu essen, wodurch das Paradies entmythologisiert wird und sich wandelt zu einem gutbürgerlichen Kleingartenidyll. Hier wird sich der Mensch ganz im Sinne seiner Natur der Endlichkeit bewusst – eine Welt, in der der Tod so selbstverständlich dazugehört wie die Liebe.

Carsten Bülow und Bianka Lammert erzählen diese Geschichte mit viel Charme, Witz und vor allem mit Humor. Am Ende sitzen sie Hand in Hand glücklich auf der Gartenbank, haben sich gefunden, und Eva fasst noch einmal zusammen, warum sie diesen Adam liebt: Nicht wegen seiner Klugheit, nicht wegen seines Fleißes, nicht wegen seiner Ritterlichkeit und auch nicht wegen seiner Bildung, sondern ausschließlich deshalb, weil er ein Mann ist. Und Adam sitzt daneben, ganz in ihrem Bann. Beseelt, verliebt, stolz und wehmütig zieht er die berührende Bilanz seiner Liebe und gesteht: „Wo immer sie war, da war Eden.“ Ein bezaubernder Abend mit überzeugenden Darstellern.