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Orlando – theatrales Spiel mit Identitäten

Am 11.02.2018 hatte „Orlando“ nach Virginia Woolf (Deutsch von Melanie Walz) in einer Inszenierung von Laura N. Junghanns seine Premiere im Studio des Dortmunder Schauspiels.

Orlando ist der Titel des 1928 erschienen Romans der englischen Schriftstellerin Virginia Woolf (1882-1941). Es ist eine Hommage an ihre jahrelange Geliebte Vita Sackville-West. Es stellt eine Art fiktive Biografie der Schriftstellerin Sackville-West selbst dar. So enthält er beispielsweise Schilderungen über deren Geburtshaus Knole House in Kent.

Die fantastische Geschichte des jungen Adeligen Orlando geht über 350 Jahre hinweg beginnt im Jahr 1586 zu Zeiten Elisabeth I. Nach einer enttäuschten Liebschaft flüchtet er sich als Dichter in die Natur und später als Botschafter in Konstantinopel. Orlando fällt in einen seltsamen „Schlaf“ und wacht als Frau auf. Im nun 18. Jahrhundert in ihre britische Heimat zurückgekehrt, kämpft sie nun als Frau um Ansprüche auf ihre alten Ländereien und Anerkennung als Schriftstellerin.

Ihr ungebundenes Leben stellt sie erst mit Beginn der bedrückend und biederen Viktorianischen Epoche in Frage. Sie heiratet einen Kapitän und der Kritiker Nicholas Greene verhilft ihr zur Publikation des Gedichts „The Oak Tree“. Das Buch endet im Jahr seiner Publikation (1928) mit der 300 Jahre alten Orlando als verheiratete Frau mit Kind von 36 Jahren. Unterschiedliches Klimata, Umgangsformen, Frauen- und Männerbilder oder Literatur in den verschiedenen Epoche werden offenbar.

Bei der im dunklerem Licht gehaltenen Studio-Bühne fällt ein als riesiger Baum stilisierte Lichterketten-Reihe auf. Er ist ein Synonym für den „Oak Tree“. Die Konstruktion umspannt das Studio wie eine Kuppel und kann in verschieden Farben, je nach Stimmung und Bedarf, in seiner Farbe verändert werde.

Für die Inszenierung wurde nicht nur der Roman als Grundlage verwendet. Ein wichtiger Schwerpunkt lag auf dem intensiven Schriftverkehr und das Verhältnis zwischen Virginia Woolf und Vita Sackville-West zur Entstehungszeit von Orlando (1927-1928).

Atmosphärisch sensibel begleitet wurde die Aufführung musikalisch von der Dortmunder Gruppe AniYo kore mit neun Songs ihrer neuesten CD. Diese wurden extra für das Theater arrangiert. Melody und René (AniYo kore) waren ein integraler Bestandteil des Stückes.

Die drei Schauspieler auf der Bühne hatten sichtlich Spaß an dem Spiel mit den Identitäten. Ekkehard Freye hatte einen wunderbaren Auftritt als Elisabeth I. Mit roter Perücke, Kleid und Pumps glänzte als singende Königin. Wobei Melody (AniYo kore) sang, und er den Mund bewegte.

Orlando - ein Theaterabend über Identitäten. Mit Ekkehard Freye, Marlena Keil und Friederike Tiefenbacher. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Orlando – ein Theaterabend über Identitäten. Mit Ekkehard Freye, Marlena Keil und
Friederike Tiefenbacher. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Marlena Keil als Orlando hielt ein eindrucksvolles Plädoyer bei einer dargestellten Gerichtsverhandlung. Sie weigert sich vehement, sich nach dem Geschlechterwechsel“ von Orlando amtlich als Frau deklariert und festgelegt zu werden.

Friederike Tiefenbacher hatte ihren komischsten Auftritt mit weißer Perücke als ein etwas verrückter Kritiker Nicholas Greene.

Auf die Spitze getrieben wird das Vergnügen, wenn Freye und Keil sich zunächst als „Harriet“ und Orlando (Mann) und später unter veränderten Geschlechtern wieder begegnen. Köstlich, wie die Beiden mit festgefahrenen Bilden von „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ kokettieren.

Die Inszenierung geht aber noch weiter. Am Ende wir das Publikum mit einem andern Ereignis, was mit dem Namen „Orlando“ verbunden ist durch kurze Einspielung originaler Tonaufzeichnungen konfrontiert. In Orlando (Florida) stürmte ein homophober Mann den von einer queeren Community besuchten Nachtclub „Pulse“ und erschoss 49 Menschen.

Ein Theaterabend um aktuelle Themen wie Identitäten, Kategorien und Zuschreibungen nach Geschlechtern.

Weibliche und männliche Anteile gehören beide gemeinsam zu unserem Leben.

Weitere Aufführungstermine und Informationen erhalten sie unter www.theaterdo.de

Der Kirschgarten – Aus der Ordnung gefallen

Ein großes Ensemble-Stück im kleinen Studio. 10 Schauspieler und einen Musiker brachte Regisseur Sascha Hawemann in den „Kirschgarten“ von Anton Tschechov unter. Die Tragik-Komödie war die bitter-süße Kapitulation des Adels vor dem neu aufstrebenden Bürgertum. Ein Premierenbericht vom 29. Dezember 2017.

Wenig Platz fürs Publikum. Zwei Stuhlreihen vor Kopf, an der Seite nur eine. Selbst das Füße ausstrecken war nicht immer gefahrlos möglich, denn der kleine Gang wurde auch von den Schauspielern benutzt. Aber gerade diese Nähe machte die Inszenierung von Havemann zu einem emotionalen Erlebnis.

In „Der Kirschgarten“ von Tschechow geht es um das Gut und den Kirschgarten von Ljubow Andrejewka Ranjewskaja, die dort mit ihrem Bruder Gajew, ihrer Tochter Anja und ihrer Adoptivtochter Warja lebt. Gerade aus dem Ausland wiedergekommen, sind sie zwar völlig überschuldet, aber vor allem Ljubow Andrejewka ist noch dem aristokratischen Denken verfallen. Daher lehnt sie auch das Angebot vom Kaufmann Lopachin ab, den Kirschgarten zu parzellieren und zu verpachten. Am Ende verliert sie Gut und Garten.

