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Reflexion über Vergänglichkeit und die Schönheit des Moments

Hier trägt der Engel Schwarz: (v.l.n.r.) Frank Genser, Marcel Schaar (Fotograf), Uwe Schmieder, Julia Schubert, Ensemble- (Foto: ©Birgit Hupfeld)

Kann man einen Augenblick für die Ewigkeit festhalten? Diese Frage spielt nicht nur in Goethes Faust beim Packt mit dem Teufel (Mephisto) eine große Rolle. Die Fotografie versucht schon länger, besondere Momente des Lebens für die Zukunft einzufangen. Einerseits kann der Betrachter sich so vergangene Augenblicke wieder in das Gedächtnis rufen, führen uns aber auch die Vergänglichkeit unseres Lebens und die Relativität von Raum und Zeit vor Augen.

Schauspielintendant Kay Voges, drei Dramaturgen und sein gesamtes Ensemble haben zusammen mit dem Kunstfotografen Marcel Schaar versucht, sich der Thematik durch die Verbindung von Fotografie und Theater zu nähern. Am Samstag, den 11.02.02017 hatte im Megastore das Theater-Abenteuer „hell / ein Augenblick“ Premiere.

Wohl einmalig in der Theatergeschichte lichtet ein Fotograf während der Vorstellung live auf der dunklen Bühne ein Motiv ab, das dann direkt in den Zuschauerraum projiziert wird. Helligkeit und Dunkelheit tauschen ihre Plätze. Die Bühne wird zu einer Dunkelkammer, die nur ab und zu durch das Blitzlicht des Fotografen für eine 1/50 Sekunden durchzuckt. Insgesamt etwa 100 mal am Abend.

Zur Erläuterung: Auf der Bühne stehen an den Seiten zwei große Leinwände und zwei Minni-Flutlichtanlagen. In der Mitte befindet sich im Hintergrund eine Art weiße „Magic-Box“ ,wo der Fotograf als „Meister des Augenblicks“ Schauspieler in speziellen Momenten ablichtet. Diese werden als schwarz-weiß Bilder auf die großen Leinwände projiziert. Diese Reduktion verlangt von den Schauspieler/innen viel Mut, denn sie sind es normalerweise gewohnt, ihre Körper deutlich sichtbar dem Publikum zu präsentieren. Die entstehenden Bilder sind berührend ehrlich und zeigen die kleinste Poren im Gesicht und Körper.

Alles fließt, alles steuert der Blitz“ ,sagt Heraklit. So beginnt der Abend mit einer philosophische Abhandlung aus dem „Baum des Lebens“ (Rabbi Isaak, Luria, um 1590) erzählt von Friederike Tiefenbacher.. Es geht darin um die Themen Leben und Licht, Raum und Zeit. Die Schauspieler/innen befinden sich sowohl auf der Bühne und in der „Magic- Box“, wo sie abgelichtet werden. Die Bilder auf der Großleinwand werden von den Schauspielern mit passenden philosophische Texte von Arthur Schopenhauer, Nietzsche, Bertand Russel, Charles Bukowski, Rainald Götz und andere begleitet. Das verstärkte die Wirkung der Bilder.

Als typisch für das, was viele Menschen empfinden, wenn sie fotografiert wurden denken, steht Uwe Schmieder, abgelichtet mit einem Schild „You see me“. Erschrocken ruft er in die Dunkelheit: „Das bin ich nicht, das bin doch nicht ich!“ Andere hingegen finden sich fotogener und rufen: „Das bin ich. So sehe ich aus.“

Es entstehen schöne Bilder von Zuneigung und Liebe, aber auch viele ernste, nachdenklich machende eindrucksvolle Bilder von Vergänglichkeit.

Für das sinnliche Erleben war der sensible begleitende Soundtrack von Tommy Finke und die Musik von Mahler bis Brian Molko/Placebo von großer Bedeutung.

Es war ein meditativer,archaischer Abend mit Nachwirkung. Wenn es um sich nicht erinnern können, Tod und Vergänglichkeit geht, ist das keine leichte komödiantische Kost. Das der Tod nicht gerne gesehen ist, zeigen die Text von Christoph Schlingsensief oder Robert Gernhardt aus dem Jahr 1997. Gernhardts Gedicht „So“ besagt, dass der Mensch in keinem Monat gerne sterben will. Er will immer wieder neue Moment generieren, um sie fest zu halten.

Die Demokratie auf wackeligem Fundament

Kaum gewählt wird der Abgeordnete (Sebastian Kuschmann) von der Basis (Dortmunder Sprechchor) in die Mangel genommen. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Kaum gewählt wird der Abgeordnete (Sebastian Kuschmann) von der Basis (Dortmunder Sprechchor) in die Mangel genommen. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Die Französische Revolution ist die Geburtsstunde des modernen Europas. Das Bürgertum emanzipiert sich gegenüber dem Adel und wird endgültig politische Kraft. Die Ideale „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ verbreiten sich über ganz Europa. Den ersten Schritt zur Revolution machten die Generalstände, die sich 1789 zur Nationalversammlung erklärten, mit dem Ziel Frankreich eine Verfassung zu geben. Mit dem Erwachen des Volkes erwachte auch der Volkszorn. In „Triumph der Freiheit #1“ nach dem ausgezeichneten Theaterstück „Ça ira (1) Fin de Louis (La Revolution #1)“ von Joel Pommerat geht es um die ersten Schritte der bürgerlichen Gesellschaft im Kampf um politische Macht. Ein Premierenbericht vom 16. September 2016.

Dass das Stück von Pommerat 2015 viele Preise in Frankreich abgeräumt hat, ist wahrscheinlich der Tatsache geschuldet, dass die Französische Revolution in den Genen der Franzosen verankert ist. Bei uns hier ist das eher ein Thema im Geschichtsunterricht. Je nach Aufmerksamkeit erinnert man sich noch an Namen wie Robespierre oder Danton und die Guillotine. Doch wie hat alles angefangen? Regisseur Ed. Hauswirth und Dramaturg Alexander Kerlin zeigen in ihrer Bearbeitung einen kleinen Politkrimi mit Intrigen, Finten und einem König, der vom Schachspieler zur Schachfigur mutiert. In der Inszenierung steht dabei nicht die historische Exaktheit im Mittelpunkt, sondern die Referenzen auf die Jetztzeit. Und davon gibt es mehr als uns lieb sein kann.

