Für mich ist das einfach eine visuelle Sprache – Interview mit der Kostümbildnerin Anna Hörling

Anna Hörling ist Kostümbildnerin und gestaltete die Kostüme sowie das Bühnenbild für die Produktionen „Alice im Wunderland“ und „Piratenmolly Ahoy!“ von Rada Radojčić im Theater Fletch Bizzel. Wie lief die Zusammenarbeit und welche Aufgaben eine Kostümbilderin hat, das fragte ars tremonia.

Anna Hörling in ihrem Atelier.
Anna Hörling in ihrem Atelier.

ars tremonia: Wie lange kennen Sie sich und Rada?

Hörling: Das ist ganz witzig gewesen. Eigentlich kenne ich Rada gerade erst seit letztes Jahr im September, also jetzt ein Jahr. Es war so ein Match „Made in Heaven“. Das war ein Zufall. Die Tochter einer der Schauspielerin, die auch jetzt in Molly und die Herzkönigin bei Alice im Wunderland spielt, wohnt hier im Haus.

Und dann schellte die eines Tages und sagte: ‚Ja, also meine Mutter ist Schauspielerin und die haben ein Kostümproblem‘. Ja, sage ich, super. Da sind sie an der richtigen Adresse. Dann habe ich mit Rada telefoniert und es ging sofort los. Ich bin da quasi noch auf den letzten Drücker mit in die Maschine eingestiegen.

ars tremonia: Weil ich weiß, dass Rada früher die Kostüme selber gemacht hat. Kannten Sie die Sachen, die sie vorher gemacht hat?

Hörling: Nein, eigentlich gar nicht. Ich hatte das wohl mal gesehen, als die Kulturbrigaden sich gebildet haben. Das fand ich super, bei denen wollte ich mich mal melden, aber wie das so ist, habe ich nie gemacht. Ich hatte ein paar Plakate gesehen und war auch bei ihr. Ehrlich gesagt, man merkt ja die Chemie und die war eigentlich sofort da. Es gab keine Probleme, außer dass sie gewohnt war, alles selber zu machen. Und auf einmal war da jemand anders. Sie hat es aber manchmal vielleicht vergessen, weil sie schneller bearbeitet und umgestellt hat, aber das war eigentlich minimal. Das war wirklich von Anfang an super entspannt mit uns. Wir sind auch beide Freunde von Voice Nachrichten und immer, wenn man eine Idee hat, zack, schnell, voice geschickt, ein Bild geschickt. Wir haben jetzt beide was in unserem Nachrichtenverlauf gesucht und wir schicken uns ganz schön viele Bilder und viele Nachrichten, das funktioniert wunderbar. Also das ist richtig gut.

ars tremonia: Also so läuft dann auch die Ideengebung für Piratenmolly? Rada hat gerade die Idee im Kopf und spricht dann mit ihnen oder haben sie die Idee?

Hörling: Nein, also sie hat das Stück ausgesucht und ich muss es dann immer erst mal lesen. Rada guckt schon schnell und recherchiert, schaut, wie haben andere das vielleicht gemacht. Davon will ich mich erst mal freimachen, bis ich es gelesen habe. Und dann fange ich auch an zu suchen. Und wir haben aber gemerkt, dass wir tatsächlich oft ähnliche Quellen angucken. Dann pitcht man sich das zu. Ich denke, das wäre super, dann schicke ich ihr ein Bild oder umgekehrt.

Und bei Piratenmolly haben wir uns richtig zusammengesetzt, haben einen ganzen Nachmittag ganz viele Ideen gebrainstormt. Das war ja dann noch nicht fürs Fletch geplant, sondern für diesen Wohnwagen, den Rada hat machen lassen.