Warja (Bettina Lieder) ist reifer als das müde "Seelchen" Anja (Merle Wasmuth) kann aber den Verkauf von Gut und Garten nicht verhindern. (Foto: © Brigit Hupfeld)
Warja (Bettina Lieder) ist reifer als das müde „Seelchen“ Anja (Merle Wasmuth) kann aber den Verkauf von Gut und Garten nicht verhindern. (Foto: © Brigit Hupfeld)

1861 wurde die Leibeigenschaft in Russland abgeschafft. Die alten traditionellen Werte lebten aber in den Köpfen weiter. Sehr gut zu sehen in den Figur von Ljubow Andrejewka. Friederike Tiefenbacher spielte die weibliche Hauptfigur als verletzliche Frau, die zwar immer wieder versucht ihren Stolz zu bewahren, aber am Ende vor den Trümmern ihrer Existenz steht. Ljubow Andrejewka hatte es nie verstanden, dass die Macht vom Adel zum Geldadel wechselte. Vom gleichen Schlag ist ihr Bruder Gajew (Ekkehard Freye). Er scheitert in seinen Versuchen, Geld aufzutreiben, um das Gut zu retten.

Die andere Figur, die den Zeitenwandel versucht zu negieren, ist der alte Diener Firs (Uwe Schmieder). Für Firs ist die neue Ordnung nichts. „Hie Bauern, hie Herren – man wusste, woran man war. Jetzt läuft alles durcheinander, kein Mensch kennt sich mehr aus.“ Am Ende des Stückes bleibt er einsam und vergessen im verlassenen Gutshaus.

Die neue Zeit repräsentiert niemand so gut wie der Kaufmann Lopachin. Eine Paraderolle für Frank Genser, der dem Stück eindeutig seinen Stempel aufdrückte. „Dasselbe Gut hab‘ ich gekauft, auf dem mein Vater und Großvater leibeigene Knechte waren, die nicht mal die herrschaftliche Küche betreten durften“, sagt er als Lopachin. Eines der zentralen Sätze im Stück. Doch Lopachin fehlt etwas, die Liebe. Er liebt Warja (Bettina Lieder), doch er ist vor lauter Geld verdienen unfähig, seine Gefühle auszudrücken. Warja ist zwar die realistischere der beiden Töchter und wurde von Lieder auch mit einer gehörigen Portion Energie und Entschlossenheit gespielt.

Auch dem nächsten Liebespaar ist kein glückliches Ende beschieden. Anja (bezaubernd Merle Wasmuth) ist ein sensibles Mädchen, das den ewigen Studenten Trofimov liebt. Trofimov, gespielt von Björn Gabriel im Rudi-Dutschke-Look), kann sehr gute Reden halten, ist aber unfähig zu lieben. Von daher trennen sich ihre Wege am Schluss.

Das Stück ist in den Nebenrollen sehr gut besetzt. Carline Hanke als überdrehte Gouvernante Charlotta und Marlena Keil als Dunjascha. Dunjascha teilt das Schicksal von Anja und Warja, denn auch aus ihrer Liebe wird nichts. Jascha (schön geckenhaft gespielt von Raafat Daboul) verschmäht sie, und den Pechvogel Semjon (auch Uwe Schmieder) will sie nicht.

Eine wichtige Rolle spielte Alexander Xell Dafov als Musiker, der die Inszenierung klanglich begleitete. Von Russen-Pop über russischer Sakralmusik und 80er Jahre Reminiszenzen „The final Countdown“ bis hin zu elektronischer Partymusik reichte das Repertoire.

Nach „Eine Familie“ im großen Haus und „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ im Megastore war es die erste Arbeit Hawemanns im Studio. Bühnenbildner Wolf Gutjahr nutzte den verfügbaren Raum optimal aus. Durch die Nähe zum Publikum war die Inszenierung sehr intensiv, vor allem im zweiten Teil, als die Komödie sich in eine Tragödie wandelte. Emotion pur – Dank eines engagierten und spielfreudigen Ensembles mit Frank Genser als Kirsche auf der Sahne.

 

Infos und Karten unter www.theaterdo.de

 

Im Teufelskreis der Brandstifter

Nach fast zwei Jahren konnte das Schauspiel Dortmund endlich die Spielzeit 2017/2018 mit der Premiere von „Biedermann und die Brandstifter / Fahrenheit 451“ wieder an alter Wirkungsstätte am Hiltropwall eröffnen. Aber nicht traditionell unter der Regie des Intendanten Kay Voges, sondern dieser „Doppelpack“ wurde mit einer modernen Inszenierung von Gordon Kämmerer geschnürt.

Drei Personen aus der „Fahrenheit 451“ ( von Ray Bradbury) stehen auf der Bühne. Clarisse McClellan (Bettina Lieder), Mildred Montag (Merle Wasmuth) und Feuerwehrmann Guy Montag (Uwe Schmieder). Sie werden mit der Hebebühne nach oben transportiert. Eine erste Verbindung zu dem folgenen Drama „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch.

Familie Biedermann beim gemeinsamen fröhlichen Essen (v.l.n.r.) Ekkehard Freye, Frauke Becker und Alexandra Sinelnikova. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Familie Biedermann beim gemeinsamen fröhlichen Essen (v.l.n.r.) Ekkehard Freye, Frauke Becker und
Alexandra Sinelnikova. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Diese Aussage begründete Karl Popper in seinem Buch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“. Max Frisch exerziert dies in „Biedermann und die Brandstifter“ durch. Bühnenbildner Matthias Koch präsentiert eine mintfarbene, sterile Behausung der Familie von Gottlieb Biedermann (Ekkehard Freye). Das einzige „kuschelige“ Element ist ein riesiger Plüschbär, an dem sich die verstört wirkende Tochter Anna (Frauke Becker) vertrauen und Wärme suchend klammert, die sie in der „Keimzelle der Gesellschaft“, ihrer Familie, nicht findet. Seine Frau Babette (Alexandra Sinelnikova) ist scheinbar lebensmüde.

