Schlagwort-Archive: Schauspiel Dortmund

Wetten, dass Ihnen das Lachen im Hals stecken bleibt

Bodo Aschenbach (Frank Genser) begrüßt den Kandidaten Bernhard Lotz (Sebastian Kuschmann). (Foto: © Birgit Hupfeld)
Bodo Aschenbach (Frank Genser) begrüßt den Kandidaten Bernhard Lotz (Sebastian Kuschmann). (Foto: © Birgit Hupfeld)

Ausgerechnet am Sonntag, den 23. August 2015 um 19:30 Uhr fand sie statt – die große Wiedergeburt der Samstagabendshow. Die Premiere der „Die Show“ (ja, englisch ausgesprochen!) zeigte, warum es sich lohnt ins Dortmunder Schauspiel zu gehen. Knapp drei Stunden witzige, gefühlvolle, musikalische, verrückte, technisch anspruchsvolle, zynische Unterhaltung. „Die Show“ ist einfach kultverdächtig.

Ok, 2.000 Bewerbungen, um als Kandidat in der nächsten Staffel der „Die Show“ mit zuspielen, wird das Theater Dortmund wohl nicht bekommen. Anders als das Vorbild „Die Millionenshow“ von Wolfgang Menge, die 1970 ausgestrahlt wurde. Dafür war die „Die Show“ doch ein bisschen zu deutlich als Mediensatire erkennbar.

Wie beim „Millionenspiel“ geht es bei der „Die Show“ darum, dass ein Kandidat mehrere Prüfungen zu überstehen hat, bis er eine Millionen Euro erhält. Dabei wird er von drei Leuten alias dem „Kommando“ verfolgt, die am sechsten Tag, der Live-Ausstrahlung der Sendung, sogar die Lizenz zum Töten haben. Lotz muss die ganze Zeit unbewaffnet bleiben.

Hinein also ins Schauspielhaus Dortmund, das sich für die „Die Show“ zum Fernsehstudio wandelt. Was gehört natürlich zu Beginn einer jeden Live-Show? Der Anheizer oder auch „Warm-Upper“ genannt. Carlos Lobo spielte ihn mit einer wahren Freude. Dabei halfen natürlich auch die Fußballergebnisse vom Nachmittag und mit dem BVB als Tabellenführer ging das Klatschen viel leichter.

Das Gewerke des Theaters hatten ganze Arbeit geleistet und zauberten eine beeindruckende Showtreppe im knallen Rot hin, während in der rechten Ecke die Sitzgelegenheiten und sehr aparte Tische (ein Hingucker!) für die Moderation und deren Gäste vorhanden war. Links war die Rezeption und darüber spielte die Band. Aber zur Musik kommen wir später.

Neben dem Kandidaten Bernhard Lotz (Sebastian Kuschmann) ist in einer Fernsehshow natürlich der Moderator das wichtigste Element. Es würde nicht verwundern, wenn für eine eventuelle Neuauflage von „Wetten, dass…“ Frank Genser ins Gespräch gebracht würde, denn seine Darstellung als Moderator Bodo Aschenbach war umwerfend. Ähnlich wie bei den großen Moderatorenvorbildern ist Aschenbach ein König der belanglosen Überleitungen, die von einer Sekunde zu anderen von einem tragischen Beitrag zu einem musikalischen Gast überleiten können. „Wer vor dem Fernseher sitzt, kann jedenfalls nicht gleichzeitig foltern“, kommentiert er eine Szene, in der Kandidat Lotz Schmerzen zugefügt werden. Kuschmann war als gepeinigter Gejagter ziemlich beeindruckend, vor allem gegen Ende, als er völlig verzweifelt war.

Aschenbach wurde Assistentin Ulla zur Seite gestellt, eine Mischung zwischen Sylvie van der Vaart und Michelle Hunzinger. Julia Schubert, mit roter Perücke und holländischem Akzent, spielte ebenfalls großartig. Immer zwischen geheuchelter Anteilnahme und trockenem Zynismus.

Im Mittelpunkt stand natürlich der Kandidat Bernhard Lotz. Dabei hatte Sebastian Kuschmann die meiste Arbeit bereits im Vorfeld hinter sich gebracht, denn die fünf Aufgaben, die Lotz in den Tagen davor absolviert hatte, wurden als Einspieler gezeigt. Erst gegen Ende der Show kam Lotz live auf die Bühne, um die letzte Aufgabe „Silver Bullet“ zu absolvieren, da er sich leider bewaffnet hatte, um gegen das „Kommando“ zu bestehen.

Zu einer Live-Show gehört auch Musik. Die stammt vom neuen musikalischen Leiter des Schauspielhauses, Tommy Finke, der mit seinen Mitstreitern nicht nur die Studioband „Tommy Love and the Smilers“ bildete, sondern auch die Musik für die Stargäste schrieb.

Zu den Stargästen gehörte die umjubelte „Baeby Bengg“, eine J-Pop-Sängerin im Mangastyle und die an Klaus Nomi erinnernde „Brit Bo“. Beide wurden von Eva Verena Müller gesungen. Ein großen Auftritt hatte auch Sebastian Graf als „Johannes Rust“, dem ehemalige DSDS-Sieger und jetzigen Musicalstar, der mit seinem Jesus-Musical Erfolg hat. Der kleine Seitenhieb geht an Alexander Klaws, der in Dortmund ja den Jesus in „Jesus Christ Superstar“ singt.
Bettina Lieder sang den Anastacia-Klon „Slyvia Saint-Nicolas“ ebenso gekonnt wie Julia Schubert einen Song der Assistentin Ulla. Zum Schluß brachte Schubert als Lotzes Freundin „Cindy“ auch eine schräge Sarah-Conner-mäßige Version der deutschen Nationalhymne.

