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Carmen für Grenzgänger – ein Premierenbericht

Carmen (Ileana Mateescu) bezirzt Don José (Christoph Strehl). Foto: © Thomas M. Jauk / Stage Picture
Carmen (Ileana Mateescu) bezirzt Don José (Christoph Strehl). Foto: © Thomas M. Jauk / Stage Picture

Eine Grenze ist der Rand eines Raumes, sagt zumindest Wikipedia. Bei Georges Bizets Oper „Carmen“ versuchen verschiedene Akteure diesen Rand zu überwinden oder ihn zumindest auszuweiten. Dass das nicht gut ausgehen kann, liegt auf der Hand. Die Inszenierung von Katharina Thoma in der Oper Dortmund brachte auch die Thematik der unüberwindbaren Grenze zwischen armen und reichen Ländern auf die Bühne.

 

Nachdem der Vorhang aufgegangen ist, sehen wir eine Zigarettenfabrik und einen Wachposten. Die Grenze muss ganz in der Nähe sein. Alles macht einen leicht deprimierenden Eindruck. Für die Soldaten sind die Frauen nichts wert und nur Objekte der Begierde. Sie werden zudringlich, auch gegenüber Micaela (Christine Koch), der Freundin von Don José.

In dieser Machogesellschaft taucht Carmen (Ileana Mateescu) auf. Sie ist selbstsicher, vertraut auf ihre Erotik und setzt sich dadurch in die höhere Position. Alle Männer fressen ihr aus der Hand. Selbst Don José (Christoph Strehl), der erst den Wunsch seiner Mutter erfüllen möchte und Micaela heiraten will, verfällt Carmen und wird zum ersten Grenzgänger. Das Muttersöhnchen Don José bricht aus seinem vorgeplanten Weg aus und desertiert wegen Carmen. Carmen selbst, eine Grenzgängerin zwischen Männern, orientiert sich langsam aber sicher zum Torero Escamillo, dem einzigen Mann, dem sie sich unterwirft. Die Grenzüberschreitungen haben Konsequenzen: Don José bestraft sich selbst dadurch, dass er zum Mörder Carmens wird. Carmen wird das „Männerhopping“ letztendlich zum Verhängnis.

 

Katharina Thoma modernisiert die Figuren nicht, denn eine Figur wie Carmen ist heute noch modern. Thoma und die Bühnenbildnerin Julia Müer setzen bei ihrer Inszenierung einen deutlichen politischen Anstrich. Bei Thoma geht es um konkrete Grenzen zwischen erster Welt und Dritter Welt. Vor allem im dritten Akt denkt man unwillkürlich an Grenzen wie dem mexikanisch.-amerikanischen Grenzstreifen. Eine aktuelle und nachdenkliche Sichtweise, betrachtet man die Situation wie viele Menschen versuchen, Grenzen zu überwinden, um ins „gelobte Land“ zu kommen.

 

Die Inszenierung steckt voller kleiner Details. So scheinen die Fans des Toreros Escamillo aus dem Fußballstadien zu kommen, wo das Lied „Toréador, en garde!“ zum Standardrepertoire gehört. Thoma hat auch eine neue Figur eingeführt, die zwar nicht singt, aber allein durch ihre Präsenz das Geschehen begleitet: eine alte Bettlerin. Sie wird von allen verachtet, selbst von den Schmugglern, die selber außerhalb der gesellschaftlichen Ordnung stehen. Die Bettlerin ist eine Art von Menetekel für Carmen. Denn was würde passieren, wenn Don José sie nicht getötet hätte und in einigen Jahre ihre Schönheit verblüht wäre? Wäre Carmen dann selbst eine Ausgestoßene?

 

Ileana Mateescu spielte und sang eine besondere Carmen. Nicht der Typ vollbusige Venus, eher der burschikose, bestimmende Frauentyp. Somit kam Mateescu der Rolle der modernen Frau schon sehr nahe. Bezeichnend eine Situation im vierten Akt, als sie ihr Jäckchen auszog und es beinahe so aussah, als wollte sie sich mit Don José prügeln.

