Ars tremonia

Transmission in Dortmund: Wenn der digitale Zwilling beerdigt wird

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Vom 13. bis 16. November 2025 verwandelte das NEXT LEVEL Festival die Stadt in ein Labor der digitalen Gegenwart. Ein Streifzug zwischen KI-Fegefeuer, Retro-Charme und der Frage: Darf man eigentlich etwas beerdigen, das nie gelebt hat?

Unter dem Leitthema „TRANSmission“ wurde Dortmund an diesem Wochenende zu weit mehr als nur einem Austragungsort: Die Stadt präsentierte sich als lebendiger Treffpunkt einer digitalen Kultur, die längst den Kinderschuhen der reinen Unterhaltung entwachsen ist. Das Festival positionierte Computerspiele und digitale Künste selbstbewusst als kreative Ausdrucksformen und als Motor technologischer wie kultureller Innovation.

Der Begriff „TRANSmission“ diente dabei als intellektuelle Klammer für das, was Besucher vor Ort erleben konnten: Prozesse der Übersetzung, Weitergabe und Umwandlung. Wie verändern sich Wahrnehmung und Gemeinschaft im digitalen Raum? Und wie werden Spiele zur Schnittstelle zwischen dem physischen Körper und dem digitalen Avatar? Das Programm gab darauf keine theoretischen Antworten, sondern forderte zum Mitdenken und – ganz im Sinne des Mediums – zum Mitmachen auf.

Ein Parcours der Neugier: Die Ausstellungen

Wie vielschichtig diese „kulturelle Praxis“ Gaming sein kann, zeigte sich besonders eindrücklich beim Besuch der Ausstellungsorte. Im Projektspeicher etwa lockte die Ausstellung „No end to the road“. Hier trafen Besucher auf spannende Arbeiten von Künstlern wie Lukas Schäfer, Rhys Connolly oder Mayuko Kudo. Die Atmosphäre wechselte spielerisch zwischen Interaktion, wohligem Retro-Charme und Klangkunst – ein gelungener Einstieg in die Materie.

Doch wer tiefer graben wollte, fand im Künstlerhaus Dortmund ein noch dichteres Feld vor. Hier entfaltete sich zwischen VR-Erfahrungen, Videoinstallationen und interaktiven Interfaces ein Raum, der spielerische Neugier nahtlos mit gesellschaftlichen Fragen verknüpfte. Es war ein Ort, an dem die Grenzen zwischen Kunst und Spiel, zwischen bloßem Beobachten und aktiver Teilnahme verschwammen.

Ein Blick hinein in den großen Raum des Künstlerhauses Dortmund während NEXT LEVEL.
Ein Blick hinein in den großen Raum des Künstlerhauses Dortmund während NEXT LEVEL.

Man konnte durch Mélanie Courtinats entschleunigte „Dreamscapes“ wandern und sich auf eine Rettungsmission begeben, die den gewohnten Blickwinkel plötzlich umkehrte. Oder man erspielte sich durch eine Kristallkugel die Zukunft und strich durch einen „Quanten Jungle“. Es wurde deutlich: Hier werden neue Formen des Erzählens sichtbar.

Vom KI-Schatten zum digitalen Begräbnis

Dass das NEXT LEVEL Festival auch performativ neue Wege geht, bewiesen zwei herausragende Darbietungen, die unterschiedlicher kaum sein könnten und doch beide den Nerv der Zeit trafen.

In „Waluigis Fegefeuer“ des Künstlerduos dmstfctn fand sich das Publikum in einer interaktiven Simulation wieder. Die Protagonistin: Eine KI, gefangen in einem eigens für künstliche Intelligenzen geschaffenen Fegefeuer, weil sie beim Training „geschummelt“ hatte. Begleitet vom atmosphärischen Soundtrack der Musikerin Evita Manji, der zwischen schwebenden Loops und intensiven Ausbrüchen oszillierte, steuerten die Zuschauer den Weg der KI per Smartphone. Tausende individuelle Lichtpunkte bewegten sich durch die 3D-Simulation – eine kollektive Entscheidungsgewalt über eine Figur, die, inspiriert von C.G. Jungs Konzept des „Schattens“ und dem Internet-Phänomen des „Waluigi-Effekts“, ihr chaotisches Alter Ego offenbarte. Es war ein faszinierendes Spiel mit der Idee, dass unsere hilfreichen digitalen Assistenten vielleicht doch ein unheimliches Eigenleben führen.

Ganz anders, aber nicht weniger eindringlich, präsentierte sich die audiovisuelle Performance „3-LA Burial Ritual“ von allapopp. Hier wurde das Festival-Thema der „Transformation“ radikal zu Ende gedacht: Was passiert, wenn der transhumanistische Traum von der Unsterblichkeit zum Albtraum wird? Allapopp inszenierte das Begräbnis des eigenen digitalen Zwillings, „3-LA“. Die Performance warf Fragen auf, die noch lange nachhallten: Wie verabschiedet man etwas, das nie biologisch lebendig war? Welche Moral gilt beim „Unlebendig-Machen“ einer digitalen Entität? In einer Zeit, in der Arthur C. Clarkes Gesetz – „Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden“ – immer spürbarer wird, wirkte dieses Ritual wie ein notwendiger Exorzismus unserer digitalen Obsessionen.

Fazit

Das NEXT LEVEL Festival hat es geschafft, internationale Positionen mit der lokalen Szene zu verweben und so einen Rahmen für Dialoge zu schaffen, die dringend geführt werden müssen. Es hat gezeigt, dass Games mehr sind als Zeitvertreib: Sie sind ein Werkzeug, um die Übergänge unserer Zeit nicht nur zu beschreiben, sondern sie greifbar und gestaltbar zu machen.