Bereits der Beginn ist hochaktuell: Frankreich ist 1789 so gut wie pleite. Staatsbankrott droht. Der Premierminister (gespielt von Andreas Beck) hat einen revolutionären Plan: Alle sollen sich gleichermaßen an den Staatsfinanzen beteiligen. Das kommt bei den privilegierten Ständen von Klerus und Adel gar nicht gut an. Eine Reichensteuer? Unvorstellbar! Daher verlangt der Adel die Einberufung des Generalstände, die seit über 150 Jahren nicht mehr getagt haben. Die einzelnen Stände sollen fein säuberlich getrennt tagen. Schnell ist den Abgeordneten des dritten Standes (Bürgertum) klar, dass sie nur Staffage sind und keinerlei politische Macht bekommen sollen. Die Unzufriedenheit wächst. Aus die Versammlung der Generalstände wird zur Nationalversammlung erklärt. Auf der Seite des Königs wie auch auf der Seite des Volkes wächst die Radikalität.

Ein Historienstoff im modernen Kostüm. Auch wenn das barocke Element in Kleidung oder Haartracht aufgenommen wurde, es wurde oft mit Ereignissen aus der Jetztzeit kombiniert. Der König (Uwe Rohbeck) wird per Videokonferenz zugeschaltet, bei der Berichterstattung über die Pariser Krawalle läuft ein Nachrichtenticker wie bei N24, die Ansprache des Königs auf dem Smartphone ist eine Reminiszenz auf eine ähnliches Ereignis nach dem Putsch in der Türkei.

Doch im Mittelpunkt des Stückes stehen die Diskussionen bei den Vertretern des Dritten Standes. Schon bald macht sich eine Radikalisierung und Aufspaltung in verschiedene Fraktionen breit, deren Gräben immer tiefer werden. Lefranc (Marlena Keil), ist eine radikale Politikerin, die die

Unzufriedenheit des Volkes schürt und mit geheimen Todeslisten arbeitet. Dem Vertreter Carray (Sebastian Kuschmann) wird Verrat an den Zielen des Volkes vorgeworfen. Er bekommt, auch eine kleine Anspielung, eine Torte ins Gesicht. Der Kampf zwischen Gemäßigten wie Gigart (Uwe Schmieder) und Boberlé (Caroline Hanke) und den radikalen Vertretern verläuft nicht immer starr. Es gibt Koalitionen und Zerwüfnisse je nach Entwicklung der Ereignisse.

Ein weiteres Thema in dem Stück spielt die Flüchtlingsproblematik. Hier sind sie keine Bootsflüchtlinge, sondern ausländische Soldaten, die für die Staatsmacht das aufständische Volk bekämpfen. Die Aufstände werden unter dem bekannten Schlachtruf „Wir sind das Volk“ begleitet. Hier verliert die junge Demokratiebewegung auch ihre Unschuld, indem sie gefangene Soldaten töten lässt.

Ein gelungenes Element im Stück war die Bühne. Sie stand in der Mitte des Raumes und war wie eine riesige rechteckige Wippe. Auf großen Federn gelegen zeigte sie die Fragilität der Demokratiebewegung, der Schritt ließ die Bühne in eine andere Richtung kippen.

Die Schauspieler inklusive des Dortmunder Sprechchors zeigten eine sehr kompakte Vorstellung. Herauszuheben ist Uwe Rohbeck als König, der vom mutmaßlichen Entscheider zum Getriebenen wird und trotz des Mantras „Wir schaffen das schon“ am Ende allein da steht. Ein bitteres Bild zum Schluss, als sich alle Figuren von ihm wegdrehen.

„Triumph der Freiheit“ ist mit Sicherheit mehr politisches Theater als historisches. Historische Genauigkeit stand nicht im Zentrum des Stückes, sondern die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und die haben manchmal erschreckende Parallelen zum Heute. Es lohnt sich, dieses Stück anzusehen, denn es wird nicht nur gezeigt, was passiert, wenn die Büchse der Pandora (Volkszorn) geöffnet wird, sondern auch wie Politik in den Hinterzimmern funktioniert.

Weitere Infos unter www.theaterdo.de

Die Reise zum Sehnsuchtsort

Endstation Sehnsucht für Wenja (Uwe Rohbeck)?! (Foto: © Birgit Hupfeld)
Endstation Sehnsucht für Wenja (Uwe Rohbeck)?! (Foto: © Birgit Hupfeld)

Moskau-Petuschki. eigentlich eine Reise von zwei Stunden mit der Bahn, doch für den Säufer Wenedikt (Wenja) Jerofejew wird es keine einfache Tour. Das Buch des gleichnamigen Autors wurde in der Fassung von Stephen Mulrine von Regisseurin Katrin Lindner als ein-Personen-Stück konzipiert. „Die Reise nach Petuschki“ hatte am 16. Januar 2016 im Studio Premiere und bot einen Uwe Rohbeck in Höchstform.

Die Geschichte in Kürze: Wenja besteigt am Kursker Bahnhof den Zug Richtung Petuschki. Auf der Fahrt hat er skurrile Erlebnisse.

Das Buch von Jerofejew wird mit „der hochprozentigsten Sauftour der Weltliteratur“ beworben. Doch wer denkt, dass sei eine Art Erlebnisbericht vom feucht-fröhlichen Samba-Zug, der irrt. Denn unterm Strich ist das Buch tieftraurig. Es handelt nämlich vom Scheitern und letztlich dem Tod des Trinkers Wenja. Alles, was im Buch passiert, ist das Ergebnis des Deliriums der Hauptperson. Damit ist Wenja einer anderen Hauptfigur nicht unähnlich, dem Trinker Andreas aus „Die Legende des heiligen Trinkers“ von Joseph Roth. Ähnlich wie Andreas hat auch Wenja eine Sehnsucht. Wenja will nach Petuschki, wo seine Freundin und sein Sohn auf ihn warten. Auch hat der belesene Autor Jorofejew einige religiöse Bezüge in sein Werk eingebaut.

Regisseurin Lindner konzentriert sich hauptsächlich auf die Figur des Wenja. Die systemkritischen Bezüge auf das Sojwetsystem fallen fast komplett raus. Auch die Bühne ist karg. Eine kleine Bank und ein großes Plakat des sowjetischen Tourismusministeriums für den Oblast Wladimir, in dem Petuschki liegt. Das reicht.

Uwe Rohbeck macht einen sehr guten Job als Wenja. Es gibt kein Herumtorkeln, kein Gelalle, überhaupt wird in dem Stück nur einmal kurz getrunken. Zwar gibt es durch die surrealen Erinnerungen von Wenja einige Lacher, aber das Stück bleibt tiefernst. Dazu kommt, dass Rohbeck ein Meister im Darstellen von Außenseitern ist. Das hat er vor allem in den Produktionen mit Jörg Buttgereit („Der Elefantenmensch“ oder „Kannibale und Liebe“) unter Beweis gestellt. Auch Wenja spielt Rohbeck mit Würde und Stolz. Für diese besondere Zugfahrt sollte man auf jeden Fall eine Fahrkarte kaufen.

