Flieg nicht zu hoch

Mit „Ikarus“ von Lera Auerbach und „Hezarfen“ von Fazil Say entführten uns die Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von GMD Gabriel Feltz beim 4. Philharmonischen Konzert am 06. und 07. Dezember 2022 im Dortmunder Konzerthaus vor der Pause in hohe Gefilde, danach schickte uns Felix Mendelssohn Bartholdy auf den schwankenden Grund der Meeresoberfläche.

Doch zunächst zu Lera Auerbach. Die 1973 geborene Komponistin widmete ihr Orchesterstück dem legendären Irkarus. Er und sein Vater Dädalus wollten von Kreta fliehen, doch Ikarus ignorierte die Warnungen seines Vaters und flog zu hoch, so dass seine Wachsflügel schmolzen und er ins Meer stürzte. So will es die Legende. Heute wird die Figur des Ikarus‘ gerne als Symbol benutzt, für allzu technikbegeisterte Menschen.

Auerbachs Musik fängt auch gleich sehr dramatisch an, wird aber abgelöst von einer ruhigen Flugphase, die von der Solovioline getragen wird. Eine Besonderheit dieses Werks ist, dass das Theremin eine große Rolle spielt. Charlie Draper entlockte dem fremdartigen Instrument wehklagende Töne. Das Theremin ist ein „Überlebender“ der Neuerfindungen von Instrumenten der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts, als mit elektronischen Instrumenten experimentiert wurde. Ein anderes Beispiel dafür ist das Ondes Martenot. Das Theremin ist das einzige Instrument, das berührungslos gespielt wird.

Wie zu erwarten ist, geht der Flugversuch von Ikarus schief. Der Fall wird musikalisch mit dramatischen Paukenschlägen gegen Ende dargestellt.

Doch es gab auch einen realen „Ikarus“, der es im Gegensatz zu seinem mystischen Vorbild tatsächlich geschafft hat, eine Strecke erfolgreich im Segelflug zurückzulegen: Hezarfen Ahmed Çelebi (1609-1640). Der osmanische Flugpionier soll 1638 einen Segelflug über den Bosporus gewagt haben. Ihm widmet Fazıl Say sein Konzert für Ney-Flöte und Orchester. Als Solisten dienten Burcu Karadağ (Ney) und Aykut Köselerli (türkisches Schlagzeug). Die Musik entführt die Besucher*innen direkt nach Istanbul. Orientalische Klänge und Rhythmen, unterstützt durch die beiden Solisten, machen die Zeitreise und den Ortswechsel leicht. Doch auch Herzafen wird nicht lange glücklich. Der Sultan verbannte den Flugpionier nach Algerien. Ähnlich wie bei Auerbach endet das Stück mit Paukenschlägen.

Auch nach der Pause hatte das Publikum keinen festen Boden unter den Füßen. Es geht aufs Meer. Die drei Konzert-Ouvertüren von Mendelssohn-Bartholdy handeln entweder von mythischen Meeresbewohnern (Melusine), Meereslandschaften (Hebriden) oder Meeresfahrten (Meeresstille und glückliche Fahrt). Mendelssohn Bartholdy schafft es in den drei kurzen Orchesterstücken die Schönheit und den Schrecken des Meeres musikalisch darzustellen, dass man die tosende See beinahe spüren kann.   

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