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Eat the rich – auf österreichisch

Elendstouristen kommen in eine Kneipe, die es besonders in sich hat – voll mit Außenseitern und gescheiterten Existenten wie sie nur Werner Schwab kreieren konnte. Willkommen in der Wiedereröffnung des Studios des Schauspiel Dortmund, willkommen bei „Übergewicht, unwichtig: Unform“, ein europäisches Abendmahl von Werner Schwab. Nehmen Sie etwas zu trinken und vergessen Sie Ihr Brot nicht.

Früher gab es in Dortmund die Kneipe „Bei Ernie“ direkt hinter dem Burgtor. Wenn man den Geschichten und Mythen glauben schenkt, dann war das kein Ort für Schicki-Micki-Menschen auf der Suche nach dem coolsten Elendstourismus. So einen Kneipencharme zauberte auch Johannes Lepper ins Studio, obwohl seine Kneipe (mit einem riesigen Bild der Schlacht von Austerlitz) ein wenig geräumiger Aussicht.

In der Kneipe befinden sich neben der Wirtin (Amelie Barth), der Kneipenphilosoph Jürgen (Uwe Rohbeck), das Pärchen Schweindi (Andreas Beck) und Hasi (Marlena Keil), der grobschlächtige Karli (Frank Genser) mit seiner Freundin Herta (Friederike Tiefenbacher) und Fotzi (Christian Freund).

Das Stück kreist im wesentlichen um die Unzulänglichkeiten der anwesenden Akteure. Der naive und linksliberale Jürgen versucht seine Los als einfacher Lehrer zu überspielen, Schweindi möchte mit Hasi ein Kind, ist aber impotent und pädophil. Hasi selber wurde als Kind von ihrem Vater missbraucht, wie sich gegen Ende des Stückes herausstellt.

Karli ist ein grobschlächtiger Mensch, der eine ziemlich kurze Zündschnur besitzt und seinen Frust gerne auch gewalttätig an seiner Freundin Herta ablässt. Herta selbst spielt die Rolle der Schmerzensmaria und hält dies geduldig aus. Fotzi hingegen ist eine Frau unbestimmten Alters, die durch ihr exhibitionistisches Verhalten versucht, die Aufmerksamkeit auf sich zuziehen und Geld für die Musikbox zu schnorren.

Ein wesentlicher Bestandteil in den Werken Schwabs ist die Beschäftigung mit Nahrung. In „Übergewicht“ geht es besonders um das „Brot“, das für Schweindi einen sakralen Charakter besitzt. Jedoch immer mit einem aggressiven Unterton. So fährt er Karli mehrfach an: „Kriegsverbrecher, Brotbetrüger, Kriegsbetrüger, Brotverbrecher. Nie wieder erlangst du von mir eine Vergebung.“

Ein weiteres Merkmal der Schwabschen Sprache sind die teilweise vulgären Sprüche der Protagonisten, die aber durch hochgestochene Ausdrücke angereichert und dadurch konterkariert werden.

Die Ausdrucksweise mancher von Schwabs Figuren wirkt abgehärtet, ungebildet und arrogant, sogar vulgär. Sie überraschen gleichzeitig aber, in dem sie plötzlich einen hoch gestochenen Ausdruck verwenden, der man in demjenigen Milieu und von derjenigen Figur nicht erwarten hätte.

Schwabs Figuren träumen von einem einfachen, normalen Familienleben, sie sind aber nicht in der Lage, es zu verwirklichen.

Das große Fressen. Mit dabei sind (v.l.n.r.) Christian Freund, Andreas Beck, Marlena Keil, Frank Genser, Amelie Barth und Uwe Rohbeck (Foto: © Birgit Hupfeld)
Das große Fressen. Mit dabei sind (v.l.n.r.) Christian Freund,
Andreas Beck, Marlena Keil, Frank Genser, Amelie Barth und Uwe Rohbeck (Foto: © Birgit Hupfeld)

Im weiteren Verlauf kommen zwei Gäste (Edith Voges Nana Tchuinang und Raafat Daboul) in die Wirtschaft, die sich separieren und stumm bleiben. Langsam aber sicher ziehen sie den Unmut der anderen Gäste auf sich, die ihren persönlichen Frust und Neid auf die beiden Neuankömmlinge abladen bis es zum Mord und Kannibalismus kommt ähnlich im Film „Eat The Rich“. Dabei mutiert Herta, die als einzige nichts vom Menschenfleisch genommen hat zu einer Heiligen, um die alle Füße-küssend eine Prozession abhalten. Hier kommt die Auseinandersetzung mit Schwabs religiöser Mutter wohl zum Tragen.

Surreal wie bei Beckett wird es, wenn nach dem Aufräumen plötzlich wieder das Paar ins Wirtshaus einkehrt.