Mehr Informationen finden Sie unter www.theaterdo.de

Für alle, die wissen möchten, wie es so in Petuschki aussieht, hier ein Bild von Google Streetmap: In der Nähe des Bahnhofs von Petuschki

 

Pazuzu was here

Tja, wo ist das Buch "Exorzismus für Dummies" wenn man es mal braucht? (v.l.n.r.) Björn Gabriel, Sarah Sandeh und Ekkehard Freye. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Tja, wo ist das Buch „Exorzismus für Dummies“ wenn man es mal braucht? (v.l.n.r.) Björn Gabriel, Sarah Sandeh und Ekkehard Freye. (Foto: © Birgit Hupfeld)

„Besessen“ ist eindeutig zweideutig. In dem Stück von Jörg Buttgereit geht es nicht nur um den Film „Der Exorzist“, sondern auch um die Besessenheit nach allem, was mit Horrorfilmen zu tun hat. So ist Hauptperson Gerd Friedekind wahrscheinlich nicht nur eine Anspielung an den Exorzist-Regisseur William Friedkin, sondern ist auch sicherlich autobiografisch gefärbt. Ein Premierenbericht.

Ob wohl so die erste eigene Bude von Jörg Buttgereit aussah? Kaum Möbel, aber dafür einen großen Schrank mit Videokassetten von allerlei Horrorfilmen samt Kuriositäten und Relikten wie Kurzfassungen auf Super8 oder seltene Filmplakate. Eben, was so ein Horrorfilm-Nerd so braucht. Natürlich auch einen Kühlschrank mit Bier und einen Freund, der das Abendessen (Pizza, was sonst!) mitbringt. Den Horrorfilm-Freak Gerd Friedekind spielt Ekkehard Freye mit ungewohnter Langhaarperücke, seinen Freund Marian Karras Björn Gabriel. Fans vom „Exorzisten“ haben es sicher erkannt: Marian Karras ist die Verknüpfung von Lankaster Merrin und Damian Karras, die beiden Priester, die den Exorzismus durchführen.

„Besessen“ ist nicht nur eine Hommage an den „Exorzist“, sondern im Laufe des Stückes tauchen weitere Anspielungen an Horrorfilme auf wie „Rosemarys Baby“, „Wiege des Bösen“, „Angel Heart“ oder Cronenbergs „Videodrome“. Aber echte Fans werden sicher noch viele weitere Anspielungen gefunden haben.

Das ist auch der Knackpzunkt an Buttgereits Stück. Stellten seine vorherigen Produktion wie „Kannibale und Liebe“ oder „Elefantenmensch“ das sogenannte Monster in den Mittelpunkt oder sind eine Hommage an Horrorfilmtraditionen wie bei „Nosferatu lebt“, feiert in „Besessen“ die Horrofilmkultur sich selbst. Wer kaum oder kein Interesse an Horrorfilmen hat, wird eher irritiert sein.

Doch für Freunde des Genres ist „Besessen“ ein Riesenspaß. Das liegt neben Gabriel und Freye auch an den Gast Sarah Sandeh als „Linda“ und natürlich an Uwe Rohbeck. Kein Buttgereit in Dortmund ohne Rohbeck und „Besessen“ macht keine Ausnahme. Rohbeck spielt das „Böse“ wie Robert De Niro „Louis Cyphre“ in „Angel Heart“. Auch die berühmte „Ei-Pell-Szene“ aus dem Film wird zitiert. Auch Sandeh gibt in ihrer Rolle der Besessenen (und weiterer Horrorfilmfiguren) alles.

Der Hauptteil der Handlung wirkt surreal: Plötzlich entsteigt aus dem Fernseher „Linda“ (ist das nicht eigentlich ein Markenzeichen von japanischen Horrorfilmen wie beispielsweise „The Grudge“?) und schon sind wir in einer Welt zwischen Realität und Fiktion. Im Laufe von Lindas Besessenheit mit dem Dämon Pazuzu vermengen sich „Der Exorzist“ mit „Rosemarys Baby“ und „Die Wiege des Bösen“. Es wird also auch etwas kunstblutig. Ein Höhepunkt ist auf alle Fälle der Auftritt von Uwe Rohbeck als „Das Böse“, der Heiner Müllers „Engel der Verzweiflung“ aus der Hamletmaschine rezitiert.

Klarer Fall: Wer Fan von Horrorfilmen ist, insbesondere die der 70er Jahre, sollte auf jeden Fall der Bude von Gerd Friedekind einen Besuch abstatten. Wer mit dem Horrorgenre überhaupt nichts anzufangen weiß und eventuell religiös empfindlich ist, sucht sich besser ein anderes Stück aus. Alle anderen erleben vier Schauspieler in Hochform.

Weitere Termine unter www.theaterdo.de.

 

Wetten, dass Ihnen das Lachen im Hals stecken bleibt

Bodo Aschenbach (Frank Genser) begrüßt den Kandidaten Bernhard Lotz (Sebastian Kuschmann). (Foto: © Birgit Hupfeld)
Bodo Aschenbach (Frank Genser) begrüßt den Kandidaten Bernhard Lotz (Sebastian Kuschmann). (Foto: © Birgit Hupfeld)

Ausgerechnet am Sonntag, den 23. August 2015 um 19:30 Uhr fand sie statt – die große Wiedergeburt der Samstagabendshow. Die Premiere der „Die Show“ (ja, englisch ausgesprochen!) zeigte, warum es sich lohnt ins Dortmunder Schauspiel zu gehen. Knapp drei Stunden witzige, gefühlvolle, musikalische, verrückte, technisch anspruchsvolle, zynische Unterhaltung. „Die Show“ ist einfach kultverdächtig.

Ok, 2.000 Bewerbungen, um als Kandidat in der nächsten Staffel der „Die Show“ mit zuspielen, wird das Theater Dortmund wohl nicht bekommen. Anders als das Vorbild „Die Millionenshow“ von Wolfgang Menge, die 1970 ausgestrahlt wurde. Dafür war die „Die Show“ doch ein bisschen zu deutlich als Mediensatire erkennbar.

Wie beim „Millionenspiel“ geht es bei der „Die Show“ darum, dass ein Kandidat mehrere Prüfungen zu überstehen hat, bis er eine Millionen Euro erhält. Dabei wird er von drei Leuten alias dem „Kommando“ verfolgt, die am sechsten Tag, der Live-Ausstrahlung der Sendung, sogar die Lizenz zum Töten haben. Lotz muss die ganze Zeit unbewaffnet bleiben.

Hinein also ins Schauspielhaus Dortmund, das sich für die „Die Show“ zum Fernsehstudio wandelt. Was gehört natürlich zu Beginn einer jeden Live-Show? Der Anheizer oder auch „Warm-Upper“ genannt. Carlos Lobo spielte ihn mit einer wahren Freude. Dabei halfen natürlich auch die Fußballergebnisse vom Nachmittag und mit dem BVB als Tabellenführer ging das Klatschen viel leichter.

