Der Sandmann – und die düsteren Dämonen

Die Uraufführung von E.T.A. Hoffmanns „Der Sandmann“ (ab 16 Jahren) in der Inszenierung von Andreas Gruhn (Direktor des Kinder und Jugendtheater Dortmund) im KJT am Freitag, den 22.02.2019 war ein eindringliches Erlebnis für das Publikum. Die schaurige Erzählung um den traumatisierten jungen Studenten Nathanael, der immer mehr in den Wahnsinn driftet, wurde mit den modernen Mittel aber eng an der Textvorlage vermittelt. Ein exemplarisches Stück aus dem Zeitalter der der schwarzen Romantik.

Es war ein gelungenes Zusammenspiel von atmosphärisch verstärkenden Videoinstallationen, Musik und Klangbegleitung, gezieltem Einsatz der Beleuchtung sowie dem eindrucksvollen Spiel der Schauspielerinnen und Schauspieler des KJT-Ensembles.

Die Bühne wurde zu einer dunklen, klaustrophobischen Umgebung mit dunklem Mobiliar und geheimnisvoll verschlossener Doppeltür gestaltet. Hitchcock, Murnau oder wahrscheinlich auch E.T.A. Hoffmann hätten ihre wahre Freude gehabt.

Das Publikum sieht die Geschichte zunächst mit den Augen des Nathanael. Die Rolle des Protagonisten war eine große Herausforderung für den Schauspieler Thorsten Schmidt, die er mit Bravour meisterte. Zur Vermittlung seines Traumas aus der Kindheit, wurde ihm eine Kinderpuppe zur Seite gestellt und symbolisiert auch die Macht dieses Traumas auf den Protagonisten. Seine Mutter (Bettina Zobel) nutzt das Schauermärchen vom ominösen „Sandmann“, um ihn zum einschlafen zu bringen. Selbst verabscheut sie eigentlich das Märchen. Sensibel wurde sie von Bettina Zobel gespielt. Dieser böse Mann kommt angeblich zu Kindern, die nicht schlafen wollen, und streut ihnen eine große Menge Sand in die Augen, um sie ihnen heraus zu reißen und für seine Kinder zu klauen. Neugierig beobachtet Nathanael, dass eine Eltern Besuch von einem ekeligen, windigen, bedrohlichen Advokaten Coppelius bekommen, und sich offensichtlich ängstlich und unterwürfig verhalten. Ist das der Sandmann? Was für seltsame alchemistische Experimente finden statt und was für ein Geheimnis hat sein Vater? Ein Jahr später kommt dieser bei einer chemischen Explosion mysteriös ums Leben und Coppelius verschwindet.

Claras Bruder Lothar (in der Mitte, gespielt von Jan Westphal) versucht Nathanael (Thorsten Schmidt) vor Olympia (Bianka Lammert) zu warnen. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Claras Bruder Lothar (in der Mitte, gespielt von Jan Westphal) versucht Nathanael (Thorsten Schmidt) vor Olympia (Bianka Lammert) zu warnen. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Als Student glaubt er nach Jahren, in dem italienischen Wetterglashändler Coppola, jenen Coppelius wieder zu erkennen. Coppelius und Coppola wurden wunderbar gruselig in einer Doppelrolle von Andrea Ksienzyk gespielt. Als geduldig um das Seelenheil des Studenten kämpfende Verlobte Clara und ihr Bruder Lothar, überzeugten Ann-Kathrin Hinz und Jan Westphal. Der Blickwinkel wechselt nach und nach auch auf die Sichtweise des Umfeldes des „seltsamen Studenten“. Der verliebt sich bei einem vom Physikprofessor Spalanzani (ebenfalls von Rainer Kleinespel gespielt) initiierten Ball unsterblich in eine leblose Holzpuppe, die der Professor als seine maßgebliche Tochter Olympia ausgibt. Er hatte sie heimlich zusammen mit Coppola erschaffen. Bianka Lammert verkörpert die schwierige Rolle einer „leblosen Hohlpuppe“ mit roboterhaften Bewegungen und Kontaktlinsen als tote Augen beeindruckend. Sie bringt als einziges Wort „ach“ heraus.

Nathanael ist von deren zurückhalten, widerspruchslosen seltsamen Schönheit magnetisch angezogen, und fühlt sich nur durch sie richtig verstanden. Nur durch seinen Blick wird sie lebendig.

Als er sieht, wie sich in Spalanzanis Zimmer dieser mit Coppola um die Figur Olympias streitet, erkennt er, dass sie nur eine leblose Puppe ist, der jetzt die Augen fehlen.

Das sich Realität und Fantasie ständig vermischen, zieht sich wie ein roter Faden durch das Stück.

So erwacht Nathanael zwei mal im Stück aus einem „langen Krankheitsschlaf“ und befindet sich im Kreise der Familie. Scheinbar genesen, will er nun zur Freude seiner Mutter endlich Clara heiraten. Durch den Blick durch sein Fernglas auf Clara auf dem städtischen Rathausturm, verfällt er wieder in seine Wahnwelt und stürzt in den Tod, während die kritisch-realistische und lebensbejahende Clara letztendlich ihr Glück findet.

Die Inszenierung ist nicht nur als Gesamtkonzeption gelungen, sondern lässt dem Publikum viel Raum für freie Assoziationen und Beurteilungen. Es wäre auch ein gutes Stück für das Schauspielhaus.

Informationen über die weitere Aufführungstermine erhalten Sie wie immer unter:

Tel. 0231/ 50 27 222 oder www.theaterdo.de

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