Christoph Strehl gab einen Don José, der sich langsam in den Wahnsinn hineinsteigert und immer brutaler wird, bis zum Mord. Zwischen Liebe, Eifersucht und Verzweiflung brachte Strehl die Figur des Don José gesanglich gut rüber.

Christiane Kohl brillierte als Micaela, die angedachte Frau für Don José. Micaela ist das Gegenteil von Carmen. Ihre Kleidung ist eher altbacken, aber ihre Liebe zu Don José ungebrochen. In ihrer Arie „Je dis que rien ne m’épouvante“ im dritten Akt bringt Kohl Michaelas völlige Verzweiflung wunderbar zur Geltung. Aus jeder Note dringt der Wunsch den geliebten Mann wiederzuholen.

Morgan Moody hatte kurze, aber intensive Auftritte. Er spielt den kraftstrotzenden Torero Escamillo , voller Testosteron, der einzige Mann, dem Carmen verfällt.

 

Die Oper „Carmen“ gehört zu den meistgespielten Stücken der Welt und die Musik von Bizet ist längst zu einem Evergreen geworden. Die Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Generalmusikdirektor Gabriel Feltz zeigten auch warum.

 

Ein Extralob gehört auch den verschiedenen Chören: Neben dem Opernchor des Theaters Dortmund war auch der Extra-Chor sowie der Opern-Kinderchor zu sehen und zu hören.

 

Eine gelungene Inszenierung, die nicht nur musikalisch gefallen konnte, sondern auch dem Besucher einige Denkanstöße zum Thema Grenzen und Abschottung mit auf dem Weg gab.

Weitere Termine SO, 09. FEBRUAR 2014, SA, 15. FEBRUAR 2014, FR, 21. FEBRUAR 2014, MI, 05. MÄRZ 2014, SA, 08. MÄRZ 2014, SO, 16. MÄRZ 2014, SO, 23. MÄRZ 2014, DO, 27. MÄRZ 2014, SO, 20. APRIL 2014 und SA, 05. JULI 2014

Das Goldene Zeitalter – ein Update

Am 18. Januar 2014 startete Schauspieldirektor Kay Voges zusammen mit Videokünstler Daniel Hengst, Dramaturg Alexander Kerlin und einigen tapferen Ensemblemitgliedern im Dortmunder Schauspielhaus zum neunten Mal den Versuch, auf 100 Wegen den Schicksal im „Goldenen Zeitalter“ die Show zu stehlen. So klang unsere Kritik damals.

 

Mir war klar, keine Vorstellung des Stücks gleicht der Anderen. Was hatte sich seit der Premiere im letzten Jahr entwickelt und verändert?

 

Zu meiner ersten Überraschung saß mitten im bekanntem Bühnenbild ein an seinem Stuhl gefesselter Mensch mit der Maske eines Greises (Björn Gabriel). Ansonsten war er wie die anderen Schauspieler/innen mit Kniestrümpfen und Faltenrock und Jacke. Über einen langen Zeitraum musste der Arme dort lange verharren. Nur dann und wann änderte er etwas seine Position und seinen Gesichtsausdruck. Interessant zu beobachten, was für Ausdrucksmöglichkeiten auch durch so eine Maske vermittelt werden können. Ihm oblag es im Laufe des Abends das Ende des „Postmodernen Zeitalters“ zu proklamieren.

Bei der Vorstellung am 18. 01. wurde auf aktuelle Themen wie etwa der Skandal um den umstrittenen Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst oder der Skiunfall von Kanzlerin Merkel Bezug genommen. Auch auf Wagner und seine Tannhäuser-Oper ( hatte im Dezember unter der Regie von Kay Voges Premiere in der Dortmunder Oper) wurde humorvoll-ironisch hingewiesen.