Das Gewerke des Theaters hatten ganze Arbeit geleistet und zauberten eine beeindruckende Showtreppe im knallen Rot hin, während in der rechten Ecke die Sitzgelegenheiten und sehr aparte Tische (ein Hingucker!) für die Moderation und deren Gäste vorhanden war. Links war die Rezeption und darüber spielte die Band. Aber zur Musik kommen wir später.

Neben dem Kandidaten Bernhard Lotz (Sebastian Kuschmann) ist in einer Fernsehshow natürlich der Moderator das wichtigste Element. Es würde nicht verwundern, wenn für eine eventuelle Neuauflage von „Wetten, dass…“ Frank Genser ins Gespräch gebracht würde, denn seine Darstellung als Moderator Bodo Aschenbach war umwerfend. Ähnlich wie bei den großen Moderatorenvorbildern ist Aschenbach ein König der belanglosen Überleitungen, die von einer Sekunde zu anderen von einem tragischen Beitrag zu einem musikalischen Gast überleiten können. „Wer vor dem Fernseher sitzt, kann jedenfalls nicht gleichzeitig foltern“, kommentiert er eine Szene, in der Kandidat Lotz Schmerzen zugefügt werden. Kuschmann war als gepeinigter Gejagter ziemlich beeindruckend, vor allem gegen Ende, als er völlig verzweifelt war.

Aschenbach wurde Assistentin Ulla zur Seite gestellt, eine Mischung zwischen Sylvie van der Vaart und Michelle Hunzinger. Julia Schubert, mit roter Perücke und holländischem Akzent, spielte ebenfalls großartig. Immer zwischen geheuchelter Anteilnahme und trockenem Zynismus.

Im Mittelpunkt stand natürlich der Kandidat Bernhard Lotz. Dabei hatte Sebastian Kuschmann die meiste Arbeit bereits im Vorfeld hinter sich gebracht, denn die fünf Aufgaben, die Lotz in den Tagen davor absolviert hatte, wurden als Einspieler gezeigt. Erst gegen Ende der Show kam Lotz live auf die Bühne, um die letzte Aufgabe „Silver Bullet“ zu absolvieren, da er sich leider bewaffnet hatte, um gegen das „Kommando“ zu bestehen.

Zu einer Live-Show gehört auch Musik. Die stammt vom neuen musikalischen Leiter des Schauspielhauses, Tommy Finke, der mit seinen Mitstreitern nicht nur die Studioband „Tommy Love and the Smilers“ bildete, sondern auch die Musik für die Stargäste schrieb.

Zu den Stargästen gehörte die umjubelte „Baeby Bengg“, eine J-Pop-Sängerin im Mangastyle und die an Klaus Nomi erinnernde „Brit Bo“. Beide wurden von Eva Verena Müller gesungen. Ein großen Auftritt hatte auch Sebastian Graf als „Johannes Rust“, dem ehemalige DSDS-Sieger und jetzigen Musicalstar, der mit seinem Jesus-Musical Erfolg hat. Der kleine Seitenhieb geht an Alexander Klaws, der in Dortmund ja den Jesus in „Jesus Christ Superstar“ singt.
Bettina Lieder sang den Anastacia-Klon „Slyvia Saint-Nicolas“ ebenso gekonnt wie Julia Schubert einen Song der Assistentin Ulla. Zum Schluß brachte Schubert als Lotzes Freundin „Cindy“ auch eine schräge Sarah-Conner-mäßige Version der deutschen Nationalhymne.

Für diese Produktion haben sich alle im Schauspielhaus sehr ins Zeug gelegt. Das ganze Ensemble war zumindest in kleineren Rollen zu sehen. Köstlich war Ekkehard Freye als Dortmunder Oberbürgermeister, der vor dem Rathaus eine Rede zum Tod der BVB-Hoffnung „Ricardo Gomez de la Hoz“ hielt. De la Hoz (Peer Oscar Musinowski) war als Kollateralschaden vom „Kommando“ erschossen worden. Das Kommando bestand aus Andreas Beck, der den ehemaligen Hells-Angel Bruno Hübner spielte, Bettina Lieder als russische Killerin Natascha Linovskaya und Björn Gabriel, der den leicht irren Howie Bozinsky verkörperte. Sehr schräg war auch Uwe Schmieder als Elisabeth Lotz, die Mutter vom Kandidaten Bernhard.

Die „Die Show“ hat neben ihrer klaren Medienkritik an den Formaten wie „Dschungelcamp“, „Big Brother“ und andere auch eine aktuelle Komponente. Denn Flüchtlinge aus Syrien oder Afrika müssen auch mehrere „Prüfungen“ absolvieren, um letztendlich an ihr Ziel zu gelangen. „Endlich mal ein Flüchtling, zu dem man halten kann“ oder „Dem geht es doch nur ums Geld“ waren die (fiktiven) Zuschauerkommentare zur Situation von Lotz.
Aufs Korn genommen wurde auch die unsäglichen Charity-Aktionen von Prominenten und die deutsche Tierliebe. Als Lotz bei einem Spiel von Hunden gejagt wird und die Tiere verletzt, ist natürlich die Empörung groß. Wegen der Hunde, nicht wegen Lotz.
Kritiker der Sendung werden auch nicht einfach vom Saalschutz abgeführt. Das gibt es bei Moderator Aschenbach nicht, er lässt – wie damals Gottschalk – den Kritiker zu Wort kommen. Oder besser: er lullt ihn mit seinem Geschwafel ein, bis er geht.

Die drei Stunden vergingen fast wie im Flug. Das ist ein großes Verdienst aller Beteiligten und vor allem von Regisseur Kay Voges. Schließlich überzog „Wetten, dass“ auch regelmäßig. Um alle kleinen Feinheiten zu erkennen, sollte man öfter in die „die Show“ gehen. Es lohnt sich vor allem wegen den guten Schauspielern und der tollen Musik. Ein unterhaltsamer, aber auch nachdenklicher Abend. „Die Show“ hat die Messlatte für diese Saison schon ziemlich hoch gesetzt.

Die „Die Show“ ist wieder in Dortmund am 29. August, 13. und 30. September und 12. November 2015.

Nestroy im Punkhimmel

Das große Fressen kann beginnen: (links) Häuptling Abendwind (Uwe Rohbeck) neben seinem Kollegen Häuptling Biberhahn (Uwe Schmieder). Foto: © Birgit Hupfeld
Das große Fressen kann beginnen: (links) Häuptling Abendwind (Uwe Rohbeck) neben seinem Kollegen Häuptling Biberhahn (Uwe Schmieder). Foto: © Birgit Hupfeld
Die erste Punk-Operette verwandelte Johann Nestroys „Häuptling Abendwind“ in eine Mischung aus Punk-Konzert und Theater-Posse. Regisseur Andreas Beck kombinierte die Musik der Ruhrpott-Punkband „Die Kassierer“ mit Johann Nestroys aktualisiertem Text zu einer derben, groben, politisch unkorrekten Melange. Ein Premierenbericht vom 24. Januar 2015.