Für diese Produktion haben sich alle im Schauspielhaus sehr ins Zeug gelegt. Das ganze Ensemble war zumindest in kleineren Rollen zu sehen. Köstlich war Ekkehard Freye als Dortmunder Oberbürgermeister, der vor dem Rathaus eine Rede zum Tod der BVB-Hoffnung „Ricardo Gomez de la Hoz“ hielt. De la Hoz (Peer Oscar Musinowski) war als Kollateralschaden vom „Kommando“ erschossen worden. Das Kommando bestand aus Andreas Beck, der den ehemaligen Hells-Angel Bruno Hübner spielte, Bettina Lieder als russische Killerin Natascha Linovskaya und Björn Gabriel, der den leicht irren Howie Bozinsky verkörperte. Sehr schräg war auch Uwe Schmieder als Elisabeth Lotz, die Mutter vom Kandidaten Bernhard.

Die „Die Show“ hat neben ihrer klaren Medienkritik an den Formaten wie „Dschungelcamp“, „Big Brother“ und andere auch eine aktuelle Komponente. Denn Flüchtlinge aus Syrien oder Afrika müssen auch mehrere „Prüfungen“ absolvieren, um letztendlich an ihr Ziel zu gelangen. „Endlich mal ein Flüchtling, zu dem man halten kann“ oder „Dem geht es doch nur ums Geld“ waren die (fiktiven) Zuschauerkommentare zur Situation von Lotz.
Aufs Korn genommen wurde auch die unsäglichen Charity-Aktionen von Prominenten und die deutsche Tierliebe. Als Lotz bei einem Spiel von Hunden gejagt wird und die Tiere verletzt, ist natürlich die Empörung groß. Wegen der Hunde, nicht wegen Lotz.
Kritiker der Sendung werden auch nicht einfach vom Saalschutz abgeführt. Das gibt es bei Moderator Aschenbach nicht, er lässt – wie damals Gottschalk – den Kritiker zu Wort kommen. Oder besser: er lullt ihn mit seinem Geschwafel ein, bis er geht.

Die drei Stunden vergingen fast wie im Flug. Das ist ein großes Verdienst aller Beteiligten und vor allem von Regisseur Kay Voges. Schließlich überzog „Wetten, dass“ auch regelmäßig. Um alle kleinen Feinheiten zu erkennen, sollte man öfter in die „die Show“ gehen. Es lohnt sich vor allem wegen den guten Schauspielern und der tollen Musik. Ein unterhaltsamer, aber auch nachdenklicher Abend. „Die Show“ hat die Messlatte für diese Saison schon ziemlich hoch gesetzt.

Die „Die Show“ ist wieder in Dortmund am 29. August, 13. und 30. September und 12. November 2015.

Jugend macht Theater

Es macht "BÄM!" beim diesjährigen Treffen der Theaterjugendclubs, dem "Festival Unruhr"
Es macht „BÄM!“ beim diesjährigen Treffen der Theaterjugendclubs, dem „Festival Unruhr“

Seit 2002 treffen sich die Jugendclubs aus den Theatern Bochum, Castrop-Rauxel, Dortmund, Duisburg, Essen, Mülheim an der Ruhr und Oberhausen. In diesem Jahr ist Dortmund der Gastgeber und hat mit dem Theater Kohlenpott in Herne zum ersten Mal auch ein freies Theater eingeladen. Das Festival Unruhr 2015 findet vom 03. bis zum 06. Juni am Schauspiel und im KJT statt.

Mittlerweile ist es das 14. Treffen der Ruhrgebietsjugendclubs. Neben der Möglichkeit, sich auf der Bühne zu präsentieren, steht das gegenseitige Kennenlernen im Mittelpunkt. Der Mix, der beim Festival präsentiert wird, reicht von Stückentwicklungen bis hin zu fertigen Stücken.

Doch nicht nur anschauen ist angesagt, sondern auch selber machen. Daher findet am 04. Juni ein „Performing Workshop“ statt. Leandro Kees, Daniel Matheus, Julia Mota Carvalho und Martin Rascher werden die 120 Jugendlichen und jungen Erwachsenen (die meisten sind zwischen 16 und 25 Jahre alt) in sechs Gruppen aufteilen und am selben Tag noch eine Mikro-Inszenierung gestalten.

Am Freitag können die Teilnehmer des Festivals auf dem Theatervorplatz weiße T-Shirts (selber mitbringen) mit fluoreszierenden Farben bemalen und besprühen. Die Shirts können dann auf der Abschlussparty am Samstag um 21:30 Uhr getragen werden.

Die Veranstaltungen im kleinen KJT sind bereits ausverkauft, für die Stücke im Schauspielhaus im Donnerstag („Zwischen uns“ vom WLT Castrop-Rauxel) und Samstag („Der kaukasische Kreidekreis“ vom Theater Duisburg) gibt es noch Karten, die 5 € kosten.

Das detaillierte Festivalprogramm und weitere Infos gibt es unter www.festival-unruhr.de.

Wenn Illusionen platzen

Das gemeinsame Abendessen platzt. (v.l.n.r.) Peer Oscar Musinowski (als Biff), Sebastian Graf (als Happy), Andreas Beck (Willy)
Das gemeinsame Abendessen platzt. (v.l.n.r.) Peer Oscar Musinowski (als Biff), Sebastian Graf (als Happy), Andreas Beck (Willy) (Foto:©Birgit Hupfeld)

Damals, als ein Wort noch etwas galt, als es wichtig war, beliebt zu sein, das war die Welt von Willy Loman, einem reisenden Vertreter. Doch die Zeiten haben sich geändert, nur Willy leider nicht. In der Inszenierung von Liesbeth Coltof spielt Andreas Beck in „Tod eines Handlungsreisenden“ einen Willy Loman, der zusehen muss, wie seine Welt untergeht. „Der Wald brennt“, ruft Loman ein paar Mal verzweifelt im Stück, doch weder Kavallerie noch Feuerwehr können ihn retten. Ein Premierenbericht.