Wegen der Erkrankung von Caroline Hanke fiel die „Adam und Eva“ Nummer leider aus. Dafür nutzte Voges seine guten Beziehungen zur Oper und konnte den zuletzt auch im Tannhäuser zu hören und zu sehenden Bass-Bariton Morgan Moody als „Special Guest“ gewinnen. Moody glänzte mit seiner Stimme und sorgte zum Schluss vor allem mit dem Song „Wunderbar“ aus dem Musical „Kiss me Kate“ (vielen durch die deutsche Version von Zarah Leander bekannt) von Cole Porter für ausgelassene Stimmung.

Auffällig im Unterschied zur Premiere ist, dass die Schauspieler/innen sich inzwischen öfter direkt ins Publikum wagen und der Regisseur oder der Dramaturg auch mal auf der Bühne mitmischen.

 

Wir dürfen auf die Fortsetzung gespannt sein…

Festlich-schwungvolle Operettengala

Die Operette ist tot? Davon konnte am 13. Dezember bei der festlichen Operettengala keine Rede sein oder wie Gastgeber Kammersänger Hannes Brock angesichts des fast ausverkauften Opernhauses zur Begrüßung sagte: „Es sind aber viele zur Trauerfeier gekommen.“ Die Operettengala „Die ganze Welt ist himmelblau“ zeigte, dass die Operette in seinen Facetten sowohl gefühlvoll, temperamentvoll, humorvoll und für die Interpreten äußerst anspruchsvoll ist. Festlich-schwungvolle Operettengala weiterlesen

Bilderflut beim Tannhäuser

Elisabeth setzt sich für Tannhäuser ein. v. l.: Gerardo Garciacano (Wolfram), Morgan Moody (Biterolf), Fritz Steinbacher (Heinrich d. Schreiber), Christian Sist (Landgraf), Martin Js. Ohu (Reinmar), John Zuckerman (Walther), Chor, Daniel Brenna (Tannhäuser, v.) (Foto: ©Thomas M. Jauk / Stage Picture)
Elisabeth setzt sich für Tannhäuser ein. v. l.: Gerardo Garciacano (Wolfram), Morgan Moody (Biterolf), Fritz Steinbacher (Heinrich d. Schreiber), Christian Sist (Landgraf), Martin Js. Ohu (Reinmar), John Zuckerman (Walther), Chor, Daniel Brenna (Tannhäuser, v.)
(Foto: ©Thomas M. Jauk / Stage Picture)

Radikal neu interpretierte Schauspieldirektor Kay Voges am 01. Dezember in der Oper Dortmund den „Tannhäuser“ von Richard Wagner. Mit dem Videokünstler Daniel Hengst an seiner Seite fügte Voges dem Tannhäuser eine weitere Dimension hinzu. Sprachgewaltige Bilder mischten sich mit dramatischer Musik und Sängerinnen und Sängern, die auch ihr Schauspieltalent in die Waagschale warfen. Bilderflut beim Tannhäuser weiterlesen

Überlebenskunst unter bedrohlichen Umständen

Müssen ihr "Schtetl" Anatevka letztendlich doch verlassen: Ilse Winkler (Golde), Ks. Hannes Brock (Tevje) (Foto: ©Thomas M. Jauk / Stage Picture)
Müssen ihr „Schtetl“ Anatevka letztendlich doch verlassen: Ilse Winkler (Golde), Ks. Hannes Brock (Tevje)
(Foto: ©Thomas M. Jauk / Stage Picture)

Mit der Premiere von „Anatevka (Fiddler on the Roof)“ am Samstag, den 19. Oktober brachte das Dortmunder Opernhaus eines der erfolgreichsten und meist gezeigten Musicals auf die Bühne. Grundlage für das Buch von Jerry Brock und das Musical sind die Geschichten von Scholem Alejchem.  Überlebenskunst unter bedrohlichen Umständen weiterlesen