Eine skurrile Geschichte: Häuptling Abendwind erwartet seinen Amtskollegen Häuptling Biberhahn zu einer Konferenz. Leider ist die Speisekammer völlig leer, noch nicht mal einen Gefangenen gibt es. Praktisch, dass ausgerechnet jetzt ein Schiffs-brüchiger namens Arthur auf die Insel kommt. Dumm nur, dass sich Häuptlingstochter Atala in Arthur verliebt. Welches Schicksal steht Arthur bevor? Kotelett oder Koitus? Arthur kann den Koch bestechen und an seiner Stelle wird das „Orakel“ (aus dem Film „Das Ding aus dem Sumpf“ nachempfunden) gegessen. Was hatte Arthur angeboten? Er hat ein ganz bestimmtes Körperteil des Kochs frisiert.

Nestroys Posse aus der Mitte des 19. Jahrhunderts enthält natürlich versteckte Kritik an der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts und am immer stärker werdenden Kolonialismus der Großmächte, die die Welt unter sich aufgeteilt hatten, auch mit der Begründung die Zivilisation zu den „Wilden“ bringen zu wollen. Für Andreas Beck sind die „Wilden“ Relikte, die sich in einer Gesellschaft der „politisch Korrekten“ ziemlich verloren vorkommen. Und was wollen echte „Wilde“? Fleisch essen, rauchen, Sex. So brandete Applaus als Wolfgang Wendland, der Sänger der „Kassierer“ als Koch „Ho Se“, mit einer Gemüsekiste auf die Bühne kam und Häuptling Abendwind (Uwe Rohbeck) mitteilen musste: „Es ist nichts essbares dabei. Ähnlich wie beim Buchtitel von Heinz Strunk „Fleisch ist mein Gemüse“ heißt es bei Nestroy „Mein Obstgarten ist die Fleischbank“.Doch hatte das Wildsein auch seine Schattenseiten, denn im Männergespräch der beiden Häuptlinge war klar, dass die beiden sich von den Fremden bedroht fühlen. „Nachher bringen sie noch ihre Leitkultur mit“, ängstigt sich Biberhahn. Und so klangen die Ängste der beiden Häuptlinge vor dem Neuen wie auf einer Versammlung von Pegida-Anhängern.

Zu einer Operette gehört Musik. Ursprünglich kam sie von Offenbach, hier von den „Kassierern“. Der Originaltext von Nistroy wurde ein wenig modernisiert oder „upgedated“, dass er manchmal als Stichwortlieferant für das nächste Lied der „Kassierer“ diente. Wurde plötzlich über „Blumenkohl“ geredet, stimmte die Band das Lied „Blumenkohl am Pillemann“ an. Klar, nach der Szene mit der Gemüsekiste, musste „Vegane Pampe“ kommen. Daneben wurden einige Lieder von Nestroy musikalisch neu bearbeitet. Die „Kassierer“ schrieben für das Stück extra noch neue Lieder wie „Ich bin so gerne Menschenfresser“.

Während bei einer klassischen Oper oder Operette die Musiker im Orchestergraben verschwinden, waren die „Kassierer“ prominent in der Mitte der Bühne zu sehen. Dadurch wirkte es wie ein Live-Konzert. Ich persönlich hätte es besser gefunden, wenn wie in anderen Produktion die Band mehr an die Seite positioniert worden wäre.

Kommen wir zur Bühne: Aus Sorge, dass das Bier tatsächlich alle ist, hat Bühnenbildner Sven Hansen eine Art „Bier-Galerie“ wie in Leuchtschrift rechts an der Bühne zu lesen war, kreiert. Daraus konnten die Schauspieler flugs eine Band oder einen Thron basteln.

Uwe Rohbeck spielte einen Häuptling Abendwind im Lumpen-Look, der als alleinerziehender Vater Probleme mit der Erziehung seiner 16-jährigen Tochter Atala hatte. Schreckhaft und nachgebend (Beinahme „der Sanfte“) fügte er sich ins Schicksal. Ein ganz anderes Kaliber war Häuptling Biberhahn. Uwe Schmieder spielte ihn mit Honecker-Brille und Frisur. Eins konnte beide Häuptlinge aber exzellent: Fressen. Und wer braucht schon Messer und Gabel? Sicher nur so eine Erfindung der „zivilisierten Fremden“. Das orgiastische Mahl war eines der Höhepunkte.

Arthur , der verloren geglaubter Sohn von Häuptling Biberhahn, hatte eine ziemliche Ähnlichkeit mit Johnny Rotten, dem Sänger der Sex Pistols. Zumindest von der Frisur her, was auch passte, denn Arthur ist Friseur von Beruf. Gespielt wurde er von Ekkehard Freye, der einen schön affektierten Arthur auf die Bühne brachte.

Wolfgang Wendland hatte eine Doppelrolle als realer Sänger der „Kassierer“ und fiktiver Koch „Ho Se“. Beides schaffte er mit seiner typischen Art: irgendwie teilnahmslos, aber immer da, wenn man ihn rief.

Julia Schubert hatte den schwierigsten Part an diesem Abend: Sie war als „Atala“ die einzige Frau in dem Stück. Sie nutzte ihre Möglichkeiten perfekt aus. Sie präsentierte Atala als Feministin (das Schlimmste ist, wenn die Frau alle ist“) und Vegetarierin, die in dieser Männerwelt natürlich auf verlorenem Posten stand.

Das Stück ist definitiv nicht für jeden Besucher. Wer es zart, fein-geistig und geschliffen mag, der sollte einen großen Bogen machen. Denn beispielsweise waren die Decken in den ersten Reihen nicht wegen der Kälte da, sondern weil Teile des Festmahls durchaus den Bereich der Bühne verlassen können.

Wer aber mal richtig Spaß haben, wer zum öffnen einer Bierflasche keinen Flaschenöffner braucht, wer eine Currywurst lieber hat als eine „vegane Pampe“ und wer Punk liebt und lebt, sollte eine Audienz bei Häuptling Abendwind buchen.

Weitere Termine:
SA, 31. JANUAR 2015
DO, 12. FEBRUAR 2015
SA, 21. FEBRUAR 2015
FR, 06. MÄRZ 2015
SO, 29. MÄRZ 2015
FR, 10. APRIL 2015
SO, 26. APRIL 2015
SA, 09. MAI 2015
SO, 24. MAI 2015

Perfekte Hommage an Nosferatu

Hutter (Ekkehard Freye) voller Schreck vor Nosferatu (Uwe Rohbeck). Foto: © Edi Szekely.
Hutter (Ekkehard Freye) voller Schreck vor Nosferatu (Uwe Rohbeck). Foto: © Edi Szekely.

