Der Dortmunder Sprechchor hat sich inzwischen als Ensemblemitglied des hiesigen Theaters gut etabliert. Regine Anacker (Sprechchor) hat nun unter der Regie von Ludwig Robert Jung und Ekkehard Freye ein besonderes Stück geschrieben, das sich mit der zunehmenden Alterung der Gesellschaft immer brisanter werdenden Thema Demenz sowie den Kreislauf des Lebens befasst. Sie spielt auch selbst als Psychologin darin eine Rolle.
Halbwache Geister – Stück über Demenz und den Kreislauf des Lebens weiterlesenSchlagwort-Archive: Sprechchor
Der Chor kriegt die Krise
Seit 2.500 Jahren ist er fester Bestandteil des Theaters: der Sprechchor. Die alten Griechen benutzten ihn als „Stimme des Volkes“, als „moralische Instanz“ oder als „Kommentator“. Mittlerweile gehört er wieder öfter zu Inszenierungen dazu, im Schauspiel Dortmund ist der Sprechchor sogar ein festes Ensemblemitglied. Nach „anfassen“ ging der Sprechchor wieder „fremd“ für die neue Produktion „schwierig“ von vier.D. Sie stellt in der großen Mittelhalle des Kulturorts Depot den Sprechchor in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Premiere war am 22. Oktober 2021.
Auf weißen Papphockern sitzend erlebt das Publikum mitten in der Halle ein Chor, der irgendwie in eine Krise gekommen ist. Sind es die Anforderungen? „Viel zu viel“ und „viel zu hoch“ klingt wie eine Kritik an zu absurden Texten oder an zu merkwürdigen Regieanweisungen von Regisseuren, die beispielsweise einen Sprechchor aus Hartz-IV-Empfängern fordert.

Schnell kommt auch etwas wie Neid gegenüber der Protagonistin (Christiane Wilke) auf, die im Laufe des Stückes eine Entwicklung durchlaufen kann, was dem Chor als Einheit, als Masse verwehrt bleibt. Dieser Konflikt zwischen Individualität und dem „Wir“ durchzieht das gesamte Stück. Der Versuch eines zweiten Protagonisten (Thomas Kemper) aus dem Chor heraus eine Individualität zu erreichen, scheitert letztendlich.
Aber hat der Chor nicht recht mit seiner Bemerkung, dass es das „Volk“ oder eine „moralische Instanz“ gar nicht mehr gebe? Sind wir nicht alle mittlerweile zu Individuen geworden, die ein „gesundes Volksempfinden“ wie es perfide unter den Nazis hieß, nicht mehr nötig haben? Oder haben wir den Chor als moralischen Rückhalt weiter nötig. Eine Antwort darauf gibt es nicht, auch dem Chor fällt keine andere Antwort ein und sagt deshalb fast resignierend: „Ich möchte gern ein anderer sein, mir fällt aber keiner ein.“
„Schwierig“ ist nicht nur ein Stück über dem Chor, sondern auch mit dem Chor und die Mittelhalle des Depots ist ein sehr guter Ort, um die mehr als 20 Chormitglieder in Szene zu setzen. Da das Publikum in der Mitte saß, mussten sie die Perspektive mal ändern. Trotz des Halls in dem großen Raum konnte ich alles gut verstehen. Eine weitere Arbeit von Thorsten Bihegue, der wie bei „Anfassen“ den Text schrieb und die Regie führte. Birgit Götz war für zwei wunderschöne Choreografien zuständig und Manuel Loos für die Musik. Es war ein sehr gelungenes Stück über das Seelenleben eines Sprechchors.
Das Stück wird noch am 26. und 27. Oktober 2021 im Depot gespielt. Kartenreservierungen sind über die Homepage möglich: www.depotdortmund.de. Weitere Informationen zum Stück sind auf der Homepage www.vier-d.info/projekte/schwierig oder den Social Media Kanälen von vier.D und dem Dortmunder Sprechchor erhältlich.
Homosexualität und Fußball
Mit „Echte Liebe“ präsentiert das Schauspiel Dortmund ein sehr politisches Stück. Es behandelt quasi das letzte Tabu: Homosexualität im Profifußball. Trotz Outing von Thomas Hitzelsberger vor Jahren findet ein Diskurs in der Gesellschaft nicht statt. Das Besondere an dem Stück: Der Sprechchor übernimmt alle Rollen. Die Premiere ist am 29.03.19 im Studio.
Der Claim „Echte Liebe“ ist mit dem BVB verbunden, doch es geht nicht speziell um Borussia Dortmund. „Diesen Abend könnte man auch in Nürnberg zeigen“, so Matthias Seier, Dramaturg am Schauspiel. Vielmehr geht es um die generelle Frage, warum outen sich keine Profi-Fußballer? Warum gibt es keine Diskussionen in der Öffentlichkeit? Warum passiert nichts?
