Die Stumme von Portici in den Fängen des Coronavirus

Die Premiere von Daniel-Franҫois-Esprit Aubers (1782 – 1871) „Die Stumme von Portici“ (Libretto: Augustin Eugène Scribe und Germain Delavigne) in deutscher und französischer Sprache mit deutschen Untertiteln (Bettina Bartz) in der Inszenierung von Peter Konwitschny sollte am 13.03.2020 im Opernhaus Dortmund stattfinden. Doch der Coronavirus machte einen Strich durch die Rechnung.

An diesem Termin wurde aber eine Generalprobe II mit 26 Journalistinnen und Journalisten als Zuschauer durchgeführt. Es war eine „Premiere“ unter besonderen Umständen und besonderer Atmosphäre. Ars tremonia war auch mit dabei.

Sara Wilken hatte die schwere Aufgabe, die Rolle der stummen Fischertochter Fenella (aus Portici bei Neapel) übernommen. Der Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Motonori Kobayashi verliehen ihren „nicht gesungenen Worten“ sensibel musikalisch Ausdruck. Wilken spielte ihre Rolle eindrucksvoll mit Gesten oder den Einsatz von Requisiten (etwa einen Schal).

Die Grand opéra ist strukturiert und wie ein Baukastensystem mit „Schaufenstern“ in fünf kleinen Akten systematisch aufgebaut. Regie, Orchester, Chor, Statisterie und Kinderstatisterie, Bühne, Kostüme. Sänger*innen bilden ein ganzheitliches Gefüge. Die Musik ist mal anrührend, dann wieder aufrührerisch aufregend.

Es geht hoch her bei der "Stummen von Portici". Mirko Roschkowski (Masaniello), Mandla Mndebele (Pietro), Sarah Willken (Fenella), Anna Sohn (Elvire), Sunnyboy Dladla (Alphonse). Foto: ©Thomas Jauk, Stage Picture
Es geht hoch her bei der „Stummen von Portici“. Mirko Roschkowski (Masaniello), Mandla Mndebele (Pietro), Sarah Willken (Fenella), Anna Sohn (Elvire), Sunnyboy Dladla (Alphonse). Foto: ©Thomas Jauk, Stage Picture

Die Geschichte spielt zur Zeit der Besatzung durch die Spanier. Der Sohn des Vizekönigs Alphonse (Sunnyboy Dladla) hatte die arme stumme Fischertochter (Fenella) verführt und dann verlassen. Während die Hochzeit mit der „standesgemäßen“ Elvire (Anna Sohn) ansteht, platzt die aus ihrer Gefangenschaft durch den Vizekönig geflohene Fenella hinein und sucht Schutz. Das Verhältnis von Alphonse mit ihr wird öffentlich. Die enttäuschte Elvire zeigt Empathie und Frauensolidarität gegenüber der Stummen und verzeiht ihrem Bräutigam. Als Fenellas Bruder Masaniello (Mirko Roschkowski) von deren Situation erfährt, wird aus der schon politisch aufgeheizten Atmosphäre unter den armen Fischern Neapels durch den Wunsch nach persönlicher Rache der Anfang eines revolutionären Aufstands gegen die Besatzer. Die Gewalt ist nicht mehr unter Kontrolle und Masaniello versucht verzweifelt, dem Morden Einhalt zu gebieten. Er bietet Alphonse und Elvire seinen Schutz, wird dann aber selbst als „Verräter“ von den eigenen Leuten verfolgt. Als auch noch der Vesuv ausbricht, gibt es kein „Happy End“ …

Der Graben zwischen spanischen Besatzern und armer Bevölkerung wird nicht nur durch die Kleidung, auch durch die Sprache demonstriert. Die gesungene Sprache der Herrscher ist Französisch, die des Volkes deutsch. Der berechtigte Unmut der Bevölkerung wird ebenso gezeigt, wie der nicht zu kontrollierende Spirale der Gewalt. Auch die Gefahr der Instrumentalisierung der Unzufriedenheit und eines übersteigerten Nationalismus werden deutlich. Eine Oper mit zeitloser Brisanz. Nicht umsonst hat die Oper tatkräftig zur Entstehungsgeschichte Belgiens beigetragen. Das überwiegend katholische Land befand sich seit 1815 unter der Herrschaft der meist protestantischen Niederlande. 1830 kam es in Brüssel bei der Aufführung der Oper zu Tumulten, die sich in einem Aufstand entluden und am Ende Belgien als unabhängigen Staat schufen.

Die Sängerinnen und Sänger überzeugten mit ihren Stimmen und der Darstellung der Personen. Auch der Opernchor Theater Dortmund sowie die Statisterie und Kinderstatisterie (Theater Dortmund) oder natürlich die Dortmunder Philharmoniker trugen zu einem gelungenen Gesamtbild bei.

Die ausgefallene Premiere ist nun für den 08.05.2020 angesetzt.

Informationen erhalten Sie wie immer unter 0231/5027222 oder https://www.theaterdo.de/detail/event/20694/

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