Wichtig ist die Fassade. So tun als ob. Alles ist in Ordnung, obwohl die Kacke am Dampfen ist. In Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ geht es um den Verfall einer Mittelschichtfamilie, die verzweifelt versucht, ihren sozialen Abstieg zu kaschieren, obwohl er längst im vollen Gange ist. Willy Loman die Hauptfigur arbeitet als Handlungsreisender nach über 30 Jahren mittlerweile nur auf Provision, was bedeutet, er bringt kein Geld nach Hause. Das Geld leiht er sich von seinem Freund und Nachbarn Charley. Willys Stolz lässt ihn sogar Charleys Jobangebot ausschlagen, obwohl er von seinem Juniorchef entlassen wird. Seine Frau Linda steht in bedingungsloser Treue zu ihrem Mann, auch wenn sie die Realität erkennt. Mit seinem ältesten Sohn Biff gerät Willy häufiger in Streit, weil Willy alle seine Hoffnungen auf die Karriere seines Sohnes setzt, die aber nicht stattfindet, da Biff nicht der Überflieger ist, für den Willy in hält. Im Schatten davon ist Happy, Willys zweitältester Sohn. Er wird überwiegend von seinen Eltern ignoriert, obwohl er versucht, um ihre Anerkennung zu kämpfen.

Ein zweites Problem der Familie ist das Verbiegen der Wahrheit. Willy ist ein Meister im „Pimpen“ seines Lebenslaufes und vor allem den von Biff. Da wird Biff quasi zum Direktor hochstilisiert, obwohl er nur einfacher Packer war. Auch Willy erzählt von den Aufträgen, die er in der Tasche hat, nur leider fehlen die nötigen Unterschriften.

So ist das Stück, obwohl es aus dem Jahre 1949 stammt, auch heute hochaktuell. In Zeiten, wo Hausmeister zu „facility managern“ mutieren, jede noch so kleine Aushilfstätigkeit im Lebenslauf enorm aufgeblasen wird, werden Hoffnungen geweckt, die nicht zu erfüllen sind. Auch die Mentalität, Dinge einfach zu bestellen oder kaufen, weil man sie ja in Raten abbezahlen kann, ist heute aktueller denn je. Die mögliche Konsequenz: Seit 2006 gehen jährlich mehr als 100.000 Menschen in Privatinsolvenz. Passend dazu ließ Coltof die Bühne mit Waschmaschinen, Geschirrspülmaschinen und Kühlschränken dekorieren.

Dustin Hofman spielte Willy Loman in der Verfilmung von Volker Schlöndorff aus dem Jahre 1985 und ist vielen immer noch in Erinnerung, wenn sie an „Tod eines Handlungsreisenden“ denken. Andreas Beck spielt einen Willy, der schon optisch eine imposante Gestalt ist. Gleichzeitig macht Beck schnell die Unsicherheit und Zerbrechlichkeit des Charakters deutlich: Beispielsweise sofort zu Beginn, als er mehrmals auf die Bühne kommt, um zu erzählen, dass er eine Versicherungspolice über 150.000 € abgeschlossen hatte. Beck zeigt einen Willy, der zwischen lauter Polterigkeit und sensibler Zerbrechlichkeit mäandert.

Biff, der älteste Sohn, wird von Oscar Musinowski gespielt. Biff ist frustriert, weil er die Erwartungen seines Vaters nicht erfüllen kann und eigentlich auch gar nicht erfüllen will. Für Willy ist sein Sohn Biff der „Erlöser“, passend dazu erklang „I know that my redeemer liveth“ aus Händels „Messias“. Musinowski spielt einen verzweifelten Biff, der erkennen muss, dass nicht nur sein Leben ein Selbstbetrug ist, sondern auch das seiner ganzen Familie. Die „Werte“ mit denen Biff erzogen wurde, wie „Beliebtheit“ nutzen ihm in der realen Gesellschaft nichts mehr. Die Zeiten, in der Verträge per Handschlag geregelt wurden und gültig waren, sind in der modernen, kalten Wirtschaft vorbei.

Ähnlich tragisch angelegt ist die Rolle von Happy, dem zweiten Sohn. Er kämpft verzweifelt um die Liebe seiner Eltern, doch vergebens. Er ist quasi nicht existent, obwohl Happy seine Eltern sogar finanziell unterstützt. Sebastian Graf spielt einen Happy, der gerne möchte, dass „alles so wie früher“ ist. Auch Happy kennt eigentlich die Wahrheit, will sie aber um des Familienfriedens nicht aussprechen.

Ähnlich geht es Linda, die von Carolin Wirth dargestellt wurde. Auch sie weiß die Wahrheit, hält aber an der Illusion fest.

Willys nahezu irreale Hoffnung liegt bei seinem toten Bruder Ben (wurde überwiegend von Uwe Rohbeck gespielt). Ben ist das absolute Vorbild für Willy, denn er hat es „geschafft“. Wie, dass weiß man nicht so genau, aber Ben taucht ab und an in Willys Vorstellung auf.

Coltof lässt das Stück bewusst in Dortmund, beziehungsweise in Europa spielen. Szenen aus Dortmund tauchen ab und zu in kurzen Videosequenzen auf. Statt Baseball spielt Biff Fußball. Doch die Größe von Millers Stück, ist, dass es zeitlos wirkt. In der Hand von Coltof, die eine Meisterin im Herausarbeiten von Lebenslügen in einer Familie ist wie ihre Vorgängerproduktionen „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ und „Verbrennungen“, zeigt sich der Stoff aktueller denn je. Kauf auf Pump, das Pimpen des Lebenslaufes und die Unfähigkeit, die Wahrheit zu sagen: Alles vermengt sich bei Millers Stück zum tragischen Ausweg für Willy: Den Selbstmord. Denn dank seiner Versicherungspolice ist er in bitterer Weise „tot mehr wert als lebendig“.

Weitere Termine: DO, 23. OKTOBER 2014, FR, 24. OKTOBER 2014, SA, 08. NOVEMBER 2014, SO, 23. NOVEMBER 2014, MI, 03. DEZEMBER 2014, FR, 19. DEZEMBER 2014, FR, 26. DEZEMBER 2014, SO, 28. DEZEMBER 2014, SO, 11. JANUAR 2015, MI, 18. FEBRUAR 2015, MI, 11. MÄRZ 2015, SO, 19. APRIL 2015, FR, 22. MAI 2015 und DO, 11. JUNI 2015.