Es ist ja immer eine Mischung aus technischen Modalitäten für so ein Bühnenbild. Was geht und was braucht das Stück? Was für Verwandlungen kann man dann auch wirklich machen? Ähnlich ist es aber auch bei den Kostümen. Also da gucke ich nämlich: Was ist das für ein Charakter? Und dann muss ich wieder Rada fragen: Wie legst du den Charakter an? Das ist manchmal so, dann mache ich eine Zeichnung. Und dann sagt sie: Oh ja, also eigentlich haben wir den jetzt anders gedacht. Bei Alice war das die Raupe zum Beispiel. Da hatte ich eigentlich eher so einen älteren Typ drin gesehen. Eigentlich soll er das wie einen jungen Kiffer spielen. Auch okay, dann baue ich das um. Aber das da ist jetzt kein Drama.

ars tremonia: Und wie sieht dann die Arbeit einer Kostümbildnerin aus, wenn man sagt Okay, ich habe die Idee, fängt man dann an auf Papier? Wie geht es weiter?

Hörling: Ja, es ist so unterschiedlich. Ich fange erst mal an, tatsächlich so researchmäßig. Also ich gucke für Molly, welche Bilder gibt es von Piraten, was hatten die an und dann kommt man von Hölzchen auf Stöckchen, man sieht auch schon andere Details.

Bei Alice im Wunderland war es zum Beispiel so, ich habe mich bewusst von diesen ganzen Disney Sachen und so möglichst wegbewegt und hab gedacht, was gibt es da alles? Es sind ja sehr skurrile Charaktere. Manchmal ist es so, dann habe ich ein Material, bei dem ich denke, beides würde jetzt passen, weil es einen guten Fall hat oder weil es sich gut modellieren lässt und dann habe ich sofort eine Idee, wie ich das machen würde.

Wir hatten so viele wilde Möglichkeiten wie jetzt bei Molly. Da wussten wir ja auch, wer die Zielgruppe ist. Das sind kleine Kinder und wir hatten erst eine ganz einfache Idee. Wir wollten das Stück erst mit einer Person spielen, dann alles mit Puppen. Dann haben wir überlegt, wie können wir das mit den Puppen machen, eine richtige Handpuppe oder eine Stabpuppe?

Also all solche Sachen sind wir durchgegangen und dadurch sind wir irgendwie bei diesen Anziehpuppen gelandet. Dann habe ich oder Rada gesagt, lass uns die Kostüme machen wie Anziehpuppen. Wir sind auf die Idee gekommen, wir machen das wie eine Collage. Ich habe alles auf eine Pappe und habe die Pappe so ein bisschen gebogen, dass sie am Körper besser sitzt und habe dann mit Stoffen und Farbe und viel Klebstoff die Kostüme mehr modelliert und gemalt. Das ist das Anziehpuppenprinzip.

ars tremonia: Wird das in Stoff umgewandelt?

Hörling: Ja eben nicht. Zum Beispiel bei dem Matsche Piet. Ich habe halt diese Pappe unten drunter gelegt und hab dann darunter ausgepolstert, weil er so ein bisschen dickeren Bauch haben sollte. Dann habe ich Stoff draufgeklebt und hab den wiederum angemalt. Also es ist so ein Mixed Media, aber es hat halt alles diesen anziehpuppenartigen Charakter. Sie haben alle ein Kostüm drunter, was dann komplett aus Stoff ist.

ars tremonia: Wie gefährlich ist das denn? Gerade beim Thema Pirat, das man nicht direkt gleich in die Jack Sparrow Ecke gerät.

Hörling: Ja, das sind die ersten Referenzen, allerdings ist es ja jetzt in diesem Fall, dass sie eine Piratenkapitänin wird. Da habe ich zum Beispiel bei Vivienne Westwood geschaut, denn Westwood hat eine Piraten-Kollektion gemacht ganz früh. Das fand ich spannend und habe da so ein paar Elemente herausgenommen. Ich gucke dann aber auch wirklich in historischen Büchern und das alles puzzelt sich dann zu dem Entwurf am Ende zusammen.

ars tremonia: Welche Rolle spielen Kostüme für sie im Theater?

