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DEPECHE MODE – oder Überleben in der Zwischenzeit

Autor Serhiy Zhadan
Übersetzt von Juri Durkot und Sabine Stöhr

Im freien Fall auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, ein schräges, postsozialistisches Roadmovie

Charkiw 1993. Sowjetische Kriegsveteranen und neureiche biznesmeny, ein amerikanischer Erweckungsprediger. In ehemaligen Komsomolbüros der ostukrainischen Metropole residieren Werbeleute. Das Jugendradio bringt in Kooperation mit London ein Feature über die irische Musikgruppe DEPECHE MODE und die Rolle der Mundharmonika beim Kampf gegen kapitalistische Unterdrückung. Durch diese aberwitzige Szenerie irren drei Freunde, Teenager, Dog Pawlow, Wasja Kommunist und der Ich-Erzähler Zhadan, neunzehn Jahre alt und arbeitslos, um ihren Kumpel Sascha Zündkerze zu finden. Sie müssen ihm mitteilen, dass sich sein Stiefvater erschossen hat. Ihre Suche führt sie auf ein verfallendes Fabrikgelände, wo sie eine Molotow-Büste klauen, ins Roma-Viertel zu einem befreundeten Dealer und schließlich per Nahverkehrszug ins Pionierlager »Chemiker«, wo Zündkerze als Betreuer arbeitet. DEPECHE MODE, Zhadans erster Roman, adaptiert zu diesem Bühnenstück im Schauspiel Dortmund, führt mitten hinein in die Anarchie der postsowjetischen Umbruchzeit und entfaltet ihre enorme ästhetische, aber auch anarchische Produktivkraft.

Adi Hrustemović, Linus Ebner, Valentina Schüler und Mervan Ürkmez in "Depeche Mode" (Foto: © Birgit Hupfeld)
Adi Hrustemović, Linus Ebner, Valentina Schüler und Mervan Ürkmez in „Depeche Mode“ (Foto: © Birgit Hupfeld)

Am 24.02.2022 meldeten die Medien den Beginn des Überfallkrieges von Russland auf die Ukraine, doch der Krieg begann lange zuvor. Putin ging es um die Einflussnahme auf die Ukraine, nach der 2003 Orangenen Revolution, wieder 2014 nach dem Euro Maidan, Annexion der Krim, Separatisten im Dombass … seitdem herrscht in der Ukraine Krieg.
In seinen Romanen, Gedichten und Tagebüchern beschreibt der ukrainische Autor Serhij Zhadan wie der Krieg näher kommt, sich anschleicht, unter die Haut geht, die Menschen verändert, bis er offen ausbricht und seine ganze hässliche Gewalt mit den übelsten Fratzen zeigt, und wie dann Menschen immer noch weitermachen, weiter leben.
Zhadan lebt in Charkiw und berichtet von dort über die aktuellen Entwicklungen seit dem 24. Februar, der Zeitenwende in Europa.

Mit seinem ersten Roman DEPECHE MODE, unserem Bühnenstück, den wir in einer Fassung von Markus Bartl zeigen, erzählt er aus seiner Jugendzeit. Wir reisen zurück ins Jahr 1993 nach Charkiw, in stillgelegte Fabriken, neu eröffnete Werbeagenturen und gehen mit den drei Freunden Dog Pawlow (Valentina Schüler), Wasja Kommunist (Mervan Ürkmez) und dem Ich-Erzähler Zhadan (Adi Hrustemović), 19 Jahre alt und arbeitslos, auf einen Road-Trip durch die Anarchie der postsowjetischen Umbruchszeit. Die drei machen sich auf den Weg, um ihren Kumpel Sascha Zündkerze (Linus Ebner), zu finden. Sie müssen ihm mitteilen, dass sich sein Stiefvater erschossen hat. Ihre Suche führt sie auf ein verfallendes Fabrikgelände, wo sie eine Molotow-Büste klauen, zu einem befreundeten Dealer und schließlich per bummelnden Nahverkehrszug ins Pionierlager »Chemiker«, wo Zündkerze als Betreuer arbeitet. Der Dialog aber mit Zündkerze ist belanglos, geradezu unbedeutend. Man redet, aber aneinander vorbei. Ist sich seltsam fremd, ganz so wie das neue System, das von der Ukraine Besitz ergriffen hat und das Land und seine Menschen verändert.