Der Regisseur benutzt ähnlich wie Kay Voges beim „Goldenen Zeitalter“ das Stilmittel ständiger Wiederholungen (Loops) immer alltäglichen Leben. Roboterhaft mechanisch bewegen sich die drei Schauspieler ohne zu sprechen. In das Geschehen platzt der angeblich Obdachlose – in schwarz gekleidete Ringer – Josef Schmitz (Björn Gabriel) und später sein Freund Wilhelm Maria Eisenring (Max Thommes). Familie Biedermann bietet ihnen trotz unguter Gefühle eine Unterkunft auf dem Dachboden. Trotz anfänglich markiger Worte wird Gottlieb immer mehr zu einem „Versteher“ und lässt noch jede fadenscheinige Ausrede gelten. Denn „die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Die glaubt niemand,“ so Schmitz. Obwohl genügend Warnungen (Sprechchor) herausgegeben werden.

Am Ende siegt die Intoleranz und Biedermann bezahlt seine native Toleranz und verschwindet in der Versenkung.

Der Abend geht fließend und konsequent zu „Fahrenheit 451“ über. In Bradburys dystopischer Geschichte wurde die Intoleranz institutionalisiert. Um zu verhindern, dass irgendwelche Bücher Menschen verletzen oder auf dumme Ideen bringen könnten, hat man sie gleich verboten. Um sicher zugehen, verbrennt man sie, wenn man ihrer habhaft werden kann. Dies macht die Feuerwehr. Im Original heißen sie „fire-men“, was man auch als Brandstifter übersetzen kann und so besteht die Verbindung zum ersten Stück.

Clarissa McClellan (Bettina Lieder) zeigt Guy Montag (Uwe Schmieder) die Poesie der Natur. (Foto. © Birgit Hupfeld)
Clarissa McClellan (Bettina Lieder) zeigt Guy Montag (Uwe Schmieder) die Poesie der Natur. (Foto. © Birgit Hupfeld)

In „Fahrenheit 451“ trifft der Feuerwehrmann Guy Montag auf die junge Nachbarin Clarisse McClellan. Clarisse will Guy von der Schönheit der Natur und der Bedeutung von Worten überzeugen. Diese Welt wird im Nieselregen berührend von Bettina Lieder und Uwe Schmieder dargestellt. Montags Frau Mildred (Merle Wasmuth) dagegen ist ein typisches Exemplar dieser Gesellschaft. Als kleiner Gag bringt Kämmerer die „Biedermanns“ als Soap auf die Riesenleinwand. Der dramatische Höhe – und Wendepunkt ist mit beeindruckendem Videohintergrund ist die Stelle, als Guy bei einem Einsatz erleben muss, dass Alice Hudson (Alexandra Sinelnikova) mit ihren Büchern zusammen verbrannt wird. Er kann so nicht weiter machen. Sein Vorgesetzter Captain Beatty, wohl nicht zufällig gespielt von Björn Gabriel, dem Brandstifter aus dem „Biedermann“, versucht ihn zu beschwichtigen. Die Verbindung beider Stücke wird offensichtlich. Eine Gruppe von Dissidenten konnte fliehen und versucht, die Gedanken der verbrannten Bücher großer Denker im Kopf zu behalten. Sie werden auf der Bühne von den einzelnen Mitgliedern des Sprechchors verkörpert. Der Dortmunder Sprechchor hat wieder eine wichtige Funktion als mahnende stimme des Gewissens. Nach der Zerstörung ihrer ehemaligen Heimatstadt wollen etwas Neues aus der „alten Asche“ aufbauen. Muss es immer so weit kommen?

Ein großer Dank geht an alle Schauspieler, aber vor allem an Uwe Schmieder, der Guy Montag in einer beeindruckenden Weise spielt und dabei die Würde und Verletzlichkeit des Menschen gekonnt darstellt.

Kunstfreiheit und Meinungsfreiheit gibt es nicht geschenkt. Man muss sie sich täglich erkämpfen. Allzu blinde Toleranz ist hier ebenso Fehl am Platz wie bedingungsloser Konsumfetischismus und Berieselung durch Fernsehen oder Smartphone. Ein Theaterabend, der dem Publikum viel zum Nachdenken mit nach Hause gibt.

Informationen zu weiteren Aufführungsterminen erhalten sie wie immer unter: www.theaterdo.de

Die Unmöglichkeit trotz unbegrenzter Möglichkeiten

[fruitful_alert type=“alert-success“]Von diesem Tisch gehen die meisten Episoden aus. (Foto: © Birgit Hupfeld)[/fruitful_alert]

Was ist die Liebe in Zeiten von „alles kann – nichts muss“? Joël Pommerat zeigt uns in „Die Wiedervereinigung der beiden Koreas“ die Schwierigkeiten von Menschen, sich aufeinander einzulassen, ihre Lebensentwürfe in Einklang zu bringen und ehrlich zu anderen zu sein. Die Premiere des Stückes unter der Regie von Paolo Magelli war am 08. April 2017 im Megastore.

er die Liebe. Doch keine Angst, der französische Autor hat keinen großen Eimer Zuckerguss parat, um ihn über das Publikum zu gießen. Kein triefender Kitsch á la „Tatsächlich… Liebe“, bei Pommerat geht es ums Eingemachte in den Beziehungen. Und die können durchaus komisch sein, wie bei einer geplanten Hochzeit, der bei die Braut kurz vorher feststellt, dass ihr Bräutigam doch auch ein Techtelmechtel mit jeder ihrer Schwestern hatte. Mehr ins Genre Horror/Psychodrama geht die Episode einer Babysitterin, die auf die nichtexistierenden Kinder eines Paares aufpassen muss. Natürlich machen sie die Babysitterin für das vermeintliche Verschwinden ihrer Kinder verantwortlich und dem Zuschauer ist es nicht deutlich: Ist das ein perfides Spiel, was die beiden treiben oder nicht.

Die Liebe hat bei Pommerat auch schmerzhafte Facetten: Einer Patientin einer Psychiatrie-Einrichtung soll überzeugt werden, ihr Kind abzutreiben, das sie mit einem anderen Patienten gezeugt hat und die Liebe eines Priesters zu einer Prostituierten steht unter einer harten Belastungsprobe.

In dem Stück stehen die Schauspieler im Mittelpunkt: Besonders wenn alle mehrere Rollen spielen. Die Premiere war auch die Premiere für Christian Freund, der ab der Spielzeit 2017/18 dem Ensemble angehören wird. Zusammen mit Ekkehard Freye, Frank Genser, Caroline Hanke, Marlena Keil, Sebastian Kuschmann, Uwe Schmieder, Julia Schubert, Friederike Tiefenbacher und Merle Wasmuth fügte sich Freund in das gut funktionierende Team ein, das neben Tempokomödie auch die leisen romantischen Töne traf.