Wenn Jörg Buttgereit am Dortmunder Schauspielhaus inszeniert, dann immer mit einem liebevollen Blick auf die Protagonisten. Ob es nun Serienmörder Ed Gein war, der bedauernswerte Merrick in „Der Elefantenmensch“ oder jetzt Nosferatu im gleichnamigen Stück „Nosferatu lebt“. Selbstverständliche wieder mit Uwe Rohbeck in der Hauptrolle. Die Premiere am 29. November sah sich Anja Cord an.

Der Stummfilm „Nosferatu“ aus dem Jahre 1922 von F.W. Murnau ist eine Film-Legende und Max Schreck als Darsteller des Grafen Orloks/Nosferatu bleibt den meisten Zuschauern in gruseliger Erinnerung. Die Geschichte in Kürze: Hutter wird vom Häusermakler Knock nach Transsylvanien geschickt, um dem Grafen Orlok ein Haus zu verkaufen. Zufällig verliebt sich Orlok in Hutters Frau Ellen und das Unglück nimmt seinen Lauf…

Jörg Buttgereit hat es nicht nur geschafft, den Stummfilm auf die Bühne zu übertragen, sondern er schuf auf noch eine übergeordnete Ebene. Der Erzähler, gespielt von Andreas Beck, setzte den Film in seine historische Dimension. Der Film ist eine Art Menetekel für die kommende Zeit. Denn die junge Weimarer Republik musste sich vieler Feinde erwehren und am Ende wird der Altraum wahr: ein Tyrann herrscht über Deutschland. 1933 hatte auch Folgen für die Filmindustrie. Viele Filmschaffende emigrierten. Duplizität der Premieren-Ereignisse: Am gleichen Tag hatte in der Oper die Jazz-Operette „Roxy und ihr Wunderteam“ Premiere. Auch hier musste der Komponist Paul Abraham fliehen und die moderne Operette wurde in Deutschland und später in Österreich zerstört.

Daher ist das Ende auch nicht so wie im Stummfilm. Hutter, zum Vampir geworden, zitiert aus Paul Celans „Todesfuge“: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.“

Buttgereit benutzt expressionistische Stilelemente wie das Schattenspiel, ähnlich wie bei dem „Cabinet des Dr. Caligari“, dazu kommt die übertriebene schauspielerische Art und Weise wie sie in Stummfilmen üblich war. Natürlich durften auch die typischen Texttafeln nicht fehlen.

Alle Schauspieler haben toll gespielt und waren sehr überzeugend. Wobei Uwe Rohbeck einfach ein Glücksgriff in den Stücken mit Jörg Buttgereit ist. Ob als Serienmörder, Elefantenmensch oder als Vampir. Max Schreck wäre sicherlich sehr stolz gewesen, wenn Rohbeck sich mit seinen langen schwarzen Fingernägeln und seinen weißen Händen, die wie Spinnenbeine wirkten, Ellens Hals näherte.

Pianist Kornelius Heidebrecht hat den Film nicht nur mit seiner Musik begleitet, sondern auch die passenden Effekte dazu geschaffen, das natürlich alles live.

Neben Uwe Rohbeck standen noch Ekkehard Freye als Hutter, Annika Meier als Ellen und Andreas Beck als diabolischer Hausmakler Knock auf der Bühne.

Es war ein Erlebnis, man wird sofort in das Stück gezogen, und bleibt von der Atmosphäre des Stummfilms im Theater fasziniert. Ein absolut sehen wertes Stück. Es bleibt zu hoffen, dass es noch weitere Termine gibt, denn die bisher bekannten sind ausverkauft.

Wenn Illusionen platzen

Das gemeinsame Abendessen platzt. (v.l.n.r.) Peer Oscar Musinowski (als Biff), Sebastian Graf (als Happy), Andreas Beck (Willy)
Das gemeinsame Abendessen platzt. (v.l.n.r.) Peer Oscar Musinowski (als Biff), Sebastian Graf (als Happy), Andreas Beck (Willy) (Foto:©Birgit Hupfeld)

Damals, als ein Wort noch etwas galt, als es wichtig war, beliebt zu sein, das war die Welt von Willy Loman, einem reisenden Vertreter. Doch die Zeiten haben sich geändert, nur Willy leider nicht. In der Inszenierung von Liesbeth Coltof spielt Andreas Beck in „Tod eines Handlungsreisenden“ einen Willy Loman, der zusehen muss, wie seine Welt untergeht. „Der Wald brennt“, ruft Loman ein paar Mal verzweifelt im Stück, doch weder Kavallerie noch Feuerwehr können ihn retten. Ein Premierenbericht.

Wichtig ist die Fassade. So tun als ob. Alles ist in Ordnung, obwohl die Kacke am Dampfen ist. In Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ geht es um den Verfall einer Mittelschichtfamilie, die verzweifelt versucht, ihren sozialen Abstieg zu kaschieren, obwohl er längst im vollen Gange ist. Willy Loman die Hauptfigur arbeitet als Handlungsreisender nach über 30 Jahren mittlerweile nur auf Provision, was bedeutet, er bringt kein Geld nach Hause. Das Geld leiht er sich von seinem Freund und Nachbarn Charley. Willys Stolz lässt ihn sogar Charleys Jobangebot ausschlagen, obwohl er von seinem Juniorchef entlassen wird. Seine Frau Linda steht in bedingungsloser Treue zu ihrem Mann, auch wenn sie die Realität erkennt. Mit seinem ältesten Sohn Biff gerät Willy häufiger in Streit, weil Willy alle seine Hoffnungen auf die Karriere seines Sohnes setzt, die aber nicht stattfindet, da Biff nicht der Überflieger ist, für den Willy in hält. Im Schatten davon ist Happy, Willys zweitältester Sohn. Er wird überwiegend von seinen Eltern ignoriert, obwohl er versucht, um ihre Anerkennung zu kämpfen.

Ein zweites Problem der Familie ist das Verbiegen der Wahrheit. Willy ist ein Meister im „Pimpen“ seines Lebenslaufes und vor allem den von Biff. Da wird Biff quasi zum Direktor hochstilisiert, obwohl er nur einfacher Packer war. Auch Willy erzählt von den Aufträgen, die er in der Tasche hat, nur leider fehlen die nötigen Unterschriften.