Vier Freunde müsst ihr sein, dann kann euch auch in der Ost-Ukraine nichts Schlimmes geschehen. Zumal, wenn ihr so sprechende Namen tragt wie Dog Pawlow, Wasja Kommunist, Sascha Zündkerze und Zhadan. Der letzte Name ist natürlich eine Ausnahme von der Regel der comicartigen Charakterisierung, der Ich-Erzähler heißt so wie der Autor. Das Literaturwunderkind Serhij Zhadan, 1974 im ostukrainischen Starobilsk, Oblast Luhansk, geboren und Verfasser von bereits elf Büchern Lyrik und Prosa, erzählt in seinem ersten Roman DEPECHE MODE von drei Freunden, die an vier Tagen im Juni 1993 nach dem fehlenden vierten suchen. Das 2004 erschienene Debüt wirft einen Blick zurück auf eine Ukraine, in der der Sozialismus vorüber ist, der Manchesterkapitalismus sich ankündigt, die Verwirrung komplett und die Suche nach dem Freund daher durchaus symbolisch zu verstehen ist.

Das zeigt schon das ungewöhnliche Personal des Road Movies DEPECHE MODE: prügelnde Polizeibeamte, besoffene Wodka-Schmuggler, durchgeknallte Kleinkriminelle, ein amerikanischer Erweckungsprediger, ein bekiffter Roma-Dealer und eine unschuldig-promiske verstrahlte Lolita, eindringlich durch Linus Ebner personifiziert. Denn noch spielen Liebe und Sex keine große Rolle. Die Herzen der Freunde schlagen für Alkohol in jeder Form sowie Tabak und Hasch, deren Konsum nach vorheriger Beschaffung durch Schmuggel, Betrug und Einbruch die Suche nach dem Freund recht kurzweilig gestaltet.

In der Mitte des Buches hören die Suchenden im Haus eines schwulen Chefredakteurs im „Superphono“ eine Sendung über die „legendäre irische Musikgruppe DEPECHE MODE“, in der die Reste sozialistischer Ästhetik („Dave beschließt, ein eigenes musikalisches Kollektiv zu gründen“) heftig aneinandergeraten mit der souveränen Wurschtigkeit des Moderators.

Später blättert Zhadan in einem Band der „Bibliothek des fleißigen Werktätigen“, worin die „humanitär-technische Abteilung des Donezker Gebietskomitees“ der ukrainischen Kommunisten allerlei hilfreiche Hinweise zum Verständnis der „Prinzipien und Tendenzen der Entwicklung der sozialen Produktionsverhältnisse“ gibt: von „1.1. Genosse! Stell Napalm her!“ über „1.3. Genosse! Bastle dir einen Molotowcocktail!“ bis zur Gasbombe unter 1.5. Eine bitterböse Persiflierung sozialistischer Parolen und Kampfbegriffe, die sich besonders in den Köpfen der AltRight bewegten Faschisten eingefressen haben, um ihre zersetzende Demagogie herauszuspucken.