Das könnte mehrere Gründe haben, vermuten Seier und Laura N. Junghanns, die Regisseurin. Zum einen die Angst vor den Medien als „schwuler Fußballer“ gebrandmarkt zu werden, die Furcht vor dem Fanblock, vor allem bei Auswärtsspielen, aber auch die Sorge, auf dem Transfermarkt weniger Chancen zu haben. Denn jeder Fußballer ist quasi eine „Marke“, die an Wert verlieren würde, wenn er nicht mehr in bestimmte Länder transferiert werden könnte.

Für das Stück wurden viele Texte herausgesucht von vielen Texturhebern wie Fußballern, Mitarbeiter der Fanabteilung des BVB, Funktionäre des DFB, aber es gab auch Gruppengespräche mit dem Sprechchor. Hier wurde unter anderem gefragt, was bedeutet der BVB für dich? Ist Fußball politisch? Welchen Fußballspieler findest du attraktiv?
Homosexualität im Frauenfußball hat dagegen mit dem Klischee zu kämpfen, dass es dort eh nur „Kampflesben“ gebe, was sicher übertrieben ist. Dennoch scheint es dort leichter zu sein, mit dem Thema Homosexualität umzugehen.
Ein ist klar, „Echte Liebe“ kann keine einfachen Antworten geben oder simple Lösungen präsentieren, dafür ist das Thema zu komplex. Der Sprechchor, der permanent im Studio in Bewegung ist, spielt eine gewichtige Rolle, denn er wird verschiedene Typen darstellen. Von eher links-liberal angehaucht bis hin zu homophob ist alles dabei. Vor allem die homophoben Sprüche von Spielern und Funktionären werden zu hören sein, um zu zeigen, wie borniert die Menschen mit Homosexualität umgehen. Der Sprechchor übernimmt verschiedene Figuren wie den anonymen Profi, Thomas Hitzelsberger, den DFB, Corny Littmann und weiteren.
Die Bühne und Kostüme werden dem Premierenort gerecht, denn Dortmund wird in den Kostümen verortet sein. Die Dauer des Stückes ist nicht – wie man vermuten könnte – 90 Minuten, sondern etwa 70 Minuten.
Informationen und weitere Termine unter www.theaterdo.de
Leeres Gefäß oder eigenes Wesen
Tiere können nicht sprechen, Blumen auch nicht. Das alles muss Kasper Hauser erst lernen. In der Inszenierung von Alexander Kerlin und Torsten Bihegue zeigen der Sprechchor und der neue Kinderchor in „Kasper Hauser und die Sprachlosen von Devil County“ unterschiedliche Seiten des Findelkindes. Ars tremonia besuchte die Premiere am 13. Juni 2015 im Studio des Schauspielhauses.
Angenehm voll war es im Studio. Neben den ausverkauften Zuschauerplätzen, füllten rund 80 Mitglieder des Sprechchores und etwa 13 Mitglieder des Kindersprechchores den Raum. Doch glücklicherweise gab es viel Wechsel zwischen den Sprechchören.
Im Mittelpunkt des Stückes stand weniger die „Wahrheit“ um Kasper Hauser, der Anfang des 19. Jahrhunderts in Nürnberg auftauchte, sondern um die Frage: Was bedeutet Sprache? Was macht sie mit uns?
Bereits zu Beginn machten Kerlin und Bihegue deutlich, dass Sprache auch sehr brutal wirken kann: Die Erwachsenen riefen Befehlsworte zu dem Kinderchor, der in stilechten Kostümen aus dem 19. Jahrhundert steckte. Ansonsten war die Bühne in pastellfarbenen Erdtönen gehalten. Als Requisten dienten Pakete und Luftballons, auf denen nach der Melodie des „Flohwalzers“ allerlei Geräusche produziert wurden.
Doch was will Kasper eigentlich? Er hat viele Fragen, doch wenn er zuviele davon stellt, heißt es schnell von den Erwachsenen: „Setz dich hin und sei still“. Die Erwachsenen sehen Kasper als Art „Nürnberger Trichter“, als leeres Gefäß, das man befüllen kann. Auf seine Wünsche und Sehnsüchte nehmen sie keine Rücksicht. Von daher wünscht der sich „Unterhaltung ohne Sprache“, denn „wenn das, was du sagen willst, nicht schöner ist als die Stille, dann schweige.“
Im Laufe des Stückes wird deutlich, wer die Sprachlosen von Devil County sind: Die Zuschauer, die den Fortgang des Stückes auf der Bühne sprachlos verfolgen (müssen).
Das gesamte Stück wird musikalisch untermalt von Tommy Finke, der dem Kindersprechchor ein sehr berührendes Lied schrieb, in dem sich Kasper Hauser zu den Gestirnen wünschte, da er in dieser Gesellschaft unverstanden ist.
Die Aufführungen in dieser Spielzeit sind bereits ausverkauft. Ab dem 16. Juni 2015 läuft der Vorkauf für die Vorstellungen in der nächsten Spielzeit.