Karten und Infos unter www.theaterdo.de oder telefonisch 0231 5027222.

Am Ende der Illusion

Der tote Bruder Ben (Uwe Rohbeck), ganz in Weiß, ist Willys (Andreas Beck) Vorbild. Denn er hatte es "geschafft" und ist reich geworden. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Der tote Bruder Ben (Uwe Rohbeck), ganz in Weiß, ist Willys (Andreas Beck) Vorbild. Denn er hatte es „geschafft“ und ist reich geworden. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Die niederländische Regisseurin Liesbeth Coltof ist eine Meisterin im Erzählen von Beziehungsgeschichten. Wurden uns die Lebenslügen eines Paares in „Wer hat Angst vor,Virginia Woolf“ vor Augen geführt, erzählte sie in Verbrennungen die berührende Geschichte einer Familie, die in den Bürgerkriegswirren des Nahen Ostens ihre Wunden davontrug. Jetzt inszeniert sie „Tod eines Handlungsreisenden“. Ein Stück über den Verfall der Mittelschicht. Die Premiere ist am 18. Oktober.

Willy Loman ist seit Jahren an der Vertriebsfront. Er ist Handlungsreisender in Sachen Textilien. Doch mit den Jahren läuft es nicht mehr so gut, seine Kunden werden ebenfalls älter, die Wirtschaft verändert sich, alles wird unpersönlicher. Die Familie hat zwar immer weniger Einkünfte, aber am Status Quo wird weiterhin festgehalten. Willy setzt seine Hoffnungen vor allem in seinen ältesten Sohn Biff, der soll es „schaffen“. Doch Biff hat andere Pläne. Am Ende steht Willy vor den Scherben seines Lebens und seinen Werten. Für ihn gibt es nur noch einen Ausweg.

In Tod eines Handlungsreisenden von Arthur Miller geht es um den verzweifelten Kampf der Mittelschicht gegen den sozialen Abstieg. Die Fassade muss um jeden Preis aufrecht erhalten werden. Statussymbole werden angeschafft, auch wenn man sie sich eigentlich nicht leisten kann. Zwar spielt das Stück im Original in Amerika und nimmt den amerikanischen Traum unter die Lupe, doch Coltof hat es bewusst in Dortmund angesiedelt, weil „es eine Geschichte von Dortmund, von Deutschland, von Europa ist.“ Denn überall geben die Menschen mehr Geld aus, als sie besitzen, nur um mit dem Nachbarn oder Freunden konkurrieren zu können. Bis es dann in die Privatinsolvenz geht. Daher ist die Bühne voll mit Waschmaschinen, Kühlschränken und ähnlichen Dingen, die man sich zulegt, um sie dann auf Raten zurückzubezahlen.

In ihrer dritten Produktion setzt Coltof zwar auch Videotechnik ein, aber sehr sparsam, erzählt die Regisseurin. Es werden vor allen Szenen aus Dortmund gezeigt, wie der Westenhellweg oder die B1.

Hier erzählt Regisseurin Liesbeth Coltof über ihre Inszenierung: [youtuber youtube=’http://www.youtube.com/watch?v=e3-55wQh8PM‘]

Für die Premiere am 18.Oktober gibt es noch Restkarten. Weitere Termine:DO, 23. OKTOBER 2014, FR, 24. OKTOBER 2014, SA, 08. NOVEMBER 2014, SO, 23. NOVEMBER 2014, MI, 03. DEZEMBER 2014, FR, 19. DEZEMBER 2014, FR, 26. DEZEMBER 2014, SO, 28. DEZEMBER 2014, SO, 11. JANUAR 2015, MI, 18. FEBRUAR 2015, MI, 11. MÄRZ 2015, SO, 19. APRIL 2015, FR, 22. MAI 2015 und DO, 11. JUNI 2015

Karten und Informationen: 0231 50 27222 oder www.theaterdo.de

Ein geschwedeter „Minority Report“ im Studio

John Anderton (Björn Gabriel) sieht den Mord im Hintergrund kommen. (Foto: © Birgit Hupfeld)
John Anderton (Björn Gabriel) sieht den Mord im Hintergrund kommen. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Kennen Sie den Film „Abgedreht (Be kind rewind)“ mit Jack Black und Mos Def aus dem Jahre 2008? In dieser Hommage an das Kino löscht Black in seiner Rolle als Jerry alle Videokassetten und dreht mit Mike (Mos Def) die Filme mit einfachsten Mitteln nach. Mit der Argumentation von Jerry, die neuen Filme kämen aus Schweden und seien deshalb so teuer, etablierte sich der Begriff „geschwedet“ für diese Form von nachgedrehten Videos vor allem auf Youtube.

Doch vorweg, eines kann man der Inszenierung von „Minority Report“ von Peter Gehre, die am 14. September 2014 Premiere hatte, sicher nicht vorwerfen: dass sie in irgendeiner Form billig oder als Farce angelegt ist. Mit nur vier Schauspielern und einer Menge an Gimmicks schafft Gehre eine Liebeserklärung an Spielbergs Film.

Das Stück lehnt sich stark an den gleichnamigen Film von Steven Spielberg aus dem Jahre 2002 an, mit kleinen Änderungen. So ist im Gegensatz zum Film John Andertons Frau nicht mit von der Partie und der Mord an Jad Fletscher durch Lamar Burgess wird nicht in Szene gesetzt, was vermutlich daran liegt, dass beide Rollen von Ekkehard Freye gespielt wurden.

Was uns sofort zu den vier Schauspielern bringt. Multitasking war angesagt. Julia Schubert übernahm ebenso mehrere Rollen wie Merle Wasmuth und Ekkehard Freye. Nur Björn Gabriel spielte als einzige Rolle den Leiter von Precrime John Anderton.