Hörling: Also beim Theater ist es ja so, ich habe das auch studiert und im Studium hatte man mir gesagt, eigentlich sollte nichts auf der Bühne sein, was nicht etwas erzählt, also Stückrelevant ist oder symbolisch. Das finde ich total spannend. Es ist für Mode und Kostüme in der Hochform dann eben eine Art Sprache, sie erzählen und sollen auch etwas erzählen. Die Kostüme sollen dem Schauspieler helfen, in den Charakter hereinzufinden und den auch unterstreichen und eben die Form geben. Für mich ist es natürlich eine wunderschöne Ausdrucksform. Es kommt natürlich auf das Stück und die Modalitäten an. Es bringt ja nichts, wenn ich jemanden in ein wildes buntes Kostüm stecke und es ist eine tragische Todesszene. Es muss ja passen. Für mich ist das einfach eine visuelle Sprache, die das Stück nochmals unterstreicht.

ars tremonia: Wie wichtig ist es, den eigenen persönlichen Geschmack herauszustellen und gleichzeitig den Gegebenheiten unterzuordnen?

Hörling: Das ist eigentlich ganz leicht. Weil man erzählt ja etwas und es muss immer im Dienst der Geschichte stehen. Es gibt manchmal so Geschichten, wo ich denke, wow, das hätte ich mir aus freien Stücken nicht unbedingt ausgesucht, aber sobald man da drin ist und sich hineingefunden hat und die Essenz herausnimmt, dann kommen die Ideen passend dazu. Natürlich habe ich eine eigene Handschrift. Das ist normal und ich finde, das sollte auch so sein, das sollte man nicht verleugnen. Natürlich liegen mir bunte wilde Sachen, aber ich kann auch anders. Ich muss gucken, wie inszeniert der Regisseur oder die Regisseurin, was wollen wir damit ausdrücken, was ist die Grundidee oder was ist die Grundmassage des Stückes, und wie kann ich es dann dadurch interpretieren mit meinen Kostümen und meinem Bühnenbild.

ars tremonia: Stichwort Bühnenbild für Piratenmolly. Worauf achten Sie da?

Hörling: Piratenmolly gibt natürlich stark was vor, da kann man nicht so einfach abstrakt werden. Und wir haben bestimmte Szenen, die wir da bedienen und mussten tatsächlich auf technische Möglichkeiten schauen, wie wir das jetzt auf der Bühne lösen und hinterher für den Wohnwagen. Ich wollte, dass es alles so ein bisschen aussieht wie ein Kinderbild, das fand ich ganz schön. Und da haben wir wirklich was Tolles hinbekommen. Wir haben drei Wände, in denen Öffnungen sind, wo Leute herauskommen, es ist ein wenig spielerisch und witzig. Fenster öffnen sich, da guckt man durch, dann wird etwas heruntergerollt. Es verändert sich am laufenden Band und immer auf eine andere Weise, sodass es auch immer eine Überraschung ist. Das finde ich immer toll, wenn es eine Überraschung ist, die man gar nicht erwarten konnte.

ars tremonia: Wann haben Sie mit der Arbeit für Piratenmolly begonnen

Hörling: Piratenmolly hatte eine lange Reise gehabt dank Corona. Wir haben glaube ich, das erste Mal im letzten Jahr im November oder bereits Ende Oktober gesprochen. Da haben wir angefangen zu überlegen, aber es war überhaupt nicht klar, wann und wie wir das wirklich aufführen können. Daher ging das erst einmal ein wenig zäh, dann hatten wir im Januar und Februar so eine ganz intensive Phase, wo Rada viel geprobt hat und da habe ich schon die Kostüme mit angefertigt. Weil wir dachten, dass wir es im April herausbringen können, was dann auch nicht ging. Daher ist das so ein Ding, was sich sehr lang geschleppt hat.

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