Ars tremonia

Malinches Echos: Jenseits einer einzigen Geschichte

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Das Performancekollektiv schall&kreck kehrt mit einem beeindruckenden multimedialen Stück im Solo-Format zurück auf die Bühne.
Pauli Nafer
27.01.2025

Nach dem Performance-Parcours what the fem? (2023) bringt schall&kreck mit der deutsch-nicaraguanischen Elisa Marschall als Performerin eine neue Arbeit auf die Bühne: In vier Aufführungen in Düsseldorf und Dortmund rufen sie Malinche und ihr ambivalentes Vermächtnis ins Gedächtnis.

Malinche: Eine zentrale Figur der kolonialen Geschichte

Präsent mit vielen verschiedenen Namen wird diese Frau des indigenen Nahua-Volkes als zentrale Figur der kolonialen Geschichte Lateinamerikas und der Karibik angesehen. Durch ihre Verbindung zu den spanischen Eroberern wurde Malinche zum Symbol des Mestizaje, eines kolonialen Kastensystems, das indigene und afrikanische Wurzeln verdrängte und bis heute die nationale Identität in Ländern wie Mexiko prägt.

Trotz der Vielschichtigkeit ihrer Geschichte wird Malinche nur auf zwei Lesarten reduziert: die der Verräterin und die des stummen Opfers. Das Performancekollektiv schall&kreck hinterfragt beide Perspektiven und legt die Vorurteile sowie die Gewalt offen, die seit Jahrhunderten auf indigene und weibliche Körper projiziert und ausgeübt werden.

Malinches Echo: Ein lebendiges Vermächtnis

Mehr als ein Mythos der Vergangenheit spricht Malinches Echo von jemandem, der noch lebt. Sie bricht unvermittelt und widersprüchlich in andere Räume ein: Sie wohnt in abfälligen Liedern, in der literarischen Figur der romantischen Liebe, in fortbestehenden Stereotypen und spiegelt ein weitergegebenes Trauma, das unauslöschliche Spuren im Erleben der Körper hinterlässt.

Auf der Bühne reisen die Echos von Malinche durch Zeit und Raum. Manchmal scheint ihre Stimme mit ihrem Echo zu verschmelzen, manchmal ihr Echo mit der Stimme von Elisa Marschall – der Performerin, die mit beeindruckender Leichtigkeit zwischen präzisen choreografischen Sequenzen, zurückgenommenen Gesten und heftigen, abrupten Erschütterungen wechselt, die den Raum mit intensiver Spannung füllen. Kostüme, Medienkunst und Sounddesign begleiten diese Aktionen nicht nur, sondern umhüllen sie und verschmelzen mit ihnen, eingebettet in ein Ritual, das von innerer Transformation und Erneuerung erzählt.

Marschall nimmt das Publikum auf eine biografische Reise mit, in der Körper und Stimme eine Vielzahl von Identitäten und einen existenziellen Schock erfahrbar machen. Ihre Stimme ist stark. Der Körper ist zugleich vertrautes und fremdes Territorium. Die Erinnerung verwischt die Grenzen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Gesten wie das Flechten der eigenen Haare oder das Sich-selbst-Einflechten wecken die introspektive Suche nach Heilung und beschwören das Verlangen herauf, im eigenen Körper einen Raum zu finden, in dem die eigene Existenz möglich wird.

Malinche: Eine zentrale Figur der kolonialen Geschichte steht im Mittelpunkt.
Malinche: Eine zentrale Figur der kolonialen Geschichte steht im Mittelpunkt.

Ein globales Regime der Gewalt

Die Botschaft ist klar: Es gibt viele Malinches. Indigene Frauen, Heilerinnen, Kämpferinnen, weychafescimarronas, Verteidigerinnen der Territorien, Aktivistinnen, Queere, Freie, Hexen. Während in Abya Yala – eine von indigenen Völkern und dekolonialen Feminismen zurückgeforderte Bezeichnung für den amerikanischen Kontinent – koloniale Gewalt gegen indigene Frauen ausgeübt wurde, verbrannte man zur gleichen Zeit in Europa Frauen als Hexen. Dieses globale Regime der Gewalt gegen Frauen offenbart eine gemeinsame Unterdrückung, die zeitliche und geografische Grenzen überschreitet.

Zwischen Tanz und medialer Inszenierung verliert dieses Solo seinen Charakter als reine Einzelperformance, sobald verkörperte Erinnerung und der Ruf des Kollektivs in das Geschehen eindringen. Jede Szene erscheint als Akt des Widerstands gegen dominante Erzählungen, binäre Verständnisse und die Simplifizierung historischer Komplexitäten. Malinche wurde oftmals zu einer einzigen Geschichte reduziert – zur Stärkung bestimmter Identitäten, Marginalisierung indigener und schwarzer Lebenswelten und Vereinfachung diasporischer Wege. Mit solchen Darstellungsweisen gilt es in Malinches Echo zu brechen.

Die Performance wurde gezielt für intime Theaterräume entwickelt. Sie verbindet Fragmente auf Deutsch, Spanisch und – in kleinerem Umfang – Náhuatl, die sich nahtlos zu einem mehrsprachigen Gewebe zusammenfügen. In dieser Auffassung werden feministische Kämpfe gewürdigt, und Malinche bleibt als Figur offen, näher bei uns, als wir denken, und lädt dazu ein, einen neuen Mythos zu erträumen, der den alten überwinden kann.