Zur Geschichte: Wir schreiben das Jahr 2041, in Washington D.C. Hat es seit sechs Jahren keine Morde mehr gegeben, dank „Precrime“. Dank Kinder mit besonderen Fähigkeiten und Algorithmen fungieren sogenannte Precogs als Art Orakel und können Morde vorhersehen. Die Polizei kommt dann rechtzeitig und nimmt den Mörder fest, bevor er die Tat begehen kann. Doch plötzlich sagt Precog Agatha den Mord an Leo Crow voraus, der Mörder ist John Anderton selbst.

Barbie-Puppen, die ein Ehepaar darstellen, Verfolgungsjagden mit einem Matchbox-Auto, was eher wie ein Film mit Ed Wood klingt, macht durch das engagierte Spiel der vier Akteure auf der Bühne für die Zuschauer enorm viel Spaß und fesselt ans Geschehen, das an drei Leinwänden gezeigt wurde.

Noch etwas war anders wie im Kino: Die Zuschauer durften abstimmen. Gut, nur die Smartphone-Nutzer mit Android, weil Apple die App „Precog“ nicht gefiel, aber es ging um die Frage: Soll Anderton Leo Crow, den mutmaßlichen Mörder seines Sohnes, erschießen so wie vorhergesagt oder nicht? Zwar sagten 61% Ja, doch es ging weiter wie im Film, wo Crow den Abzug quasi selbst betätigt.

Am Ende des Stückes werden die moralischen Fragen des Filmes diskutiert. Ist man verpflichtet Vorhersagen zu folgen oder sind sie nur Vorschläge? Was ist, wenn man erfährt, dass das ungeborene Kind höchstwahrscheinlich behindert sein wird. Abtreiben oder nicht? Machen immer mehr Informationen frei oder schränken sie ein?

Ein wirklich gelungener Theaterabend, der die richtige Balance zwischen Technik und Schauspielerei fand, was auch an der guten Besetzung lag, die mit deutlichen Spaß bei der Sache war. Hoffentlich gibt es weitere „geschwedete“ Filme von Peter Gehre in Dortmund zu sehen.

Weitere Termine am: SO, 21. SEPTEMBER 2014, SA, 18. OKTOBER 2014 und DO, 23. OKTOBER 2014.

Infos und Karten unter www.theaterdo.de oder 0231 50 27222.

Berauscht euch!

Im Rausch der Farben. (Foto: © Dirk Baumann)
Im Rausch der Farben. (Foto: © Dirk Baumann)

Unter dem Motto „RAUSCH SUCHT SEHNSUCHT“ geht die Herbstakademie des Schauspiel Dortmunds in die zweite Runde. Nachdem im vergangenen Jahr in der Stadt nach Arm und Reich gesucht wurde, dreht sich vom 06. bis 11. Oktober 2014 alles um Rauschzustände, Glück und Extase. Es geht um Fragen wie: Welche Sehnsucht steckt im Ruasch? Welchen Rausch braucht die Stadt? Wie entsteht ein Schaffensrausch?

100 junge Menschen zwischen 16 und 21 Jahren gehen auf eine künstlerische Forschungsreise und erforschen die Abgründe von Rausch, Sucht und Sehnsucht. Doch keine Angst, denn in den sechs Tagen wird die Rauscherfahrung ohne psychotrope oder andere Substanzen erlebt. „Wir haben wieder ein Thema genommen, was auf der Straße liegt“; so Dramaturg Dirk Baumann. In den Woche in den Herbstferien werden die Jugendlichen fünf Tage lang in fünf „Instituten“ arbeiten und am sechsten Tag gibt es eine Präsentation im ganzen Haus. „Wir wollen den jungen Leuten das ganze Haus Verfügung stellen“, so Theaterpädagogin Sarah Jasinszczak.

Das Institut 1 beschäftigt sich mit Tanz. Hier ist Leandro Kees der Leiter und wird mit elektronischer Musik und Tanz die Teilnehmer zu einem besonderen Trip führen. Marcel Sparmann und Björn Neukom leiten das Institut 2, in dem es über Performance geht. Stichwort: Rausch(en) als sinnliches Phänomen. Das Institut 3 widmet sich der bildenden Kunst und hat zwei Künstlerinnen aus dem Dortmunder Künstlerhaus als Leiterinnen Barbara Koch und Sandra Linde. Hier ist das Motto: H.O.P.S. High ohne psychotrope Substanzen. Tanja Krone leitet das Institut 4 (performing music) und hat die Forderung: Rausch muss für alle und umsonst sein. Mal schauen, wie sie und ihre Teilnehmer das hinbekommen. Ein besonderes Institut ist das Institut X, das sich mit Theater und Gaming beschäftigt. Hier dürfen Jugendliche aus der Dortmunder Nordstadt und aus Scharnhorst bevorzugt mitmachen.

Es gibt jeden Tag während der Herbstakademie ein gemeinsames Mittagessen. Die Kosten belaufen sich auf 60 €. Das Schauspiel Dortmund hofft auf sogenannte Kulturpatenschaften, die für Teilnehmer aus sozial schwachen Schichten die Teilnehmergebühr übernehmen.

Denn die Erfahrung zeigen positive Effekte. Die Jugendlichen lernen nicht nur das Schauspiel kennen, sondern sind auch an anderen Sparten sehr interessiert. Zwanzig Prozent haben sich danach in andere Projekte rund um das Theater wieder engagiert.

In allen Instituten gibt es noch freie Plätze. Anmeldung ist möglich unter 0231/5022555 bzw 0231/5025541 oder unter herbstakademie@theaterdo.de

Zwischen Virtualität und Körperlichkeit

Schauspieldirektor Kay Voges freut sich auf das Theatertreffen 2014. Im vergangenen Jahr gewann er mit seiner Inszenierung von "Das Fest" beim Theatertreffen 2013.
Schauspieldirektor Kay Voges freut sich auf das Theatertreffen 2014. Im vergangenen Jahr gewann er mit seiner Inszenierung von „Das Fest“ beim Theatertreffen 2013.

Vom 13. bis zum 20. Juni 2014 wird Dortmund zur offiziellen Theaterhauptstadt in NRW. Beim NRW Theatertreffen haben die Besucher die Möglichkeit, zehn Theaterstücke aus ganz NRW zu sehen, daneben Filme, Diskussionspanels, Performances, Workshops und Konzerte. Spielorte sind neben dem Schauspielhaus, dem Studio und dem Institut noch die Junge Oper, das Opernhaus und der Theatervorplatz.