So ist das Stück, obwohl es aus dem Jahre 1949 stammt, auch heute hochaktuell. In Zeiten, wo Hausmeister zu „facility managern“ mutieren, jede noch so kleine Aushilfstätigkeit im Lebenslauf enorm aufgeblasen wird, werden Hoffnungen geweckt, die nicht zu erfüllen sind. Auch die Mentalität, Dinge einfach zu bestellen oder kaufen, weil man sie ja in Raten abbezahlen kann, ist heute aktueller denn je. Die mögliche Konsequenz: Seit 2006 gehen jährlich mehr als 100.000 Menschen in Privatinsolvenz. Passend dazu ließ Coltof die Bühne mit Waschmaschinen, Geschirrspülmaschinen und Kühlschränken dekorieren.

Dustin Hofman spielte Willy Loman in der Verfilmung von Volker Schlöndorff aus dem Jahre 1985 und ist vielen immer noch in Erinnerung, wenn sie an „Tod eines Handlungsreisenden“ denken. Andreas Beck spielt einen Willy, der schon optisch eine imposante Gestalt ist. Gleichzeitig macht Beck schnell die Unsicherheit und Zerbrechlichkeit des Charakters deutlich: Beispielsweise sofort zu Beginn, als er mehrmals auf die Bühne kommt, um zu erzählen, dass er eine Versicherungspolice über 150.000 € abgeschlossen hatte. Beck zeigt einen Willy, der zwischen lauter Polterigkeit und sensibler Zerbrechlichkeit mäandert.

Biff, der älteste Sohn, wird von Oscar Musinowski gespielt. Biff ist frustriert, weil er die Erwartungen seines Vaters nicht erfüllen kann und eigentlich auch gar nicht erfüllen will. Für Willy ist sein Sohn Biff der „Erlöser“, passend dazu erklang „I know that my redeemer liveth“ aus Händels „Messias“. Musinowski spielt einen verzweifelten Biff, der erkennen muss, dass nicht nur sein Leben ein Selbstbetrug ist, sondern auch das seiner ganzen Familie. Die „Werte“ mit denen Biff erzogen wurde, wie „Beliebtheit“ nutzen ihm in der realen Gesellschaft nichts mehr. Die Zeiten, in der Verträge per Handschlag geregelt wurden und gültig waren, sind in der modernen, kalten Wirtschaft vorbei.

Ähnlich tragisch angelegt ist die Rolle von Happy, dem zweiten Sohn. Er kämpft verzweifelt um die Liebe seiner Eltern, doch vergebens. Er ist quasi nicht existent, obwohl Happy seine Eltern sogar finanziell unterstützt. Sebastian Graf spielt einen Happy, der gerne möchte, dass „alles so wie früher“ ist. Auch Happy kennt eigentlich die Wahrheit, will sie aber um des Familienfriedens nicht aussprechen.

Ähnlich geht es Linda, die von Carolin Wirth dargestellt wurde. Auch sie weiß die Wahrheit, hält aber an der Illusion fest.

Willys nahezu irreale Hoffnung liegt bei seinem toten Bruder Ben (wurde überwiegend von Uwe Rohbeck gespielt). Ben ist das absolute Vorbild für Willy, denn er hat es „geschafft“. Wie, dass weiß man nicht so genau, aber Ben taucht ab und an in Willys Vorstellung auf.

Coltof lässt das Stück bewusst in Dortmund, beziehungsweise in Europa spielen. Szenen aus Dortmund tauchen ab und zu in kurzen Videosequenzen auf. Statt Baseball spielt Biff Fußball. Doch die Größe von Millers Stück, ist, dass es zeitlos wirkt. In der Hand von Coltof, die eine Meisterin im Herausarbeiten von Lebenslügen in einer Familie ist wie ihre Vorgängerproduktionen „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ und „Verbrennungen“, zeigt sich der Stoff aktueller denn je. Kauf auf Pump, das Pimpen des Lebenslaufes und die Unfähigkeit, die Wahrheit zu sagen: Alles vermengt sich bei Millers Stück zum tragischen Ausweg für Willy: Den Selbstmord. Denn dank seiner Versicherungspolice ist er in bitterer Weise „tot mehr wert als lebendig“.

Weitere Termine: DO, 23. OKTOBER 2014, FR, 24. OKTOBER 2014, SA, 08. NOVEMBER 2014, SO, 23. NOVEMBER 2014, MI, 03. DEZEMBER 2014, FR, 19. DEZEMBER 2014, FR, 26. DEZEMBER 2014, SO, 28. DEZEMBER 2014, SO, 11. JANUAR 2015, MI, 18. FEBRUAR 2015, MI, 11. MÄRZ 2015, SO, 19. APRIL 2015, FR, 22. MAI 2015 und DO, 11. JUNI 2015.

Karten und Infos unter www.theaterdo.de oder telefonisch 0231 5027222.

Im Krieg des Bewusstseins

Das ist nicht das Holodeck der "Enterprise". In dem Würfel wird das Stück gespielt. Rechts zu sehen sind: Lucas Pleß, Stefan Kögl, Anne-Kathrin Schulz, Mario Simon und Tommy Finke. (Foto: ©Edi Szekely)
Das ist nicht das Holodeck der „Enterprise“. In dem Würfel wird das Stück gespielt. Rechts zu sehen sind: Lucas Pleß, Stefan Kögl, Anne-Kathrin Schulz, Mario Simon und Tommy Finke. (Foto: ©Edi Szekely)

Der dritte Teil der Stadt der Angst Trilogie am 03. Mai spielte im Studio. Sarah Kanes „4.48 Psychose“ unter der Regie von Kay Voges war eine radikale Innensicht in einen Menschen, der an Depressionen litt.

 

Depression, Psyche, Seele. Wie behandelt man Krankheiten der Seele? Gibt es die Seele überhaupt? Kann man sie irgendwie fassbar machen? Angeblich soll sie ja 21 Gramm wiegen, wie der amerikanische Arzt Duncan MacDougall 1901 zu beweisen schien. Leider waren seine Experimente aus heutiger Sicht völlig unbrauchbar.

Aber das Messen von Körperfunktionen ist im Kommen. „Self-Hacking“ heißt der neue Trend. Immer und überall sind die Daten verfügbar Puls, Gewicht, Blutdruck, EKG oder Muskelspannung. Hier spannt sich der Bogen zum Stück „4.48 Psychose“. Die drei Akteure Merle Wasmuth, Uwe Rohbeck und Björn Gabriel sind verkabelt und liefern ständig die Aktuellen Daten an die Außenseite eines riesigen Würfels.

Die Wände des Würfels bestehen aus Gaze, so dass sie einen Blick ins Innere gewähren, aber auch die Möglichkeit bieten, etwas darauf zu projizieren. Die Zuschauer sitzen in vier Ecken, so dass die Blickwinkel unterschiedlich sind.

 

Das Stück selbst ist radikal und führt in die Tiefe einer depressiven Frau. Kane schreibt hier ihre Leidensgeschichte auf, die geprägt ist von Klinikaufenthalten und Behandlungen mit Psychopharmaka. Die Medikamente schützen sie die meiste Zeit vor ihrem Wahn, doch zerstören ihren Geist. Nur zwischen 4.48 und 6.00 Uhr besitzt sie Klarheit (oder Wahn).