Die Parodien und Travestien von eben noch ehrenwerten sozialistischen Texten, Motiven und Erklärungsmustern entfalten auch hierzulande erheblichen subversiven Charme. Dabei belässt es Zhadan jedoch nicht. Mit Genuss persifliert er die übliche Erzählweise: DEPECHE MODE bietet vier Prologe, ebenso viele Epiloge und schreitet mithilfe präziser Stundenangaben chronologisch voran. Bleibt den Freunden, die über sozialistische, mit Unsinnigkeit und Begrifflichkeiten überfrachteten Begriffe, ironisierend den „Piep-Schnurzismus“ so eloquent zu referieren vermögen wie über die Unmöglichkeit ehrlicher Geschäfte in der Ukraine. Hier ist Zhadan, das Ensemble, am Erheiterndsten. Man kann nicht anders als Lachen, aber es schwingt etwas Düsteres mit. Das zwingende Scheitern des Kommunismus an seinen eigen Ansprüchen, den er nie auch nur im Ansatz gerecht werden konnte.

Serhij Zhadan gelingt das Kunststück, aus hochtourigem Leerlauf höheren erheiternden Blödsinn zu generieren, was das Ensemble gekonnt interpretiert und umsetzt und den Zuschauer mitreißt. Das Stück ist eine einzige Lockerungsübung. Er lässt Traditionen und Autoritäten aller Couleur ungeheuer alt aussehen.
Aber am Ende wird es dystopisch. Es kündigt sich mit dem leeren Gespräch von Zündkerze mit seinem Freund Zhadan an … Der freie Fall. Wenn am Ende Zhadan seinen Schlussmonolog hält, sitzen seine drei Freunde, inklusive dem unterwegs wegen Notdurft verloren gegangenen Wasja, der blutig geschlagenen Dog Pawlow, am Küchentisch sich laut anschweigend im Halbdunkel einer undefinierbaren Zukunft. Die sinnentleerte, keinen Halt gebende nähere Zukunft. Was wird aus der Ukraine, was aus der Gesellschaft, den Menschen … Ein Putin kann keine funktionierende Demokratie an seinen Grenzen dulden, sie könnte attraktiver als seine dystopische, vergiftende faschistische Mafia und KGB Diktatur sein.

Bis dahin hat die Ukraine und seine Menschen noch zwei demokratische Revolutionen, eine Annexion, und einen Separatisten-Bürgerkrieg Zeit, sich des revisionistischen russischen Bären zu erwehren.

Darsteller: Adi Hrustemović, Mervan Ürkmez, Linus Ebner, Valentina Schüler
Regie: Dennis Duszczak
Ausstattung: Thilo Ullrich
Sounddesign: Lutz Spira
Dramaturgie: Sabine Reich
Licht: Stefan Gimbel
Ton: Christoph Waßenberg, Gertfried Lammersdorf
Regieassistenz: Ruven Bircks
Bühnenbildassistenz: Meike Kurella
Kostümassistenz: Ksenia Sobotovych
Inspizienz: Christoph Öhl
Soufflage: Violetta Ziegler
Die im Bühnenbild verwendete Sonne wurde von Lili Anschütz entworfen.

Termine: 29.05.2022 18Uhr und 25.06.2022 19:30Uhr

Serhiy Zhadan, 1974 im Oblast Luhansk/Ostukraine geboren, seit 2014 Kriegsgebiet,studierte Germanistik, promovierte über den ukrainischen Futurismus und gehört seit 1991 zu den prägenden Figuren der jungen Szene in Charkiw. Er debütierte als 17-Jähriger und publizierte zwölf Gedichtbände und sieben Prosawerke. Für „Die Erfindung des Jazz“ im Donbass wurde er mit dem Jan-Michalski-Literaturpreis und mit dem Brücke-Berlin-Preis 2014 ausgezeichnet (zusammen mit Juri Durkot und Sabine Stöhr). Die BBC kürte das Werk zum »Buch des Jahrzehnts«.

Lasst uns tanzen

Niemand konnte ahnen, dass nach der – vermeintlich überstandenen – Corona-Pandemie der Krieg in der Ukraine ausbrach. Die Zeiten für Ekstase scheinen wieder in weiter Ferne gerückt. Doch Tanzen ist für den Menschen eine wichtige Erfahrung. Der Dancefloor wird zu dem Ort, an dem wir gemeinsam Schweiß verlieren. Ein Premierenbericht von „Und ihr wollt tanzen, also tanzt“ vom 03. März 2022.