 

Im Mittelpunkt des Theatertreffens stehen die zehn Wettbewerbsbeiträge. Begonnen wird am Freitag, den 13. Juni mit der Bochumer Produktion „Das Mädchen aus der Streichholzfabrik“. Am Samstag, den 14. Juni ist der ostwestfälische Tag, denn da wird „Wohnen. Unter glas“ vom Theater Paderborn sowie „Minna von Barnheim oder das Soldatenglück“ vom Theater Bielefeld gezeigt. Sonntag, den 15. Juni präsentiert das Schauspiel Essen „Der Prozess“ und am Montag, den 16. Juni die Wuppertaler Bühnen „JR“. „Kasimir und Karoline“ vom Düsseldorfer Schauspielhaus wird am Dienstag, den 17. Juni gezeigt. Bertolt Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ vom Schauspiel Köln wird am Mittwoch, den 18. Juni präsentiert. Donnerstag, den 19. Juni stehen zwei Stücke auf dem Programm. Zuerst spielt das Theater Münster „Die deutsche Ayşe. Türkische Lebensbäume.“, danach fährt das Theatertreffen zu einem Auswärtsspiel nach Oberhausen: Per Shuttlebus ab 19:30 Uhr geht es auf die Reise zum Stück „Die Orestie“ des Theaters Oberhausen. Aus technischen gründen kann das Stück nicht in Dortmund gespielt werden.Den Schlusspunkt setzt am Freitag, den 20. Juni „Das Himbeerreich“ vom Theater Aachen.

Für die teilnehmenden Stücke gibt es drei Preise zu gewinnen: Den Preis der Fachjury, den Preis der Jugendjury und den Publikumspreis. Die Preisverleihung findet am Freitag, den 20. Juni um 20:30 Uhr statt.

 

Dramaturg Thomas Bihegue stellte das Programm zum Theatertreffen 2014 vor.
Dramaturg Thomas Bihegue stellte das Programm zum Theatertreffen 2014 vor.

Das Theater ist ein Ort, an dem Reales und Virtuelles, Analoges und Virtuelles aufeinandertreffen. Dazu bieten sechs Diskussionspanels die Möglichkeit, verschiedene Themen zu beleuchten. Mit dabei sind unter anderem Autor Dietmar Dath bei „Sterben: Online und Offline“ oder Paul Wallfisch, musikalischer Leiter des Schauspielhauses, in „Theatermusik – autonome Kunst im Sprechtheater“.

 

Musik ist ein gutes Stichwort: Es gibt einige Konzerte. So spielen unter anderem PeterLicht, The Tiger Lilies oder Thomas Truax.

 

In Brasilien findet ja zeitgleich ein weiteres großes Ereignis statt, die Fußball-WM. Das Institut wird sich auch als WM-Studio präsentieren.

 

Tickets:

Stücke (Schauspielhaus & Opernhaus) 19,- Euro / 12,- Euro (erm.)

(Studio) 15,- Euro / 10,- Euro (erm.)

Westwind-Stücke 10,- Euro / 5,- Euro (Kinder)

Konzerte (Schauspielhaus) 20,- Euro

(Junge Oper) 10,- Euro

(Junge Oper, 23 Uhr) 5,- Euro

Kino (Institut) 5,- Euro

 

 

Hotline 0231/50 27222

Online www.theaterdo.de

 

 

 

Weitere Infos, Programm und Festival-Blog:

www.nrw-theatertreffen.de

www.facebook.com/nrwtheatertreffen

www.twitter.com/nrwtt

 

Turbulenter Wahnsinn im Schauspielhaus

Im Laufe der Tournee liegen bei den Beteiligten doch die Nerven blank: (v..l.n.r.) Merle Wasmuth, Frank Genser, Andreas Beck und Sebastian Graf. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Im Laufe der Tournee liegen bei den Beteiligten doch die Nerven blank: (v..l.n.r.) Merle Wasmuth, Frank Genser, Andreas Beck und Sebastian Graf. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Nach „Arsen und Spitzenhäubchen“ hatte am Samstag, den 5. April 2014 der „Der nackte Wahnsinn“ von Michael Frayn als zweiter Komödien-Spaß unter der Regie des Duos Peter Jordan und Leonhard Koppelmann seine Premiere auf die Bühne des Dortmunder Schauspielhauses.

Diese absurd-turbulente britische Komödie hat es wirklich in sich.

 

In dieser abgefahrenen Geschichte rund um das Theater versucht der verzweifelte Regisseur Lloyd Dallas mit seinem Assistenten Poppy Norton-Taylor und dem Inspizienten Tim Allgood kurz vor Mitternacht die am nächsten Tag anstehende Premiere des Stückes „Nackte Tatsachen“ zu retten.

Doch das Chaos hinter der Bühne groß, sondern auch Backstage wüten Eifersucht, Neid und Geltungsdrang. Das Problem ist, alle müssen irgendwie zusammenhalten, denn es steht, wie in England üblich, eine zehnwöchige Tournee an…

 

Ein Stück über Schauspieler, die ein Stück proben, klingt eigentlich mehr nach Insider-Gags. Doch „Der nackte Wahnsinn“ bot als Komödie alle Zutaten, was der Zuschauer an einer Komödie schätzt: Wenn irgendwo eine Tür zugeht, geht woanders eine Tür auf. Belanglose Requisiten wie beispielsweise Sardinen spielen plötzlich eine große Rolle und Schauspieler wechseln urplötzlich ihre Rollen. Schließlich durfte auch eine gewisse Portion Slapstick nicht fehlen.

Dabei zeigte das Dortmunder Ensemble erneut, welch gute Chemie zwischen den Schauspielern herrscht. Denn eine solche Komödie braucht Esprit, sonst funktioniert sie nicht und verkommt zur Nummernrevue.