Das Gute an der Inszenierung von Lepper ist es, dass er den Figuren auch ein wenig Zeit zum Atmen gibt. Denn das Stück besteht nicht nur aus skurrilen Dialogen, die zum lachen sind, sondern auch ab und an aus sehr ernsten Teilen. Wenn beispielsweise Schweindi seine Verzweiflung klagt oder Jürgen seine Weltverbesserungsideen zum besten gibt.

Die Schauspieler tragen mit dazu bei, dass „Übergewicht“ eine rundum gelungene Inszenierung wird. Vor allem Beck, Genser und Rohbeck. Denn in dem Stück versuchen die männlichen Hauptfiguren ihre Dominanz unter Beweis zu stellen. Da sind die Frauen mehr oder weniger Staffage. Dennoch zeigen Keil (Hasi), Tiefenbacher (Herta) und Barth (Wirtin), dass sie den Männern durchaus Kontra geben können, wenn es auch für Herta danach schmerzhaft wird.

Eine Sonderrolle hat Fotzi, die von Christian Freund gespielt wird.

Eine Empfehlung für alle, die auf absurdes, surreales Theater stehen. Derbe Sprache und viel Blut auf dem Theaterboden. Alle, die das nicht stört, werden einen unterhaltsamen Abend bekommen.

Weitere Termine finden Sie unter www.theaterdo.de

 

Elendstouristen im grotesken Kneipenkosmos

Als erstes Studio-Stück in der Spielzeit 2017/2018 geht am Sonntag, den 17.12.2017 „Übergewicht, unwichtig: Unform – Ein europäisches Abendmahl“ an den Start. Es ist die erste Regiearbeit am Schauspiel Dortmund von Schauspieler, Regisseur und Bühnenbildner Johannes Lepper. Die Stoffe von Werner Schwab sind durch ihre humorvoll-groteske und einzigartige, derbe, aber gleichzeitig tief philosophische Kunstsprache gekennzeichnet.

Die Bühne wird zu einer gemütlichen Kneipe mit vier Tischen und einer Musik-Box.

Hier entführt Schwab uns in einen speziellen Kosmos der Kneipenkultur. Die abgehängten und abgehangenen Stammgäste der Kneipenwirtin sind Typen wie der weltfremde Langzeitstudent Jürgen (Pädagoge), der notgeile Schweindi mit seiner Hasi, die schlecht gealterte Herti mit ihrem Schläger Karli sowie die zwangsvulgäre Fotzi. Eines Abend tritt in diese Welt ein schönes und reiches Paar auf der Suche nach einer Top-Location für ihren Elendstourismus hinein. Die zur Schau gestellte Zufriedenheit und Desinteresse an den Anderen provoziert diese und es wächst der Neid, die Gier- und Mordlust…

Die Kneipengesellschaft in fröhlicher Stimmung (v.l.n.r.) Christian Freund, Frank Genser, Andreas Beck, Friederike Tiefenbacher, Marlena Keil, Amelie Barth und Uwe Rohbeck. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Die Kneipengesellschaft in fröhlicher Stimmung (v.l.n.r.) Christian Freund, Frank Genser, Andreas Beck, Friederike Tiefenbacher, Marlena Keil, Amelie Barth und Uwe Rohbeck. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Bei diesem surreal-grotesken Universum voll schwarzen Humor geht es um die Frage des Umgangs mit dem „Fremden von außen“. Es ist ein unablässiger Sprachkampf gegen den eigenen Untergang in einer Welt, die die Figuren zu zermalmen droht .

Wortspiele wie „Brotzeit gibt es nicht. Brot ist zeitlos,“ sind nur ein Beispiel für das typische „Schwabische“.

Was macht uns aus? Werner Schwab führt die „Kannibalisierung“ unserer Gesellschaft vor Augen. Deshalb die Metapher mit dem Abendmahl. Wir „fressen“ uns auch im „aufgeklärten“ Europa in kriegerischen Konflikten und Auseinandersetzungen (beispielsweise Bosnien-Krieg und ähnliche Gewaltherde) im übertragenem Sinne auf.

In dem Stück „vereinnahmen“ und essen die Stammgäste der Kneipe das schöne und reiche Pärchen scheinbar auf. Nur die „heilige“ Herti macht nicht mit.

Im letzten Teil taucht ein Paar mit gleichem Aussehen aber nicht ganz so förmlich desinteressiert auf. Was ist hier real?

Die monströse Gemeinschaft von von reaktionären Spießern, impotenten Lustmolchen linken Weltverbessern wird bei dem „europäischen Abendmahl“ klug und treffsicher seziert.

Mehr Infos und Termine finden Sie auf www.theaterdo.de