Der Abend begann intensiv. Vier Tanzende, Alexander Darkow, Marie Popall, Antje Prust (auch Regie) und Mervan Ürkmez tobten sich auf dem Dancefloor zu einem treibenden Techno-Beat auf. Die große Bühne wurde so zu einem Club und die Zuschauer standen am Rand. Doch nicht lange, die vier versuchten die Anwesenden zu animieren, sich zu beteiligen. Mitgetanzt wurde aber sehr wenig. Anscheinend war die Bereitschaft aus sich herauszugehen noch nicht sehr groß oder die feierliche Atmosphäre einer Premiere war hinderlich.

Tanzen besitzt auch etwas mythisches: Mervan Ürkmez, Alexander Darkow, Marie Popall und Antje Prust (Foto: © Florian Dürkopp)
Tanzen besitzt auch etwas mythisches: Mervan Ürkmez, Alexander Darkow, Marie Popall und Antje Prust (Foto: © Florian Dürkopp)

Zu einer exzessiven Feierkultur gehörte in der Vergangenheit auch ein ordentlicher Rave. So machten sich die TänzerInnen mitsamt den Besuchern zu einem kleinen Umzug auf. Vom Hintereingang der Bühne zum Vorplatz, ein paarmal um die drei Kugeln und dann wieder zurück. Doch nicht ohne ein besonderes Zeichen zu bekommen, wie man es aus Diskothekenbesuchen kennt: Den Stempel, damit belegt wird, dass man bezahlt hat. Doch dieses Mal gab es statt eines Stempels aus Tinte ein temporäres Tattoo.

Der Rückweg weckte Erinnerungen. Ein Türsteher, eine lange, enge Treppe in den Keller, Jacke abgeben und wieder zurück auf die Tanzfläche. Am Ende des Abends stand ein Sandwichmaker.

Das Stück verfügt über den gewissen Charme einer Aufführung der freien Szene, die vier Spielenden versuchten auch sehr engagiert, die Besucherinnen und Besucher zu animieren. Vielleicht hätte die Idee eines Clubbesuchs weiter intensiviert werden sollen, die Bilder am Anfang waren nicht so eindeutig.

Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Die Clubs dürfen ab dem 04.03.22 wieder öffnen. Von daher: Und ihr wollt tanzen, also tanzt.

Der Platz – Der Aufstieg führt zur Sprachlosigkeit

Am 30. Oktober 2021 feierte das Theaterstück „Der Platz“ seine Premiere im Schauspielhaus. Die Regisseurin und Intendantin Julia Wissert inszenierte den Roman von Annie Ernaux als Monologstück, das von sechs Schauspieler*innen getragen wurde.

Die Geschichte der Familie von Ernaux ist beinahe typisch und kam so ähnlich auch in meiner Familie vor. Mein Urgroßvater kam aus einer ländlichen Gegend in der Nähe von Posen und landete 1900 in Dortmund. Mein Großvater und Vater waren beide Bergleute, also Arbeiter, während ich den „Aufstieg“ Dank meines Studiums „geschafft“ habe. Bei Ernaux ging es ähnlich vonstatten, arbeitete der Großvater noch auf dem Land, begann ihr Vater in der Fabrik, um sich später eine Gaststätte samt Laden zuzulegen. Das war ein Aufstieg in die Mittelschicht.

