Es war zwar nicht Karfreitag, doch die Dortmunder Philharmoniker unter der sensiblen und leidenschaftlichen Leitung von Generalmusikdirektor Jordan de Souza machten die Aufführung von Johann Sebastian Bachs Johannes-Passion BWV 245 am 28. und 29. Oktober 2025 im Konzerthaus Dortmund zu einem musikalisch wie emotional tief bewegenden Ereignis.
Bachs erstes großes Passionswerk entstand 1724, kurz nach seinem Amtsantritt als Thomaskantor in Leipzig – unter enormem Zeitdruck und hohen Erwartungen. Im Vergleich zur später komponierten Matthäus-Passion beeindruckt die Johannes-Passion durch ihre komprimierte Form und ihre unmittelbare, fast theatralische Dramatik.
Die Vertonung der Leidensgeschichte Christi nach dem Johannesevangelium verlangt nach einer vielgestaltigen Besetzung: mehrere Solist*innen, Chor und Orchester erzählen gemeinsam das Geschehen. In den wechselnden Dialogen zwischen Evangelist, Jesus, Pilatus und dem Volk entfaltet sich ein bewegendes Wechselspiel von Nähe und Distanz, Reflexion und Anklage.

Als Evangelist überzeugte der britisch-deutsche Tenor Kieran Carrel mit klarer Diktion und eindringlicher Erzählkunst. Die russisch-libanesische Sopranistin Anna El-Khashem begeisterte durch ihre leuchtende, dabei stets kontrollierte Stimme, während die in Köln geborene Mezzosopranistin Anna Lucia Richter ihre Arien mit emotionaler Tiefe und kammermusikalischer Feinheit gestaltete. Der Stuttgarter Bariton Michael Nagy verlieh seinen Partien Würde und Wärme, Mandla Mndebele überzeugte als menschlich naher Christus, und Ks. Morgan Moody zeichnete einen vielschichtigen Pilatus zwischen Macht und Zweifel.
Getragen wurde die Aufführung von den beiden großen Chören der Chorakademie Dortmund – dem Jugendkonzertchor (Einstudierung: Johannes Honecker) und dem Konzertchor Westfalica (Einstudierung: Johannes Honecker und Volker Hagemann). Mit ihrem präzisen, kraftvollen und doch transparenten Klang prägten sie entscheidend die Atmosphäre des Abends. Die zwölf vierstimmigen Choräle, deren Melodien und Texte dem evangelischen Gesangbuch entnommen sind, bildeten emotionale Ruhepunkte inmitten des dramatischen Geschehens.
Im zweiten Teil – der Verhandlung vor Pilatus und der Kreuzigung – wurden die Chöre als „geifernde Volksmenge“ in das Geschehen einbezogen. Musikalisch war dies zwingend und packend umgesetzt, zugleich aber erinnerte die Szene an die problematische christliche Tradition der pauschalen Schuldzuweisung an „die Juden“. Umso stärker wirkte Bachs überzeitliche Botschaft der Nächstenliebe, des Mitgefühls und der inneren Erneuerung.
Mit den letzten, sanft versöhnlichen Klängen der Grablegung findet Bach zu einer berührenden Ruhe. Nach all der Dramatik und Erschütterung lässt er am Ende das Licht der Versöhnung aufscheinen – ein leiser, aber nachhaltiger Trost, den die Dortmunder Philharmoniker in dieser Aufführung eindrucksvoll zum Klingen brachten.
