Ars tremonia

Kino gegen das Vergessen – Roya Sadats filmischer Widerstand

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Roya Sadat gehört zu den bedeutendsten Stimmen des afghanischen Kinos – nicht nur, weil sie als eine der ersten weiblichen Regisseurinnen des Landes nach dem Fall der Taliban Filme drehte, sondern weil sie konsequent Themen behandelt, die in Afghanistan oft verdrängt oder tabuisiert werden: Frauenrechte, Selbstbestimmung, politische Gewalt. Ihre Filme sind nicht nur künstlerische Werke, sondern auch Akte des Erinnerns – gegen das Vergessen und gegen die Auslöschung weiblicher Perspektiven aus der afghanischen Geschichte.

Mit Sima’s Song wendet sich Sadat einer Zeit zu, die außerhalb Afghanistans kaum bekannt ist: den späten 1970er Jahren, als das Land zwischen Modernisierung und Widerstand, Revolution und Repression zerrieben wurde. Es ist eine kluge Entscheidung, diese politisch aufgeladene Periode aus der Sicht zweier Frauen zu erzählen – denn sie verkörpern auf ganz eigene Weise die Konfliktlinien jener Zeit.

Zwischen Revolution und Tradition – Sima’s Song

In diese wenig bekannte Epoche der afghanischen Geschichte entführt Sima’s Song. Die Handlung spielt in den Monaten vor dem sowjetischen Einmarsch im Dezember 1979 – einer Zeit politischer und gesellschaftlicher Zerrissenheit.

Afghanistan war damals ein Land im Umbruch. Im April 1978 putschte sich die Volksdemokratische Partei Afghanistans (PDPA) unter Nur Muhammad Taraki an die Macht. Die neue Regierung setzte auf tiefgreifende Reformen: Landverteilung, Alphabetisierungskampagnen, Einschränkung des Einflusses der Religion sowie die Gleichstellung der Frau standen auf der Agenda. Doch die PDPA war gespalten – in den radikaleren Flügel „Khalq“ und den gemäßigteren „Parcham“. Diese inneren Machtkämpfe schwächten die Regierung zusätzlich.

Soma's Song: Glückliche Momente vor drohender Katastrophe. (v.l.n.r.) Suraya (gespielt von Mozhdah Jamalzadah) und Sima (Niloufar Koukhani). Foto: (c) Ton Peters)
Soma’s Song: Glückliche Momente vor drohender Katastrophe. (v.l.n.r.) Suraya (gespielt von Mozhdah Jamalzadah) und Sima (Niloufar Koukhani). Foto: (c) Ton Peters)

Gleichzeitig formierte sich auf dem Land Widerstand durch Islamisten und Stammesfürsten, der mit harter Repression beantwortet wurde. Im September 1979 wurde Taraki ermordet und durch Hafizullah Amin ersetzt. Nur wenige Monate später, am 27. Dezember 1979, marschierten sowjetische Truppen in Afghanistan ein. Amin wurde in einem Kommandoeinsatz der Spetsnaz getötet, Babrak Karmal – Anführer der Parcham-Fraktion und Moskaus Verbündeter – wurde zum Präsidenten ernannt.

Zwei Frauen, zwei Welten

In diesem historischen Kontext erzählt Sadat die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft zwischen zwei Frauen: Suraya, eine Studentin und Tochter eines „Märtyrers der Revolution“, ist glühende Verfechterin des kommunistischen Gleichheitsideals. Sima hingegen, eine talentierte Sängerin und Tochter des Hausmeisters, stammt aus einem konservativ-muslimischen Umfeld. Zwischen den beiden entsteht eine fragile Beziehung, die durch die Spannungen der Zeit immer wieder herausgefordert wird.

Der Film zeigt nicht nur die politischen Umbrüche der späten 1970er Jahre, sondern auch die gesellschaftlichen Gegensätze innerhalb Afghanistans. Wenn die Kamera durch Kabul streift, begegnen uns Frauen in modernen Kleidern ebenso wie solche in Burkas. An der Universität lernen Männer und Frauen selbstverständlich Seite an Seite. Was nur angedeutet wird, aber dennoch spürbar bleibt: Die Kluft zwischen dem urbanen und dem ländlichen Leben war auch damals enorm – nicht nur im Lebensstil, sondern auch in Bezug auf Bildung, Frauenrechte und Freiheitsverständnis.

Sima’s Song bietet einen eindrucksvollen Einblick in ein Afghanistan, in dem zumindest ein Teil der weiblichen Bevölkerung deutlich mehr Freiheiten besaß als heute. Roya Sadat macht sichtbar, dass der Kampf um Gleichberechtigung und Selbstbestimmung dort schon viel früher begann – lange bevor er durch Krieg, Extremismus und internationale Interessen überlagert wurde.