Ein großes Lob gebührt dem Bühnenbildner Christoph Ernst. Der Anfang und das Ende war eine Reminiszenz an da Vincis Gemälde „Das letzte Abendmahl“ und der Tisch war ein zentraler Punkt in dem Stück. Rechts und links waren Treppen zu einer Balustrade und ein vergittertes „Dachgeschoss“ zu sehen. Styroporplatten mit sichtbaren Leimspuren und Plastikflaschen als Baluste erzeugten die Anmutung eines Rohbaus. Vielleicht ein Symbol für die Liebe, die immer Veränderungen unterworfen ist. Vielleicht ist es auch unmöglich, der Liebe eine bestimmte, dauerhafte Gestalt zu geben, ebenso unmöglich wie die Wiedervereinigung der beiden Koreas.

Weitere Termine und Karten unter www.theaterdo.de

 

Reflexion über Vergänglichkeit und die Schönheit des Moments

Hier trägt der Engel Schwarz: (v.l.n.r.) Frank Genser, Marcel Schaar (Fotograf), Uwe Schmieder, Julia Schubert, Ensemble- (Foto: ©Birgit Hupfeld)

Kann man einen Augenblick für die Ewigkeit festhalten? Diese Frage spielt nicht nur in Goethes Faust beim Packt mit dem Teufel (Mephisto) eine große Rolle. Die Fotografie versucht schon länger, besondere Momente des Lebens für die Zukunft einzufangen. Einerseits kann der Betrachter sich so vergangene Augenblicke wieder in das Gedächtnis rufen, führen uns aber auch die Vergänglichkeit unseres Lebens und die Relativität von Raum und Zeit vor Augen.

Schauspielintendant Kay Voges, drei Dramaturgen und sein gesamtes Ensemble haben zusammen mit dem Kunstfotografen Marcel Schaar versucht, sich der Thematik durch die Verbindung von Fotografie und Theater zu nähern. Am Samstag, den 11.02.02017 hatte im Megastore das Theater-Abenteuer „hell / ein Augenblick“ Premiere.

Wohl einmalig in der Theatergeschichte lichtet ein Fotograf während der Vorstellung live auf der dunklen Bühne ein Motiv ab, das dann direkt in den Zuschauerraum projiziert wird. Helligkeit und Dunkelheit tauschen ihre Plätze. Die Bühne wird zu einer Dunkelkammer, die nur ab und zu durch das Blitzlicht des Fotografen für eine 1/50 Sekunden durchzuckt. Insgesamt etwa 100 mal am Abend.

Zur Erläuterung: Auf der Bühne stehen an den Seiten zwei große Leinwände und zwei Minni-Flutlichtanlagen. In der Mitte befindet sich im Hintergrund eine Art weiße „Magic-Box“ ,wo der Fotograf als „Meister des Augenblicks“ Schauspieler in speziellen Momenten ablichtet. Diese werden als schwarz-weiß Bilder auf die großen Leinwände projiziert. Diese Reduktion verlangt von den Schauspieler/innen viel Mut, denn sie sind es normalerweise gewohnt, ihre Körper deutlich sichtbar dem Publikum zu präsentieren. Die entstehenden Bilder sind berührend ehrlich und zeigen die kleinste Poren im Gesicht und Körper.

Alles fließt, alles steuert der Blitz“ ,sagt Heraklit. So beginnt der Abend mit einer philosophische Abhandlung aus dem „Baum des Lebens“ (Rabbi Isaak, Luria, um 1590) erzählt von Friederike Tiefenbacher.. Es geht darin um die Themen Leben und Licht, Raum und Zeit. Die Schauspieler/innen befinden sich sowohl auf der Bühne und in der „Magic- Box“, wo sie abgelichtet werden. Die Bilder auf der Großleinwand werden von den Schauspielern mit passenden philosophische Texte von Arthur Schopenhauer, Nietzsche, Bertand Russel, Charles Bukowski, Rainald Götz und andere begleitet. Das verstärkte die Wirkung der Bilder.

Als typisch für das, was viele Menschen empfinden, wenn sie fotografiert wurden denken, steht Uwe Schmieder, abgelichtet mit einem Schild „You see me“. Erschrocken ruft er in die Dunkelheit: „Das bin ich nicht, das bin doch nicht ich!“ Andere hingegen finden sich fotogener und rufen: „Das bin ich. So sehe ich aus.“

Es entstehen schöne Bilder von Zuneigung und Liebe, aber auch viele ernste, nachdenklich machende eindrucksvolle Bilder von Vergänglichkeit.

Für das sinnliche Erleben war der sensible begleitende Soundtrack von Tommy Finke und die Musik von Mahler bis Brian Molko/Placebo von großer Bedeutung.

Es war ein meditativer,archaischer Abend mit Nachwirkung. Wenn es um sich nicht erinnern können, Tod und Vergänglichkeit geht, ist das keine leichte komödiantische Kost. Das der Tod nicht gerne gesehen ist, zeigen die Text von Christoph Schlingsensief oder Robert Gernhardt aus dem Jahr 1997. Gernhardts Gedicht „So“ besagt, dass der Mensch in keinem Monat gerne sterben will. Er will immer wieder neue Moment generieren, um sie fest zu halten.

Heldenhafter Kampf gegen die Monotonie

Die Damen von der Telefonzentrale (Dortmunder Sprechchor) erzählten von Burnout und Depressionen. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Die Damen von der Telefonzentrale (Dortmunder Sprechchor) erzählten von Burnout und Depressionen. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Herzlich willkommen zum „Tag der offenen Tür“ in ihrem Finanzamt. Was wie eine komische Idee klingt, gab und gibt es aber in der Realität. Julia Schubert präsentiert – zum ersten Mal als Regisseurin – in den Kulissen der „Borderline Prozession“ eine irre Reise durch die Räume eine fiktiven Steuerbehörde. Merkwürdiges, Verzweifeltes, Komisches wechseln in jeder Runde ab. „Heimliche Helden“ könnte der skurrile Zwillingsbruder der „Borderline-Prozession“ sein. Auch bei den „Heimlichen Helden“ sieht der Zuschauer nicht alles, es sei denn, er kommt öfter wieder. Da wir von Ars tremonia zu Zweit unterwegs waren, konnten wir bei der Premiere am 21. Oktober 2016 einen Blick in alle Räume erhaschen.

