Chaos in der Stadt! – Hilfe. Mit so einer Schlagzeile kann man etwas auslösen. Wer nur sie liest, interpretiert – mit seinem eigenen Erfahrungshorizont. Dabei ist es immer gut, einer Sache – oder einer Schlagzeile – einen zweiten Blick zu gönnen. In diesem Fall ist das Chaos gewollt und geordnet inszeniert. „Chaos“ ist das Thema des fünften f² Fotofestivals in Dortmund, dessen Eröffnung am Donnerstag sympathisch chaotisch gestaltet wurde.
Nationale und internationale Künstlerinnen und Künstler, Studierende der verschiedenen Hochschulen aus Dortmund, Essen, Duisburg sowie der École nationale supérieure de la photographie Arles stellen ihre Werke unter verschiedenen Aspekten des Begriffs „Chaos“ an neun Orten in der Stadt aus.
Das Festival wird durch Kulturdezernent und Stadtkämmerer Jörg Stüdemann eröffnet, der in seinem letzten Jahr im Amt nun seine Auftritte wohl oder übel als Abschiedstournee begreifen muss. Jedenfalls wehrt er das Lob der Geschäftsführerin des Depot e. V., Claudia Schenk, für mehr als zwanzig Jahre des Wirkens in der Stadt erst einmal vehement gestisch ab, bevor er lieber mit einem Blick auf die „maskulinen … Selbstinszenierungen“ derzeit in der Welt und ihre chaotischen Anmutungen startet. Und einem Zitat eines berühmten Menschen, wie sich das für eine ordentliche Eröffnungsrede gehört. In diesem Fall Nietzsche: „Man muß noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.“
Oder, wie es ein Professor der beteiligten Hochschulen im Anschluss formuliert: Man könne das Chaos dystopisch lesen oder auch optimistisch.
Die vielen jungen Menschen in der großen Halle des Depots erscheinen überwiegend optimistisch, freuen sich über einen gelungenen Abend, verteilen sich locker in Grüppchen im ganzen Depot, lachen, tauschen sich aus, probieren aus – denn es gibt viel zu entdecken und mehr als „nur“ Fotos.

Zwei Ausstellungen des Festivals werden an diesem Abend mit eröffnet: zum einen „NEW DYNAMICS – Transforming Diversity“. Gleich am Anfang eine Spiegelinstallation, in der das Publikum sich unter verschiedenen Aspekten selbst sehen kann. Oder malerisch überarbeitete Fotografien auf Glas. Oder das Video „In the chase find your breath“ von Andrews Siaw Nubuor über Bewegung einer Stadt und Bewegung in einer Stadt auf einer Skateboardfahrt.
Es geht um das „Spannungsverhältnis von Chaos und Ordnung im Kontext von Migration und kultureller Identität“ in dieser Ausstellung. Migration zeigt sich zum Beispiel in Fotos aus dem überfüllten Flüchtlingslager auf Lesbos. Kulturelle Identität kann sich auch in „Pastagrammen“ ausdrücken (bei Fotogrammen werden Objekte direkt auf dem zu belichtenden Papier platziert – in diesem Fall also italienische Nudeln).
Die Szenografie, also die Inszenierung der Werke im Raum, in der Halle des Depots, haben Studierende der Universität Dortmund übernommen. Genutzt werden z. B. Bühnenelemente, die dann aber senkrecht platziert sind. Es hat etwas von Baustellencharakter und ist für den einen oder anderen gewöhnungsbedürftig, während manche es auch einfach toll finden.
Faszinierend für alle dagegen der riesige Tisch, an dem man sich seinen Ausstellungskatalog selbst zusammenbasteln kann – faszinierend allerdings eher wegen des herrschenden Chaos’, das noch dadurch verstärkt wird, dass ein Ventilator nicht nur die Luft verwirbelt, sondern auch die einzelnen losen Blätter. Kaum einer nimmt die Gelegenheit wahr, das Material zusammenzustellen. Die Versuche bleiben im Ansatz stecken. Dafür sieht man mehrere Menschen, die lieber dieses Chaos fotografieren – selbst ein etwa neunjähriges Mädchen, das sehr professionell den Haufen wehender Blätter vor die Linse nimmt. So schön das ist, ist es auch schade, dass man doch nichts Vernünftiges über die Werke zum Nachlesen mit nach Hause nehmen kann.
Strukturiert überlastet wird man dagegen mit Material zum Mitnehmen zu der zweiten Ausstellung. Hier nähern sich Studierende der Fachhochschule Dortmund und der École nationale supérieure de la photographie Arles in dreizehn verschiedenen fotografischen Positionen dem Thema „Chaos“. Und so gibt es auch dreizehn verschiedene, kunstvoll gestaltete Poster, gefaltet auf ein handliches quadratisches Format.
Mit dem Titel […] eröffnen sich für die Studierenden alle Möglichkeiten. Man erlebt noch bis Sonntag z. B. die dokumentarischen Fotos zu den „letzten Tagen der Jugend“ von Katharina Kemme, fotografische Umsetzungen durch Agnes Zimmermann von Wahrnehmungs- und Gefühlszuständen („Wonach schmeckt der Donnerstag?“) bis hin zu einer von Jens Erbeck mit KI generierten „Quantenfotografie“.
Insgesamt also ein überbordend gefülltes Fotofestival in der Stadt. Ein gewolltes Chaos, das Dortmund gut zu Gesicht steht und jede Menge Leben bringt. Sehr intensiv an dem Wochenende bis zum 15.06., aber verschiedene Ausstellungen sind auch in geordneter Ruhe noch eine Weile länger zu genießen. Deshalb ist ein Blick ins insgesamt kostenlose Programm unter https://f2-fotofestival.de sehr empfehlenswert.
So gut wie alles als Hilfe unter:
https://f2-fotofestival.de
im Depot, im Künstlerhaus, an der TU, im U, im Superraum, im Rekorder etc.