 

Andreas Beck spielte mit sichtlichem Vergnügen den Regisseur mit langem Pferdeschwanz, mal väterlich mild verständnisvoll, dann wieder bestimmend („wenn Gottvater spricht“ ) und aufbrausend und laut, wenn die Jungschauspielerin Brooke Ashton mal wieder nichts versteht. Peer Oscar Musinowski als Regieassistent Poppy Norton-Taylor steht ihm als etwas „tuntig“ mit blonder Popper-Haarperücke treu zur Seite. Musinowski konnte hier, wie zum Beispiel schon in „Drama Queens“ bewiesen, sein komisches Talent wieder voll ausleben. Sebastian Graf spielt den Inspizienten und Bühnenmeister Tim Allgood, der als „Mädchen für alles“ fungiert. Klemmen Türen muss Tim ran, braucht das Ensemble noch Einbrecherkostüme, muss er sich trotz Schlafdefizit („Tim war 48 Stunden auf den Beinen“) ebenfalls drum kümmern.

 

Regisseur Peter Jordan hatte die Schauspielriege sehr gut besetzt. Fast möchte man niemanden herausheben, doch sehr gut war Friederike Tiefenbacher, die die leicht schusselige „Dotty Otley“ spielte. Dotty hatte darüber hinaus Geld in die Produktion gesteckt und sah im Laufe des Stückes ihre Altersvorsorge davonschwimmen. Auch Merle Wasmuth brillierte mit ihrer Darstellung der äußerst naiven Jung-Schauspielerin „Brooke Ashton“, die leider öfters ihre Kontaktlinsen verlor. Doch auch Frank Genser, Ekkehard Freye, Eva Verena Müller und Uwe Schmieder waren bei der Premiere gut aufgelegt.

 

Die beiden Regisseure Jordan und Koppelmann haben sich beim Bühnenbild nicht lumpen lassen und nutzten den Vorteil, den eine Drehbühne sich bietet. Im ersten Teil sah das Publikum ein ganz normales Bühnenbild, den Eingangsbereich eines typischen englischen Herrenhauses. Denn es war Generalprobe.Im zweiten Teil wechselt die Perspektive. Dann sehen wir das Bühnenbild von hinten. Und es wird deutlich: Aus dem Zusammenhalt am Anfang ist Neid, Missgunst und Eifersucht geworden. Im dritten Teil ist das Chaos dann perfekt. Zu sehen ist wieder das Bühnenbild vom Beginn, nur hat es durch die lange Reise und die vielen Aufführungen ordentlich was abbekommen. Die Treppe zum ersten Stock besteht nur noch zur Hälfte aus dem Original, manche Türen sind verschwunden. Der pompöse Elchkopf verliert auch noch sein Geweih.

 

Die Aufführung war ein augenzwinkernder Blick hinter die Kulissen des Theaters mit viel Spaß und Selbstironie der beteiligten Schauspieler/innen am Spiel.Sie verlangte den beteiligten Schauspieler/innen in den drei Stunden sowohl physisch als auch vom genauen Timing alles ab.

 

Kurz gesagt: Bei „Der nackte Wahnsinn“ ist der Titel Programm. Und ehrlich gesagt: Das ist auch gut so!

 

Weitere Vorstellungen: 9., 19., 25., 27. April und 8. Mai. Infos und Karten gibt es unter www.theaterdo.de oder 0231 5027222.

Re-birthing auf türkisch

Der Protagonist wacht in einem merkwürdigen jenseits wieder auf. Ensemble Altidan Sonra Tiyatro. (Foto: © Yucel Kursun)
Der Protagonist wacht in einem merkwürdigen jenseits wieder auf. Ensemble Altidan Sonra Tiyatro. (Foto: © Yucel Kursun)

Als drittes Gastspiel aus der Reihe „Szene Istanbul“ wurde am 14. März 2014 im Schauspielhaus Dortmund „Du bist tot, kapiert?“ (Öldün, duydun mu?) der Gruppe Altidan Sondra Tiyatro/Kumbaraci50 unter der Regie von Yiğit Sertdemir aufgeführt.

Diese Reihe wird in Kooperation mit dem Mülheimer Theater an der Ruhr realisiert.

Das freie Theater Altidan Sondra Tiyatro hat – wie die anderen auftretenden Gruppen – seine Heimat in einem der interessantesten und vielfältigsten Viertel in Istanbul. Beyoğlu, unterhalb des Taksim-Platzes gelegen, ist zudem auch Partnerstadt(teil) von Dortmund.

Das Stück wurde in türkischer Sprache mit deutschen Übertitel gespielt.

 

Schon das Bühnenbild dieser märchenhaften, satirischen Gesellschafts-Parabel ist fantasievoll – fabelhaft angelegt. Der Bühnenboden war voll von weißen, plüschigen und Wattebäuschen ähnliche „Wolken“. Umfasst war die Bühne von einer eierschalenfarbenen, durchbrochenen Konstruktion, die nach oben hin kuppelartig abgeschlossen war. Ein Raum, der einer fantasievollen Vorstellung von einem „Jenseits“ nahe kam.

In der Mitte lugte nur der Kopf eines Mannes heraus. Begrüßt wird der Mann, nach seinem dritten Selbstmordversuch von einem Wesen zwischen Engel und Clown. Es verrät ihm, dass er im Jenseits sei. Sein Lebenswandel würde aber einer Prüfung unterzogen und er könnte eventuell eine zweite Chance bekommen. Sein Leben wird aus einem Buch in Form einer märchenhaften Parabel vorgetragen. Die Menschen leben in „Schalen“, Kinder heißen „Bobolops“, Erwachsene“Bobolips“ Geliebte „Liebliebfrauen“ und ein Suizid „Dezius“. Wir erfahren von dem herrschsüchtigen, gewalttätigen Vater, der auch seine Frau schlägt, wenn sie nicht „gut funktioniert“. Der Vater erhängt sich und der Bruder wird von Militär ermordet. Den Selbstmord des Vaters schiebt er unbewusst seiner Mutter in die Schuhe. Der Protagonist der Geschichte geht seinen Weg, studiert , wohnt in seiner eigenen „Schale“ und verliebt sich. Er verzweifelt an den gesellschaftlichen Bedingungen und unternimmt mehrere Suizidversuche. Von einem älteren „Bobolip“ wird ihm aber klar gemacht, dass er sich trotz allem dem Leben stellen muss. Nachdem ihm seine Geliebte verlassen will, unternimmt er den letzten Versuch, sich das Leben zu nehmen.

