Die Dämonen – Eindringliche „Böse Geister“ auf der Theaterbühne

Am 29.11.2019 hatten „Die Dämonen“ nach dem gleichnamigen Roman von Fjodor M. Dostojewski (Übersetzung „Böse Geister“ von Swetlana Geier) in einer Bühnenfassung von Sascha Hawemann und Dirk Baumann seine Premiere im Schauspiel Dortmund.

Dass es ein langer Abend (viereinhalb Stunden inklusive Pause) war schon beim Vorgespräch von Ars tremonia mit dem Dramaturgen Dirk Baumann klar. Denn es handelt sich um einen komplexen Stoff und einen vielseitigen Roman.

Neben den zehn Schauspieler*innen (unter ihnen der Gast-Schauspieler Jakob Benkhöfer als Ivan P. Schatow und Annou Reiners (Schauspielstudentin aus Graz) auf der Bühne wurde für die Handlung auch atmosphärisch live am Piano von Alexander Xell Dafo begleitet.

Neben einer zum größten Teil weißen Hintergrundwand, die für „Theaterblut“ und andere Aktionen genutzt wurde, wurde mit relativ wenig Mobiliar (Stühle, Schrank) oder ein flexibel drehbares leuchtendes Gerüst in Form eines „russischen R“ (Ich) und später auch ein offenes, begehbares Kreuz auf der Bühne gearbeitet.

Im Zentrum dieses Klassikers steht die Situation am Ende des 19. Jahrhunderts in einer russischen Provinz in der Nähe von Sankt Petersburg. Die beiden Protagonisten Nikolaj (Frank Genser) und Pjotr (Ekkehard Freye) sind Teil eines Universums zwischen Tradition und Revolution.

Die eine Seite , zum Beispiel der alternde Schöngeist Stepan T. Werchowwenskij (Andreas Beck) Vater von Pjotr, ist vom westlichen humanistischen Zeitgeist durch Schriftsteller wie Albert Camus, Emil Zola und andere geprägt, während Ivan P. Schatow die „westliche Aufklärung „und Freiheit etwa ablehnt. Sie führe zu haltlosen Ausschweifungen und zu „Ganzkörpertattoos“ (kleiner Bezug zu unserer heutigen Zeit). Er wünscht sich einen starken, nationalen und religiös fundierten russischen Staat.

Die revolutionäre Gruppe "Die Unsrigen" in ausgelassener Stimmung. (v.l.n.r.) Frank Genser, Annou Reiners, Ekkehard Freye, Jakob Benkhofer (im Hintergrund), Christian Freund, Uwe Schmieder
(Foto: ©Birgit Hupfeld)
Die revolutionäre Gruppe „Die Unsrigen“ in ausgelassener Stimmung. (v.l.n.r.) Frank Genser, Annou Reiners, Ekkehard Freye, Jakob Benkhofer (im Hintergrund), Christian Freund, Uwe Schmieder
(Foto: ©Birgit Hupfeld)

Pjotr ist ein Strippenzieher, der die Menschen um sich, ob Frau oder Mann. In seinem Sinn manipuliert. Er möchte das alte System und Religion zerstören. Intrigen, Denunziation und geschicktes gegeneinander Ausspielen sind seine Vorgehensweise. Er beeinflusst den zwischen allen Seiten hin und her gerissenen Nikolaj, Sohn Warwaras (Friederike Tiefenbacher) und gleichzeitig Mäzenin von Stepan für seine Zwecke. Dieser trägt mehrere dunkle Geheimnisse mit sich, die sich auch auf seine aufkeimende Liebe zu Lisa (Alexandra Sinelnikova) auswirken. Am Ende überlebt fast keiner der männlichen Hauptpersonen, bis auf Pjotr.

Den Beteiligten auf der Bühne, wurde schauspielerisch und auch physisch einiges abverlangt. Frank Genser simulierte eindrucksvoll mehrfach den von bösen Geistern (epileptischer Anfall) befallenen Nikolaj. Annou Reiners meisterte die schwierige Aufgabe, die humpelnde und geistesgestörte Marja (von Nikolaj nebenbei mal geheiratet) glaubhaft darzustellen. Unter anderem musste Uwe Schmieder gleich in mehrere Rollen schlüpfen.

„Die Dämonen“ beschriebt das Russland ab den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts sehr gut. Aufkeimende Ideen aus dem Westen wurden durch verschiedenste Gruppen immer weiter radikalisiert. Ein gutes Beispiel aus heutiger Zeit wäre die RAF, aber auch die NSU oder radikale Salafistengruppen zeigen auf, wie Gruppendynamik zu Verbrechen führt. Es geht um Fragen von Moral: welche Mittel zur Durchsetzung der eigenen Interessen sind legitim?

Auf der anderen Seite wirken die Hauptfiguren wie Schablonen, wie Schaufensterpuppen, auf deren Stirn „Nihilst“, „Sozialist“ oder „Freigeist“ steht. Dostojewski nannte „Die Dämonen“ selbst ein Pamphlet-Roman und so darf man sich nicht wundern, dass bestimmte Protagonisten wie Nihilist Pjotr extrem schlecht wegkommen. Darüber hinaus gibt es kaum Selbstreflexion der Figuren. Einzig Atheist und Freigeist Stepan lässt sich auf dem Sterbebett Bibelstellen von Warwara vorstellen. Logisch, denn Dostojewski scheint sich eine humanitäre Gesellschaft nur in Verbindung mit religiösem Unterbau vorstellen zu können.

Daran krankt auch die Inszenierung ein wenig, denn die Protagonisten treffen in den einzelnen Szenen wie Schachfiguren aufeinander, die unbeirrt ihrer Linie folgen. Das macht es schwer, irgendeine Sympathie für die Hauptfiguren zu entwickeln. Das ist auch der größte Gegensatz zum wunderbaren „Kirschgarten“, der den Zerfall der alten russischen Gesellschaft eindrucksvoll darstellt.

Trotz der starken schauspielerischen Leistungen und Anstrengungen auf der Bühne ließen sich gewisse Längen nicht vermeiden. Zudem war der Beginn der Aufführung mit 19:30 Uhr schon spät gewählt.

Die Pause um ca. 22.30 Uhr nutzen einige Personen aus dem Publikum, um sich zu verabschieden und nach hause zu fahren. Eigentlich schade, aber auch irgendwie verständlich.

Das Schauspiel Dortmund hat reagiert, und setzt den Beginn für alle folgenden Aufführungen um 18:00 Uhr an!

Informationen über die weiteren Termine erhalten Sie wie immer unter www.theaterdo.de oder Tel.:0231/ 50-27222.

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