Wie bereits geschrieben, das Stück findet in den Kulissen der „Borderline-Prozession“ statt, genauer gesagt, im vorderen Teil. Es gibt acht Räume und den Garten, aber nur sieben Runden, die jeweils um die 10 Minuten dauerten. Natürlich unterbrochen von der Mittagspause („Mahlzeit“) Jeder Zuschauer erhält eine Karte mit einer Nummer. Dort ist penibel (wir sind ja in einer deutschen Steuerbehörde) aufgezeichnet, welche Räume in welcher Runde man zu besuchen hat. Nicht, dass noch etwas durcheinander kommt.

Doch am Anfang erzählte uns Frank Genser im Wartebereich über die „heimlichen Helden“: Die Beamten in der Steuerbehörde, die treu gegen die Monotonie ihres Tagesablauf ankämpften. Ich halte es aber eher wie Schriftsteller Terry Pratchett, der in seinem Buch „Das Licht der Fantasie“ eine Figur folgendermaßen charakterisierte: „Er machte graue Durchschnittlichkeit zu einer erhabenen Kunst, und in seinem Bewusstsein herrschte die gleiche dunkle, gnadenlose Logik wie in einer Beamtenseele“.

Stichwort: Grau. Schauspieler und Mitglieder des Sprechchores trugen beinahe allesamt diese schöne unbunte Farbe.

Für mich begann der Zug durch die Büros bei Herrn Genser, der gekonnt die Möglichkeiten darbot, wie man sich die Zeit vertrieb, wenn man nichts zu arbeiten hatte. Gekonntes Kugelschreiber bewegen von rechts nach links und ein kleines Theaterstück mit Spielfiguren. Danach hatte ich gleich in zwei Räumen die Konfrontation mit dem negativen Auswirkungen der sich ständig wiederholenden Arbeiten. Depression bei den Damen vom Telefondienst und Marlena Keil präsentierte eine Mitarbeiterin mit persönlichen Problemen.

Hier noch ein kleiner Einschub: Innerhalb der Räume wechseln sich die Szenen auch noch ab, so dass kaum jemand den gleichen Abend erleben wird.

Eine besondere Rolle spielte Uwe Schmieder, alias Herr Krüger. In ziemlich mitgenommener Kleidung schlürfte er schon zu Beginn durch den Gang. In dem kleinsten grottenartigen Raum der „Büros“ konnten die Besucher erfahren, das er schon über 35 Jahre im Steuerbüro gearbeitet hat und nun in den Ruhestand geschickt wird. Sein Wellensittich im Einweckglas hat diese Zeit nicht überlebt. Tragisch-komisch dargestellt.

Neben „normalen“ Büros, gab es auch noch sehr besondere Räume: Im Garten wurde das Betriebsfest vorbereitet und die Zuschauer durften mit Hand anlegen. Käsewürfel zurecht machen, an einer Büroklammergirlande basteln oder Buchstaben ausschneiden. Der abgefahrenste Ort war sicherlich das Auto mit den Einschusslöchern der Borderline Prozession. Hier unterhielten Ekkehard Freye und Thorsten Bihegue die Besucher auf ihre spezielle Art.

Zum Abschluss des Tages der offenen Tür stieg dann noch das Betriebsfest, bei dem der altgediente Kollege Krüger verabschiedet wurde und der Alleinunterhalter Rene Carmen drei Lieder sang.

Julia Schubert schafft es, zusammen mit dem Ensemble und dem Sprechchor, ein warmherziges Stück auf die Bühne zu bringen. Ein liebevoller und humorvoller Blick auf Typen und Situationen von Menschen, die eben nicht 24 Stunden, sieben Tage die Woche kreativ arbeiten müssen, dafür aber nach 17 Uhr den Stift fallen lassen können. Welches Leben ist das bessere? Das muss jeder Besucher für sich selber entscheiden.

Wann ist wieder Tag der offenen Tür in der Finanzbehöre? Am 01. und am 27. November 2106 oder unter www.theaterdo.de nachschauen.

Gespenster der Vergangenheit

Die Minions bei der Eanimation Lenins, währed Tschumalows (Sebastian Kuschmann) Beziehung zu seiner Frau Dascha (Caroline Hanke) in die Brüche geht. (Foto: © Birgit Hupfeld).
Die Minions bei der Reanimation Lenins, während Tschumalows (Sebastian Kuschmann) Beziehung zu seiner Frau Dascha (Caroline Hanke) in die Brüche geht. (Foto: © Birgit Hupfeld).

Heiner Müller und Rambo – eigentlich treffen zwei komplett unterschiedliche Welten aufeinander. Doch Müllers „Zement“ und Rambo haben eine Gemeinsamkeit. Ihre Titelhelden sind Gespenster aus der Vergangenheit, die stören und weg müssen. Klaus Gehre verwandelt beide Stücke in einen surrealen Live-Film mit einer ähnlichen Technik wie bei seiner Vorgängerproduktion „Minority Report“. Ein Premierenbericht von „Rambo plusminus Zement“ vom 17. Februar 2016.

In der Mitte ein Bett. Da schläft Gleb Tschumalow (Sebastian Kuschmann). Soldat der Roten Armee, die erfolgreich gegen die Weißen gekämpft hatte. Nun kehrt er in seine Stadt zurück und will die neue Gesellschaft aufbauen. Doch die Realität hat die Utopie besiegt. Seine Frau hat ihr Kind ins Kinderheim gegeben, die Zementfabrik, in der Tschumalow als Schlosser arbeitete, ist dem Verfall preisgegeben. Angebliche „Feinde“ der Revolution werden hingerichtet.

Plötzlich ein Schnitt. John Rambo möchte in Hope (Texas) nur was essen. Doch der örtliche Sheriff hat etwas dagegen. Die Situation eskaliert.

