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Bier, Außerirdische und die Kassierer – ein Punk-Abend im Schauspielhaus

„Das Schlimmste ist, wenn das Bier alle ist“, lautet eines der bekanntesten Lieder der Kassierer aus Wattenscheid. Das Stück „Die Drei von der Punkstelle“ trägt den Song im Herzen, wobei genaugenommen das Bier nicht alle ist, sondern von einem Monopolisten zu einer Plörre verwandelt wird. Herzlich Willkommen zu einer musikalischen Punk-Operette, die Motive des bekannten Films „Die Drei von der Tankstelle“ von 1930 erkennen lässt. Wenn man den Film kennt und viel Fantasie hat.

Zur Geschichte: Der Sänger der Kassierer Wolfgang „Wölfi“ Wendland ist seit einem Jahr verschwunden, seine Bandkollegen, zu denen auch Schmuwe (Uwe Schmider) und Peggy (Andreas Beck) gehören, machen sich Sorgen. Um über die Runden zu kommen, haben sie dem schmierigen Konsul (Ekkehard Freye) den Song „Das schlimmste ist, wenn das Bier alle ist“ verkauft.Plötzlich taucht Wölfi wieder auf, er wurde von der Außerirdischen L.A.I.K.A. (Caroline Hanke) entführt und hat wieder den Kurs Richtung Erde genommen.

Als alle wieder vereint sind, hecken Wölfi, Schmuwe und Peggy den Plan aus, ihr eigenes Bier zu brauen. Natürlich bekommt der Konsul Wind davon und schickt seinen Schlagersüchtigen Sohn Jens-Guildo (Christian Freund), um die Sache zu klären. L.A.I.K.A. dagegen ist von dem Plan Wölfi zu entführen abgekommen und versucht, Schmuwe an sich zu binden und die Freundschaft der Drei von der Punkstelle zu sabotieren. Doch als L.A.I.K.A. dann Jens kennenlernt, verlieben sich beide ineinander. Somit wird irgendwie alles wieder gut. Alles verstanden?

Die Drei von der Punkstelle sehen so aus, als ob das Bier alle ist. (v.l.n.r.) Uwe Schmieder, Wolfgang Wendland und Andreas Beck. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Die Drei von der Punkstelle sehen so aus, als ob das Bier alle ist. (v.l.n.r.) Uwe Schmieder, Wolfgang Wendland und Andreas Beck. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Egal, denn manche Besucher wollten sowieso nur die Musik der Kassierer hören und so litt das Stück an dem Dilemma, dass es anscheinend für die Hardcore-Fraktion zu viel Text gab, was sie mit lauten Zwischenrufen und Zwischengesängen quittierte. Diejenigen, die sich auf eine Art Parodie des Films eingestellt hatten, waren vielleicht etwas enttäuscht, dass es wenig Handlung gab. Vor sechs Jahren bei „Häuptling Abendwind“ war das Verhältnis Musik und Handlung noch in Ordnung. Auch hier hatte Wolfgang Wendland eine tragende Rolle. Dennoch, die Besucher konnten einiges über das Brauen von Bier lernen, es war quasi eine Operette für Craft-Bier.

Wer seine bildungsbürgerliche Attitüde zu Hause lässt, wird 90 Minuten seinen Spaß haben. Denn die Musik fetzt, Andreas Beck spielt einen herrlich ökigen Hippie, der an den „Martin“ von Dieter Krebs erinnert, Carolin Hanke zeigt mit ihrer L.A.I.K.A., wie man einen Sangeswettstreit mit Wölfi gewinnt, Christian Freund lässt Jens-Guildo als fleischgewordene 70er-Jahre Schlagerikone auferstehen und Ekkehard Freye spielt den bösen Biermagnat mit wahrer Freude.

Also das Motto heißt: Zurücklehnen, Musik genießen, Bier nicht vergessen und nicht so viel Nachdenken. Ein Extra-Lob gibt, es als L.A.I.K.A. am Ende noch die Bühne mit grünen „Tribbles“ (bekannt aus der alten Raumschiff Enterprise Serie mit Captain Kirk) flutete.

Mehr Infos und weitere Termine unter: https://www.theaterdo.de/detail/event/20843/

Nestroy im Punkhimmel

Das große Fressen kann beginnen: (links) Häuptling Abendwind (Uwe Rohbeck) neben seinem Kollegen Häuptling Biberhahn (Uwe Schmieder). Foto: © Birgit Hupfeld
Das große Fressen kann beginnen: (links) Häuptling Abendwind (Uwe Rohbeck) neben seinem Kollegen Häuptling Biberhahn (Uwe Schmieder). Foto: © Birgit Hupfeld
Die erste Punk-Operette verwandelte Johann Nestroys „Häuptling Abendwind“ in eine Mischung aus Punk-Konzert und Theater-Posse. Regisseur Andreas Beck kombinierte die Musik der Ruhrpott-Punkband „Die Kassierer“ mit Johann Nestroys aktualisiertem Text zu einer derben, groben, politisch unkorrekten Melange. Ein Premierenbericht vom 24. Januar 2015.

Eine skurrile Geschichte: Häuptling Abendwind erwartet seinen Amtskollegen Häuptling Biberhahn zu einer Konferenz. Leider ist die Speisekammer völlig leer, noch nicht mal einen Gefangenen gibt es. Praktisch, dass ausgerechnet jetzt ein Schiffs-brüchiger namens Arthur auf die Insel kommt. Dumm nur, dass sich Häuptlingstochter Atala in Arthur verliebt. Welches Schicksal steht Arthur bevor? Kotelett oder Koitus? Arthur kann den Koch bestechen und an seiner Stelle wird das „Orakel“ (aus dem Film „Das Ding aus dem Sumpf“ nachempfunden) gegessen. Was hatte Arthur angeboten? Er hat ein ganz bestimmtes Körperteil des Kochs frisiert.