 

„4.48 Psychose“ ist eine eindringliche und schonungslose Dokumentation eines Menschen, der leidet und den die Ärzte nicht helfen können. Vielleicht weil sich niemand wirklich für Kanes Schicksal interessiert. Oder weil die glauben, dass man durch biochemische Eingriffe, seelische Erkrankungen heilen kann.

 

Es gibt nicht nur eine Kane, alle drei Schauspielerinnen und Schauspieler übernehmen im Prinzip die Rolle der Erzählerin. Merle Wasmuth brilliert mit körperlichen Einsatz, aber auch Björn Gabriel und Uwe Rohbek spielen sehr eindringlich.

 

Das Stück gibt natürlich keine Antwort auf die Frage, ob es eine Seele gibt oder wo sie ist. Es ist eher eine Art Kriegsberichterstattung. Das Bewusstsein führt Krieg gegen sich selbst. Und die Bilder sind drastisch. Blut fliesst, Haare werden abgeschnitten, man spürt die Verzweiflung, aber auch die zwischendurch aufflackernde Zärtlichkeit Kanes in jeder Zeile.

 

Bei der Produktion waren der Choasclub Dortmund sowie Mario Simon für die Videos beteiligt. Tommy Finke generierte die Musik dazu. Darüber hinaus erklang Wagnerische Musik und das „Lux aeterna“ aus Mozarts Requiem.

 

Ein Abend, der mal wieder bewies, warum Dortmund zurecht als Theaterlabor der Nation bezeichnet werden kann.

Kafkas „Prozess“ als Kammerspiel

Kurz vor der Hinrichtung scheint Josef K. (Björn Gabriel) das Unheil zu ahnen. Im Hintergrund: Andreas Beck und Sebastian Graf. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Kurz vor der Hinrichtung scheint Josef K. (Björn Gabriel) das Unheil zu ahnen. Im Hintergrund: Andreas Beck (links) und Sebastian Graf. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Nach „Peer Gynt“ von Henrik Ibsen zeigte das Schauspielhaus Dortmund Franz Kafkas „Der Prozess“ in einer konzentrierten Form. Die Premiere am 14. Februar im Studio dauerte etwa 90 Minuten. Regisseur Carlos Manuel präsentierte das Stück vor allem zu Beginn auch mit einer guten Prise Humor.

 

Zum Stück: Die Hauptfigur, Josef K., wird an seinem 30. Geburtstag verhaftet. Im Verlauf einer immer bizarrer werdenden Handlung versucht Josef K. herauszufinden, wer und vor allem weswegen er angeklagt wird. Trotz anwaltlicher Hilfe bekommt er keine Antworten. Nach einem Jahr wird er unvermittelt hingerichtet.

 

Die bis dahin allgemeine Lesart des Stückes war der aussichtslose Kampf des Individuum gegen eine übermächtige Bürokratie. Die Bilder des Films von Orson Welles aus dem Jahre 1962 verstärken diese Sichtweise noch. Carlos Manuel hat einen anderen Zugang gewählt. Zum einen betont er die durchaus komischen Aspekte des Stückes. Beispielsweise als Josef K. in der Vorstadt geht und die Frau des Gerichtsdieners beim Wäscheaufhängen antrifft. Manuel geht es im „Prozess“ auch darum , dass mit dem „Gesetz“ Spielregeln gemeint sind. Auch von Josef K, der ein Teil dieses Systems ist wird erwartet, dass er sich daran hält. Schon in der Anfangsszene wird dies deutlich: Die beiden Wächter (Uwe Rohbeck und Andreas Beck) sind nach ihrer Ansicht überaus freundlich zu dem Verhafteten, während Josef K. (Björn Gabriel) das Verhalten der beiden Beamten anmaßend findet. Er begreift nicht, dass er nicht die Spielregeln gestaltet. Im weiteren Verlauf des Stückes versucht Josef K. immer wieder, sich kleine Vorteile zu verschaffen, macht dabei aber den Fehler, den sirenenhaften Frauen wie Leni, der Frau des Gerichtsdieners oder Frau Bürstner (alle Merle Wasmuth) zu vertrauen.

Eine wichtige Rolle spielen die Begriffe wie Scham, Dominanz und Erniedrigung als Mittel der (Selbst-)Kontrolle und. Besonders deutlich wird es, wenn Sebastian Graf als kaufmann Brock die Hände des Advokaten (Uwe Rohbeck) die Hände küsst und sich wie ein Hund benehmen muss. Dazu passt der letzte Satz, der in der Inszenierung vom sterbenden Josef K. gesprochen wird. „Wie ein Hund! Als sollte mich die Scham überleben.“

 

Die Bühnenwand ist auf der rechten Seite eingerissen, und es schaut nur ein Augenpaar neugierig als Symbol für „Kontrolle“ heraus. Auf der gegenüberliegenden Seite ist die Wand mit einigen Postern beklebt, die eine leicht bekleidete Frau zeigen, deren Augen abgeschnittenen sind. Für den Maler Titorelli (Andreas Beck) die Vorlage für die „Justitia“. Inder Mitte der Bühne ist eine gutbürgerliche Tapetenwand zu sehen. Die Bühne ändert sich nicht, wenn der Ort der Handlung wechselt. Es hat eher den Eindruck, die Orte kämen auf Josef K. zu.

 

Björn Gabriel spielt den Josef K. in all seinen Facetten. Erst belustigt, weil er es für einen Scherz hält, dann immer fassungsloser werdend. Er bleibt fast immer beherrscht, auch wenn um ihn herum der Wahnsinn tobt. Eine beeindruckende Vorstellung von Gabriel.

Andreas Beck, Sebastian Graf und Uwe Rohbeck spielen mehrere Rollen. So spielt Graf unter anderem den arrogant wirkenden Direktor-Stellvertreter und den devoten Kaufmann Block. Uwe Rohbeck hat als Aufseher Franz einen komischen Auftritt und zeigt als Advokat die kalte, abweisende Seite eines Menschen, der über Macht verfügt und sie huldvoll gewährt oder nicht.

Andreas Beck spielt bis auf die Rolle des Gerichtsdieners Personen, die es eher gut mit Josef K. meinen wie seinen Onkel oder den Maler Titorelli.

Merle Wasmuth spielt ebenfalls mehrere Rollen: Sie ist sehr oft als verführerische Frau zu sehen (Frau Bürstner, Leni), aber auch das Sadomaso-Domina in der Rolle der Prüglerin.

Wenn sie dem „Prozess“ beiwohnen möchten, haben Sie ab April wieder die Möglichkeit dazu. Mehr Infos unter www.theaterdo.de