„Rambo plusminus Zement“ ist dreigeteilt. In den beiden Zement-Teilen stehen die Schauspieler im Mittelpunkt, während der „Rambo“-Part in vielen dem „Minority Report“ ähnelt. Es ist faszinierend, mit welchen Material die fünf Schauspieler einen Film auf die Leinwand bringen. Klaus Gehre hat um die 15 Stationen aufgebaut, die als Setting für den Live-Film dienen. Matchbox-Autos werden zu Polizeifahrzeugen, ein altes Landschaftsbild wird zum Filmhintergrund und Rambo (auch Kuschmann) simuliert bravurös den Abstieg aus einer Felswand.

Exklusion statt Inklusion. Ausgrenzung statt Mitnahme. Das ist das Kernthema von „Zement“ und „Rambo“. Die Revolution frisst ihre Feinde, in ihrer maßlosen Gier aber auch mehr als ihr gut tut. Der Ingenieur Kleist (Andreas Beck) ist Tschumalows letzte Hoffnung für das Zementwerk, obwohl er die Revolution hasst. Denn Kleist hat das Wissen, wie das Werk funktioniert. Daher darf er nicht getötet werden. Auch Rambo will niemanden töten, sondern einfach nur in Ruhe gelassen werden.

Sebastian Kuschmann überzeugt in der Doppelrolle des John Rambo/Gleb Tschumalow ebenso wie Andreas Beck in der Rolle des feisten Ingenieurs Kleist bzw. des ebenso feisten Sheriffs Teasle. Kleinere Rollen übernahmen noch Ekkehard Freye, Caroline Hanke und Marlena Keil.

Wer „Minority Report“ von Gehre mochte, wird auch „Rambo plusminus Zement“ lieben. Es sind mehr schauspielerische Elemente enthalten, das Stück bietet aber wieder die gewohnte skurrile Filmoptik wie die Vorgängerproduktion. Trotz des eher tragischen Stoffes, gibt es einige sehr erheiternde Momente, beispielsweise wenn die Minions versuchen, Lenin wiederzubeleben.

Mehr Infos und Termine unter www.theaterdo.de

Pazuzu was here

Tja, wo ist das Buch "Exorzismus für Dummies" wenn man es mal braucht? (v.l.n.r.) Björn Gabriel, Sarah Sandeh und Ekkehard Freye. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Tja, wo ist das Buch „Exorzismus für Dummies“ wenn man es mal braucht? (v.l.n.r.) Björn Gabriel, Sarah Sandeh und Ekkehard Freye. (Foto: © Birgit Hupfeld)

„Besessen“ ist eindeutig zweideutig. In dem Stück von Jörg Buttgereit geht es nicht nur um den Film „Der Exorzist“, sondern auch um die Besessenheit nach allem, was mit Horrorfilmen zu tun hat. So ist Hauptperson Gerd Friedekind wahrscheinlich nicht nur eine Anspielung an den Exorzist-Regisseur William Friedkin, sondern ist auch sicherlich autobiografisch gefärbt. Ein Premierenbericht.

Ob wohl so die erste eigene Bude von Jörg Buttgereit aussah? Kaum Möbel, aber dafür einen großen Schrank mit Videokassetten von allerlei Horrorfilmen samt Kuriositäten und Relikten wie Kurzfassungen auf Super8 oder seltene Filmplakate. Eben, was so ein Horrorfilm-Nerd so braucht. Natürlich auch einen Kühlschrank mit Bier und einen Freund, der das Abendessen (Pizza, was sonst!) mitbringt. Den Horrorfilm-Freak Gerd Friedekind spielt Ekkehard Freye mit ungewohnter Langhaarperücke, seinen Freund Marian Karras Björn Gabriel. Fans vom „Exorzisten“ haben es sicher erkannt: Marian Karras ist die Verknüpfung von Lankaster Merrin und Damian Karras, die beiden Priester, die den Exorzismus durchführen.

„Besessen“ ist nicht nur eine Hommage an den „Exorzist“, sondern im Laufe des Stückes tauchen weitere Anspielungen an Horrorfilme auf wie „Rosemarys Baby“, „Wiege des Bösen“, „Angel Heart“ oder Cronenbergs „Videodrome“. Aber echte Fans werden sicher noch viele weitere Anspielungen gefunden haben.

Das ist auch der Knackpzunkt an Buttgereits Stück. Stellten seine vorherigen Produktion wie „Kannibale und Liebe“ oder „Elefantenmensch“ das sogenannte Monster in den Mittelpunkt oder sind eine Hommage an Horrorfilmtraditionen wie bei „Nosferatu lebt“, feiert in „Besessen“ die Horrofilmkultur sich selbst. Wer kaum oder kein Interesse an Horrorfilmen hat, wird eher irritiert sein.

Doch für Freunde des Genres ist „Besessen“ ein Riesenspaß. Das liegt neben Gabriel und Freye auch an den Gast Sarah Sandeh als „Linda“ und natürlich an Uwe Rohbeck. Kein Buttgereit in Dortmund ohne Rohbeck und „Besessen“ macht keine Ausnahme. Rohbeck spielt das „Böse“ wie Robert De Niro „Louis Cyphre“ in „Angel Heart“. Auch die berühmte „Ei-Pell-Szene“ aus dem Film wird zitiert. Auch Sandeh gibt in ihrer Rolle der Besessenen (und weiterer Horrorfilmfiguren) alles.

Der Hauptteil der Handlung wirkt surreal: Plötzlich entsteigt aus dem Fernseher „Linda“ (ist das nicht eigentlich ein Markenzeichen von japanischen Horrorfilmen wie beispielsweise „The Grudge“?) und schon sind wir in einer Welt zwischen Realität und Fiktion. Im Laufe von Lindas Besessenheit mit dem Dämon Pazuzu vermengen sich „Der Exorzist“ mit „Rosemarys Baby“ und „Die Wiege des Bösen“. Es wird also auch etwas kunstblutig. Ein Höhepunkt ist auf alle Fälle der Auftritt von Uwe Rohbeck als „Das Böse“, der Heiner Müllers „Engel der Verzweiflung“ aus der Hamletmaschine rezitiert.

Klarer Fall: Wer Fan von Horrorfilmen ist, insbesondere die der 70er Jahre, sollte auf jeden Fall der Bude von Gerd Friedekind einen Besuch abstatten. Wer mit dem Horrorgenre überhaupt nichts anzufangen weiß und eventuell religiös empfindlich ist, sucht sich besser ein anderes Stück aus. Alle anderen erleben vier Schauspieler in Hochform.

