Vom 15. September bis zum 22. Dezember 2024 zeigt der Dortmunder Kunstverein die Ausstellung „Schlaraffenland“. Zehn künstlerische Positionen beleuchten die Utopie des Überflusses beim Essen und Trinken, wobei auch kritische Perspektiven nicht fehlen: Leben wir durch die industrielle Massenproduktion bereits im „Schlaraffenland“? Denn Lebensmittel sind immer und überall verfügbar.
Mythos und Moderne: Die kulturelle Bedeutung des Schlaraffenlandes
Der Mythos des „Schlaraffenlandes“ wird erstmals im „Le fabliau de Cogagne“ aus dem Jahr 1250 erwähnt und verbreitete sich anschließend nach den Niederlanden und Deutschland. Im Spanischen heißt das Schlaraffenland „Jauja“, was einen Ort in Peru bezeichnet, an dem Milch und Honig fließen. Verwandt damit sind das keltische „Tír na nÓg“ sowie das japanische 宝の国 (Takara no Kuni), wobei letztere weniger stark den Fokus auf Essen und Trinken legen.
Die Besucher*innen werden von einem Werk von Hannah Levy begrüßt, das einen überdimensionalen Spargel zeigt, der in zwei metallenen Krallen ruht. Der Spargel, das beliebteste Gemüse der Deutschen, wird allerdings immer noch unter prekären Bedingungen geerntet.
Alwin Lays Fotografie „Knuspriges Hähnchen“ ist eine Referenz auf den zweiten Streich von Wilhelm Buschs „Max und Moritz“, in dem die beiden die Hähnchen von Witwe Bolte stehlen. Lay thematisiert die moderne Esskultur, die zunehmend auf Snacks und To-go-Mahlzeiten setzt. Bereits in der Antike gab es jedoch Fast Food, sodass das Konzept des Essens „to go“ keine moderne Erfindung ist.
Von Mukbang bis Kaffee: Die kulturellen und sozialen Implikationen
Das To-go-Essen hat eine weitere Auswirkung, da es zur Vereinsamung führt. Ein kurioser Trend namens „Mukbang“, der aus Südkorea stammt, zeigt Menschen, die sich beim Essen filmen. Diese Videos haben teils groteske Ausmaße angenommen, da dabei riesige Mengen an Lebensmitteln konsumiert werden. Am 14. Juli 2024 verstarb Pan Xiaoting (24), die in China durch extreme Mukbang-Videos bekannt wurde, während eines Mukbangs. Das Duo „Artist Mukbang“ (Liza Dieckwisch und Julia Gruner) greift dieses Phänomen in ihren künstlerischen Videos auf.
Julia Gruner ist ebenfalls mit einer weiteren Arbeit vertreten, bei der sie Lebensmittel scannte und diese auf einem 7×5,80m großen Vorhang präsentierte. Der schwarze Hintergrund erinnert an klassische Stilllebenmalerei.
Belia Zanna Geetha Brückner untersucht das Motiv von Tischgemeinschaften, um Machtstrukturen zu analysieren und zu zeigen, wie sich diese systematisch herausbilden, transformieren und manifestieren. Für ihre Performance zur Ausstellungseröffnung wird ein Catering eines privaten Luftfahrtunternehmens serviert.
Alkohol ist in unserer Gesellschaft weit verbreitet; wer keinen trinkt, muss sich erklären, nicht umgekehrt. Pablo Schlumberger lässt sich von der Figur des „Trinkers“ inspirieren, der Exzess und Abschweifung thematisiert. In der Ausstellung „Schlaraffenland“ stellt er sowohl alte als auch neue skulpturale Arbeiten aus.
Schlaraffenland: Globalisierung und Massenproduktion
Der Geruchssinn spielt beim Essen und Trinken eine zentrale Rolle. Vittorio Brodmanns Gemälde „Tag und Nacht im Leben einer Bäckerei“ zeigen die Arbeit eines Brot-Sommeliers.
Im Schlaraffenland bestehen die Häuser aus Brot, doch im Dortmunder Kunstverein ist das Gelände beim Aufgang aus Fondant mit einer leichten Vanillenote gestaltet – bitte nicht hineinbeißen! Josephine Scheuer schuf dieses Kunstwerk. Fondant erfüllt keinen kulinarischen Zweck und bietet keinen gesundheitlichen Mehrwert, sondern wirkt glatt und kalt wie Marmor.
Die ständige Verfügbarkeit von Lebensmitteln hat zu einem Verlust ihrer kulturellen Bedeutung geführt. So sieht es das Künstler*innenkollektiv „Slavs and Tatars“, das sich mit der Kultur Eurasiens auseinandersetzt. Früchte wie Maulbeeren oder Sauerkirschen haben auf spiritueller oder emotionaler Ebene ihre Bedeutung verloren.
Kaffee ist seit 1850 ein Massenprodukt. 1938 reichte Achille Gaggia das Patent für eine dampffreie Kaffeemaschine ein, was den Siegeszug des Kaffees einleitete. Alwin Lays 24-teiliger Bildzyklus zeigt eine Kaffeemaschine, die im Kaffee, den sie produziert, quasi ertrinkt – ein Symbol für den Burn-out moderner Menschen, die sich oft nur noch durch Kaffee über den Arbeitstag retten.
Aufstand im Schlaraffenland
Zum Schluss habe ich noch etwas von Deichkind zum Thema. „Aufstand im Schlaraffenland“ gefunden:
Die Leute kommen und protestieren
Sie wollen nicht länger konsumieren
Sie schmeißen all die Leckereien
Direkt in eure Fresse rein!
Sie reißen jetzt die Schnauze auf
Widerstand wird aufgebaut
Sie klettern auf den Käseberg
Und rufen auf zur Gegenwehr!
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Öffnungszeiten:
Mittwoch–Freitag: 15 – 18 Uhr
Samstag und Sonntag: 12 – 18 Uhr
Eintritt frei.
Sonderprogramm
21.09. (SA), 16–21 Uhr
MUSEUMSNACHT
Performance
Julius Metzger: Invisible Labor Bar
11.10. (FR), 20 Uhr
QUEER CINEMA III
Pride Power
17.10. (DO), 19 Uhr
FILMABEND #25
Ulrike Ottinger: Bildnis einer Trinkerin
25.10. (FR), 19 Uhr
WEINPROBE
In Kooperation mit Restaurant Labsal
21.11. (DO), ab 19 Uhr
THEMENABEND #7: SCHLARAFFENLANDSOZIOLOGIE
Dr. Daniel Kofahl (Ernährungskulturwissenschaftler):
Wo Genussüberfluss und Askesemangel herrschen
12.12. (DO), 19 Uhr
DIALOGISCHE FÜHRUNG
Mit Mira van Leewen (Deutsches Kochbuchmuseum, Dortmund) und Linda Schröer