Ko-Produktion der Ruhrfestspiele mit dem Fußballmuseum als Gastspiel in Dortmund
Das legendär genannte Halbfinale zwischen Deutschland und Frankreich 1982 bei der Fußball-WM in Sevilla jährt sich am 8. Juli zum 40. Mal. Aus Anlass des Jubiläums hat nun Manuel Neukirchner, Direktor des Deutschen Fußballmuseums in Dortmund, ein Buch geschrieben. „Die Nacht von Sevilla, Fußballdrama in fünf Akten“. Sein für die Bühne konzipierter Text hatte am 14. Mai Premiere bei den Ruhrfestspielen, die Inszenierung mit Peter Lohmeyer und Toni Schuhmacher gastierte am 16. Mai vor vollbesetztem Haus im Dortmunder Schauspiel, eine spannend in Szene gesetzte Lesung, ein durchaus unterhaltsamer, inspirierender, in mancher Hinsicht aber auch zwiespältiger Abend.
Halbfinalteilnahmen hat die DFB-Elf im Laufe der Jahre reichlich gesammelt. Ein Halbfinale bei einer WM zu erreichen galt vielen Fußballfans als Minimalziel. Und Halbfinals waren eigentlich immer ein Grund zum Feiern, auch wenn sie mal verloren gingen. Nach dem Halbfinale bei der WM 2006 philosophierte der Kölner Nationalspieler Lukas Podolski zerknirscht, aber durchaus fair über die gerade erlittene Niederlage gegen Italien: „So ist Fußball. Manchmal gewinnt der Bessere!“
Nach dem Halbfinale gegen Frankreich1982 waren sich die meisten darüber einig, dass in diesem denkwürdigen Match nicht der Bessere gewonnen hatte. Gegen elegant spielende offensivstarke Franzosen hatte sich eine willensstarke ruppige deutsche Mannschaft doch noch durchgesetzt, nachdem sie schon fast aussichtslos in der Verlängerung mit 1:3 zurückgelegen hatten. 3:3 hieß es nach 120 Minuten und im Elfmeterschießen hatten die deutschen Schützen schließlich die stärkeren Nerven, das größere Glück und einen Elfmetertöter zwischen den Pfosten, der zwei Buden verhinderte und in Deutschland zum Nationalhelden in diesem „Jahrhundertmatch“ verklärt wurde. Toni Schuhmacher, die Nr.1 im deutschen Team, war der Protagonist dieses Fußballdramas, aber nicht nur wegen seiner sportlichen Großtaten. In der 59. Minute flog ein langer Pass in Richtung deutsches Tor, der französische Stürmer Patrick Battiston jagte dem Ball nach, Schuhmacher raste wie ein Berserker aus seinem Gehäuse, um den Ball abzuwehren. Dabei traf seine Hüfte mit voller Wucht den Kopf des französischen Stürmers, der ging zu Boden, blieb bewusstlos liegen und wurde mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert. Ein brutales Foul, das absurderweise ungeahndet blieb.
Aus zahlreichen Interviews, Zeitungsberichten, Gesprächen und Aussagen von Beteiligten hat Michael Neukirchner seinen Text gefiltert, szenisch bearbeitet, angelegt in Dialogen und aufgeteilt auf die beteiligte Personen, Spieler, Trainer und Sportreporter. Alle verwendeten Sätze sind Originalzitate, chronologisch sortiert und geschickt montiert zu einer spannenden Erzählung, die beginnt mit dem Eintreffen der Mannschaften im Stadion, sich fortsetzt in der Schilderung der Geschehnisse auf dem Platz und endet mit den Reaktionen von Presse und Zuschauern nach dem Spiel.
Auf der Bühne des Schauspielhauses steht eine schmaler Tisch, darauf ein Wald von Mikrophonen wie auf einer Pressekonferenz. Darüber hoch aufgehängt ein runder riesiger Monitor, auf dem im Laufe des Abends immer wieder Fotos vom Geschehen eingeblendet werden, flankiert von zwei Scheinwerfer-Batterien, die an Flutlichtblocks erinnern. Der Schauspieler Peter Lohmeyer betritt die Bühne und beginnt ohne Verzögerung mit der Erzählung. Sehr gekonnt wechselt er von einer Rolle in die nächste, jeder Charakter bekommt eine eigene Farbe, eine eigene Sprache. Karl-Heinz Förster schwäbelt, Paul Breitner grantelt bayrisch, Pierre Littbarski überrascht mit einem schelmischen Kölsch, Platini und seinen Mitspielern verleiht er einen sympathischen französischen Akzent. Dabei überzieht er nie, sehr fein abgestimmt und dosiert serviert Lohmeyer eine Stimmenvielfalt, aus der auch immer wieder der damalige Sportreporter Rolf Kramer sehr unterhaltsam herausragt. Das ist alles wunderbar lebendig vorgetragen, formidable Schauspielkunst. Dann wird Toni Schuhmacher angekündigt, um eine persönliche Erklärung zu verlesen, eine endgültige Stellungnahme zu dem Fußballdrama, in dem er im Mittelpunkt stand. Er habe nicht gewusst, sagte er vor einiger Zeit, wie sehr Patrick Battiston noch 41 Jahre nach dem Foul an Spätfolgen leide. Und er reagierte durchaus betroffen: „Das höre ich zum ersten Mal. Das ist schlimm. Das tut mir sehr leid.“ Nun sitzt er dort auf der Bühne und sagt, wie sehr ihm das alles nahegegangen sei. Ja, das klingt alles ehrlich, sein Bedauern ist echt, seine Anteilnahme nicht aufgesetzt. Es ist ihm anzumerken, wie sehr er bemüht ist, die Dinge für sich und die Welt ins rechte Licht zu setzen. Mit Battiston habe er sich ausgesprochen, versichert er – und vielleicht wäre es gut gewesen, den Abend in dieser Nachdenklichkeit enden zu lassen.
Aber dann ist es ihm auf einmal doch wichtig zu betonen, dass er in einer ähnlichen Situation als Torwart wieder genauso reagieren würde. Denn damals wie heute sei es darum gegangen, für die Mannschaft zu arbeiten für das gemeinsam Ziel ggf. auch die eigene Gesundheit aufs Spiel zu setzen.
An diesem Punkt gerät der Abend ein wenig in Schieflage, denn plötzlich werden dann – Ende gut, alles gut – doch wieder die deutschen Fussballtugenden gefeiert, der Durchhaltewille, die eisenharte Disziplin, das Grasfressen für den Sieg, mit allen Mitteln. Alles andere heilt die Zeit, da wächst der Stadionrasen drüber oder um es noch einmal mit Lukas, dem Kicker-Philosophen zu sagen: „Fußball ist einfach: Rein das Ding – und ab nach Hause.“ Denn der Sport steht über allem.
Weniger die Sportlichkeit. Beinahe wären Schuhmacher, Rummenigge, Fischer und Co. nämlich gar nicht ins Halbfinale gekommen! Denn da gab es ja auch noch dieses andere „legendäre“ Spiel, als die Deutschen, die grottenschlecht in das Turnier gestartet waren, kurz vor dem Ausscheiden standen und nun gegen Österreich auf dem Rücken der kleinen Fußballnation Algerien mehr als 60 Minuten ein peinliches, höchst unsportliches Nichtangriffsgekicke zelebrierten, was den Kommentator des ORF so maßlos ärgerte, dass er die Zuschauer aufforderte, die Fernsehgeräte abzuschalten. Dieses Drama ging als „Schande von Gijon“ in die Geschichtsbücher ein und ist ganz sicher auch einen Theaterabend wert.