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Selbstreflexion und Selbstmitleid

Krapp (Ekkehard Freye) hält Zwiesprache mit seinem jüngeren Ich. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Krapp (Ekkehard Freye) hält Zwiesprache mit seinem jüngeren Ich. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Zwei Menschen halten am Ende ihres Lebens Rückschau. Eine Frau und Ein Mann. Marcus Lobbes inszeniert im Studio Samuel Becketts „Glückliche Tage“ und „Das letzte Band“ als intensives Kammerspiel und vergisst dabei nicht den Humor, der den Stücken von Becketts innewohnen. Ein Premierenbericht vom 05. September.

Die letzte Reise. In Lobbes Inszenierung überquert Winnie (Merle Wasmuth) in einer Mischung zwischen Boot und Sarg den Fluss Styx, der in der griechischen Mythologie die Lebenden von den Toten trennt. Bleich geschminkt auf ihrer Reise spricht Winnie meist mit sich selbst, denn sie ist ist in der Beziehung mit Willie der aktive Teil, Willie (gespielt von Ekkehard Freye) der deutlich passive. Nur spärlich und beinahe widerwillig kommentiert er Winnies Monologe. Trotz dieser Entfremdung ist immer eine Art Band zwischen den beiden zu spüren, selbst wenn Lobbes das Ehepaar durch eine Glaswand trennt. Willie sitzt im Zuschauerraum und kann trotz zweier Versuche nicht zu Winnie gelangen, die in ihrem Boot langsam Richtung Toteninsel gezogen wird. Man merkt es Winnie an, dass sie sich freut, wenn Willie reagiert. „Ich weiß, welche Mühe es dich kostet“, sagt sie einmal.

Winnie freut sich an den vergangenen Dingen, an den Gewohnheiten, die sie „der alte Stil“ nennt. Dennoch ist ihr die Vergänglichkeit deutlich bewusst. „Früher dachte ich, dass all die Sachen, zu früh in den schwarzen Sack gesteckt, wieder heraus geholt werden könnten“, erinnert sie sich. Jetzt weiß sie, dass dies nicht passiert. Aus und vorbei.

Krapp hingegen sieht die Rückschau auf sein Leben weniger gelassen. „Welkom op het feest van de gemiste kansen, jongen!“ (Willkomen auf dem Fest der verpassten Chancen, Junge!) sang die niederländische Band „Tröckener Kecks“, doch für Krapp ist es kein Fest. Schon gar kein fröhliches. Die Fragen „Was wäre, wenn…“ und „Wie konnte ich nur so blöd sein.“ Freye, diesmal mit Perücke und Brille, zeigt dabei die Karikatur eines älteren Intellektuellen. Auf der Leinwand erscheint sein jüngeres Ich mit 38-jahren, das selbstgefällig und überheblich über die Ereignisse des vergangenen Jahres berichtet. Anfänglich noch mit lustigen Kommentaren bedacht, werden diese Anmerkungen immer bitterer. Die angestrebte Karriere als Schriftsteller ist als Seifenblase zerplatzt und die Liebesbeziehung aus Überheblichkeit zerbrochen oder gar nicht erst entstanden. So bleibt Krapp im Alter nur noch das letzte Band als bittere Erinnerung, bei dessen Betrachtung er in Selbstmitleid zerfließt.

Winnie und Krapp. Zwei Menschen, deren Rückblick auf ihr Leben nicht unterschiedlicher sein kann. Winnie ist ein klein wenig sentimental, aber zufrieden mit den kleinen Dingen. Krapp hingegen versinkt in Selbstmitleid, nachdem seine selbstgefällige Maske heruntergerissen wurde.

Lobbes inszeniert das Beckett-Doppel nicht ohne Humor, vor allem Krapp bietet durch sein Selbstmitleid ein Quell an Humor, die Freye durch sein Spiel auch wunderbar aus-reizt.

Wasmuth zeigt als Winnie eine fast klaglose Sanftmut auf ihrem letzten Weg.

Ein intensiver Abend, ohne Musik, aber mit zwei sehr präsenten Schauspielern. Für die Vorstellung am 11. September gibt es noch Restkarten. Weitere Termine in diesem Jahr sind 23. September, 01. Oktober, 25. Oktober und 28. Oktober.

Wetten, dass Ihnen das Lachen im Hals stecken bleibt

Bodo Aschenbach (Frank Genser) begrüßt den Kandidaten Bernhard Lotz (Sebastian Kuschmann). (Foto: © Birgit Hupfeld)
Bodo Aschenbach (Frank Genser) begrüßt den Kandidaten Bernhard Lotz (Sebastian Kuschmann). (Foto: © Birgit Hupfeld)

Ausgerechnet am Sonntag, den 23. August 2015 um 19:30 Uhr fand sie statt – die große Wiedergeburt der Samstagabendshow. Die Premiere der „Die Show“ (ja, englisch ausgesprochen!) zeigte, warum es sich lohnt ins Dortmunder Schauspiel zu gehen. Knapp drei Stunden witzige, gefühlvolle, musikalische, verrückte, technisch anspruchsvolle, zynische Unterhaltung. „Die Show“ ist einfach kultverdächtig.

Ok, 2.000 Bewerbungen, um als Kandidat in der nächsten Staffel der „Die Show“ mit zuspielen, wird das Theater Dortmund wohl nicht bekommen. Anders als das Vorbild „Die Millionenshow“ von Wolfgang Menge, die 1970 ausgestrahlt wurde. Dafür war die „Die Show“ doch ein bisschen zu deutlich als Mediensatire erkennbar.

Wie beim „Millionenspiel“ geht es bei der „Die Show“ darum, dass ein Kandidat mehrere Prüfungen zu überstehen hat, bis er eine Millionen Euro erhält. Dabei wird er von drei Leuten alias dem „Kommando“ verfolgt, die am sechsten Tag, der Live-Ausstrahlung der Sendung, sogar die Lizenz zum Töten haben. Lotz muss die ganze Zeit unbewaffnet bleiben.

Hinein also ins Schauspielhaus Dortmund, das sich für die „Die Show“ zum Fernsehstudio wandelt. Was gehört natürlich zu Beginn einer jeden Live-Show? Der Anheizer oder auch „Warm-Upper“ genannt. Carlos Lobo spielte ihn mit einer wahren Freude. Dabei halfen natürlich auch die Fußballergebnisse vom Nachmittag und mit dem BVB als Tabellenführer ging das Klatschen viel leichter.

