Sudabeh Mortezai, Tochter iranischer Eltern, in Ludwigsburg geboren und in Teheran sowie Wien aufgewachsen, lenkt mit ihrem scharfen, satirischen Wettbewerbsbeitrag Europa (gezeigt beim IFFF in der Schauburg Dortmund am 05.04.2025) den Blick auf die Opfer des Fortschritts, die der rücksichtslose Turbokapitalismus hervorbringt.
Bereits mit ihren vorherigen Arbeiten wie Macondo (2014) und Joy (2018) hat Mortezai eindrucksvoll gezeigt, dass sie sich mit sozialen Randgruppen, Migration, Machtverhältnissen und systemischer Ausbeutung auseinandersetzt. In Macondo widmete sie sich dem Leben tschetschenischer Geflüchteter in einem Wiener Randbezirk, in Joy dem Schicksal nigerianischer Frauen im europäischen Sexhandel – beides Filme, die durch ihren dokumentarischen Realismus und ihre tiefe Menschlichkeit beeindruckten.
Mit Europa geht sie nun einen Schritt weiter, indem sie satirische Elemente mit scharfer Kapitalismuskritik verbindet und dabei erneut die Perspektive der Machtlosen ins Zentrum rückt.
Die deutsche Managerin Beate Winter reist im Auftrag des multinationalen Konzerns „Europa“ nach Albanien, um dort angeblich menschenfreundliche Strukturentwicklungen und Frauenförderung durch Investitionen in unterentwickelten Regionen zu fördern.
Liebevoll zu ihrer Familie, zeigt sie sich in ihrer beruflichen Rolle ehrgeizig und undurchdringlich – stets darauf bedacht, sich gegenüber ihren männlichen Kollegen zu behaupten.
Die abgelegene Region, in der sie tätig wird, liegt in der Nähe unterirdischer Bunkeranlagen aus der kommunistischen Herrschaftszeit – einst aus Angst vor westlichen Invasoren errichtet.
Winter setzt alles daran, den religiös-traditionell lebenden Schäfern und Imkern ihr Land für eine undurchsichtige Agenda abzukaufen. Ein eigensinniger Bauer weigert sich zunächst standhaft, das Erbe seiner Vorfahren preiszugeben.
Tradition trifft auf Konzernmacht
Die freundliche Fassade der Managerin bröckelt rasch, und sie greift zu schmutzigen Mitteln und emotionalem Druck. Es gelingt ihr, die Tochter des widerspenstigen Bauern durch das Versprechen eines Stipendiums der Firma „Europa“ für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Schließlich gibt der Vater nach – doch es folgt ein bitteres Erwachen.

Humorvoll-ironische Momente entstehen immer dann, wenn die beiden unterschiedlichen Kulturen aufeinandertreffen. Religiös verwurzelte Menschen mit ihren traditionellen Riten, Gebräuchen und musikalischen Ausdrucksformen werden von oben herab mit westlichen Lebensentwürfen und Gewinninteressen konfrontiert.
Mortezai bleibt sich auch in diesem Film treu: Sie beobachtet präzise, wertet nicht plump, sondern legt die Mechanismen des globalen Machtgefälles subtil, aber unnachgiebig offen. Ihre Regie ist unaufgeregt, aber eindringlich – unterstützt von ruhigen Bildern, die viel Raum für Zwischentöne lassen.
Wie eine ökologisch verträgliche und gerechte Zukunft aussehen kann, liegt letztlich in den Händen der jungen Generation – ein Gedanke, der anklingt, als Studierende an einer albanischen Universität gegen den Bau eines Damms protestieren.