Bei der Performance Geh zur Ruh´ lädt das Kollektiv äöü alle ins Theater ein, die dringend mal ein Nickerchen brauchen. Denn hier dreht sich alles um die Erschöpfung. Die beiden Performer:innen Patricia Bechtold und Johannes Karl treten dem Publikum in Kunstturnkostümen entgegen, die an vergangene vitale Zeiten erinnern. Doch jetzt sind sie einfach müde.
In einer klinischen Atmosphäre, irgendwo zwischen Irrenanstalt und Kurhaus, geben sie sich ihrer Erschöpfung hin. Ein mit Steppdecken verhülltes Doppelbett füllt den weißen Raum, auf dem die Performer:innen zuweilen ruhen oder ihre Müdigkeit zur Schau stellen. Im Hintergrund der Bühne thronen vier Säulen unterschiedlicher Größe, zwei davon präsentieren uns eine Kristallglas-Pyramide und einen antiken Tonkrug. Symbolträchtig wird diese Pyramide im Laufe der Performance befüllt und erwartbar überfüllt – der Tropfen, der das System zum Überlaufen bringt, gerinnt mahnend zu einer Pfütze auf dem Boden. Beiläufig, fragmentiert und unaufgeregt berichten die Performer:innen dem Publikum von verschiedenen Erschöpfungserzählungen – von schleichender Erschöpfung, von Abgeschlagenheit in Intervallen, von Überforderung bei scheinbarer Kontrolle, von selbstauferlegter Belastung, von permanenten Krisen und vom absoluten Zusammenbruch.
Die Frage, wie es dem anderen eigentlich geht, unterbricht und verbindet die Geschichten und wiederholt sich unermüdlich bei maximaler Müdigkeit. Das abgekämpfte „Geht’s dir gut?“ bleibt unbeantwortet und es ist dem Publikum überlassen, ob es darin Sorge, Wunsch oder Zwang erkennt. Doch die Erschöpfung endet nicht. Immer weiter hören wir, wie die alltäglichen Belastungen des Lebens den Abstieg unausweichlich provozieren, emotional unverfügbar machen, auslaugen bis zum letzten Tropfen, bis eine kleine Banalität wie die Aufgabe, eine Popcorn-Maschine zu putzen, zur schlussendlichen Katastrophe führt.
Einen träumerischen Kontrast zum Reigen der Kraftlosigkeit bildet das gelegentliche Schwelgen in Erinnerungen an das längst vergangene System der Kur-Anwendungen in Deutschland. äöü zeichnen es als Sinnbild für die seit Mitte der 90er-Jahre gesellschaftlich und politisch verworfene Vorsorge und stellen provokant die Frage, warum wir heute erst abbrennen müssen, um uns dann wieder neu aufzubauen. Denn was bleibt, ist eine politische Situation, in der das Ausruhen des Einzelnen zur Unruhe der Anderen wird. Ein Leben, in dem wir uns Erschöpfung nicht mehr leisten können und sie doch ständig da ist. Die Frage „Geht’s dir gut?“ mutiert schließlich zu einem „Kann ich dir helfen?“. Das Sorgen füreinander scheint der etwas trostlose Ausweg aus der Erschöpfungsschleife. Die Verschiebung des Kümmerns vom staatlichen in den privaten Raum wird dem Publikum als notgedrungenes Pflaster gegen die systematische Zerschlagenheit präsentiert.
Schließlich verwandelt sich die Bühne, gestaltet von Sofia Falsone, sukzessive vom sterilen Whitecube in eine kuschelige Stoffhöhle. In einem schwerfälligen Kraftakt suhlen, winden und schlängeln sich die Performer:innen durch unzählige Decken, die immer weiter den Raum bedecken und zu guter Letzt mit Seilzügen zu einem bühnenfüllenden Zelt aufgezogen werden. äöü lädt das Publikum ein, diesen Raum als Utopie des Ruhens, der Sorge, der Solidarität oder der Geborgenheit mit ihnen zu betreten – ein Ort, in dem selbst das vorherige Schreckensbild der Popcorn-Maschine kindliche Genüsse und Träume weckt.
Die Performance Geh zur Ruh´ war am 12. und am 13. April 2024 im Theater im Depot zu sehen.