Nestroys Posse aus der Mitte des 19. Jahrhunderts enthält natürlich versteckte Kritik an der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts und am immer stärker werdenden Kolonialismus der Großmächte, die die Welt unter sich aufgeteilt hatten, auch mit der Begründung die Zivilisation zu den „Wilden“ bringen zu wollen. Für Andreas Beck sind die „Wilden“ Relikte, die sich in einer Gesellschaft der „politisch Korrekten“ ziemlich verloren vorkommen. Und was wollen echte „Wilde“? Fleisch essen, rauchen, Sex. So brandete Applaus als Wolfgang Wendland, der Sänger der „Kassierer“ als Koch „Ho Se“, mit einer Gemüsekiste auf die Bühne kam und Häuptling Abendwind (Uwe Rohbeck) mitteilen musste: „Es ist nichts essbares dabei. Ähnlich wie beim Buchtitel von Heinz Strunk „Fleisch ist mein Gemüse“ heißt es bei Nestroy „Mein Obstgarten ist die Fleischbank“.Doch hatte das Wildsein auch seine Schattenseiten, denn im Männergespräch der beiden Häuptlinge war klar, dass die beiden sich von den Fremden bedroht fühlen. „Nachher bringen sie noch ihre Leitkultur mit“, ängstigt sich Biberhahn. Und so klangen die Ängste der beiden Häuptlinge vor dem Neuen wie auf einer Versammlung von Pegida-Anhängern.

Zu einer Operette gehört Musik. Ursprünglich kam sie von Offenbach, hier von den „Kassierern“. Der Originaltext von Nistroy wurde ein wenig modernisiert oder „upgedated“, dass er manchmal als Stichwortlieferant für das nächste Lied der „Kassierer“ diente. Wurde plötzlich über „Blumenkohl“ geredet, stimmte die Band das Lied „Blumenkohl am Pillemann“ an. Klar, nach der Szene mit der Gemüsekiste, musste „Vegane Pampe“ kommen. Daneben wurden einige Lieder von Nestroy musikalisch neu bearbeitet. Die „Kassierer“ schrieben für das Stück extra noch neue Lieder wie „Ich bin so gerne Menschenfresser“.

Während bei einer klassischen Oper oder Operette die Musiker im Orchestergraben verschwinden, waren die „Kassierer“ prominent in der Mitte der Bühne zu sehen. Dadurch wirkte es wie ein Live-Konzert. Ich persönlich hätte es besser gefunden, wenn wie in anderen Produktion die Band mehr an die Seite positioniert worden wäre.

Kommen wir zur Bühne: Aus Sorge, dass das Bier tatsächlich alle ist, hat Bühnenbildner Sven Hansen eine Art „Bier-Galerie“ wie in Leuchtschrift rechts an der Bühne zu lesen war, kreiert. Daraus konnten die Schauspieler flugs eine Band oder einen Thron basteln.

Uwe Rohbeck spielte einen Häuptling Abendwind im Lumpen-Look, der als alleinerziehender Vater Probleme mit der Erziehung seiner 16-jährigen Tochter Atala hatte. Schreckhaft und nachgebend (Beinahme „der Sanfte“) fügte er sich ins Schicksal. Ein ganz anderes Kaliber war Häuptling Biberhahn. Uwe Schmieder spielte ihn mit Honecker-Brille und Frisur. Eins konnte beide Häuptlinge aber exzellent: Fressen. Und wer braucht schon Messer und Gabel? Sicher nur so eine Erfindung der „zivilisierten Fremden“. Das orgiastische Mahl war eines der Höhepunkte.

Arthur , der verloren geglaubter Sohn von Häuptling Biberhahn, hatte eine ziemliche Ähnlichkeit mit Johnny Rotten, dem Sänger der Sex Pistols. Zumindest von der Frisur her, was auch passte, denn Arthur ist Friseur von Beruf. Gespielt wurde er von Ekkehard Freye, der einen schön affektierten Arthur auf die Bühne brachte.

Wolfgang Wendland hatte eine Doppelrolle als realer Sänger der „Kassierer“ und fiktiver Koch „Ho Se“. Beides schaffte er mit seiner typischen Art: irgendwie teilnahmslos, aber immer da, wenn man ihn rief.

Julia Schubert hatte den schwierigsten Part an diesem Abend: Sie war als „Atala“ die einzige Frau in dem Stück. Sie nutzte ihre Möglichkeiten perfekt aus. Sie präsentierte Atala als Feministin (das Schlimmste ist, wenn die Frau alle ist“) und Vegetarierin, die in dieser Männerwelt natürlich auf verlorenem Posten stand.

Das Stück ist definitiv nicht für jeden Besucher. Wer es zart, fein-geistig und geschliffen mag, der sollte einen großen Bogen machen. Denn beispielsweise waren die Decken in den ersten Reihen nicht wegen der Kälte da, sondern weil Teile des Festmahls durchaus den Bereich der Bühne verlassen können.

Wer aber mal richtig Spaß haben, wer zum öffnen einer Bierflasche keinen Flaschenöffner braucht, wer eine Currywurst lieber hat als eine „vegane Pampe“ und wer Punk liebt und lebt, sollte eine Audienz bei Häuptling Abendwind buchen.

Weitere Termine:
SA, 31. JANUAR 2015
DO, 12. FEBRUAR 2015
SA, 21. FEBRUAR 2015
FR, 06. MÄRZ 2015
SO, 29. MÄRZ 2015
FR, 10. APRIL 2015
SO, 26. APRIL 2015
SA, 09. MAI 2015
SO, 24. MAI 2015