Das Gewerke des Theaters hatten ganze Arbeit geleistet und zauberten eine beeindruckende Showtreppe im knallen Rot hin, während in der rechten Ecke die Sitzgelegenheiten und sehr aparte Tische (ein Hingucker!) für die Moderation und deren Gäste vorhanden war. Links war die Rezeption und darüber spielte die Band. Aber zur Musik kommen wir später.

Neben dem Kandidaten Bernhard Lotz (Sebastian Kuschmann) ist in einer Fernsehshow natürlich der Moderator das wichtigste Element. Es würde nicht verwundern, wenn für eine eventuelle Neuauflage von „Wetten, dass…“ Frank Genser ins Gespräch gebracht würde, denn seine Darstellung als Moderator Bodo Aschenbach war umwerfend. Ähnlich wie bei den großen Moderatorenvorbildern ist Aschenbach ein König der belanglosen Überleitungen, die von einer Sekunde zu anderen von einem tragischen Beitrag zu einem musikalischen Gast überleiten können. „Wer vor dem Fernseher sitzt, kann jedenfalls nicht gleichzeitig foltern“, kommentiert er eine Szene, in der Kandidat Lotz Schmerzen zugefügt werden. Kuschmann war als gepeinigter Gejagter ziemlich beeindruckend, vor allem gegen Ende, als er völlig verzweifelt war.

Aschenbach wurde Assistentin Ulla zur Seite gestellt, eine Mischung zwischen Sylvie van der Vaart und Michelle Hunzinger. Julia Schubert, mit roter Perücke und holländischem Akzent, spielte ebenfalls großartig. Immer zwischen geheuchelter Anteilnahme und trockenem Zynismus.

Im Mittelpunkt stand natürlich der Kandidat Bernhard Lotz. Dabei hatte Sebastian Kuschmann die meiste Arbeit bereits im Vorfeld hinter sich gebracht, denn die fünf Aufgaben, die Lotz in den Tagen davor absolviert hatte, wurden als Einspieler gezeigt. Erst gegen Ende der Show kam Lotz live auf die Bühne, um die letzte Aufgabe „Silver Bullet“ zu absolvieren, da er sich leider bewaffnet hatte, um gegen das „Kommando“ zu bestehen.

Zu einer Live-Show gehört auch Musik. Die stammt vom neuen musikalischen Leiter des Schauspielhauses, Tommy Finke, der mit seinen Mitstreitern nicht nur die Studioband „Tommy Love and the Smilers“ bildete, sondern auch die Musik für die Stargäste schrieb.

Zu den Stargästen gehörte die umjubelte „Baeby Bengg“, eine J-Pop-Sängerin im Mangastyle und die an Klaus Nomi erinnernde „Brit Bo“. Beide wurden von Eva Verena Müller gesungen. Ein großen Auftritt hatte auch Sebastian Graf als „Johannes Rust“, dem ehemalige DSDS-Sieger und jetzigen Musicalstar, der mit seinem Jesus-Musical Erfolg hat. Der kleine Seitenhieb geht an Alexander Klaws, der in Dortmund ja den Jesus in „Jesus Christ Superstar“ singt.
Bettina Lieder sang den Anastacia-Klon „Slyvia Saint-Nicolas“ ebenso gekonnt wie Julia Schubert einen Song der Assistentin Ulla. Zum Schluß brachte Schubert als Lotzes Freundin „Cindy“ auch eine schräge Sarah-Conner-mäßige Version der deutschen Nationalhymne.

Für diese Produktion haben sich alle im Schauspielhaus sehr ins Zeug gelegt. Das ganze Ensemble war zumindest in kleineren Rollen zu sehen. Köstlich war Ekkehard Freye als Dortmunder Oberbürgermeister, der vor dem Rathaus eine Rede zum Tod der BVB-Hoffnung „Ricardo Gomez de la Hoz“ hielt. De la Hoz (Peer Oscar Musinowski) war als Kollateralschaden vom „Kommando“ erschossen worden. Das Kommando bestand aus Andreas Beck, der den ehemaligen Hells-Angel Bruno Hübner spielte, Bettina Lieder als russische Killerin Natascha Linovskaya und Björn Gabriel, der den leicht irren Howie Bozinsky verkörperte. Sehr schräg war auch Uwe Schmieder als Elisabeth Lotz, die Mutter vom Kandidaten Bernhard.

Die „Die Show“ hat neben ihrer klaren Medienkritik an den Formaten wie „Dschungelcamp“, „Big Brother“ und andere auch eine aktuelle Komponente. Denn Flüchtlinge aus Syrien oder Afrika müssen auch mehrere „Prüfungen“ absolvieren, um letztendlich an ihr Ziel zu gelangen. „Endlich mal ein Flüchtling, zu dem man halten kann“ oder „Dem geht es doch nur ums Geld“ waren die (fiktiven) Zuschauerkommentare zur Situation von Lotz.
Aufs Korn genommen wurde auch die unsäglichen Charity-Aktionen von Prominenten und die deutsche Tierliebe. Als Lotz bei einem Spiel von Hunden gejagt wird und die Tiere verletzt, ist natürlich die Empörung groß. Wegen der Hunde, nicht wegen Lotz.
Kritiker der Sendung werden auch nicht einfach vom Saalschutz abgeführt. Das gibt es bei Moderator Aschenbach nicht, er lässt – wie damals Gottschalk – den Kritiker zu Wort kommen. Oder besser: er lullt ihn mit seinem Geschwafel ein, bis er geht.

Die drei Stunden vergingen fast wie im Flug. Das ist ein großes Verdienst aller Beteiligten und vor allem von Regisseur Kay Voges. Schließlich überzog „Wetten, dass“ auch regelmäßig. Um alle kleinen Feinheiten zu erkennen, sollte man öfter in die „die Show“ gehen. Es lohnt sich vor allem wegen den guten Schauspielern und der tollen Musik. Ein unterhaltsamer, aber auch nachdenklicher Abend. „Die Show“ hat die Messlatte für diese Saison schon ziemlich hoch gesetzt.

Die „Die Show“ ist wieder in Dortmund am 29. August, 13. und 30. September und 12. November 2015.