Antje Prust, Linda Elsner, Raphael Westermeier, Lola Fuchs, Marlena Keil und Mervan Ürkmez (Foto: © Birgit Hupfeld)
Antje Prust, Linda Elsner, Raphael Westermeier, Lola Fuchs, Marlena Keil und Mervan Ürkmez (Foto: © Birgit Hupfeld)

Dennoch schien ihr Vater immer zwischen den beiden Klassen zu wandern. Einerseits fand er die Sprache der einfachen Leute negativ. „Für meinen Vater war das Patois etwas Altes, Hässliches, ein Zeichen gesellschaftlicher Unterlegenheit. Er war stolz darauf, es abgelegt zu haben.“

Seine Tochter, die Erzählerin schafft den Einstieg in das Bürgertum, in der andere Werte zählten. Damit hatte sie zunächst Schwierigkeiten. „Ebenso brauchte ich Jahre, bis ich die übertriebene Freundlichkeit ‚verstand‘, mit der gebildete Menschen etwas so Simples wie „guten Tag“ sagten.“

Doch je mehr sich die Tochter von ihren Eltern entfremdet, desto deutlicher wird der soziale Unterschied, zumal sie einen Mann aus dem Bildungsbürgertum geheiratet hatte „Wie sollte ein Mann, der ins Bildungsbürgertum hineingeboren worden war, mit einer ironischen Grundhaltung, sich in der Gesellschaft rechtschaffener Leute wohlfühlen, deren Liebenswürdigkeit, die er durchaus sah, in seinen Augen niemals das entscheidende Defizit wettmachen können, die Unfähigkeit, ein geistreiches Gespräch zu führen.“

Die Bühne war stark reduziert. Ein Gartenhäuschen als Reminiszenz an den Vater, der gerne im Garten gewerkelt hatte. Dazu viele Gartenutensilien aus Plastik. Am linken Rand stand ein Pult, auf dem die Musikerin houaïda passende Musik und Gesang beisteuerte. Auch wenn Antje Prust, Linda Elsner, Lola Fuchs, Marlena Keil, Mervan Ürkmez und Raphael Westermeier in ihren bunten Kostümen einen guten Job machten, eigentlich ist „Der Platz“ in dieser Form ein Monodrama, ein Einpersonenstück. Denn es berichtet eigentlich nur die Erzählerin und andere Figuren tauchen nicht auf. Das wäre sicherlich noch intensiver geworden und beispielsweise Marlena Keil hat dies bei „Die Erzählung der Magd Zerline“ von Hermann Broch bereits unter Beweis gestellt, das so etwas sehr gut funktioniert.

Mehr Informationen unter www.theaterdo.de

Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit

Happy, we lived on a planet – Die erste Premiere der Saison

Ausgangspunkt des neu entwickelten Stücks ist Tag X: Vor ca. 65 Millionen Jahren sind die Dinosaurier, die fast 200 Millionen Jahre die dominierende Spezies auf dem Planeten waren, in kürzester Zeit ausgestorben.

Das eigene Ableben wird gerne verdrängt. Zu sehr stört das Denken daran unser Streben nach Gesundheit und Lebensfreude. Wir wissen zwar, dass wir sterben. Aber das passiert irgendwann in der Zukunft, sind wir uns voll im prallen Leben Stehenden sicher. In früheren Zeiten ohne unsere medizinischen Fortschritte war der Tod, das Sterben ein bewusster Teil unseres Lebens und Denken.

Das Ensemble von "Happy, we lived on a planet" Foto: © Hans Jürgen Landes
Das Ensemble von „Happy, we lived on a planet“ Foto: © Hans Jürgen Landes

Egal, ob das Dahinscheiden heute noch kommt oder erst im hohen Alter, mit seiner ersten Regiearbeit möchte Mervan Ürkmez uns vorbereiten auf das Unausweichliche. Sinnlich-poetisch sucht das junge Mitglied des Dortmunder Schauspielensembles in seinem Stück, einem dramatischen Requiem, nach der Kraft, die uns die Begegnung mit dem Exitus, unserem, geben kann.

