Lynn Margulis, eine einflussreiche Biologin und Evolutionstheoretikerin, entwickelte die Theorie der Endosymbiose und erweiterte damit die klassische Evolutionstheorie um eine entscheidende Dimension. Ihre Hypothese besagt, dass komplexe eukaryotische Zellen – also Zellen mit Zellkern, wie sie bei Pflanzen, Tieren und Pilzen vorkommen – durch eine symbiotische Vereinigung verschiedener prokaryotischer Zellen entstanden sind. Die Arbeit von Margulis veränderte unser Verständnis von Evolution grundlegend und verdeutlichte, dass das Leben auf der Erde nicht nur durch Rivalität, sondern auch durch Kooperation geformt wird.
Dieser Artikel ist jedoch kein wissenschaftlicher Beitrag über Evolutionsbiologie, sondern soll als Grundlage für das Verständnis des Tanztheaterstücks Infinity Kiss dienen, das auf den Theorien von Lynn Margulis basiert. Die Aufführung fand am 26. Oktober 2024 im Theater im Depot statt.
Von der Rivalität zur Symbiose: Das Konzept hinter „Infinity Kiss“
Cajsa Godée, Camila Malenchini und Layton Lachman, ein in Berlin lebender US-amerikanischer Künstler*in und Choreograf*in, sind die Hauptakteure in dem etwa 60 Minuten langen Stück. Statt wie in der klassischen Evolutionstheorie die Rivalität der einzelnen Individuen darzustellen, erschuf Lachman eine Symbiose – eine Zusammenarbeit. Ganz im Sinne von Margulis‘ Theorien verwandelten sich die Körper auf der Bühne zu einem völlig neuen Organismus. Während die Choreografie anfangs leichte „Human Centipede“-Vibes aufwies, wandelte sich Infinity Kiss allmählich zu einem polymorphen System, das sich ständig verändert und schließlich miteinander verschmilzt.

Das Tanztheaterstück Infinity Kiss stellt eine Suche nach symbiotischen Wesen und kollaborativen Unterstützungsstrukturen dar. Es bietet einen faszinierenden Abend, der neue Einblicke vermittelt – nicht nur in die Evolutionsbiologie, sondern auch in die Erkenntnis, dass Zusammenarbeit und Symbiose oft zu besseren Ergebnissen führen können als reine Konkurrenz.