Das Ruhrgebiet ist bis heute eine Landschaft der Narben. Ehemalige Industrieareale, Halden, stillgelegte Bahntrassen und verlassene Gewerbeflächen prägen das Gesicht einer Region, die nicht recht weiß, ob sie endlich Zukunft werden oder weiterhin Vergangenheit konservieren will. Diese Brachen sind mehr als topografische Restflächen: Sie sind liminale Räume – Orte ohne klare Funktion, Zonen des Dazwischen, in denen die alte Ordnung abgeschafft ist und die neue noch nicht begonnen hat. Besonders Jugendliche finden hier Rückzugsorte und Möglichkeitsräume, die der kuratierte Stadtraum längst nicht mehr bietet: Graffiti, Skaten, Musik, selbstgebaute Freiräume – nicht erlaubt, nicht geplant, aber möglich.
Mit dieser Ästhetik des Übergangs beschäftigt sich das Stück „Power Strangers – touching the not yet“ der Gruppe Sticky Fragments, das am 17. Oktober 2025 im Theater im Depot zu sehen war. Es führt zurück in eine Zeit, in der solche Brachen noch mythische Orte der Selbstvergewisserung waren. Drei „Power Strangers“ blicken zurück auf Wünsche, Sehnsüchte und verheißungsvoll flackernde Zukunftsentwürfe ihrer Jugend – jene Lebensphase, die selbst liminal ist: Pubertät als Schwebezustand zwischen Kindheit und Erwachsensein, zwischen Sozialisation und Selbstbehauptung. Doch schnell stellt sich eine Frage, die schwerer wiegt als die Nostalgie, die sie hervorruft: Wer werden wir gewesen sein? Was ist geblieben von den Visionen? Und was hängt heute an uns wie ein ausgeleierter Hoodie, der mehr peinliche Erinnerung als gelebtes Leben ist?

Musik, Videokunst und Physical Theatre versuchen, Antworten zu ertasten. Das Publikum wühlt in Fundstücken aus der Emscher, lauscht dem Sound eines Bahnhofs – selbst ein archetypischer Schwellenort – und beobachtet nächtliche Bushaltestellen, an denen das Stück jene vertraute Urbanpoesie beschwört, die man vielleicht aus Jugendfilmen kennt. Alles ist Bewegung, Suchbewegung, tastendes Voranschreiten.
Doch so sinnlich das Material ist, so bleibt eine Spannung bestehen: Reicht die ästhetische Geste, um die politische Leerstelle zu füllen? Brachen verschwinden im Ruhrgebiet – zugunsten von Investorenfantasien, Logistikboxen und urbaner Verwertungsprosa. Immerhin erlaubt der Schlussmoment – ein gemeinsamer Schritt hinaus in die kalte Dortmunder Nacht – einen Perspektivwechsel: Die Bühne zersplittert, der Stadtraum übernimmt, und plötzlich steht man selbst in einem Zustand, der wieder Übergang ist.
Das Theater verweigert die Antwort. Und vielleicht ist genau das der ehrlichste Satz, den man über Jugend, über Brachen – und über diese Region – überhaupt sagen kann.
 