„Ich stelle mir vor, ich bin ein Dinosaurier“, beginnt Oskar Westermeier. „Ich und alle meine Artgenossen sind, nachdem wir 200 Millionen Jahre lang die dominierende Spezies auf dem Planeten waren, innerhalb eines Nachmittags ausgestorben. Einfach so. Zufällig steuert ein Komet auf die Erde zu und zufällig schlägt er ein. Zufällig passiert das im heutigen Yucatán, Mexiko, zufällig ist es zwölf Uhr mittags und ich, viele tausende Kilometer entfernt, sagen wir hier, in Dortmund, bekomme nichts davon mit. Eigentlich hat es nichts mit mir zu tun. Kurz darauf bebt die Erde, der Himmel verdunkelt sich, Glaskugeln fallen herab und eine riesige Flutwelle reißt mich weg. Einfach so. Wir können nicht wissen, ob es wirklich genau so passiert ist.“

Von jetzt an könnte richtig dystopisch werden … zumindest suggeriert uns dies der Monolog von Westermeier auf der schwarzen Bühne.

Fünf Menschen unterschiedlichen Alters, personifiziert durch Ekkehard Freye, Nika Mišković, Raphael Westermeier, Renate Henze und im Wechsel Anton oder Oskar Westermeier, setzen sich mit der Vergänglichkeit auseinander.

Ein Komet ist eingeschlagen und hat eine Reihe von Ereignissen ausgelöst, die zum Ende der Dinosaurier, ihrer Auslöschung geführt haben. Und doch sind sie allgegenwärtig: Hier sind ihre Fußspuren im Boden, ihre versteinerten Überreste, Knochen, Nester, Eier, dort ihre Abbilder auf Schultüten von Kindern.

Wir finden die Dinosaurier wieder in den Vögeln, die über uns fliegen und den Schildkröten, die zu unseren Füßen krabbeln. Wir finden sie in uns. Denn Dinos und Säugetiere haben einen gemeinsamen Vorfahren.

In „Happy, we lived on a Planet“ beobachten wir fünf Menschen bei der Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit. Als Metapher schwebt der Komet über ihnen, das Ende immer projizierend. Doch muss das nichts Trauriges sein. Die befürchtete Dystopie bleibt aus. Im Gegenteil. In den alltäglichen Situationen, Gesprächen, Briefen, Telefonaten ist das Leben. Ein Spiegel unseres alltäglichen Lebens. Otto Normalverbraucher, nicht der Held aus griechischen Dramen oder nordischen oder anderen Heldendramen.

Was bleibt also, wenn etwas oder jemand geht? Ist ein Mensch, der nicht mehr Teil unseres Lebens ist, wirklich weg, wie in aus den Augen aus dem Sinn? Sind die Momente, die verblassen, wirklich aus der Welt? Endet etwas oder transformiert es sich in etwas anderes?

Über Endlichkeit zu sprechen, über die Endlichkeit von Beziehungen, die Endlichkeit des eigenen Lebens, die Endlichkeit des Lebens geliebter Menschen, die Endlichkeit von Tieren oder Pflanzen und die Endlichkeit der Menschheit, löst in der modernen westlichen kommerzorientierten Welt meist Unwohlsein aus.

Die zu Beginn befürchtete Dystopie bleibt aus, weil das Stück versöhnlicher mit der Frage nach dem Ende umgeht und sich mehr auf das Leben als solches konzentriert.

Woher kommt aber die Angst vor dem Ende? Ensemblemitglied und Regisseur Mervan Ürkmez schafft mit dem künstlerischen Team von „Happy, we lived on a Planet“ einen Erfahrungsraum für eine sinnliche und vielschichtige Auseinandersetzung mit der Endlichkeit.

Für die Ausstattung ist Elizaweta Veprinskaja verantwortlich, für den Sound Andreas Niegl, Hannah Saar ist Dramaturgin der Produktion.

www.theaterdo.de und 0231/50-27222.

Die nächsten Termine sind: 7. Oktober (18 Uhr).