Mit weißem langen Haar und hellem Gewand steht erhöht die als „Herrin“ bezeichnete Gestalt als entscheidende Instanz für eine zweite Chance für den Protagonisten.

 

Gegen Ende wird klar, der Protagonist ist nicht tot ist, sondern befindet sich nach seinem letzten Suizidversuch in einer Art psychiatrischen Klinik. Hier wird versucht, den Protagonisten durch eine Art „Re-birthing“ „umzupolen“, so dass er seinen Hass auf die Mutter verliert.

 

Untermalt wurde das Stück manchmal mit Instrumentalmusik und zur Unterstützung der Stimmung und Aussagekraft wurde die Beleuchtung geschickt eingesetzt.

 

Die Aufführung gab interessante Einblicke in die frei Theaterszene Istanbuls und in ein Leben, dass durch ein patriarchalisches Gesellschaftssystem und der Militärherrschaft in den 80er Jahren mit all seinen Folgen für die einzelnen Menschen geprägt war.

 

Die Geschichte weckt viele unterschiedliche Emotionen. So wird zum Beispiel humorvoll erzählt, wie der Protagonist als kleiner Junge in ein Bordell gerät, aber auch tieftraurige Erlebnisse wie die Militärgewalt und der Suizid des Vaters beschrieben.

 

Am 7. April 2014 ist als letztes Stück aus der Reihe „Szene Istanbul“ am 7. April 2014 um 20.00 Uhr im Studio des Dortmunder Schauspiels Iz/ Die Spur von Ahmet Sami Üzbudak (Galataperform) zu sehen.

 

Karten und Infos gibt es unter www.theaterdo.de oder 0231 5027222.

Schauspiel Dortmund präsentiert Istanbuler Theaterszene

 

Unter dem Begriff „Szene Istanbul“ startet das Schauspiel Dortmund in Kooperation mit dem Theater an der Ruhr in Mülheim eine Gastspielreihe in türkischer Sprache. Die vier Stücke geben nicht nur einen Einblick in die freie Theaterszene der Türkei, sondern sollen auch ein Angebot an die hier lebenden Türken sein, das Dortmunder Theater kennenzulernen.

 

„Wir holen Istanbul nach Dortmund“, erzählte Dramaturg Michael Eickhoff auf der Pressekonferenz. Und die Stücke laufen nicht nur nebenher auf irgendwelchen Probebühnen, sondern „fast alle Stücke werden auf der großen Bühne gespielt“.

 

Alle auftretenden Gruppen haben ihren Mittelpunkt in Beyoğlu, dem kreativen Stadtteil von Istanbul, unterhalb des Taksim-Platzes gelegen. Beyoğlu ist im übrigen auch Partnerstadt(teil) von Dortmund. Bis auf das stark musikalisch geprägte Stück „Ҫinka“ sind alle Stücke Deutsch übertitelt.

 

Zu Beginn erleben die Zuschauer am 01. Februar 2014 um 19.30 Uhr Antoine de Saint-Exupérys Klassiker „Der Kleine Prinz – Küҫük Prens“. In der Inszenierung der Gruppe Bitiyatro zeigt den Helden der Fabel als einen alternden Clown. Das Familienstück ab 12 Jahren geht etwa eine Stunde und kostet 11 € (ermäßigt 6 €).

 

Einen musikalischen Abend verspricht „Ҫinka“. Am 23. Februar um 18 Uhr steht die große Bühne dem Musiker Birol Topalğlu offen. Zusammen mit dem Choreograph und Performer Yiğit Sertdemir erforscht Topalğlu die Geschichten und Mythen seiner Heimat, der türkischen Schwarzmeerküste. Die Besucher können sich auf traditionelle Instrumente freuen wie der Tulum, eine Sackpfeife.

Das Stück dauert etwa 75 Minuten und die Preise gehen von 9 € bis 23 €.

 

Politisch wird es am 14. März um 19:30 Uhr mit „Du bist tot, kapiert? Öldün, duydun mu?“ von Yiğit Sertdemir. In dem Stück wird ein Mann im Jenseits einer Prüfung unterzogen, um eventuell eine zweite Chance zu bekommen. In dieser sarkastischen Farce, die an Satres „Das Spiel ist aus“ erinnert, geht es um die traumatisierende Erfahrung der Menschen, die in ihrer Jugend die Herrschaft des türkischen Militärs in den 1980er Jahren, erfahren haben. Das Stück dauert etwa 70 Minuten und die Preise gehen von 9 € bis 23 €.

 

Zum Schluss der Reihe steht am 07. April um 20 Uhr im Studio ein sehr experimentelles Stück auf dem Spielplan. „Die Spur – Iz“ von Ahmet Sami Özbudak handelt von einem Haus, in der zu verschiedener Zeit unterschiedliche Menschen leben. 1955 leben dort griechisch-türkische Geschwister, die während der Unruhen 1955 ihr Haus verlassen müssen. 1980 lebt dort der revolutionäre Kommunist Ahmet, der nach dem Militärputsch untertauchen muss. Um das Jahr 2000 leben dort der Transvestit Sevengül und sein Liebhaber Rizgar. Alle drei Geschichten werden parallel erzählt und verweben sich im Laufe des Stückes immer mehr miteinander. „Wie wir das genau präsentieren, ist noch unklar“, erklärte Eickhoff. Das Stück dauert etwa 90 Minuten und die Karte kostet 15 € (ermäßigt 10 €).

 

Zu den beiden letztgenannten Stücken wird es eine moderierte Nachbesprechung geben.

 

Karten für die ersten beiden Veranstaltungen sind schon zu bestellen unter www.theaterdo.de oder 0231 50 27 222.